UNTERNEHMEN / NIXDORF Rechner für Amerika
Staunend vernahmen die Manager der Wanderer-Werke AG in Köln das Unglaubliche. Die Amerikaner, größte Computer-Bauer der Welt, erteilten ihnen den Auftrag, 10000 Elektronen-Rechner des Kölner Modells »Conti« zu liefern.
Eine erste Sendung von 25 Computern ging dieser Tage mit dem Schiff nach den USA. Das Werk in Köln muß jetzt die Produktion von wöchentlich 55 Geräten auf 100 Stück steigern, um termingemäß liefern zu können.
Die Mammutorder über 100 Millionen Mark kam von dem amerikanischen Büromaschinen-Konzern Victor Comptometer Corp. in Chicago (Jahresumsatz 600 Millionen Mark). Sie verhilft den Computer-Zwergen am Rhein (Umsatz 60 Millionen) zu einem zweieinhalbjährigen Boom und weltweitem Renommee.
Wanderer-Vorstandssenior Hans Bringer, 64, meint: »Wir laufen jetzt durch ein Tal voller Edelsteine. Wir müssen sie nur aufheben.«
Wanderers Alleininhaber Heinz Nixdorf, 42, hatte in den USA monatelang den Computer-Markt nach lukrativen Landstrichen abgesucht. Schließlich fand er die Lücke, die für Amerikas Rechnerriesen IBM und Radio Corporation of America (RCA) zu klein, für die Wanderer AG aber vielversprechend war: den Markt elektronischer Mini-Rechner für Banken, Supermärkte, Industriebetriebe und Krankenkassen.
Nixdorfs »Conti« ist ein elektronischer Rechenautomat von der Größe einer Schreibmaschine. Er bewältigt alle vier Rechenarten bis auf zwölf Stellen nach dem Komma, zieht Quadratwurzeln und druckt die Rechenergebnisse auf zwei Kopien.
Techniker Nixdorf hatte die Grundlagen für den Computer-Erfolg als junger Mann in seinem 1952 gegründeten Labor für Impulstechnik in Paderborn erarbeitet. Er vertrat die Ansicht: »Computer müssen so klein sein, daß sie in die linke untere Schublade eines Buchhalter-Schreibtisches passen.«
Der Westfale war schon als Gymnasiast seinen Mitschülern im Rechnen so weit voraus, daß er vom Mathematik-Unterricht befreit wurde. Er hörte nach dem Krieg an der Frankfurter Universität Physik und Betriebswirtschaft, schloß aber sein Studium nicht ab. Statt dessen arbeitete er -- mit einem Vorschuß des Essener Strom-Konzerns RWE -- an seinem Elektronenrechner.
Der Mathematiker verehrt den deutsch-amerikanischen Architektur-Maler Lyonel Feininger, dessen exakten Strich er schätzt. Ein Feininger-Bild hängt in Nixdorf s Büro. In seiner Freizeit analysiert der Computer-Bauer die Bilanzen fremder Unternehmen.
Noch als Nixdorf Labor-Assistent in Frankfurt war, hatte er mit seinem Lehrer Dr. Sprick eine Computerfabrik errichten wollen. Aber Sprick zog eine feste Anstellung vor. Sein Schüler wagte den Sprung zum Unternehmer allein und begann, Computerteile an Firmen wie Kienzle und Siemens zu liefern und seinen ersten eigenen Rechner »System 820« zu verkaufen. Nixdorfs Umsatz steigerte sich jährlich bis zu 60 Prozent.
Sein zweites Produkt, den Conti-Rechner, ließ Nixdorf in Lizenz von den einstigen Schreibmaschinen-Hersteilem Wanderer bauen, die sich selbst im Computergeschäft versucht hatten, mangels Aufträgen jedoch gescheitert waren: Der Wanderer- Vorstand hatte sich auf eine Produktion von 50 Geräten pro Woche eingestellt, durchschnittlich aber nur drei Aufträge erhalten.
Im Vergleich zu den Großrechnern der Firmen IBM, RCA, Siemens und AEG (Preis: bis zu zwei Millionen Mark) ist Nixdorfs Gerät ein Jedermann-Computer. Als eine Art weiterentwickelte Fakturier- und Buchungsmaschine kann er von kleinen und mittleren Firmen voll ausgenutzt werden. Der Conti-Computer kostet 10 000 Mark.
Die großen Konkurrenten bauen ihre teuren Anlagen an zentraler Stelle auf, zu denen die ganze Papierflut eines Konzerns geschleust werden muß, um ausgewertet werden zu können. Nixdorfs Gerät hingegen ist als sogenannte Daten-Endstelle (terminal) entwickelt, die schon beim Buchhalter alle Rechnungsvorgänge erfaßt.
Im April dieses Jahres hatte die Wanderer AG so wenig und Heinz Nixdorf so viel Geld in der Kasse, daß der Paderborner Impulstechniker die Kölner Fabrik für acht Millionen Mark kaufte*. Seine jetzt insgesamt 1600 Beschäftigten erzielen einen Jahresumsatz von 100 Millionen Mark und lassen ihrem Chef jährlich mehr als sieben Millionen Mark Brutto-Gewinn in der Kasse.
Nixdorf hat das große Geschäft mit kleinen Computern gründlich abgesichert. Sein Vorstandsmitglied Helmut Rausch, 32, verrät: »Die 100 Millionen Mark, die wir jetzt in Auftrag haben, sind nur der Anfang. Weitere Aufträge werden folgen, denn wir haben mit den Herren in Chicago eine zehnjährige Zusammenarbeit beschlossen.«
* In der vorigen Woche wurde die wanderer AG in »Nixdorf Computer AG« umbenannt und ihr Kapital von 7,5 Millionen Mark auf 30 Millionen erhöht.