GEWÄSSER Recht auf Rechenschaft
Die öffentliche Hauptverhandlung, die in dieser Woche in Rotterdam beginnt, wird fünf Tage dauern. Die Liste der Angeklagten umfaßt 45 Namen.
Vorgeladen sind neben bekannten Vertretern der europäischen Großchemie, darunter »Bayer AG Leverkusen«, »Shell Nederland Chemie B V« und »A/S Cheminova« aus Dänemark, auch die Staatskapitalisten aus Ost-Berlin. Der »Staatsrat der Deutschen Demokratischen Republik, repräsentiert durch Erich Honecker«, wird beschuldigt, durch »beträchtliche Mengen Salz« aus
der volkseigenen Kaliindustrie in Thüringen Werra und Weser zu verschmutzen.
So ähnlich lauten auch die Anklagepunkte gegen die anderen Beschuldigten. Denn das »Internationale Wassertribunal«, das sich aus 80 Umweltschutz-Organisationen - von »Greenpeace« bis hin zur »Notgemeinschaft der Abwassergeschädigten der Unteren Wupper« - zusammensetzt, wird nur ein Thema behandeln: die Gewässer Mitteleuropas.
Zur Debatte steht der alarmierende Zustand der Ströme Rhein, Weser und Elbe, die längst zu Industrie- und Kommunalkloaken verkommen sind. Erörtert wird aber auch die Wasserqualität der Nordsee, in deren einzigartigen Wattregionen nun ebenfalls durch permanente Zufuhr von giftigen Schwermetallen, chlorierten Kohlenwasserstoffen und anderen Chemiegiften die Öko-Katastrophe droht.
Allein der Rhein schwemmt pro Jahr neben 170 000 Tonnen Nitraten und Stickstoff 300 Tonnen Arsen, 80 Tonnen Quecksilber und 500 Tonnen gefährliches Cadmium in das flache Randmeer, und insgesamt schütten die Anliegerstaaten bis zu 90 Millionen Tonnen Abfälle jährlich in die Nordsee.
Wo und wie Gifte und Dreck in Ströme und Meere gelangen, wollen einzelne Umweltschutz-Organisationen, die nun in Rotterdam als Ankläger auftreten, jeweils an exemplarischen Fällen festmachen.
Die Umweltschutz-Gruppe Physik-Geowissenschaften aus Hamburg beispielsweise zog Proben aus den Abwässern der Hamburger Norddeutschen Affinerie und klagt jetzt das Unternehmen an, die Elbe durch Schwermetalle vergiftet zu haben.
Die Umweltschutz-Organisation Greenpeace trug Beweismaterial über die Verschmutzung der Irischen See und der Nordsee mit radioaktiven Substanzen durch das britische Kernenergie-Zentrum Windscale zusammen.
Die »Schutzgemeinschaft Deutsche Nordseeküste« klagt die Preussag AG an, »Gesundheit und Leben des Öko-Systems zu gefährden«, und sie verweist dabei auf die extrem hohen Cadmium-, Zink- und Bleikonzentrationen, die von Fachleuten im Weser-Watt vor den Blei- und Zinkhütten der Preussag in Nordenham nachgewiesen wurden.
Als Projektgruppe »Fließende Welle« wiederum ließen sich Umweltschützer und Wissenschaftler mit dem gecharterten Boot »M. C. Blankenheym« 19 Tage lang von Rheinfelden in der Schweiz bis Hoek van Holland stromabwärts treiben. Sie nahmen dabei mehr als 1000 Wasserproben und wurden bei über zwei Dutzend Rhein-Anliegern giftstoffündig. Sechs von ihnen wurden, stellvertretend für alle, vorgeladen.
So gut wie sicher ist allerdings schon, daß die für die Beschuldigten reservierten Plätze im Rotterdamer Kongreßzentrum
»Engels« leer bleiben werden. Die Ost-Berliner Staatsunternehmer reagierten wie die meisten West-Firmen - überhaupt nicht. Und die wenigen Industriebetriebe, die sich meldeten, schickten eine Absage.
Über gerichtliche Zwangsmittel verfügt die Umwelt-Jury nicht. Das Gremium von Parlamentariern und Wissenschaftlern aus sechs Ländern, darunter der Bonner Ökologie-Professor Hartmut Bick und die SPD-Bundestagsabgeordnete Liesel Hartenstein, muß ohne die Angeklagten auskommen.
Das Gremium wird im Namen der »Weltgemeinschaft« urteilen. Nach einer »Deklaration von Rotterdam« hat »jeder Benutzer der Umwelt« gegenüber der Weltgemeinschaft die Pflicht »zu verhindern, daß jegliche Verunreinigung der Gewässer, die durch solche Benutzung verursacht wird, die Umwelt im Wasser schädigen könnte«. Daraus leiten die Umwelt-Richter das Recht ab, »jeden Wasserbenutzer zur Rechenschaft zu ziehen, wenn diese Regel durchbrochen wird«.
Von so hohem Anspruch ist der gesetzliche Gewässerschutz in der Bundesrepublik, der die Einleitung umweltschädlicher Substanzen zuläßt, sofern dabei festgesetzte Grenzwerte eingehalten werden, noch weit entfernt.
Und die Direktion des Chemiekonzerns Bayer, die sich gegen die »selbsternannten Ankläger und Richter« verwahrt, schrieb in ihrer Absage an das Tribunal wohl nichts als die Wahrheit: »Die Bayer AG behandelt ihre Abwässer im Einklang mit den gesetzlichen und behördlichen Vorschriften und unter Beachtung aller Auflagen.« _(Durch die Projektgruppe »Fließende ) _(Welle«. )
Durch die Projektgruppe »Fließende Welle«.