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AUSLÄNDER »Rechtfertigung zum Töten«

Die in Deutschland lebenden Islamisten lehnen das Grundgesetz ab. Verfassungsschutzpräsident Peter Frisch warnt vor falscher Toleranz gegenüber den Extremisten.
Von Paul Lersch
aus DER SPIEGEL 36/1997

Der Sozialdemokrat Frisch, 62, leitet seit Juni letzten Jahres das Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz.

SPIEGEL: Herr Frisch, den Islamismus haben Sie zum Sicherheitsproblem Nummer eins erklärt. Nach der gelben und der roten droht nunmehr die grüne Gefahr?

Frisch: Noch nicht. Aber es gibt Anzeichen, daß sich der Islamismus im kommenden Jahrhundert zur großen Gefahr entwickeln könnte. In Algerien und Ägypten haben Islamisten schon zahlreiche blutige Gewalttaten verübt. Dieser Islamismus ist eine Variante des Fundamentalismus, die den Glauben politisch instrumentalisiert, die notfalls auch auf gewalttätigem Wege den Gottesstaat - letztlich - auf der gesamten Erde errichten will.

SPIEGEL: Dieser gewaltsame Weg aber ist in der Bundesrepublik noch kaum erkennbar.

Frisch: Auch in Deutschland sind Gruppen tätig, die islamistische Gewalttäter zumindest propagandistisch unterstützen. So kamen zum Beispiel in mehreren Fällen Waffentransporte offenbar aus Osteuropa, die für Algerien bestimmt waren. Hier lebende Anhänger der Hamas oder der Hisb Allah versuchen durch ihre Agitation, die Bereitschaft zum Geldspenden zu erhöhen.

SPIEGEL: Ist die Bundesrepublik auch Basis für terroristische Aktivitäten im Ausland?

Frisch: Hier leben etwa 150 Hamas- und etwa 600 Hisb-Allah-Anhänger. Sie unter

stützen ihre Gesinnungsgenossen im Libanon oder in Palästina gegen Israel. Moslemische Wohlfahrtsorganisationen sammeln Geld, um zum Beispiel auch die Hinterbliebenen palästinensischer Selbstmord-Attentäter zu unterstützen. Aber daß von hier Terroraktionen vorbereitet werden, konnten wir bisher nicht feststellen.

SPIEGEL: Die Franzosen hätten gerne stärkere Hilfe bei ihrem Kampf gegen die algerischen Terroristen der Islamischen Heilsfront (FIS) und der Bewaffneten Islamischen Gruppe (GIA).

Frisch: Wir haben enge Kontakte zu den französischen Nachrichtendiensten. Aber von Vorwürfen weiß ich nur aus der Presse. Für die zahllosen Morde in Algerien dürfte ganz überwiegend die dortige GIA verantwortlich sein, die nach unserer Kenntnis auch hier über Anhänger verfügt. Die FIS, die einmal kurz davor stand, den Islamismus in Algerien politisch zu verwirklichen, ist hier durch ihren Auslandsbevollmächtigten Rabah Kebir und etwa 200 Anhänger vertreten. Wir können Kebir nicht ausweisen. Wenn er nach Algerien käme, müßte er mit einer nach unseren Gesetzen unzulässigen Strafe rechnen.

SPIEGEL: Ein Zeuge hat neuerdings im Fall Lockerbie, dem Flugzeugattentat, bei dem 270 Menschen ums Leben kamen, Iran als Drahtzieher benannt. Was ist davon zu halten?

Frisch: Auch für uns ist das Rätsel noch nicht gelöst, wer hinter dem Anschlag stand. Das Attentat auf das Mykonos-Restaurant in Berlin ist der bislang einzige Fall von iranischem Terrorismus auf deutschem Boden. Ansonsten gab es nur einzelne Übergriffe, vermutlich durch iranische Geheimdienstler.

SPIEGEL: Geht auch Gefahr von ehemaligen Afghanistan-Kämpfern aus?

Frisch: In Afghanistan haben ungefähr 10 000 bis 15 000 arabische Freiwillige ihre Glaubensbrüder im Kampf für einen islamischen Staat unterstützt. Viele sind getötet worden. Von denen, die überlebt haben, ist ein Teil in Europa eingesickert, einige wahrscheinlich auch in Deutschland. Diese Leute sind zum Töten ausgebildet. Sie können wieder in Anspruch genommen werden. Wir sind sehr intensiv bemüht, herauszufinden, wie sie hereingekommen und wo sie geblieben sind.

SPIEGEL: Sind deren Aktivitäten bestimmten Gruppen zuzuordnen?

Frisch: Nein. Hinter ihnen steht - zu einem Teil wenigstens - Ben Ladin, ein steinreicher saudiarabischer Geschäftsmann, der in den Kampf für den Islamismus viel Geld steckt. Er soll verwickelt sein in Bombenattentate auf amerikanische Militäreinrichtungen in Saudi-Arabien. Aus dem afghanischen Exil rechtfertigte er den Terror als Kampf der moslemischen Welt gegen die Vereinigten Staaten.

SPIEGEL: Der Bundesnachrichtendienst warnt vor allzu großer Härte gegen Extremisten, die womöglich bald in der Heimat die Regierung übernehmen könnten.

Frisch: Wir haben den klaren Auftrag, uns um sicherheitsgefährdende Aktivitäten und Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu kümmern. Es kann durchaus sein, daß jemand, den wir hier als Extremisten beobachten, eines Tages in seiner Heimat Staatspräsident wird. Damit müssen wir leben.

SPIEGEL: Türkische Islamisten der Milli Görüs wollen nach dem letzten Bericht des Verfassungsschutzes die gegenwärtige Staatsordnung in der Türkei abschaffen. Haben Sie Hinweise, daß sie einen Gottesstaat auch in der Bundesrepublik errichten wollen?

Frisch: Es gibt Bestrebungen, auch in Deutschland systematisch den Islamismus zu verwirklichen. Sie lehnen unsere auf Trennung von Staat und Kirche basierende Gesellschaftsordnung ab. Milli Görüs, eine Gruppe, die nach unseren Feststellungen circa 26 000 Mitglieder umfaßt, versucht die in der Bundesrepublik lebenden Moslems intensiv zu beeinflussen.

SPIEGEL: Was ist daran verfassungswidrig?

Frisch: Ganz bewußt wird eine Abschottung der moslemischen Kinder betrieben, mit der Absicht, den Glauben reinzuhalten. Sie sollen zum Beispiel nicht an Klassenausflügen, an Schullandheimaufenthalten teilnehmen. Sie haben ein sehr umfangreiches Freizeitprogramm mit Korankursen. Mädchen gehen gewissermaßen in ein Sommerlager mit wallendem Haar hinein und kommen mit dem Kopftuch zurück.

SPIEGEL: Die Religionsfreiheit ist nach dem Grundgesetz geschützt.

Frisch: Der Islamist unterscheidet nicht zwischen Glauben und Politik. Er würde sich selbst dagegen sträuben, daß sein Anliegen nur als ein religiöses betrachtet wird.

SPIEGEL: Wieso führt diese Verbindung, wie es im Verfassungsschutzbericht heißt, »zu einem totalitären Staatssystem«?

Frisch: Der Gottesstaat, den sie wollen, ist unvereinbar mit Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, ganz besonders mit dem Grundsatz der Volkssouveränität. Der Islamist erkennt nur einen einzigen Souverän an, nämlich Allah. Wenn Islamisten gefragt werden, was sie vom Grundgesetz halten, sagen sie: »Unser Grundgesetz ist der Koran.«

SPIEGEL: Gerade aus den Reihen von Milli Görüs kommt die Forderung, demokratischen Parteien beizutreten.

Frisch: Das ist auch durchaus legitim. Aber in einer Dokumentation des Islam-Archivs Deutschland, das die Dachorganisation Islamrat verwaltet, wurde erklärt: »Wir bejahen ein demokratisches politisches System wegen der Möglichkeiten, die es bietet, islamische Inhalte und Forderungen in den politischen Entscheidungsprozeß einzubringen.« Ein fundamentalistisch eingestellter Moslem kann nicht das Parlament als höchstes Willensorgan des Volkes anerkennen. Das verbietet ihm Allah. Zum Beispiel zieht die Gruppe von Kaplan, dessen Vater als »Chomeini von Köln« bekannt war, immer wieder in schärfsten Tönen über die Demokratie her. Wenn eine solche Gruppe an die Macht käme, würde sie die Demokratie abschaffen.

SPIEGEL: Traditionell hat die Frau im Islam eine untergeordnete Stellung - ein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot?

Frisch: Auch Islamisten betonen, daß sie die Frauen ehren. Aber Frauen haben für sie nur in der Familie das Sagen, draußen nicht. Sie dürfen zum Beispiel nicht Richter werden. Das ist mit unserem Grundgesetz nicht vereinbar.

SPIEGEL: Auch in Bayern gibt es durchaus noch ähnlich traditionalistische Vorstellungen.

Frisch: Wenn in einem bayerischen Gesetz festgelegt würde, derartige Positionen dürften nur von Männern besetzt werden, dann wäre das verfassungsfeindlich.

SPIEGEL: Nach einer Untersuchung des Bielefelder Extremismusforschers Wilhelm Heitmeyer stimmt jeder vierte der befragten türkischen Jugendlichen dem Satz zu: »Wenn jemand gegen den Islam kämpft, muß man ihn töten.« Auch ein Anlaß zum Eingreifen?

Frisch: Der Koran sagt: »Euch ist vorgeschrieben, gegen die Ungläubigen zu kämpfen, obwohl es euch zuwider ist. Aber vielleicht ist euch etwas zuwider, während es gut für euch ist.« Das ist für die Islamisten eine Rechtfertigung zum Töten. Die Aktivisten, die in Algerien die Leute brutal abschlachten, berufen sich darauf. Wenn eine Organisation in Deutschland so etwas begrüßt oder fordert, ist das mit unserer Rechts- und Verfassungsordnung nicht vereinbar.

SPIEGEL: Die Islamisten würden im Verfassungsschutzbericht »zu Aussätzigen« gemacht, behauptet der Generalsekretär von Milli Görüs, Mehmet Erbakan.

Frisch: Niemanden betrachten wir als Aussätzigen. Ich muß aber sehen, welche Ziele diese Organisation verfolgt: Milli Görüs trägt dazu bei, eine aus meiner Sicht erforderliche Integration der hier lebenden Moslems systematisch zu verhindern.

SPIEGEL: Das Kopftuch ist zum Reizobjekt geworden. Manche Mädchen können eine Lehrstelle nur bekommen, wenn sie das Kopftuch ablegen. Wird da nicht eine Ausgrenzung aufgrund von kulturell begründeten Bekleidungsriten betrieben?

Frisch: Wenn jemand aus Glaubensgründen sein Kopftuch trägt, auch als 12- oder 14jähriges Mädchen, dann müssen wir das schützen. Aber ich kenne genügend Fälle, daß türkische Mädchen zu Hause gegen ihren Willen in unförmige Kleider gesteckt und mit dem Kopftuch auf die Straße geschickt wurden. Bei der Freundin haben sie sich dann schleunigst umgezogen. Wenn sie von ihren Eltern dazu angehalten werden, sich demonstrativ so zu kleiden, wird eine Integration unmöglich.

SPIEGEL: Es gibt freilich ein Erziehungsrecht der Eltern.

Frisch: Wir sprechen zwar jetzt nicht vorrangig über Fragen des Verfassungsschutzes, sondern über Integration. Aber es gibt kulturelle Eigenheiten, die, wenn man sie ausreizt, die Integration verhindern. Das gefährdet am Ende auch die innere Sicherheit.

SPIEGEL: Die Islamisten verlangen, daß keine Bilder von nackten Menschen im Aufklärungsunterricht gezeigt werden. Getrennter Sportunterricht für Jungen und Mädchen, wenn es moslemische Eltern fordern?

Frisch: Das Bundesverwaltungsgericht hat zum Sportunterricht so entschieden. Das aber sei die Grenze, und in keinem anderen Lehrfach sei irgendeine Einschränkung möglich. Der Islamische Arbeitskreis Hessen fordert sogar, die Schulbücher von »anti-islamischen Inhalten« zu befreien.

SPIEGEL: Dann ist jeder demokratisch geprägte Unterricht anti-islamisch?

Frisch: Islamisten sehen das so. Einige Vereinigungen lehnen es sogar ab, daß islamischer Religionsunterricht von Lehrern erteilt wird, die durch türkische Konsulate oder das türkische Erziehungsministerium ausgewählt wurden. Für sie ist das eine Beeinträchtigung der Lehre. Immer wieder zeigt sich, daß Islamisten sich letzten Endes den Gesetzen nicht anpassen wollen.

SPIEGEL: Und deshalb werden die Koranschulen gebaut?

Frisch: Wir haben Hinweise darauf, daß in Koranschulen nicht nur das Rezitieren von Suren gelehrt wird, sondern dort der Gottesstaat als einzig erstrebenswertes Ziel gepriesen wird, auch für die Bundesrepublik.

SPIEGEL: Dahinter steckt auch ein Widerstand gegen die Fremdbestimmung durch den Westen, gegen eine McDonaldisierung.

Frisch: Das ist sicher eine Ursache für das Anwachsen des Fundamentalismus. Ein gewisses Unterlegenheitsgefühl angesichts der Entwicklung der westlichen Technik und des Wohlstandsgefälles kommt hinzu.

SPIEGEL: Den Zulauf erklärt Heitmeyer auch als Reaktion auf Fremdenfeindlichkeit.

Frisch: Das ist ein wichtiger Grund, aber nicht der einzige. Wir können nicht alles, was eine Minderheit will, einfach aus Gründen der Toleranz hinnehmen. Gerade in Deutschland sind wir aufgrund unserer Vergangenheit empfindsam gegenüber politischen Extremisten. Und dazu gehören auch die Islamisten.

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