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Rechts ab zum Vaterland

aus DER SPIEGEL 18/1967

1. Fortsetzung Radikale von rechts bis zur Mitte

Alles, was die Rechte den Deutschen zu bieten hat, liegt in der NPD wie in einem ungeordneten Schaufenster. Doch war es, unter anderen Firmenzeichen und weniger augenfällig, in den letzten zwanzig Jahren immer auf Lager.

Nirgends erhob sich so unentwegt der Ruf nach Einheit, Zucht und Ordnung wie auf der Rechten, und nirgends herrschte ein so unentwegtes Durcheinander politischer Meinungen, Methoden und Marschrichtungen.

Abwechselnd wollten die Rechten der Bundesrepublik Revolution und Restauration, die Atombombe oder die Neutralisierung für die Deutschen. Sie kultivierten einen extremen Antikommunismus und forderten Gespräche mit Moskau. Sie wollten für friedfertig gelten, aber von Tschechen und Polen eintreiben, was deutsch war.

Sie distanzieren sich von den Massenmorden des Dritten Reiches. Aber sie lehnen sich dagegen auf, daß man die Massenmörder vor Gericht stellt. Sie verurteilen den Antisemitismus und schüren bei ihrem Publikum den Hexenglauben an eine jüdische Welt-

* Bei einer Gefallenen-Ehrung in Erlangen 1956.

verschwörung. Konzernherren wie Kumpeln, Bauern wie Konsumenten möchten sie es recht machen, totale Vorstellungen vom Staat in Einklang bringen mit der demokratischen Verfassung.

Die unruhigen Rechten haben -- wie die NPD im Kreise Rudolf August Oetkers -- um den Segen der Kapitalisten gebuhlt oder sich, wie deren Keimzelle, die Deutsche Reichspartei (DRP), im Kielwasser von Ulbricht bewegt. Sie sind Experten darin, das Grundgesetz in Frage zu stellen und sich beschwörend auf dieses Grundgesetz zu berufen.

Statt der pluralistischen Vielfalt der freiheitlichen Industriegesellschaft, die Konsum zur Bürgerpflicht und Ansehen zu einer Frage von Tüchtigkeit macht, hätten viele rechte Anachronisten lieber die Übersichtlichkeit einer ständischen und bäuerlichen Staats- und Stammesordnung: das Volk kompakt zu greifen wie auf der Festwiese der »Meistersinger von Nürnberg« oder auf Adolf Hitlers Nürnberger Reichsparteitag.

Ihnen schwebt vor: ein starker Staat mit strafferen Zügeln und statt der kritischen Staatsbürger ein einig« Volk. Dessen Gefühle, und nicht den Bürgerverstand, möchten sie -- so typisch die NPD -- geradewegs als Generator ihrer Politik benutzen. Dazu wünschen sie sich meist, wie die NPD, eine Verfassung, nach der durch Volksentscheid und einen vom Volk gewählten Hindenburg geherrscht wird. Denn die radikalen Freunde des starken Staates träumen von einer schwachen Mitte der christdemokratischen Staatspartei.

Freilich: Solche Ideen haben in zwei Jahrzehnten deutscher Nachkriegspolitik keineswegs nur in säuberlich getrennten und eindeutig rechten oder rechtsextremen Formationen ihre Blasen getrieben, sondern in streitseligem, unheimlich schillerndem Wechselspiel innerhalb nahezu aller rechten Organisationen und Gruppen bis hin in die Mitte der christdemokratischen Staatspartei.

Während die Mitgliederzahl der Rechtsorganisationen (1954: 78 000) immer mehr dahinschrumpfte (1963: 25000) und dann wieder anstieg (1965: 29 000, jetzt 43 000), nahmen immer mehr eindeutige Rechte Platz in allen anderen Parteien.

Widersprüchlich wie die Programme der Rechten waren von Anfang an Auftreten und Charakterbild ihrer Anhänger. Neben dem Rabauken mit dem Sturmtruppgesicht, wie ihn die Karikatur als radikalen Prototyp schätzt, behauptete sich immer stärker das bürgerlich Solide im guten Anzug. Neben Repräsentanten einer perfekten Zuchtordnung, die sich durch Haartracht, Hackenklappen, Breecheshosen und deutschen Blick zu erkennen gibt, neben der hehren, herben Runde völkischer Schwärmer oder versteinerter Rassenfanatiker findet man rechtsaußen mitunter verzweifelte Patrioten, die unter Hitler abseits standen und seit zwanzig Jahren wie Wünschelrutengänger überall nach einer Lösung der deutschen Frage suchen.

Rechtsradikale -- das sind Ausgebrannte und Enttäuschte wie die Alten Kämpfer Dr. Otto Strasser und Bruno Fricke. die mit Hitler vor 1933 brachen, um die halbe Erde flohen und nach dem Krieg wiederkehrten, um nun endlich ihr Ideal eines nationalsozialistischen Ständestaates zu verwirklichen. Nur schwer begriffen sie, daß die deutschen Rechten von einem Emigranten nichts wissen wollen, selbst wenn er ein Rechtsemigrant ist. Heute erschreibt sich Otto Strasser in München-Schwabing ein karges Brot mit selbst verlegten Ratschlägen »Für Deutschlands Erneuerung«. SA-Führer Fricke verließ die Heimat zum zweitenmal.

Rechtsradikal war der Wehrdienstpflichtige Ernst Hucke aus Plön (Schleswig-Holstein), der 1960 als Jungmann der Deutschen Reichspartei der Bundeswehr die Gefolgschaft mit den Worten verweigerte: »Ich trage den Glauben und die Gewißheit in mir, daß einmal die Hakenkreuzfahnen aus dem Staube gezogen werden und Deutschland wieder frei wird.«

Rechtsradikal sind friedlose Helden, wie der beinamputierte Schlachtflieger-Oberst Rudel, einziger Träger des Ritterkreuzes mit goldenem Eichenlaub, Schwertern und Brillanten, der Liebling Hitlers und Peróns. Für Adolf von Thaddens DRP, die 1953 bereits mit Goebbels, Staatssekretär Werner Naumann Stimmen fangen wollte, wurde Rudel als Zugnummer eingeflogen. Den Jugendgruppen der Rechten predigt er am Lagerfeuer noch immer die Moral des Kampfes.

Rechtsradikale -- darunter findet man Junglehrer wie den hessischen NPD-Funktionär und Jugendführer Friedel Hedrich, der sein Zuhause mit dem Reichsadler schmückt und Rudel zu seinen Knaben sprechen ließ. Dazu viele reife Schulmeister wie den Studienrat Lothar Stielau, der Anne Frank vor seinen Schülern schmähte, und den völkischen Dichter Hans Venatier, der sich -- ein Märtyrer der rechten Publizistik -- das Leben nahm, als das Kultusministerium von Rheinland-Pfalz seines neonazistischen Oeuvres wegen Schwierigkeiten machte.

Rechtsradikale waren ohne Frage jene beiden jungen Männer von der DRP, die Ende 1959 Hakenkreuze an die Kölner Synagoge schmierten und damit eine steil ansteigende Woge von inländischer Nachahmung (1206 Zwischenfälle im Jahr 1960) und von Mißtrauen in der Welt in Bewegung brachten.

Rechtsradikal schimpft man die 3000 Anhänger der eigentlich eher linksgerichteten Freigeldlehre von Silvio Geseil, die mit ihrer »Freisozialen Union« die Wirtschaft kontrollieren und den Bankzins abschaffen wollen. Sie tragen das Stigma des Extremismus genauso wie der aggressive Phantast Erwin Schönborn, ein ehemaliger Arbeitsdienstführer« der einmal wegen Verherrlichung Hitlers, zweimal wegen Beleidigung Ollenhauers und Gerstenmaiers einsaß und in den letzten 16 Jahren acht politische Rechtsgrüppchen ins Leben rief, die erste davon zum Schutze des Veit-Harlan-Filmes »Unsterbliche Geliebte«.

Radikal rechts spielt die Geschichte des Generalmajors und späteren Landmaschinen-Händlers Otto Ernst Remer, der nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 in Berlin Hitlers Macht verteidigte, fünf Jahre später als Star der »Sozialistischen Reichspartei« in Niedersachsen die Massen aufwiegelte und schließlich, verurteilt als Betrüger und Urkundenfälscher, von der politischen Bildfläche verschwand.

Radikal rechts bewegt sich aber auch seit zwanzig Jahren der polternde Biedermann und Nazi-Gegner August Haußleiter, der als Gründungsmitglied der CSU Konrad Adenauers Westkurs ("Der Alte sagte zu mir, es gibt Krieg, da müßten wir auf der richtigen Seite stehen") mit seinem Gewissen nicht glaubte vereinbaren zu können und eine sozialistische Rechtspartei gründete: die Deutsche Gemeinschaft. Heute steuert er unter Führung des ehemaligen FDP-Mannes Hermann Schwann mit anderen Splittergruppen in einer »Aktionsgemeinschaft unabhängiger Deutscher« (derzeitige Mitgliederzahl: 7000) einen utopischen Ostkurs: Eine blockfreie, neutralisierte, unabhängig von den vier Kontrollmächten mit Ulbricht allein ausgehandelte Föderation der Deutschen ist das Ziel, dem sie, schwach bei Kasse, mit nationaler Marschmusik und rhetorischem Gedröhne entgegenstreben.

Rechts und radikal auf eine andere, regierungstreue Weise war der Bundesminister a. D. und Wagner-Fan Hans-Christoph Seebohm. Radikal nicht im Tun, doch im Ton und insonderheit sonntags für die von ihm vertretene Sudetendeutsche Landsmannschaft. Wie zwei andere Minister der Ära Adenauer wuchs er der CDU aus der Deutschen Partei (DP) zu. Die nannte sich eine konservative, gemäßigte Rechtspartei, doch verfiel sie mangels konservativer Masse auch schon vor ihrem Aufbruch in die NPD in radikale Zustände und Wahlbündnisse.

Denn die Grenzen sind verschwommen, die Ufer der rechten und der radikalen Strömungen nicht befestigt. Sie durchziehen die politische Landschaft der Bundesrepublik wie ein unübersichtliches Geflecht von Rinnsalen und Wasserläufen und haben sie von der ersten Stunde an mitgestaltet.

Zwanzig Jahre lang haben diese Strömungen sich ohne Unterlaß geteilt, um nach einigen Krümmungen wieder zueinander zu streben, sich erneut zu teilen und immer wieder auch Substanz an die großen Parteien abzugeben, in die mitunter ganze Fraktionen von Rechten eingemündet sind -- nicht immer so gewandelt, wie sie sich ausgaben, und nicht so spurlos, wie ihre Gastgeber sich einreden.

Nach der Gründung der Bundesrepublik sind ein volles Jahrzehnt zwischen DRP, DP, FDP, BHE und Deutscher Gemeinschaft Personen wie Parolen umgegangen, als habe man es nur mit verschiedenen Filialen ein und derselben nationalistischen Stammfirma zu tun.

Der Gedanke, rechts von der CDU als nationale Opposition wie ein Hefeteig aufzugehen, überlagerte gebieterisch konservative, liberale oder soziale Programme. Und nichts schien den Parteistrategen die erwünschte Attraktion so zu verbürgen wie die sichtbare Wiederverwendung von Funktionären des Nationalsozialismus.

Daß nationale Opposition sich allerdings nicht wie in der Weimarer Republik frontal gegen den Staat und seine Verfassung richten dürfte, hatten sie am Fall der Sozialistischen Reichspartei (SRP) erlebt, die gleich einer nationalistischen Windhose über die niederdeutsche Landschaft gezogen war.

Sie hatte 1951 aus einem skrupellos aufgestachelten Radikalismus auf Anhieb den Gewinn von 16 niedersächsischen Landtagsmandaten (elf Prozent der Stimmen) zu ziehen verstanden. Sie war es, die mit ihren 40 000 Mitgliedern das allgemeine, schrankenlose Werben um die Millionen von -- wie man überzeugt war -- verbitterten Opfern alliierter Entnazifizierungsideen einleitete und auf der Rechten mit ihrem bedrohlichen Wahlerfolg den Ausverkauf konservativer Ideale in Schwung brachte. Ein Jahr darauf begann sie, vom neugegründeten Bundesverfassungsgericht verboten, in Form von Splittergruppen in sämtliche Rechtsparteien als ein Ferment der Unduldsamkeit einzusickern.

Die DRP, der von ihrem ersten Ideologen Hans Zehrer, dem späteren rechtskonservativen Chefredakteur der späteren Springer-Zeitung »Die Welt«, 1948 eine monarchistische Zu-

* Während des Pfingsttreffens 1964 in Nürnberg.

kunft zugedacht worden war, verlor auf Anhieb einen großen Teil ihres Funktionärs-Apparates an die radikale SRP. Gleich darauf kamen ihr die konservativen Grundsätze abhanden, die sie bis zu ihrem geschlossenen Einmarsch in die NPD anno 1964 nicht wiedergefunden hat. An Stelle des »Rechtes«, für das in ihrem Namen der Buchstabe R ursprünglich stand, rückte das »Reich«, das sich im Namen der SRP, wie man glaubte, zugkräftig ausgewirkt hatte, und diese Deutsche Reichspartei offenbarte bald, daß ihren Führern der Sinn nicht nach einer Auslese, sondern nach einer Sammlung dessen stand, was sich unter dem Begriff national noch zusammenfegen ließ. Auch die Deutsche Partei, aus einer nazifeindlichen niedersächsischen Welfenpartei gewachsen -- wenn auch niemals zu voller Tauglichkeit auf Bundesebene -, schlug ihre konservativen Vorsätze angesichts der erfolgreichen SRP-Schreihälse damals in den Wind und zog im ersten Bundestagswahlkampf provokant die Flagge Schwarz-Weiß-Rot vor ihren Rednerpulten auf.

Auf ihren Kundgebungen ertönte wieder Hitlers liebster, der Badenweiler Marsch, bis heute ein unentbehrliches Stimmungselement rechter Parteien, die andere eifrig anklagen, sie stocherten zuviel in der deutschen Vergangenheit; sie selber legen Wert darauf, ihr Publikum mit dem Marschton von einst zu stimulieren.

Die DP wartete außerdem mit völkischen Worten über Großdeutschland auf, mit Hans-Christoph Seebohm und dem Wahlspruch: »Wenn alle untreu werden, so bleiben wir doch treu.« In ihrem Wahlflugblatt gab es 1949 unter schwarzweißroter Pfeilrune DP-Poesie: Und ob der Schmach, der feigen, die alles nahm

deutsche Eichen neigen ihr Haupt vor Gram.

Die Zuhörer hießen plötzlich wieder »Volksgenossen und Volksgenossinnen. Schon erklärte in Hamburg der angeblich konservative Abgeordnete Becker, das in Herrenchiemsee von vernünftigen Patrioten entworfene Grundgesetz sei nicht »im deutschen Geiste« gestaltet. Und die Farben der Republik nannte er nicht schwarzrotgold, sondern mit der milden alten Ächtungsformel der Antidemokraten aus der Weimarer Republik: »Schwarzrotgelb«.

Der DP-Abgeordnete Wolfgang Hedler schimpfte auf einer Kundgebung in Einfeld die Widerstandskämpfer der Hitler-Jahre erstmalig öffentlich »Landesverräter« und erklärte laut Ohrenzeugenberichten: ob das Mittel, die Juden zu vergasen, das gegebene gewesen ist, darüber kann man geteilter Meinung sein. Vielleicht hätte es auch andere Wege gegeben, sich ihrer zu entledigen.« Darauf entfernte ihn der damalige DP-Vorsitzende Hellwege aus der Partei. Mit einigen SPD-Abgeordneten, darunter Herbert Wehner, geriet er in ein Handgemenge.

Hedler und seine Anhänger gingen zur DRP, wo man sich an solchen Bemerkungen, die schließlich mit neun Monaten Gefängnis geahndet wurden, nicht weiter stieß. Daß auch die aus der DRP entsprungene Führungselite der SRP einen Standpunkt wie den Hedlers zu schätzen wußte, hatte deren Bundestagsabgeordneter Dr. Richter bewiesen, der in Wahrheit Rößler hieß, ein Schwindler war und unter dem falschen Namen mit seiner eigenen ersten Frau das zweite Mal verheiratet war.

Dieser erste Fraktionsnachbar Adolf von Thaddens erklärte alle Anhänger einer deutsch-jüdischen Verständigung für »Kollaborateure«. Der SPD-Abgeordnete Erwin Schöttle nannte ihn unter dem Beifall des Bundestags einen »antisemitischen Strolch«.

Der Kampf um die Stimmen der Nazis war entbrannt. Er bescherte der Bundesrepublik 1950 bei einer Arbeitslosenziffer von 1,5 Millionen ihre erste nationale Welle. Wie sich später herausstellte, war sie überwiegend künstlich aufgewühlt worden von allerlei Taktikern, die fest damit gerechnet hatten, Millionen kleiner Pgs würden nach der bürokratischen US-Inquisition der Entnazifizierung ihre erste demokratische Wahl mit einem sehnsüchtigen Blick zurück treffen.

Die nationalen Töne der frühen 50er Jahre unterschieden sich nicht wesentlich von den nationalen Tönen in der Mitte der 60er Jahre. Auf Soldatentreffen sprachen politisierende Generale wie der Fallschirmjäger-Halbgott Ramcke von einer »fortwährenden Diskriminierung des deutschen Volkes«. Bundesverkehrsminister Seebohm rief, er neige sich »in Ehrfurcht vor jedem Symbol unseres Volkes -- ich sage ausdrücklich vor jedem -, unter dem deutsche Menschen ihr Leben für ihr Vaterland geopfert haben«. Er hatte einige Mühe, das so in die Verehrung einbezogene Hakenkreuz wieder unter den Tisch zu bringen.

Aktive alte Nationalsozialisten führten im hessischen Gemeinde-Wahlkampf von 1952 das Wort für die DP, an deren Spitze der brave Demokrat Heinrich Heliwege ingrimmig und hoffnungslos auf die Radikalen zu seiner Rechten einzuhauen begann.

»Das Schlagwort von der nationalen Sammlung geistert durch unsere Reihen«, klagte Hellwege im Oktober 1952 und wurde kurz danach um Haaresbreite von Seebohm verdrängt. Er konnte es nicht verhindern, daß der nationalistische DP-Landesverband von Nordrhein-Westfalen sich mit der mittlerweile wild nach rechts rückenden rheinisch-westfälischen FDP des Dr. Friedrich Middelhauve verbrüderte, die ganz scharf auf namhafte Nazis zu sein schien.

Mit dem Mut der Verzweiflung löste Heliwege 1953 den Landesverband auf und konnte zusehen, wie sich seine rheinisch-westfälischen Radikalen auf DRP, FDP und BHE verteilten.

Im gleichen Jahr ließ sich der DP-Kandidat Willi Reupke in Bad Gandersheim von der nationalen Woge des zweiten Bundestagswahlkampfes dahin treiben, den SPD-Vorsitzenden Erich Ollenhauer als einen jüdischen Emigranten zu bezeichnen, der im Kriege für die Royal Air Force Bomben auf Deutschland geworfen habe.

Diese Beleidigung, die ihm sechs Monate Gefängnis einbrachte, stand am Anfang einer immer noch gängigen Kampagne gegen die Sozialdemokratie, die sich ihrerseits um Entnazifizierte und Vertriebene, um Soldatenbünde und die Hiag der Waffen-SS herzlich bemühte, innerhalb des magischen Kreidekreises der Nation aber doch nicht Platz nehmen sollte.

Im Berliner Sportpalast traktierten im Jahr nach Reupkes beleidigender Nachrede radikale Konservative der DP bei einer Kundgebung die Zuhörer, die das Deutschland-Lied, erste Strophe, nicht mitsingen wollten, mit Fäusten und antisemitischen Schmähworten. Seebohm tat nichts dagegen.

Wieder ein Jahr später kam es in Niedersachsen zu einem in der ganzen Welt widerhallenden politischen Skandal, als die FDP ihren Fraktionsvorsitzenden, den rechtsextremen, aus der DRP kommenden Verleger Leonhard Schlüter, als Kultusminister in Heinrich Hellweges Kabinett bugsierte.

Schlüters scharf rechte Einstellung wie die seines DRP-Freundes Adolf von Thadden wurzelte nicht in einer nationalsozialistischen Vergangenheit. Ihn hatte man in Hitlers Tagen anhand der Nürnberger Gesetze sogar in seinem Fortkommen behindert. Um so leichter gelang es ihm nach dem Krieg, eine geschäftliche Karriere als Verleger neonazistischer Schriften zu verfolgen, zu deren radikal rechten Verfassern auch der Tübinger Privatdozent Herbert Grabert (Pseudonym: Hugo C. Backhaus) gehört, der seinerseits eine blind nationalistische »Deutsche Hochschullehrer-Zeitung« herausgibt und wegen seines Buches »Volk ohne Führung"· vom Bundesgerichtshof 1960 zu neun Monaten Gefängnis verurteilt wurde.

Einflußreiche FDP-Funktionäre Nordrhein-Westfalens hatten bereits vor der Bundestagswahl von 1953 außerordentliche Mühe, den Eindruck zu verwischen, sie hätten mit dem rechtsradikalen Kreis des ehemaligen Goebbels-Staatssekretärs Werner Naumann konspiriert. Zur Schulung von FDP-Rednern war vom Landesvorsitzenden Dr. Middelhauve immerhin ein Vertrauter Naumanns, der Blutordensträger, SS-Standartenführer und NS-Propaganda-Experte Wolfgang Diewerge, herangezogen worden.

Vor der zweiten Bundestagswahl gewann die FDP bereits den niedersächsischen DRP-Bundestagsabgeordneten Dr. Herwart Mießner ("Ich bin stolz darauf, daß ich in den Reihen der SA marschiert bin"), der bis heute in ihrer Bonner Fraktion sitzt. In Nordrhein-Westfalen hatte sie eine Weile vier DRP-Mitglieder als Hospitanten in ihrer Landtagsfraktion. Einer von diesen, der alte Stahlheim-Führer und Hugenberg-Vertraute Lothar Steuer, wurde später als FDP-Mitglied sogar Vizepräsident des Landtags in Düsseldorf.

Die niedersächsische FDP wiederum kokettierte damals mit einer Gruppe versprengter SRP-Männer, von denen einer auch bereits die Deutsche Partei durchlaufen hatte.

»Die Gefahr ist deutlich geworden«, resümierte 1955 die »Deutsche Universitätszeitung« diese im Fall Schlüter gipfelnde und erst Ende der fünfziger Jahre langsam abklingende radikale Vergiftung der Freien Demokratischen Partei, »daß demokratische Parteien den Radikalismus nicht abwehren, sondern schützen, wenn er nur geschickt genug ist, die vorhandenen Parteien von innen her zu erobern.«

Zwei Jahre später vereinten sich BHE, FDP und DRP in Niedersachsen, um, wie ein innerparteiliches Informationsblatt der DRP den Mitgliedern triumphierend mitteilte, die Regierung des konservativen DP-Veteranen Heinrich Heliwege »zum Platzen« zu bringen.

Die großen Parteien stießen sich nicht so sehr an den rüden Tönen der Kleinen, wenn es um den Abschluß von Regierungskoalitionen ging. Das konnte neben der Deutschen Partei immer wieder jene Partei erproben, die seit 1950 unter der wechselnden Firmierung »Gesamtdeutscher Block 1 Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten« (GB/BHE) den Anspruch anmeldete, eine Art Generalvertretung aller durch den Ausgang des Krieges Benachteiligten zu sein.

Keine andere Partei der Rechten verstand sich so wie der GB/BHE darauf, ihre Gaurednertöne aus dem Wahlkampf nachher in geschmeidiger allseitiger Koalitionsbereitschaft vergessen zu machen. Zum Preise angemessener Ämter für tonangebende Entrechtete verdingte er sich wechselweise zu loyalem Dienst in christlichdemokratischen wie sozialdemokratischen Regierungen und bildete für Volkstumspolitiker des Dritten Reiches, hohe NS-Funktionäre und Repräsentanten der sudetendeutschen Nazipartei Konrad Henleins eine Brücke in die Hierarchie des neuen Staates.

Als Koalitionspartner des BHE fand Niedersachsens SPD nichts daran, dem ehemaligen SA-Stabschef Hans Schepmann, der durch den BHE bereits Kreistagsabgeordneter geworden war, als stellvertretendem Bürgermeister von Gifhorn ihre Stimmen zu geben. Und die CDU Schleswig-Holsteins widersetzte sich der Personalpolitik ihres Koalitionspartners BHE erst, als der frühere General der Waffen-SS Heinz Reinefarth Amtschef im Innenministerium werden sollte. Später zog er für den BHE in den Landtag und wurde Bürgermeister von Westerland.

Der BHE-Funktionär Professor Theodor Oberländer, der beim ersten Wahlerfolg seiner Partei in Bayern neben dem früheren SA-Standartenführer Willi Guthsmuts zum Staatssekretär in München avanciert war, und der BHE-Gründer Kraft traten später als Bundesminister von ihrer in der Wählergunst schnell absackenden Partei zur CDU über.

Die Taktik Konrad Adenauers, kleine Rechtsparteien dadurch zu verbrauchen, daß er ihre Funktionäre zu Ministern ohne Bedeutung erhob, bewährte sich beim BHE wie bei der DP, aber die anfangs für gering erachtete braune Vergangenheit Oberländers trug stärker noch als Seebohms Sonntagstiraden dazu bei, das Ansehen des neuen Staates in der Welt zu mindern.

Es gehörte zu den fortwirkenden Folgen der ersten trüben Welle von rechts, daß von 1950 an auf vielen Gebieten hastig Kompromisse geschlossen und durchaus angebrachte Vorbehalte gegen handelnde Personen der jüngeren deutschen Geschichte unter den Teppich gekehrt wurden.

Die Entnazifizierung, unter der sechs Millionen kleine Pgs geseufzt hatten, verebbte in allgemeiner Amnestie, ehe die Großen an der Reihe waren, und die deutsche Justiz schien eine Weile die Augen zu schließen.

Als Ende der fünfziger Jahre die NS-Prozesse vor deutschen Gerichten abermals begannen und nun zu erbitterten Abwehrreaktionen in der Öffentlichkeit führten, erinnerte der Generalbundesanwalt und spätere CDU-Abgeordnete Max Güde: »Ja, wir haben es uns zu leicht gemacht, und nun kommt das Bittere noch bitterer und das Schwere noch schwerer wieder auf uns zu.«

Selbst Adolf von Thadden findet heute, man hätte das alles früher verhandeln sollen.

Die elementaren Fragen der Versorgung heimgekehrter Kriegsopfer und der Wiederverwendung entlassener Staatsdiener waren von den »Lizenzparteien« und »45ern« -- wie die großen Parteien im Wortschatz der ebenfalls auf Lizenzen gegründeten Rechtsparteien sogleich verächtlich hießen -- bereits weitgehend geregelt worden, als Anfang der fünfziger Jahre die Soldatenbünde und Traditionsverbände (von denen es nun bald 1000 gibt) wie Pilze aus dem Boden zu schießen begannen. Einige machten sich gleich daran, von den Verschwörern des 20. Juli 1944 abzurücken: Deren Rückkehr in die neuen Streitkräfte, so fand 1951 Oberst a. D. Ludwig Gümbel im Namen des »Verbandes deutscher Soldaten«, stelle eine »Gefährdung des soldatischen Geistes« dar.

General Ramcke versuchte in Braunschweig 1951 vor 6000 ehemaligen Fallschirmjägern Hitlers Krieg bereits moralisch zu rechtfertigen, und wohlwollend begrüßt von den staatstragenden Parteien des Bundestages, marschierten die Anhänger des neugegründeten »Stahlheim«, des »Stahlheim-Frauenbundes Königin Luise« und des dazugehörigen »Jugendkorps Scharnhorst« in den nationalistischen Frühling der Zweiten Republik: mit Uniform (trotz Uniform-Verbot), mit Schwarzweißrot, Badenweiler Marsch und dem unveränderten Gruß »Front Heil!«.

Die Polizei, dazu aufgeboten, 1955 die erste Stahlhelm-Kundgebung in Goslar abzusichern, hieb auf Gegendemonstranten von der Gewerkschaftsjugend ein.

Doch bald verrieten die Wahlergebnisse, daß die Bürger der neuen Republik den Blick viel stärker in die Zukunft richteten, als die Nationalisten und Traditionalisten berechnet hatten. Adenauers »Politik der Stärke«, das Aufblühen der Wirtschaft, die Ideen europäischer und atlantischer Gemeinsamkeit hatten bei der Mehrheit den Vorrang vor der nationalen Nabelschau.

Auch Vertriebene und die kleinen Opfer der Entnazifizierung wählten überwiegend nicht den BHE. Auch die strammen Verehrer von Autorität und Geschlossenheit fühlten sich eher zu den großen Parteien als zur zersplitterten Rechten hingezogen. Und hinter den lauten Generälen an den Vorstandstischen der Soldatenbünde und der Hilfsorganisation der Waffen-SS (Hiag) standen in Wahrheit nicht einmal zehn Prozent jener Veteranen-Armee, für die hier angeblich das Wort geführt wurde.

Die Rechtsparteien aller Schattierungen büßten die Sympathien der Wähler so schnell wieder ein, daß ihre Gegner bei der Einschätzung ihrer wahren Bedeutung die Maßstäbe gar nicht schnell genug zurückschrauben konnten.

Was rechts von der FDP stand, hatte bei der Bundestagswahl von 1949 13,8 Prozent der Wähler verlockt, 1953 noch 12,2 Prozent. Dann ging es hinab: 1957 auf 9,3 Prozent, vier Jahre später auf 3,7 Prozent. Die großen Parteien waren nun allen national genug.

Die DRP schrumpfte bei den Bundestagswahlen in ihrem Stammland Niedersachsen von 8,1 Prozent (1949) auf 3,5 Prozent (1953), auf 2,3 Prozent (1957) und auf 1,6 Prozent (1961).

Diese Erkenntnis rapiden Schwundes verlieh dem Gedanken an die Sammlung aller sogenannten nationalen Kräfte, wie sie 1931 mit unvergeßlichem Effekt zugunsten Hitlers in der Harzburger Front zustande gekommen war, eine magische Bedeutung.

Schon im Mai 1953 hatte die DRP in Bamberg erstmalig die Anhänger von 14 Splittergruppen -- so der »Deutschen Gemeinschaft« Haußleiters, des »Deutschen Blocks« von Karl Meißner, der »Deutschen Sozialen Bewegung« von Karl-Heinz Priester -- zu einem »Reichsblock« einen wollen. Die Führer dieser Sekten hinderte das nicht, im letzten Moment vor der Wahl ihrerseits eine eigene »Nationale Sammlung« auszurufen.

Nachdem die Elite der DRP das politische Glück eine Weile auf SED-Kurs gesucht und einer der Funktionäre, der ehemalige HJ-Führer und spätere Versandhändler Herbert Freiberger, erbittert über Konrad Adenauers Sowjet-Feindlichkeit, 1956 eine Ergebenheits-Adresse an den sowjetischen Botschafter Sorin geschickt hatte, traf man sich im folgenden Winter erneut zu nationalem Kräftesammeln. Württembergs führender DRP-Manager Willy Mellin, heute NPD, früher Landesvorsitzender der verbotenen SRP und vorübergehend Mitglied in Haußleiters »Deutscher Gemeinschaft«, sprach schon wieder ganz offen von Harzburger Front und wollte davon selbst die pazifistische Volkspartei des früheren CDU-Innenministers und heutigen SPD-Justizministers Heinemann nicht ausschließen.

In München kam es 1957 unter Mitwirkung Adolf von Thaddens zu einem Rütli-Schwur von 100 vielfarbigen Rechtsradikalen, sich im Bundestagswahlkampf geschlossen hinter die DRP zu stellen, falls diese ihre Unabhängigkeit vom Osten wirklich garantieren könne.

Der silberhaarige, salbungsvolle SA-Lyriker Herbert Böhme, Hoherpriester, Verleger und Präsident des »Deutschen Kulturwerkes«, sollte als Vorsitzender eines Ehrenrates dafür Sorge tragen, daß die vielen kleinen Führer wenigstens vorübergehend damit aufhörten, sich gegenseitig die Ehre abzuschneiden.

Auch im BHE und in der DP keimte aus Furcht vor den Sperrklauseln der deutschen Wahlgesetze die Bereitschaft zu einer Ehe, in der es nichts Gemeinsames zu geben schien, außer dieser Furcht und der Bereitschaft, auf die nationalistische Pauke zu schlagen.

Bald werde es, schätzte 1958 der Witiko-Weise Walter Brand, im Lande eine weitere Spaltung geben zwischen jenen, die »im Zuge der großen Umerziehung ... nach oben gekommen sind«, und den völkischen Freunden einer »mehr konservativen, organischen Auffassung von Volk, Gesellschaft und Staat«.

Knapp vor der Bundestagswahl von 1961 vereinten sich in Bonn nach jahrelangen Vorübungen die nationalkonservativen DP-Männer Niederdeutschlands und die National-Sozialen der Vertriebenenpartei, in der die stärkste politische Triebkraft von solchen, im »Witiko-Bund« verschworenen, ehemaligen Getreuen Konrad Henleins ausging.

Einer davon, bullig, spitzbärtig, umgänglich, der bekehrte ehemalige Gau-Schulungsleiter Frank Seiboth, rückte neben dem schneidigen DP-Führer Herbert Schneider an die Spitze der neuen Notgemeinschaft von fast 200 000 Mitgliedern, die sich nun »Gesamtdeutsche Partei« (GDP) nannte und nach Aussage eines Festredners »ganz vorne« stand, wo es »ums Vaterland geht«.

Innenpolitisch wollte man vor allem alles tun, was Bauernstand und Mittelstand gerne hören. An de Gaulles Idee vom Europa der Vaterländer orientierte sich das außenpolitische Programm. Doch in Fragen der Ostgrenzen wollte man dem großen Vorbild nicht folgen. Da kultivierte man weiter das völkerrechtlich ungesicherte »Heimatrecht« und ließ den Blick besitzergreifend über mittlerweile polnisch und tschechisch besiedelte Gebiete schweifen.

Der hessische BHE-Staatssekretär Walter Preißler verband mit dem Ereignis die Hoffnung, nun werde »in Deutschland endlich wieder Deutsch gesprochen«.

Das Wahlergebnis war eine niederschmetternde Quittung: Die neue nationale Einheitspartei gewann selbst in den Musterländern der fusionierten Parteien nicht einmal mehr ein Drittel der Stimmen, die BHE und DP noch 1957 angezogen hatten (Stimmenanteil der GDP in Niedersachsen: 6,2 Prozent. Niedersächsische Stimmen für BHE und DP vier Jahre früher: 19 Prozent).

Geschwind spaltete sich die nationale Verbindung wieder in ihre Bestandteile DP und BHE, um deren intakte Organisationskader in den Ländern Adolf von Thadden, Franz-Josef Strauß, die CDU und die hessische SPD fortan warben. Funktionäre von rechts und Wähler von rechts schienen allenthalben willkommen, zumal sich nach dem Scheitern der Politik der Stärke und des europäischen Zusammenschlusses in dieser Richtung einiges zu entwickeln versprach.

Die DP war schon seit 1953 huckepack, durch Wahlabsprachen mit der CDU, in den Bundestag gekommen. Dem BHE wurde nun, 1965, auf gleiche Weise von der SPD über die parteimordende Fünf-Prozent-Hürde geholfen.

In Bayern gewann Franz-Josef Strauß die starken GDP-Reste zum Wahlbund. In Schleswig-Holstein und Niedersachsen liebäugelten DP und BHE mit den Sammlungsplänen der Deutschen Reichspartei. Und in Hessen atmete die SPD, die bereits den Ultra Walter Preißler in ihrer Regierung gelitten hatte, ganze Gruppen national-sozialer Vertriebenen-Politiker aus dem alten BHE ein, zuletzt den BHE- wie GDP-Chef Seiboth, der, zur SPD konvertiert, von Ministerpräsident Zinn (SPD) 1967 als Staatssekretär in die Regierung genommen wurde.

Voller Unrast inspizierte Deutschlands erfahrenster Rechtsaußen Adolf von Thadden mit seinem Mercedes Diesel die Zapfstellen der Rechtsideologie, Sammlungs-Beschwörungen auf den Lippen und hinter sich eine bedingungslos ergebene Brigade von annähernd 10 000 pechgewohnten Jawohl-Sagern.

1964 konnte er in Württemberg 25 DRP-Leute mit den Rechten der GDP zur Landtagswahl mischen. In Bremen paktierte er bereits bei den Bürgerschaftswahlen 1963 mit der ausgezehrten DP Fritz Thielens, die wider eigenes Erwarten noch einmal, nach wochenlangem Klinkenputzen bei den Wählern, den Sprung in den Senat vollbrachte. Schon damals gab es Zwietracht. Thadden: »Praktisch stellen wir die Organisation und sie den Namen. Das Programm ist unser Programm.« Thielen: »Wir steuern nicht den Kurs der DRP, sondern umgekehrt, sie den unseren.« Er wolle, hatte der reiche Betonmacher seinen Wählern versprochen, in einem Wahlerfolg den höheren Wink für die Gründung einer neuen Partei erblicken. So wurde in Bremen die NPD gezeugt.

Zuvor hatte Thadden die Reichspartei mit seinen massiven Händen auf De-Gaulle-Kurs geschubst und dabei wieder einmal einen für die Spannungen in der DRP -- wie der späteren NPD -- kennzeichnenden Machtkampf nach Art eines Stehaufmännchens durchlebt. Der nominelle Vorsitzende der Partei, der Hamburger Internist und frühere SA-Sanitäts-Standartenführer Professor Heinrich Kunstmann. hielt mit der Unbeugsamkeit des radikalen Puristen daran fest, daß die Wiederherstellung des Reiches der Deutschen allein auf dem Wege einer Neutralisierung Deutschlands zu gewinnen sei: Er entfernte den Edelmann, der auf einmal sein Herz für die Nato entdeckt zu haben schien, kurzerhand -- wie Fritz Thielen ihm das später nachmachte -- aus den Parteiämtern.

Thadden hatte seinem Gegner in die Hand gearbeitet, indem er sich weigerte, die Herkunft einer Wahlspende in Höhe von 45 000 Mark aufzudecken. Für eine Partei mit der unsteten Vergangenheit der DRP mußte das nach Ansicht des Internisten erneut das unerträgliche Verdachtsmoment östlicher Finanzierung heraufbeschwören.

Doch 14 Tage später wurde der neue Nato-Freund Adolf von Thadden mit Hilfe seiner Hausmacht im erweiterten Vorstand (mit 20 zu 17 Stimmen) wiederaufgenommen. Gefolgt von 800 enttäuschten Neutralisten, verließ sein Gegenspieler darauf die DRP und gründete die ebenfalls erfolglose »Deutsche Freiheitspartei«. Oskar Lutz, ein aus dem BHE zur DRP übergetretener Spitzenfunktionär, ächtete Adolf von Thadden: »Ein glatter Verrat an der Sache, für die wir angetreten sind.«

Thadden, den es nicht störte, daß eine der beiden Zeitungen des Parteiverlages einen neutralistischen Anti-Westkurs, die andere den Kurs von de Gaulle verfocht, erstrebte für die nun von ihm allein beherrschte DRP ein außenpolitisches Mäntelchen nach dem vertrauten Bonner Europa-Schnitt. Nun wollte auch er seinen Nationalismus mit der beherrschenden Ideologie der Bundesrepublik verschwistern, dem Antikommunismus, und sich im übrigen auf die Nutzung mittelständischer Existenzangst, auf das Spiel mit Fremdenhaß und Ordnungs-Sehnsucht verlegen.

August Haußleiters Deutsche Gemeinschaft, Otto Meißners Deutscher Block oder Karl-Heinz Priesters Deutsche Soziale Bewegung stimulierten ihr Publikum weiterhin mit Märschen vom Tonband, mit gemeinsam gesungenen Kampfliedern und einem strammen, unzivilen Auftreten. Thadden aber führte die DRP heraus aus dem Mief der Gasthaussäle. in denen sie ebenfalls zu Hause war, hinan auf das Niveau des Kurhauses von Wiesbaden und am Ende ihrer Tage sogar noch in die teuere Bonner Beethoven-Halle.

1963 erhöhte die DRP den Beitrag, um in diesem etwas kostspieligen gutbürgerlichen Stil vielleicht doch noch einmal über die Fünf-Prozent-Hürde in einen deutschen Landtag zu kommen. Vor allem auf Rheinland-Pfalz konzentrierte sich die geradezu inbrünstige Hoffnung der gehorsamen Mannschaft um Thadden, neben dem die ehemaligen NS-Redner und späteren NPD-Stars Emil Maier-Dorn und Otto Heß bereits das Wort führten.

Dort, im Dunstkreis der Nato-Heerlager. war die DRP 1959 zu ihrem letzten 5,1prozentigen Wahl-Erfolg (ein Landtagsmandat) gekommen. Kurz darauf hatte das Innenministerium in Mainz sie ihrer Personalmischung wegen als Nachfolgeorganisation der SRP verboten, obwohl ihr Landesvorsitzender und Landtagsabgeordneter, der oberschlesische Konditor und Gerichtsbedienstete Hans Schikora, 54, ein grimmer SRP-Nationalist, schnell freiwillig zurückgetreten war.

Das war ein Musterfall für die schillernden und doch auch kläglichen Techniken rechtsradikaler Partei-Arbeit. Im Koblenzer Hotel »Kleiner Riese« hatten Adolf von Thadden und Otto Heß beim Umtrunk mit einem Herrn vom Verfassungsschutz die Vorwarnung empfangen, daß dem Landesverband Schlimmes bevorstehe, wenn er in so radikalen Tönen fortfahre. Stracks waren sie zum wilden Schikora geeilt, einem internen Gegner ihres neuen Kurses, hatten ihm nachts, unter Berufung auf die gemeinsame Sache, seinen Abschied abgeluchst und diesen öffentlich bekanntgegeben. Als trotzdem das Verbot kam, gewann der gehorsame Fanatiker Schikora den Eindruck, einer Intrige aufgesessen zu sein. Er ging zu Kunstmanns »Freiheitspartei« und reihte sich ein in die unversöhnliche Schar radikaler Thadden-Feinde.

Der alteingesessene Pfälzer Otto Heß errichtete eilends einen neuen Landesverband für die Reichspartei. Doch die Pfälzer machten bei der nächsten Landtagswahl von 1963 einen Bogen um die neue, nach der allgemeinen Mode geschminkte DRP. Sie bekam nur 3,2 Prozent der Stimmen.

Es war für Thadden ein letzter Anstoß, ohne Verzug mit den immer noch gehorsam verharrenden Funktionärs-Kadern seiner politischen Sekte den Weg in eine neue, größere Firma anzutreten, für die ihm der Name »Nationaldemokratische Union« und eine Vereinigung mit Resten der GDP vorschwebte.

Den Glauben an die greifbar vorhandenen Rechtsströmungen im Lande wollte er nicht aufgeben.

Vorerst jedoch war noch einmal eine Weisheit des alten DRP-Funktionärs und NS-Rektors der Universität Königsberg, Professor Hans-Bernhard von Grünberg, bestätigt worden: Er hatte 1961 geklagt, in Bundesdeutschlands Bauern und Kleinbürgern wohne eine furchtsame, verklemmte Scheu vor allem, was rechts sei. Rechts zu wählen, meinte er, sei »doch unerwünscht, es gehöre sich doch nicht. Etwa so wenig, wie gemeinsam nackt zu baden«.

So recht nach rechts, war aus den Erfahrungen des reichsgläubigen Professors zu schließen, würde in der Bundesrepublik erst wieder gewählt, sobald die Obrigkeit selbst diese politische Richtung freigäbe.

Lange sollte das nicht mehr auf sich warten lassen.

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Junge Fanatiker wachsen wieder nach -- Rassenwahn im »Donauschwaben« -- »Kunst ist das Nationalste eines Volkes«

Peter Brügge
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