Präsidentenwahl Reden um Kopf und Kragen
Letzte Woche durfte der Kandidat wieder sprechen, öffentlich Rede und Antwort stehen. Der Maulkorb, den ihm seine Parteifreunde und Förderer in panischem Entsetzen verpaßt hatten (nicht weil er beißt, sondern weil er zurückgebissen wird), war abgebunden.
Es ist schon merkwürdig genug, daß einer, zu dessen künftigen Hauptaufgaben das Reden gehören soll, meist nicht reden darf, weil er »Mißverständnissen ausgesetzt« ist, weil jeder seiner Sätze ein Aufheulen hervorruft, als bewege er sich im sprachlichen Feindesland.
Noch merkwürdiger jedoch erscheint es, wenn der zeitweilig unter sprachliche Quarantäne Gestellte nur noch darüber spricht, was er vorher gesprochen und wo er sich versprochen hat. Er eilt seinen ihm entschlüpfenden Äußerungen und entlaufenen Sätzen hinterher wie der Exeget der Bibel, wie der Mottenfänger dem Nachtfalter.
Er sagt zwar: »Ich denke schon, daß man etwas wollen muß. Das, was ich will, ist eine klare Sprache in dem, was man will . . . Aber zugleich begegne ich natürlich auch einem Willen zum Mißverständnis.«
Statt »Wille zur Macht« also »Wille zum Mißverständnis«. Das muß weggewollt werden, also gilt es, Gesagtes durch Gesagtes zu erklären; der Kandidat ist ständig als eigenes Dementi unterwegs, wobei er bestätigt, was er dementiert.
So hatte er dem Kölner Stadt-Anzeiger auf die Frage, ob er seine Kandidatur auf jeden Fall aufrechterhalten wolle, letzte Woche sibyllinisch zugeraunt: »Ich schließe nicht völlig aus, daß es Konstellationen geben kann, wo man neu nachdenkt.« Aber als er tags darauf über diese Antwort neu nachdachte, legte er sie radikal neu aus: Er habe in Wirklichkeit gesagt, »die Zukunft liegt in Gottes Hand«. Dort liegt sie gut, solange sie den Mund hält.
Denn wenn er ihn nicht hält, dann redet der Kandidat so: »Die Einmaligkeit der deutschen Schuld« stehe außer Frage. Aber auch die Verbrechen anderer Völker seien für sich gesehen einmalig. »Paula«, sagt Karl, »natürlich bist du meine einzigste. Aber für sich gesehen, sind auch Susi, Marianne und Eva meine einzigen, ja einzigsten Frauen.«
Vielleicht liegt alles an des Kandidaten mehrmalig einmaligen Fähigkeiten, sich absolut nicht ausdrücken zu können. Sein Verhältnis zur Sprache ist schwer gestört. Er bringt kaum einen richtigen Satz über die unerbittlich lächelnden Lippen. Dafür liefert er, sobald er sich entäußert, erdrückende Beweise am laufenden Band.
Warum gibt es Jugendkriminalität? Hauptursache sei die »verweigerte Wärme und Geborgenheit gegenüber Kindern und Jugendlichen«. Kann man das falscher, schrecklicher sagen? »Geborgenheit gegenüber Kindern« - will man vor Kindern geborgen sein, oder ist einem da nur der sprachliche Amtsschimmel durchgegangen? Und was annonciert »eine verweigerte Geborgenheit gegenüber Jugendlichen« anderes als die Unfähigkeit, zu sprechen, einen Gedanken auch nur annähernd in Worte zu fassen?
Nun strebt der sprachlich verwirrte Kandidat nicht irgendein Amt an, sondern das des Bundespräsidenten. Und der hat, so will es das Grundgesetz, nicht das Sagen. Und deshalb hat er das Reden; er hat nicht die Macht, dafür repräsentiert er den Staat, vertritt und artikuliert den Willen der Bürger, indem er für sie spricht, in ihrem Namen redet, ihnen auch ins Gewissen redet.
So sieht das auch unser Mann. »Der Bundespräsident«, so erläuterte er im Fernsehen, »hat eine eingeschränkte Machtposition ganz bewußt von den Vätern und Müttern des Grundgesetzes so nach den Erfahrungen mit der Weimarer Verfassung angelegt. Das heißt aber nicht, daß man nicht wirken könnte in diesem Amt, wie wir ja auch wissen, bei den Amtsinhabern, die vor uns liegen. Es kommt dann an auf die Person, auf das Wort dieser Person und auf die Gesten und Handlungen dieser Person.«
Wie trefflich gedacht, aber wie kläglich gesagt. Heitmann spricht gern von den ihm feindlich gesinnten Medien. Das Medium jedoch, das ihm am feindseligsten begegnet, ist die eigene Muttersprache, die tot vor ihm liegt wie ein Amtsinhaber. Und so zuckt er ängstlich zurück, sobald ihm ein klarer Satz entgegengehalten wird, selbst wenn dies in liebedienerischer Absicht geschieht.
Ein Politiker, so fragte ihn Heinz Klaus Mertes, müsse laut Max Weber »Leidenschaft und Augenmaß« haben. Von dem unanständigen Wort »Leidenschaft« zutiefst verschreckt, stammelte er: »Leidenschaft - ich bin jetzt knapp 50 Jahre alt - und ich bin nie ein Mensch gewesen, der also mit besonderer innerer Kraft einem bestimmten Ziel nachgeeifert ist.« Die 50 Lebensjahre als Alibi. Der Rest als ein Geständnis der politischen Impotenz, zu dem sich der Kandidat durch ein einziges Wort genötigt sieht: »Leidenschaft ist ein sehr emotionaler Begriff, und da denkt man an ganz bestimmte menschliche Bereiche, in denen man . . .« Ende der Durchsage.
Stößt der Kandidat beim Denken an ganz bestimmte, igittigitt, menschliche Bereiche, dann denkt er lieber in Pünktchen weiter. Und Wörter wie Leidenschaft müssen ja auch für einen Hirnbürokraten eklig sein, deshalb drückt er sich, wenn es darum geht, daß seine künftigen deutschen Untertanen zuwenig Kinder machen, lieber so aus: »Die Problematisierung der Fortpflanzung, wie ich es mal genannt habe, in unserer Gesellschaft halte ich für ein Symptom für die mangelnde Zukunftsfähigkeit.«
Wie ich es mal genannt habe, ist gut. Jeder Mensch ist ein Abgrund, hat Büchner konstatiert. Dieser Mensch, so könnte, müßte man ergänzen, ist eine gähnende Sprachschlucht. Nur daß dieser Wortkümmerling ein Amt anstrebt, das immerhin Präsidenten wie Heuss, Heinemann und Weizsäcker auch sprachlich ausformuliert haben.
Schon 1984, die DDR existierte noch, und der Kandidat lebte noch in der real existierenden Nische, schrieb er, als er um Hilfe für Homosexuelle gebeten wurde, als Kirchenmann: »Bei aller Offenheit gegenüber den Fragen Homosexueller kann doch nicht übersehen werden, daß die Anlage des Menschen heterosexuell ist und Homosexuelle immer in der Minderheit bleiben werden und somit auch die damit verbundenen Nachteile tragen müssen.«
Hier (oder Heitmannisch: somit damit) wird deutlich, ja verständlich, warum Heitmann sich gleichzeitig in bürokratischer Kälte und in wolkiger Ungenauigkeit artikuliert, warum seine Sprache sein Denken verfehlen und daher wider Willen enthüllen muß: Es ist die Angst. Die Angst eines verklemmten Kirchenjuristen vor seinen dumpfen Stammtischansichten, die er deshalb sprachlich zu verkleiden und zu tarnen sucht.
Übersetzt man den Text Zug um Zug zurück ins Zotige des Biertisches, dann heißt »Bei aller Offenheit gegenüber den Fragen Homosexueller": »Ich bin ein aufgeschlossener Mensch und habe an sich nichts gegen Schwule.« Und weiter geht es mit »aber": »Aber Gott sei Dank gibt es mehr Normale, und die Schwulen, die doch, seien wir ehrlich, widernatürlich und anomal sind, sollen sich nicht so aufspielen. Daß sie nicht wie wir anderen, wir in der Mehrheit, sind, haben sie sich doch selber zuzuschreiben. Die dürfen sich doch nicht wundern, wenn wir sie dementsprechend behandeln.«
Vielleicht hat der Kandidat ja inzwischen, von der Nische ins Rampenlicht der Öffentlichkeit katapultiert, begriffen, daß das Amt, das ihm zugeschoben werden soll, ihm gerade den Schutz der Minderheiten, die Wahrung auch der Würde jedes einzelnen, und sei er noch so schwul, ausländisch oder weiblich, auferlegt.
Nach dem, was er so in jüngster Zeit von sich gibt, muß man da wohl Zweifel hegen. Daß er »die Fülle der Ausländer« beklagt, ist dafür ebenso ein Indiz wie der folgende sprachliche Drahtverhau: »Es gibt eine intellektuelle Debattenlage, die nicht unbedingt dem Empfinden der Mehrheit der Bürger entspricht, die man aber nicht ungestraft verlassen kann.«
Das verunglückte Sprachgebilde von der »intellektuellen Debattenlage« macht wieder den Stammtisch deutlich, an dem da einer sitzt und sich nicht ganz traut. Denn übersetzt heißt das: »Es gibt da so ein paar intellektuelle Spinner, die den Ton angeben. Aber man wird doch noch sagen dürfen, was alle denken.« Denn so fährt Heitmann fort: »Und dazu gehört das Thema Ausländer, dazu gehört das Thema Vergangenheit, dazu gehört das Thema Frauen.«
Das »Thema Frauen«, über das man nicht ungestraft sprechen darf - das ist Stammtisch pur. »Thema Frauen« und Punkt. Beim Bier heißt das: »Ich sage nur - die Weiber.« Dröhnendes Gelächter. »Und das wird man doch noch sagen dürfen.«
Manchmal, leider nur selten, redet der Kandidat, wenn er auf die Frauen zu sprechen kommt, die zu den Kindern und in die Küche gehören, hinreißend komischen Stuß: »Aber in den ersten Lebensjahren, davon bin ich überzeugt, kommt der Mutter eine besondere Rolle zu. Das schließt überhaupt nicht aus, daß es in tragischen Fällen, wie wenn die Mutter stirbt, auch anders geht.«
Das ist großzügig gedacht und vortrefflich formuliert. Wenn Mutti tot ist, darf sie aus der Küche raus. Ausnahmsweise. Aber nur auf den Friedhof. Y