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USA Reich an Träumen

Eine schwache Botschaft zur Lage der Nation, ein offenbar desorientierter Präsident - nur körperlich scheint Reagan wieder wohlauf. _____« Die entscheidende Frage ist weder, was weiß Ronald » _____« Reagan und seit wann weiß er es, noch, was tat er, und » _____« wann tat er es. Die Frage lautet vielmehr, wieviel weiß » _____« er, und weiß er, daß er es weiß? » Mark Russell, Satiriker. *
aus DER SPIEGEL 6/1987

Chaos im Weißen Haus. Wenige Stunden vor dem Bericht des Präsidenten über die Lage der Nation war noch immer nicht ausgemacht, was genau der Präsident vor dem 100. Kongreß der gespannt wartenden Nation über ihre Lage verkünden werde.

Erbittert rang in Reagans Stab seit Wochen das offensive mit dem defensiven Prinzip, stritten Berater über den besten Weg, aus dem Iran-Skandal herauszukommen, und über den besten Umgangston mit dem nun erstmals in der Reagan-Ära vollständig von den Demokraten kontrollierten Kongreß.

Die um Pat Buchanan, den Kommunikationsdirektor im Weißen Haus, gescharten Ideologen waren für einen Text, der geeignet schien, die oppositionellen Demokraten in Rage zu bringen: Ein extensiver Gebrauch des präsidialen Vetorechts gegen die neue Mehrheit sollte da angekündigt werden und auch eine vorzeitige Stationierung von Waffen für Reagans Wunschtraum einer Raketenabwehr im All.

Dagegen stand ein »eher lyrischer, weniger provokativer Entwurf« ("The Washington Post"), der indes nicht die Gnade des starken Mannes im Weißen Haus, des Stabschefs Donald Regan, fand. Regan, mitverantwortlich für den Iran-Skandal und trotz des Drängens selbst enger Reagan-Vertrauter vom Präsidenten in seinem Amt belassen, beauftragte seinen Intimus Dennis Thomas mit einer dritten Fassung. Sie sollte dramatische neue Akzente setzen, um die öffentliche Aufmerksamkeit vom Iran-Skandal abzulenken, und zugleich eine Basis schaffen für die Zusammenarbeit mit dem Kongreß.

Ronald Reagan wollte schließlich die Regan-Version vom Teleprompter ablesen, jener Sprechhilfe, auf der ihm der Text - für Dritte unsichtbar - buchstäblich vor Augen gespiegelt wird, um den Eindruck freier Rede zu erwecken, als Präsidentengattin Nancy dem sanften zweiten Entwurf den Vorzug gab. Schließlich wurden alle Entwürfe zusammengerührt - mit dem Ergebnis, »daß überhaupt nichts drinstand«, wie ein hochrangiger Regierungsvertreter fand.

»Nun haben sie die inhaltsleere Präsidentschaft erreicht«, meinte ein Politiker vor Reagans Auftritt im Kongreß: »Das funktioniert nicht.« Nach Ansicht der »Washington Post« wurde die Botschaft zur Lage der Nation denn auch ein »so schwacher und substanzloser« Auftritt, daß er »wirklich gespenstisch« wirkte.

Gewiß, Reagan war ganz der alte: Sichtlich so gesund, wie seine Ärzte ihn geschrieben hatten, ging er festen Schrittes, strahlend und Hände schüttelnd, durch die Menge; wie gewohnt spickte er seine Rede mit Späßen und Anekdötchen. Den Nachweis körperlicher Fitness, von manchem seiner Mitarbeiter zum Hauptzweck dieses ersten öffentlichen Auftritts seit mehr als zwei Monaten erklärt, hat der Präsident geliefert.

Politisch jedoch kam Reagan aus dem Tief nicht heraus, in das er im Spätherbst 1986 so jäh geraten war. Der Iran-Affäre, auf deren Darstellung sich die hochgespannten Erwartungen seiner politischen Freunde wie seiner Gegner konzentriert hatten, widmete der Präsident gerade vier Absätze seiner Rede.

Keine Entschuldigung für Lügen und Fehler des Weißen Hauses, keine Klärung seines Anteils an der Affäre, die Amerikas Außen- und Antiterrorpolitik so schwer diskreditiert hat - Reagan blieb bei seiner früheren Verteidigungslinie: Fehler seien gemacht worden, er übernehme die »volle Verantwortung«.

Was er als Fehler ansieht und wer sie begangen hat, wollte der Präsident auch diesmal nicht verraten. »Ich würde allerdings daraus nicht lesen, daß er glaubt, selbst Fehler begangen zu haben«, erläuterte ein hoher Beamter.

Natürlich kommentierte der Präsident auch nicht, was zuvor bekannt geworden war: Im fernen Teheran hatte Parlamentspräsident Rafsandschani triumphierend jene berühmte Bibel samt Reagan-Widmung präsentiert, mit der Reagans früherer Sicherheitsberater Robert McFarlane angeblich schon im Mai 1986 den Waffen-gegen-Geiseln-Handel einleiten wollte - Reagans Widmung dagegen stammt vom 3. Oktober 1986.

Was fromme Christenmenschen bewogen haben mochte, fromme Moslems ausgerechnet mit einem solchen Geschenk - wie auch mit einem Kuchen in Schlüsselform - freundlich stimmen zu _(Bei seinem Bericht zur Lage der Nation; ) _(hinter ihm Vizepräsident George Bush. )

können, wer die Idee dazu ausgebrütet und den Teig angerührt hatte, all das blieb weiter unaufgeklärt.

Das Weiße Haus lehnte alle Auskünfte über die seltsamen Mitbringsel ab. Aus dem State Department sickerte lediglich durch, CIA-Veteran Duane Clarridge, ein enger Vertrauter des seit Wochen schwerkranken Geheimdienstchefs William Casey, habe die entsprechenden Vorschläge gemacht.

Es gibt noch weitere Anzeichen, daß der Präsident längst nicht mehr zu seinem Wort steht, die Umstände der Waffenlieferungen an Teheran sollten möglichst schnell und vollständig aufgedeckt werden.

Lange vergebens bat die von Reagan selbst eingesetzte Untersuchungskommission unter dem früheren republikanischen Senator John Tower um einen Termin beim Präsidenten. Erst als der Ärger der Ermittler öffentlich ruchbar wurde, kam es am Montag voriger Woche zu dem Gespräch. Erinnern konnte Reagan sich dabei jedoch an kaum ein Detail.

Der vom Präsidenten bestallte Iran-Beauftragte David Abshire, mittlerweile aus dem Weißen Haus in abgelegene Räume im benachbarten Old Executive Office Building abgeschoben, von Insidern nur »Sibirien« genannt, wolle »die Sachen möglichst bald hinschmeißen« berichteten Mitarbeiter.

Und Außenminister George Shultz hatte vorvergangene Woche ohne Erfolg versucht, einen Termin beim Präsidenten zu bekommen, um ihn persönlich davon zu unterrichten, daß ein CIA-Gespräch mit dem Iran noch stattgefunden habe, nachdem Reagan am 6. Dezember das Ende der Kontakte verkündet hatte.

Mitarbeiter von Stabschef Regan wollten vor einer Terminvereinbarung wissen, was Shultz dem Präsidenten so Wichtiges zu berichten habe. So mußte der Außenminister bis zum folgenden Wochenende warten, ehe er den Präsidenten über eine Privatleitung erreichte.

Senator David Boren stößt sich an Regans Abschottungspolitik um so mehr, als der Stabschef bei »24 Treffen des Präsidenten mit Oberstleutnant North sogar obskure zweitrangige CIA-Mitarbeiter« ins Oval Office vorgelassen habe.

Ein Ende voriger Woche bekanntgewordener Senatsbericht enthüllt zudem, daß Präsident Reagan über die gesetzeswidrige Contra-Hilfe weit besser orientiert war, als ihm derzeit erinnerlich. Auch die CIA war viel tiefer in den Skandal verwickelt, als ihr Chef Casey vor dem Senat offenbarte.

Vielleicht hätte der Kurs des Weißen Hauses größere Erfolgsaussichten, wenn Reagan nach seinen nichtssagenden Ausführungen zum Iran-Komplex dem Kongreß klare politische Aufgaben gewiesen hätte. Statt dessen folgte ein Sammelsurium von Leerformeln, Uraltvorschlägen und Forderungen, die nicht einmal in dem bislang republikanisch dominierten Senat durchsetzbar waren.

Mit Vorwürfen gegen Moskau und die Sandinisten in Nicaragua begründete Reagan seine Forderung nach mehr Geld für die Rüstung und die Contras. Schon jetzt ist ihm erbitterter Widerstand im Kongreß sicher.

Der Präsident sieht zwar eine - nicht näher erläuterte - »selten günstige Gelegenheit« für einen Rüstungsabbau, beschwort aber weiterhin seinen Traum der Raketenabwehr im All (SDI), obwohl daran auch nach Reagans eigenem Eingeständnis der Reykjavik-Gipfel gescheitert ist.

Zu den jüngsten Pentagon-Plänen, SDI-Waffen schon in den nächsten Jahren zu stationieren, nahm der Präsident andererseits überhaupt nicht Stellung, obwohl mit einem solchen Beschluß jede Aussicht auf Rüstungskontrolle hinfällig, zugleich aber der Kongreß-Widerstand gegen SDI unüberwindlich würde.

Während der Dollar stürzt und stürzt, versucht der Präsident, einen zum Protektionismus entschlossenen Kongreß mit Gemeinplätzen zur Handelspolitik zu beschwichtigen. Und um seinen Haushalt vor allzu drastischen Kürzungen durch den Kongreß zu sichern, fordert er Verfassungszusätze und erweiterte Vetorechte, die einer Entmachtung des Parlaments gleichkämen und daher von allen Volksvertretern entschieden abgelehnt werden.

Zu Problemlosung scheint Reagan nicht mehr bereit oder fähig. Selbst treue Anhänger fragen sich nach Gesprächen mit dem Präsidenten, ob der überhaupt aufnehme, was sie ihm vorgetragen haben. Immer häufiger entzieht er sich der Diskussion, indem er seinen Besuchern Geschichten erzählt, die mit der Sache überhaupt nichts zu tun haben. Versucht dann jemand, das Gespräch aufs Thema zurückzubringen, scheut Reagan sich nicht, dieselbe Anekdote zu wiederholen. Für den Publizisten Lewis Lapham ist das ein Anzeichen dafür, daß Reagan nur noch »über ein Reich von Träumen herrscht«.

Die Realitätsflucht schafft Freiraum für neue Kämpfe innerhalb der Administration wie auch für den Kongreß. Die beiden demokratischen Mehrheitsführer in Repräsentantenhaus und Senat, Jim Wright und Robert Byrd, haben keinen Zweifel daran gelassen, daß die Volksvertreter die Agenda von Reagans letzten beiden Amtsjahren mitbestimmen, wenn nicht gar prägen wollen.

Wie sehr sich die Stellung des Präsidenten gegenüber dem Kongreß verschlechtert hat, zeigte sich am vergangenen Dienstag. 38mal wurde Reagans 40minütige Botschaft von Beifall unterbrochen, den jedoch - wie bestellt - fast ausschließlich Republikaner spendeten. Diese für ein nationales Ereignis wie die Botschaft zur Lage der Nation in Washington unbekannte Parteienspaltung wurde nur einmal aufgehoben:

Reagans Klage über das »abscheuliche Haushaltsdefizit« - als wäre es nicht seine Regierung gewesen, unter der die Staatsschulden binnen sechs Jahren um über 1000 Milliarden Dollar anstiegen - löste den Beifall auch der Demokraten aus, unterlegt mit unüberhörbarem Gelächter.

Die entscheidende Frage ist weder, was weiß Ronald Reagan und seit

wann weiß er es, noch, was tat er, und wann tat er es. Die Frage

lautet vielmehr, wieviel weiß er, und weiß er, daß er es weiß?

Bei seinem Bericht zur Lage der Nation; hinter ihm VizepräsidentGeorge Bush.

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