HOLLAND Reich genug
Heart of the art«, das Herz der Kunst - mit diesem von Tulpen, Gouda und Frau Antje deutlich abgehobenen Slogan werben Hollands Tourismusbehörde und die Fluggesellschaft KLM weltweit um Besucher für ihr Land.
Dieses Herz hat einen Knacks bekommen, davon konnten sich kunstbeflissene Touristen in der Vorweihnachtszeit überzeugen. Über 40 Museen der Niederlande waren vergangene Woche von Künstlern besetzt, einige geschlossen worden, darunter Amsterdams Rijksmuseum. 34 Mitglieder des »Bundes bildender Künstler« belagerten dort Rembrandts weltberühmte Nachtwache Tag und Nacht.
Die landesweite Aktion ist Protest gegen den Plan der christlich-liberalen Regierung, ein einzigartiges Unterstützungssystem abzubauen, um das Künstler in aller Welt ihre niederländischen Kollegen beneiden: die »Beeldende Kunstenaars Regeling« (BKR).
Talentierte bildende Künstler sollten nach diesem 1949 eingeführten Prinzip in Holland nie mehr brotlos sein wie weiland Vincent van Gogh, der seinem Bruder Theo auf der Tasche lag.
Jene Absolventen einheimischer Kunstakademien, die im Alter von 25 Jahren immer noch nichts mit ihren Werken verdienen, jedoch von einer Fachkommission für förderungswürdig befunden werden, kommen in den Genuß der BKR-Bezüge. Für einen Familienvater mit Frau und zwei Kindern können das 34 000 Mark brutto im Jahr sein, freilich ist das kein Staatsgeschenk, der Künstler muß das Geld quasi »abbildern«.
Er bekommt so lange Unterstützung, wie der Staat zum geschätzten Gegenwert Kunstwerke von ihm ankauft. Darüber befindet ein Ausschuß aus Staatsdienern und Experten. Findet vor ihnen ein Musenjünger auf Dauer keine Gnade, fällt er der Fürsorge anheim. Behauptet sich einer auf dem Kunstmarkt, wird er aus der BKR-Förderung entlassen.
3650 Künstlerinnen und Künstler - darunter auch einige deutsche - wurden 1982 mit 118 Millionen Mark unterstützt. Lou de Graaf, Staatssekretär im Sozialministerium, plant nun für das kommende Jahr radikale Einschnitte: Nur noch 27 Millionen für einen auf 1000 reduzierten Kreis von Empfangsberechtigten. Denn für de Graaf sind die BKR-Gelder »garantiertes Einkommen für ungefragte Kunst«.
Der niederländische Staat hortet die größte Sammlung zeitgenössischer Werke - eine Viertelmillion Stücke. Ein großer Teil der Bilder, Statuen, Objekte schmücken Schulen, Universitäten, Krankenhäuser, Amtsstuben, Botschaften oder öffentliche Plätze. Aber auch Privatleute können sich an moderner Kunst ergötzen, indem sie sich in sogenannten »Artotheken« Werke gegen ein paar Gulden ausleihen.
Tausende von Kunstwerken allerdings vergammeln in Lagerhallen, meist solche, die öffentliche Institutionen, denen man sie angeboten hatte, dankend ablehnten. Auf diesen Mißstand wies vor vier Jahren eine Ausstellung mit dem Namen »Trauerweide« hin, auf der Künstler das Schicksal ihrer jämmerlich abgeblätterten, faulig verquollenen und von Ratten benagten Werke beklagten.
Ein steter Vorwurf an den Staat lautet, er kaufe allzu großzügig an. Jaap Maasdam von der Amsterdamer Sozialbehörde räumte vor Jahren auch ein, daß »nicht allein Qualität zählt, sondern auch Maße«. Was Wunder, daß Hollands Künstler durchweg - rein optisch - Großes produzieren. Es bringt mehr Geld.
Doch die Förderung der Kunst hat sich auch als profitabel erwiesen. Heute international bekannte Künstler wie Karel Appel, Reinier Lucassen, Armando oder Sjoerd Buisman waren Nutznießer des BKR-Systems, viele ihrer Werke sind in Staatsbesitz. Zahlten die Niederlande vor Jahren ein paar hundert Gulden für ein Werk Appels, des Mitbegründers der »Cobra«-Gruppe, könnten sie manches derzeit für Hunderttausende verkaufen.
Das zählt nicht für Lou de Graaf: »Auch van Gogh erhielt keine staatliche Unterstützung.« Folgerichtig will de Graaf künftig auch nicht mehr jenen helfen, die nachweislich kein Einkommen haben, sondern nur noch solchen Kunstschaffenden, die am Markt bereits angekommen sind. »Das läuft frei nach der kapitalistischen Regel, dem Tüchtigen, sprich Erfolgreichen, gehört geholfen«, klagte ein Amsterdamer Maler.
»Der Künstler hat eine Aufgabe in der Gesellschaft«, argumentieren die Rijksmuseum-Besetzer, sein Einkommen dürfe nicht »an den zufälligen Geldstrom zufälligerweise reicher Leute gekoppelt werden, die zufällig ein Kunstwerk ankaufen.«
Und von einem Monopol des Kunsthandels wollen sie auch nicht abhängig
werden, denn dem werfen sie vor, er hinke »zu 95 Prozent Jahrzehnte hinter den Entwicklungen zeitgenössischer bildender Kunst her«.
Nur einer von 25 Künstlern der gegenwärtigen Szene in Holland, das ergab jüngst eine Studie der Hochschule Tilburg, könnte auf dem freien Kunstmarkt überleben, alle anderen wären Sozialfälle oder müßten von ihrer Neigung lassen.
»Armut«, meint der BKR-Kommissionsvorsitzende Alfred Seligman, »ist heute kein Brunnen der Inspiration mehr. Unser Land ist trotz der Wirtschaftskrise noch reich genug, sich die paar Künstler leisten zu können.«
Doch de Graaf und seine Regierung wollen das nicht. Der Groninger Künstler Jouke Kleerebezem beschuldigt de Graaf zwar, ihn und seine Mitschaffenden in einen »antikulturellen Morast« zu stürzen, er sieht aber auch den Weg des Überlebens: »Heulende Zigeunerjungen gehen immer.«