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ZARAPKIN Reich verspielt

aus DER SPIEGEL 27/1966

Zwanzig schwarzgewandete Sowjetmenschen stürmten im Laufschritt über den Bahnsteig 9 b des Kölner Hauptbahnhofs. Das Empfangs-Komitee für Semjon Zarapkin machte hastigen Stellungswechsel.

Denn des Kremls neuer Bonn-Botschafter entstieg am vorletzten Samstagmorgen nicht dem eigenen Sondercoupe an der Zugspitze, sondern - aus Sicherheitsgründen - dem Schlußwagen des Moskau-Paris-Expreß.

Breit lächelnd, betrat der grauhaarige Russe - der sich am Genfer Abrüstungstisch den Spitznamen »Kratzbürste« erwarb - deutschen Bahnhofsboden am Rhein. Den Willkomm Bundesdeutschlands nahm Zarapkin von AA-Protokollchef- Hans Schwarzmann entgegen, einem weitläufig Verschwägerten des einstigen NS-Außenministers Joachim von Ribbentrop (siehe Seite 106), der 1939 im Kreml zusammen mit Zarapkins Lehrherrn Molotow ("der Hammer") den Nichtangriffspakt zwischen Sowjet-Union und Großdeutschem Reich unterschrieb. Was sein könnte, wenn Hitler diesen Pakt nicht gebrochen hätte, das hatte Zarapkins Vorgänger Smirnow bei seinen Abschiedsbesuchen im Monat Mai Bonner Politikern gesagt: »Sie könnten heute noch in Königsberg und Breslau sitzen - wenn Sie wollten auch in Wien. Aber Sie haben Ihr Reich verspielt.«

Smirnows Gesprächspartner, darunter Bundespräsident Lübke, Kanzler Erhard, Altkanzler Adenauer, Vizekanzler Mende und Außenminister Schröder hatten ihre Friedensliebe beteuert: Vor der kleinen Bundesrepublik brauche die große Sowjet-Union doch keine Angst zu haben. Smirnow: »Wir haben in der Tat keine Angst vor Ihnen. Und unsere Politik wird dafür sorgen, daß das nie wieder anders wird.«

Die Bonner lockten mit neudeutschem Reichtum: Es biete doch für beide Seiten Vorteile, miteinander Handel zu treiben. Smirnow: »Der Handel mit der Bundesrepublik spielt für die Sowjet-Union eine ganz untergeordnete Rolle. Aber wenn Sie an ihre Absatzmärkte denken, werden Sie wohl sehr viel Interesse daran haben, mit uns ins Geschäft zu kommen.«

Die Bonner Politiker waren ob solcher undiplomatischen Offenheit schokkiert. Vizekanzler Mende, traditionell gut Freund mit den Bonner Sowjetbotschaftern, will sich vorerst eines intensiven Kontaktes mit Zarapkin enthalten. Mende zum SPIEGEL: »Ich habe nicht den Ehrgeiz, solche Beziehungen immer zu unterhalten. Freundschaft, wie zu den Smirnows, läßt sich nicht dekretieren.«

Smirnows Nachfolger Zarapkin hat sich inzwischen darangemacht, sich mit seiner Frau Natascha und der Enkelin Mascha, 8, in der vom Vorgänger übernommenen einstigen Millionärsvilla Hentzen in Rolandswerth einzurichten. Dieser im bedrückenden Prunk der Gründerzeit schwelgende Bau behagt ihm als Residenz denkbar wenig.

Offiziell kann Moskaus neuer Mann in Bonn zunächst noch nicht tätig werden. Erst am 11. Juli wird Bundespräsident Lübke, von Reisen zur Kieler Woche und nach Berlin an den Rhein zurückgekehrt, den Botschafter zur Entgegennahme des Beglaubigungsschreibens in der Villa Hammerschmidt empfangen. Erst dann ist der Weg zum diplomatischen Geschäft in der Bundeshauptstadt für Semjon Zarapkin frei. Ende letzter Woche traf er jedoch schon mit Außenminister Schröder zu einem ersten protokollarischen Gespräch zusammen.

Vor die erste schwierige Aufgabe seiner Bonner Amtszeit wird Zarapkin schon in Kürze gestellt werden: Noch in diesem Sommer sollen die seit Jahren überfälligen Verhandlungen über einen neuen Handelsvertrag zwischen der Sowjet-Union und der Bundesrepublik beginnen. Trotz der finsteren Prognosen des Zarapkin-Vorgängers Smirnow hofft Schröder, doch noch über die Wirtschafts-Schiene die Weiche zu deutschsowjetischer Annäherung zu finden. Bonns neuem Moskau-Botschafter Gebhardt von Walther hatte der Außenminister im Frühjahr die Weisung mitgegeben, den Hemmschuh der Berlin-Klausel* - die bislang neue Wirtschaftsgespräche mit Moskau blockierte - fürs erste beiseite zu räumen.

Schröder: »Jetzt wollen wir erst mal über die wirtschaftliche Seite verhandeln. Dann werden wir weitersehen.«

Ziel des Außenministers ist, zur Unterzeichnung des Vertrages selbst nach Moskau zu fahren und dort mit seinem Sowjet-Kollegen Gromyko ein deutsch-russisches Gipfeltreffen anzubahnen. So will Schröder verhindern, daß Kanzler Erhard, der sich seit seinem Amtsantritt nach einem Deutschland-Gespräch mit den Kreml-Herren sehnt, zu einer unvorbereiteten und deshalb mit Sicherheit erfolglosen Moskau -Reise vorprescht.

Nach Moskau eingeladen sind freilich bisher weder Erhard noch Schröder. Bei seiner Bonner Abschiedsrunde hatte Botschafter Smirnow einen einzigen mit besonderer Freundlichkeit bedacht: Konrad Adenauer.

Nur der Altkanzler, der einst von den Sowjets als »Todfeinden«, im letzten März zur Verblüffung seiner Partei aber plötzlich von der »friedliebenden Sowjet-Union« sprach, wurde von Smirnow zu einem Moskau-Besuch gebeten.

* Um der Drei-Staaten-Theorie des Ostblocks entgegenzuwirken, wird West-Berlin in alle von der Bundesrepublik abgeschlossenen internationalen Verträge mit einbezogen. Bei Handelsverträgen mit kommunistischen Staaten wird bisher die neutrale Formel »Währungsgebiet DM-West« benutzt; diesen Passus lehnt der Kreml seit einiger Zeit ab.

Sowjet-Botschafter Zarapkin, Gastgeber: »Wir haben keine Angst vor Ihnen«

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