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PDS Reiher im Damenklo

Im Kampf um Wählerstimmen alter und neuer Genossen kennt der PDS-Vorsitzende Bisky keine Gnade: Jetzt singt er sogar.
aus DER SPIEGEL 40/1995

Und die Wende / die dann kommet / die sieht gründlich anders aus / denn dann sieht man / die im Dunkeln / die im Lichte fallen raus«, singt Lothar Bisky seine »Moritat zum Anschluß« auf die Melodie von »Mackie Messer«. 250 Leute beklatschen in Erfurt das Gesangsdebüt des PDS-Parteivorsitzenden, das er aus Anlaß eines bunten Abends mit Politik und Musik gibt.

Die Frage, wer »die im Dunkeln« denn genau seien, wird vorsichtshalber nicht vertieft. Klar ist nur, daß es irgendwie die anderen sind: Nichts hilft so gut gegen Auflösung und Gruppenzerfall wie ein kollektives, möglichst breitgefächertes Feindbild, und diesen Eimer Kleister rührt Bisky an, indem er auf einem Ton herumbrummt und den Gesetzen der bürgerlichen Rhythmik eine scharfe Absage erteilt.

Der PDS-Klientel gefällt das; niemand verzieht die Miene oder spottet über die sozialdemokratische Rekonstruktion des Brecht/Weill-Liedes. Es ist, als hätte man eine Zeitreise rückwärts gemacht: Die Resopaltische, die bodenlangen Gardinen, die mit rotem Fahnenstoff abgehängten Leuchtstoffröhren - der ganze Muff ist noch da.

Zwar sind im ehemaligen Gebäude der Kreisleitung der SED in Erfurt außer der PDS »mittlerweile« auch das Finanzamt, das »Germania«-Hotel, diverse Steuerberater und Bausparversicherer sowie eine Autovermietung mit dem sinnfälligen Namen »Alamo« untergebracht. Am vorigen Samstag aber buchstabiert sich noch einmal die DDR als Der Doofe Rest.

Eingeladen in die Eislebener Straße haben der Thüringer Landesvorstand und der Erfurter Stadtvorstand der PDS, und brav kommen die SED-Altlasten der Stadt angewackelt. Man könnte auf der Jahreshauptversammlung des Kleintierzuchtvereins Mennighüffen sein oder bei einem Treffen des CDU-Ortsverbandes Heepen, irgendwo im Kleinbürgermilieu eben, wäre da nicht diese PDS-spezifische Melange aus rührender Einfalt, verdruckster Vergangenheitsbewältigung und kämpferischer »Trotz alledem«-Gebärde.

Das, was mit Dorothee Sölle und Luise Rinser gesprochen »Schamarbeit« heißt, wird von der stellvertretenden Landesvorsitzenden Edda Seifert vorneweg geleistet: Ein junger Autor namens Jörn Luther, »der es in der DDR nicht leicht gehabt hat«, erhält den PDS-Literaturpreis »Polistradamus 95«, weil er 1983 zwei Monate wegen Graffitisprühens im Kahn saß; dies nennt Frau Seifert einen »Anstoß, in uns zu gehen«.

Anschließend gibt's das unvermeidliche Kabarett. Reinhold Andert, der im Parteiblatt Neues Deutschland gemeinsam mit seinem Westkollegen Martin Buchholz die Kolumne »IduLa« (In diesem unserem Lande), »Copyright by Dr. Helmut Kohl«, schreibt, hat auch live die Gesellschaftskritik a la »Musikantenstadl« parat; an Kohl hat er vor allem »Fettsucht« auszusetzen. »Höhöhö«, macht das Publikum.

Andert präsentiert zur Klampfe eine neue Parteihymne und animiert im Refrain erfolgreich zum Mitsingen: »Trotz allem, sie kommt / die nächste Wende / dann sind sie mit ihrem Latein am Ende / Die Wahrheit hat Zeit / mehr als Tage und Wochen / Das letzte Wort ist / noch lang nicht gesprochen.« Es klingt wie lautes Pfeifen und Singen im Keller; »Ermutigung« hieß dergleichen bei Wolf Biermann.

An diesem Abend aber steht die Jugend in der Bütt. Moderatorin Seifert beschwört Utopia im Schülertheaterformat herauf: Bei den nächsten Bundestagswahlen habe die PDS 52,7 Prozent der Stimmen erhalten; das sollen jetzt Lothar Bisky und andere Parteivorständler kommentieren. Zu diesem Zweck steigen sie in einen überdimensionalen Fernseherrahmen und reden, wie's der Bastel- und Laubsägearbeit geziemt: »Gregor Gysi hat sich vor Freude betrunken, dann in der Damentoilette eingeschlossen und kotzt wie'n Reiher«, entwirft Frau Seifert eine bessere Welt: »Die Mitglieder der ,AG Junge GenossInnen'« dagegen säßen »im Herrenklo, um die vor Lachen eingenäßten Hosen zu trocknen«.

Was denn »der Lothar Bisky« zu dieser revolutionären Situation sage? »Der Lothar Bisky« wiegt den Kopf und grient: »Solange der Gregor auf dem Klo bleibt - nichts!« Man friert vor Appetitlichkeit.

Freudig wiehern die Sozialisten im Saale, und so ist, dialektisch gesehen, schon bald wieder Zeit für mahnende Töne des Vorsitzenden. Also singt und reimt Bisky schwerblütig und zäh auf die PDS: »Wie sich Ost und West nicht einen / zankt auch sie im eignen Nest.«

Die Basis versteht die Warnung vor parteiinterner Kritik an der Führung sehr wohl: Wer Bisky, Gysi und Vorstandsmitglied Andre Brie nicht liebhat, der ist auch kein guter deutscher Patriot. Und nichts kommt einen DDR-Sozialisten so hart an wie der Vorwurf mangelnder Vaterlandsliebe.

Bevor es aber zu bedenklich wird, reißen der Parteihütehund Bisky und sein musikalisches Alter ego Reinhold Andert noch einmal die Stimmung herum. Schließlich soll sich das PDS-Fußvolk, das hauptsächlich aus sehr alten Leuten besteht, solange es geht, an die Urnen schleppen. Zu diesem Zweck muß noch einmal eine Zukunft herbeigesungen und -gelogen werden, die keiner im Saal je haben wird und an die keiner der Vorsänger glaubt.

Und jetzt alle: »Trotz allem, sie kommt, die nächste Wende . . .«

Vom Ende dagegen kündete das Programmheft: »Anschließend Tanz mit Gerda und Stefan«. Y

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