BRASILIEN / STAATSSTREICH Rein und hart
Die Schreckensbotschaft stand im Wetterbericht: »Verfinsterter Himmel, schwüle Temperaturen, stickige Atmosphäre und stürmische Winde« prophezeite Rio de Janeiros Tageszeitung »Jornal do Brasil« -- mitten im schönsten Sommer der Südhalbkugel.
In meteorologischen Metaphern mußte das Blatt verstecken, was es nicht offen sagen durfte: In Brasilien hat sich über Nacht die härteste Diktatur Südamerikas etabliert.
Am Freitag vorletzter Woche um 23 Uhr verkündete die Regierung des Marschalls Arthur da Costa e Silva, 66, den »Institutionellen Akt Nummer 5«. Er stattet den Präsidenten mit diktatorischen Vollmachten aus.
Das Ausnahmedekret beseitigte die letzten demokratischen Reste eines ohnehin autoritären Militärregimes.
Durch seinen Staatsstreich kann Brasiliens Präsident
* den Kongreß auf unbestimmte Zeit beurlauben,
* mit Verordnungen regieren,
* in die Angelegenheiten der Bundesstaaten und Gemeinden eingreifen,
* Gouverneure und Präfekten berufen und entlassen,
* die politischen Rechte jedes Bürgers sowie die Habeas-Corpus-Garantie* bei »politischen Verbrechen« aufheben und
* den Belagerungszustand verhängen.
Der Marschall nutzte die Vollmachten sofort. Er ließ seit der Nacht zum vorletzten Sonnabend mindestens 200 vermeintliche Gegner des Regimes verhaften -- Journalisten, Regisseure, Schriftsteller, Komponisten, Rechtsanwälte, Geistliche und Politiker wie die Ex-Präsidenten Kubitschek und Quadros. Die Kongreß-Mitglieder schickte er nach Hause.
Offiziere besetzten die Redaktionen der wichtigsten brasilianischen Zeitungen und Rundfunkstationen. Fortan durften brasilianische Journalisten nicht über Verhaftungen, Zensur und soziale Mißstände berichten und keine
* Habeas Corpus: Garantie der persönlichen Freiheit. Niemand darf ohne richterlichen Haftbefehl verhaftet oder ohne richterliche Untersuchung in Haft gehalten werden.
Erklärungen von Studenten und Gewerkschaften wiedergeben -- Politik fand in der Presse nicht mehr statt. Selbst in den Büros ausländischer Presseagenturen überwachten die Armee-Zensoren Telephone und Fernschreiber.
»Absolute Ruhe herrscht im ganzen Land«, frohlockte Justizminister Gama e Silva. Es war die Grabesruhe nach einer Schlacht, die Brasiliens Militärs gegen ihr Volk gewonnen hatten.
Seit 1964 hatten sie diesen Sieg vorbereitet. Damals stürzte die Armee den letzten vom Volk gewählten Präsidenten Brasiliens, João Goulart, Sie nannten ihren Putsch eine Revolution, weil sie damit die »Bolschewisierung des Landes« zu stoppen vorgaben.
Nach der Doktrin der Militärakademie in Rio de Janeiro -- »Sorbonne« genannt -- glauben die Ultras der 15 000 brasilianischen Offiziere an den Antagonismus zwischen kommunistischem Osten und christlichem Westen; daraus leiten sie das Recht auf einen »totalen Krieg gegen die Subversion« her. Ihr Ideal: eine »reine und harte Republik.
Die Ultras -- die »linha dura« setzten sich immer mehr durch. Sie wollten die 90 Millionen Brasilianer regieren wie eine Kompanie. Sie waren es, die nach dem Sturz Goularts ihre politischen Gefangenen folterten wie den Kommunistenführer Gregorio Bezerra, damals 67, den sie an Händen und Füßen gefesselt durch die nordbrasilianische Stadt Recife schleiften.
1965 löste Costa-e-Silva-Vorgänger Castelo Branco auf Drängen der Armee Brasiliens 13 Parteien auf und ersetzte sie durch die Regierungspartei »Arena«. Um den Schein einer Demokratie zu erhalten, bestellte er sich eine Opposition. Nur widerwillig erklärten sich 164 Abgeordnete dazu bereit.
Um jedes Risiko auszuschalten und dennoch den Schein der Legalität zu wahren. wählte 1967 nicht mehr das Volk, sondern das von der »Arena« beherrschte Parlament den neuen Staatschef -- Costa e Silva. Der Zwei-Zentner-Präsident aus dem Gaucho-Staat Rio Grande do Sul versuchte sich zunächst als Liberaler zu geben.
In seiner ersten Kabinettssitzung sagte er: »Ich hoffe, daß ich weder mein Land noch meine Landsleute enttäusche«, und später: Eine demokratische Regierung sei »der Traum meines Lebens«.
Bald aber war klar, daß die »Linha dura«-Ideologen andere Träume hatten und der Präsident ihr Werkzeug war. Priester, die soziale Reformen verlangten, wurden als »subversive Elemente« verhaftet. Studenten, die gegen den Bildungsnotstand protestierten, wurden eingesperrt oder sogar erschossen. Richter, die verhaftete Demonstranten freisprachen. wurden gescholten.
Fallschirmjägeroffiziere wollten Studentenführer und Oppositionspolitiker selbst liquidieren. »Kommandos zur Kommunistenjagd« warfen Bomben und lauerten vermeintlichen Regime-Gegnern auf.
Anfang Dezember verlangte die Armee, die Immunität des Oppositionsabgeordneten Márcio Moreira Alves, 36, aufzuheben, weil er die Streitkräfte eine »Brutstätte für Folterknechte« genannt hatte. Das Parlament aber lehnte überraschend ab; selbst 90 Abgeordnete der Regierungspartei » Arena« stimmten gegen den Antrag.
Das nahmen die Offiziere nicht hin. Sie drängten Costa e Silva, den von Justizminister Gama e Silva, Innenminister General Albuquerque Lima und dem Kommandeur der 1. Armee, General Siseno Sarmento, vorbereiteten »Institutionellen Akt« zu unterzeichnen. Brasilien war Militärdiktatur -- schlimmer noch als Griechenland.
Doch auch unter totalitärer Militärherrschaft fanden die Brasilianer einen »jeito«, einen Kniff. die Diktatoren lächerlich zu machen: Das »Jornal do Brasil« brachte -- außer politischen Wetterberichten -- anstelle seiner von der Zensur verbotenen Kommentare das überdimensionale Bild eines Judokämpfers.