BEAMTE Reisen bindet
Der Regensburger Professor Imre Toth, 55, Spezialist für Philosophie und Geschichte der Mathematik, war nach Lektüre des Rundschreibens mit dem Aktenzeichen II 283-00/5751 »tief betroffen« und »ziemlich schockiert«. Denn »Schriften mit dem ganz gleichen Inhalt« kannte der vor sechs Jahren aus Rumänien geflohene Wissenschaftler noch aus seiner Heimat. So mußte er das Papier »gleich mehrmals durchlesen, ob das wirklich wahr ist«.
Das Papier, ein Rundbrief der Universitätskanzlei über »Reisen von Angehörigen des öffentlichen Dienstes in und durch den kommunistischen Machtbereich«, war nicht nur wahr; es enthüllte unversehens auch einige Geheimbestimmungen aus einer Verschlußsache des Freistaats Bayern.
Im Rundschreiben selbst wurde zwar lediglich die Meldepflicht von privaten und die Genehmigungspflicht von Dienstreisen in 14 kommunistische Länder postuliert. Doch in einem angehefteten Erklärungsvordruck, der nach Kenntnisnahme von den Beamten unterzeichnet werden sollte, war unverhüllt von »Reiseverbot« und von »Berichtspflicht ... über etwaige Anbahnungsversuche gegnerischer Nachrichtendienste« die Rede.
»Ach du lieber Himmel«, stöhnte Ministerialrat Otto Popp vom bayrischen Innenministerium, als er von dem Rundschreiben erfuhr, »bei denen ist offensichtlich eine Panne passiert.« Die Panne von Regensburg ist freilich fast vorprogrammiert.
Denn einerseits gilt die Reiseanordnung als Verschlußsache, andererseits muß sie wegen der Meldepflichtigkeit aller Reisen jedem Angehörigen des öffentlichen Dienstes vertraut gemacht werden. Jeder Behörde bleibt dabei freigestellt, ob sie den Inhalt per Anschlag am Schwarzen Brett, durch mündliche Aufklärung oder -- wie in Regensburg -über Rundschreiben bekanntmacht.
Bei diesem Versuch, eine Bestimmung unter den Staatsdienern gleichzeitig zu verbreiten wie geheimzuhalten, kommen die Behörden immer wieder einmal ins Schleudern. Sind die vermittelten Daten zu vage, so wird ironisch zurückgefragt, oh die Anzeigepflicht vielleicht vom »Ausgang der Wahlen« abhänge, »so daß eine Reise in die Vatikanstadt etwa frei von der Anzeigepflicht bleibt, Reisen nach Genua und Bologna dagegen anzeigepflichtig werden« (so der SPD-Landtagsabgeordnete Joachim Schmolcke in einer Anfrage im Jahre 1975).
Wird hingegen, wie in Regensburg, zu konkret mit »Reiseverboten« operiert, dann empfinden das die Betroffenen als »politisch skandalös« und fühlen sich »fatal an vergleichbare Verpflichtungen erinnert«, die just in den inkriminierten Ländern des kommunistischen Machtbereichs unterschrieben werden müßten (so Toth, Professor Wolfgang Gebhardt und vier weitere Professoren in Regensburg in einem Protestschreiben).
Das schillernde Geheim-Werk, das den Experten »seit Urväter Zeiten« (Popp) geläufig ist, wurde vor drei Jahren, nach gemeinsamer Beratung der Innenminister-Runde, renoviert, zuerst für die Bundesbediensteten, dann auch in den Bundesländern.
Da die Ausführungsbestimmungen jedoch von den Ländern in eigener Kompetenz erarbeitet wurden, kam eine einheitliche Praxis nicht zustande. In Hamburg oder Nordrhein-Westfalen etwa wird liberaler verfahren als in Bayern, wo man sich, wie Popp pikiert anmerkt, streng an »die Empfehlungen der gemeinsamen Beratungen« gehalten hat.
Durchweg gilt für Bund und Länder folgendes Schema:
* Geheimnisträger, die mit »streng geheimem« Material umgehen, dürfen nur nach Jugoslawien reisen; Fahrten in andere kommunistische Staaten sind untersagt. Das gilt auch für Angehörige der Bundeswehr.
* Auf »Geheim« verpflichtete Staatsdiener dürfen in kommunistische Länder fahren, wenn dies von ihrer Behörde im Einvernehmen mit dem Verfassungsschutz genehmigt wird. > Bedienstete, die Umgang mit Verschlußsachen »Vertraulich« haben, brauchen keine Reisegenehmigung mehr, müssen ihre Absichten aber dem Vorgesetzten melden -- ebenso wie alle anderen im öffentlichen Dienst Tätigen, ob Hochschulprofessor, Müllmann oder Bürobote. Nicht so in Hamburg. Dort kann das Gros der Bediensteten (mit Ausnahme von Polizei-Angehörigen, die in einem sogenannten sicherheitsempfindlichen Bereich tätig sind) nach Auskunft des Verfassungsschutzes »machen, was es will«. Betroffen von Reisebeschränkung und Meldepflicht sind in der Hansestadt denn auch nur (Polizisten nicht gerechnet) rund 1200 Staatsdiener, Geheimnisträger und mit Verschlußsachen Betraute, von denen in diesem Jahr bisher »knapp 80« eine Ostreise angemeldet haben.
Der Nutzen einer allgemeinen Meldepflicht ist ohnehin fragwürdig. Pflichtgemäße Anzeigen werden erst vom Vorgesetzten, dann vom Geheimschutzbeauftragten des Verfassungsschutzes zur Kenntnis genommen, danach zu den Akten gelegt -- und »niemand guckt mehr hin«, jedenfalls sagt so ein kompetenter Hanseat.
Kontaktversuche gegnerischer Agenten und Geheimdienstler aber müssen, so interpretiert der Verfassungsschutz die allgemeinen Bestimmungen des Beamtenrechts, in jedem Fall angezeigt werden -- Vorfälle, die nach Erfahrung hanseatischer Verfassungsschützer »nicht ganz selten« sind.
Experten des bayrischen Verfassungsschutzes haben außerdem bislang noch nicht festgestellt, daß in der Praxis der Bericht eines Heimgekehrten »zu irgendeiner Operation Anlaß geboten« hätte.
Der Freistaat definiert den Sinn der Anordnung denn auch vorwiegend als »Ausfluß der Fürsorgepflicht des Dienstherrn« (so das bayrische Innenministerium auf die Schmolcke-Anfrage). Die Staatsdiener, die oft »überhaupt keine Ahnung haben, was auf sie zukommen kann« (Popp)' müßten durch Belehrung auf die lauernden Gefahren hingewiesen werden.
Denn sonst könnten sie, so erläutert ein Verfassungsschutz-Experte' »leicht in heikle Situationen hineinschlittern« und später mit einem peinlichen »Kompromat« erpreßt werden -- etwa einer »Infrarotaufnahme in einem Prager Hotelzimmer«. Doch auch dies hat es, so oder anders, in der bayrischen Praxis bislang nie gegeben.
Obschon Sinn und Nutzen im dunkeln bleiben (Popp:. »Vor jedem Urlaub kommen auf uns die Anfragen zu, daran haben wir uns schon gewöhnt"), wird der Reigen immer wieder aufgeführt. Von der bayrischen Kultusbürokratie wird die Reisevorschrift sogar alle Jahre neu verbreitet, weil »man sonst ja den Inhalt vergißt« (Ministeriumssprecher Hans Gehringer).
Die Betroffenen protestieren dann, wie die Regensburger, prompt gegen die »offenbar nicht nachprüfbaren Genehmigungs- und Verbotsbefugnisse« wie gegen die »Verpflichtung, Agentendienste zu leisten«.
Und der Experte Popp im bayrischen Innenministerium pflegt sich zu wundern, wie diesmal über den Regensburger Professor Toth, der da gleich Parallelen zu seiner ehemaligen Heimat Rumänien sehe: »Seltsam, daß der das nun in der Öffentlichkeit so hochspielt.«
Allerdings, so räumt auch der Ministerialrat ein, unterscheide just dieser Protest (der inzwischen zu einer bereinigten Neufassung des Rundschreibens geführt hat) die Bundesrepublik vom kommunistischen Machtbereich:., Das hätte der Professor in seiner Heimat nicht tun dürfen.«