Von Melanie Amann, Florian Gathmann, Matthias Gebauer, Martin Knobbe, Veit Medick, Ralf Neukirch, Christian Reiermann, Gerald Traufetter
Seit Tagen
hatte ein kleines Team die entscheidenden Klimaverhandlungen der GroKo vorbereitet:
Kanzleramtschef Helge Braun (CDU), CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und
Vizekanzler Olaf Scholz (SPD). Es war nicht immer leicht, Termine zu finden - schließlich musste Scholz nicht nur seine Pflichten als Finanzminister
erfüllen, sondern als Kandidat für den SPD-Vorsitz auch noch mit seinen
Bewerbungsauftritten bei den Regionalkonferenzen jonglieren.
Eine letzte zweistündige
Vorbereitungssitzung fand am Donnerstagmittag im Kanzleramt statt. Für
Finanzminister Olaf Scholz, der prompt wegen einer Reise zum Deutsch-Französischen
Finanz- und Wirtschaftsrat nach Paris nicht dabei sein konnte, kam sein
Staatssekretär Werner Gatzer. Der letzte Entwurf war
denkbar farbenfroh: In schwarzer Schrift waren nur die Passagen gehalten, auf
die sich alle Beteiligten schon geeinigt hatten. Viele Abschnitte waren noch
rot (SPD-Wünsche) oder blau (Union), und viel zu wenige Passagen waren grün, was
eine mögliche Kompromissformel signalisieren sollte. Und neben dem inhaltlichen
Papier gab es noch das - vielleicht viel wichtigere - zweite Dokument über die
Finanzierung des möglichen Klimapakets.
Ihren
Entwurf verschickten die drei Unterhändler am späten Donnerstagmittag an die
Teilnehmer des Koalitionsausschusses. Es war ein Vertrauensvorschuss in letzter
Minute: Frühere Versionen waren sicherheitshalber nur auf Papier in individualisierten
Exemplaren an die Empfänger übergeben worden. Die möglichen Kompromisse sollten
bloß nicht vorzeitig durchsickern.
Schon
gegen 16.00 Uhr traf sich die Unionsseite zum internen Vorgespräch im
Kanzleramt, ab 17.30 Uhr stießen dann die Sozialdemokraten dazu - aber erst um
12.15 Uhr am nächsten Tag meldete die Nachrichtenagentur Reuters einen
Durchbruch.
Was in den gut 19 Stunden dazwischen geschah, hat ein SPIEGEL-Team
anhand von Gesprächen mit vielen Teilnehmern der Runde recherchiert. Was die
eine Seite erzählte, wurde stets mit den Informationen der anderen abgeglichen.
Wo es widerstreitende Versionen gibt, machen wir dies transparent. Keiner der
Akteure dieser Nacht wollte sich namentlich zitieren lassen.
Die
Recherchegespräche ergeben das Bild einer Koalition, die auch bei
fundamentalen Weichenstellungen zur Bekämpfung des Klimawandels anfangs so weit
auseinander lag, dass nur der kleinste gemeinsame Nenner noch möglich war. Und
ausgerechnet bei der elementaren Frage eines CO2-Preises bildete sich eine
ungewöhnliche Allianz zwischen CSU und SPD – man könnte es christlich-sozialdemokratische
Koalition nennen.
Für
die CDU nahm Kanzlerin Angela Merkel teil, ihr Kanzleramtschef Helge Braun,
Fraktionschef Ralph Brinkhaus und Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer. Die
CSU kam mit Parteichef Markus Söder und Landesgruppenchef Alexander Dobrindt.
Für die SPD rückten zunächst nur die kommissarischen Chefs Thorsten
Schäfer-Gümbel und Malu Dreyer sowie Fraktionschef Rolf Mützenich an - Scholz
stieß zum stillen Ärger der Unionsseite erst gegen 22.30 Uhr dazu, weil er unbedingt
noch seinen Vortrag beim Politischen Forum Ruhr vor 2000 Zuhörern in der
Philharmonie in Essen halten wollte. Thema: "Politik für Zusammenhalt und ein
modernes Land". Erst als der wichtigste SPD-Mann der Regierung mit dem Flieger
aus Düsseldorf eingetroffen sei, habe es richtig losgehen können, klagt man
bei der Union.
Davor
lagen vier mehr oder weniger ergebnislose Stunden, in denen die Koalition offenbar
nur wenige kleinere Themen klären konnte, wie die höhere Steuer auf Flugtickets
und die Steuersenkung für Bahnfahrkarten.
Schwieriger
war nach Teilnehmerangaben die Frage der Ölheizungen - wollte die Regierung
hier mit Verboten arbeiten, wie die SPD es forderte, oder mit dem Anreiz für
die Bürger, ihre Heizungen "freiwillig" zu erneuern? Dafür plädierte die
Unionsseite, die darauf verwies, dass gerade ältere Leute sich nur schwer von
ihren alten Heizungen trennen wollten und dazu lieber geködert als gezwungen
werden sollten. Letztlich setzte sich diese Position durch.
Die
Energieversorgung der Verhandler löste die Küche des Kanzleramts auf
gutbürgerliche Art: mit Buletten. Die Fleischklopse passen zwar nicht ganz in
die neue Zeit, in der auch die Fleischindustrie unter Rechtfertigungsdruck für
ihren ökologischen Fußabdruck auf dem Planeten steht. Doch SPD-Verhandlerin Malu
Dreyer störte sich offenbar mehr am Geruch der Speisen. Als Dreyer in den Verhandlungssaal
mit den Buffet-Platten betrat, soll die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz
sich beschwert haben: "Das ist ja furchtbar, wie das hier riecht. So kann man
doch nicht arbeiten." Die Frikadellen wurden entfernt, die Klimawende konnte
beginnen.