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VEREINE / BLINDE Reserve am See

aus DER SPIEGEL 40/1967

»Das Rezept unseres Erfolges«, verrät Georg Kaintoch. 52, »ist eigentlich einfach.« Kaintoch, der sich »Präsident und Geschäftsführer des Deutschen Blindenhilfswerks e. V. Duisburg« nennt, hält sich »nur an Leute, die Geld haben«.

Die Geldgeber findet er in den Branchenverzeichnissen der Telephonbücher. Sie honorierten die Bittbriefe des gemeinnützigen Vereins, der 1961 unter dem Motto »Blinde helfen Blinden« gegründet worden war, im vergangenen Jahr laut Kaintoch »mit fast einer Million Mark«.

Der Präsident, der auf Vereinskosten »die halbe Welt« bereist hat und sich gerne als »sozialer Botschafter« bezeichnet: »Ich bin stolz auf unseren Erfolg; damit habe ich die anderen aus dem Schlaf geweckt.«

Die anderen, der »Deutsche Blindenverband« und der »Bund der Kriegsblinden Deutschlands«, die seit über fünfzig Jahren die Belange der Blinden vertreten, sind in der Tat hellwach geworden. Blindenverbands-Geschäftsführer Dr. Alfons Gottwald: »Wir haben nichts gegen einen guten Zweck, wohl aber, wenn daraus ein Geschäft gemacht wird.« Aufmerksamkeit erregte der soziale Botschafter auch bei der Duisburger Staatsanwaltschaft. Sie ermittelt auf mehreren Spuren gegen Kaintoch.

Bis zu seiner Erblindung 1956 war Kaintoch Hilfsarbeiter. Danach bediente er beim Finanzamt in Oberhausen das Telephon -- bis er sich selber im Frühjahr 1963 zum Geschäftsführer seines Hilfswerks ernannte.

Für die gute Sache hatten sich auch Prominente wie Duisburgs Bürgermeister Dr. Leo Storm, Oberhausens Stadtdirektor Dr. Werner Peterssen, der Krefelder Commerzbank-Direktor Karl Heinrich Lindner und der Duisburger Rechtsanwalt Muschiol als Vorstandsmitglieder zur Verfügung gestellt. Telephonist Kaintoch, bereits erster Mann des »von mir gegründeten« Blindenvereins Duisburg-Hamborn, fungierte als Vorsitzender.

Doch schon nach einem Jahr legten die Prominenten ihre Ämter nieder: Über Kaintochs Vereinsführung war es zum Krach gekommen. Zu einer Abwahl des unliebsamen Vorsitzenden kam es jedoch nicht. Anwalt Muschiol: »Gegen einen Blinden wollten wir Sehenden nichts unternehmen.«

Ohne Vorstand und mithin handlungsunfähig, doch ungebeugt, machte Georg Kaintoch weiter. Er veranstaltete Sammlungen, verschickte Bittbriefe, und die Vereinskasse füllte sich. Über 500 000 Mark waren binnen 15 Monaten eingegangen. Aber nur rund 31 000 Mark davon wurden für Hilfeleistungen ausgegeben; fast genausoviel hatte sich Kaintoch als Geschäftsführer-Gehalt auszahlen lassen. Er schaffte einen Ford 17 M und einen Mercedes 220 an, und er pachtete auf 20 Jahre das Schloß Reelsen bei Bad Driburg, das er für rund 150 000 Mark renovieren ließ.

Nach der Vereinssatzung hätte Kaintoch weder das Schloß pachten noch sein Hilfswerk weiterführen dürfen. Und erst 1964 besann er sich wieder auf das Reglement: Unter der Regie des Duisburger Rechtsbeistands Herbert Otto Weiss, den das Registergericht eingesetzt hatte, um das Hilfswerk wieder handlungsfähig zu machen, wurden die verwaisten Vorstandsposten neu besetzt, Kaintochs Geschäftsführertätigkeit legalisiert und der Bereich des Hilfswerks auf die Bundesrepublik ausgedehnt.

1965 erwarb Kaintochs Werk ein Grundstück im Werte von über 30 000 Mark in Nümbrecht (Oberbergischer Kreis) und 1966 ein Hotel in Waldeck am Edersee, für eine halbe Million Mark. Wie in Reelsen sollten an beiden Plätzen »Blindenerholungsheime und Schulungsstätten« (Kaintoch) eingerichtet werden. Doch der frühere Kaintoch-Vize Best erinnert sich, daß »von wenigen Ausnahmen abgesehen nur Vorstandsmitglieder« in den Helmen logierten. Am Edersee habe sich der Präsident »zwei Zimmer für das ganze Jahr reservieren« lassen.

Von der im vergangenen Jahr eingegangenen einen Million Mark wurden laut Tätigkeitsbericht über eine halbe Million für die Besitzungen in Waldeck und Nümbrecht aufgebracht, rund 400 000 Mark aber laut Kaintoch »für Verwaltungsausgaben«.

An solchen Ausgaben hatte Georg Kaintoch seinen Anteil. Er hat für sich, »seiner Stellung als Vereinsvorsitzenden gemäß«, das »Gehalt eines Mini-

* Bei der Übergabe einer Blindenuhr; Uhr und Kur für den erkrankten Blindenhund wurden aus Spenden bezahlt, die In einem Schankraum in der Flasche gesammelt worden waren.

sterialdirektors festsetzen« lassen (etwa 4000 Mark monatlich). Und auf der Gehaltsebene höherer Laufbahnen bewegt sich auch Kaintochs Ehefrau Line: Als »Vize-Präsidentin« im Hilfswerk-Büro bezieht sie ein monatliches Salär um 1500 Mark.

Kaintoch: »Ich brauchte jemanden, dem ich vertrauen kann.« Zusammen mit seiner Frau ist er nach der Satzung zeichnungsberechtigt.

Letztes Jahr kollidierte das Familien-Unternehmen zum erstenmal mit der Justiz. Kaintoch unterlag vor dem Duisburger Landgericht in einem Verfahren, das er selber gegen ein ehemaliges Hilfswerk-Mitglied, den blinden Diplom-Volkswirt Ludwig Schneewels, wegen »übler Nachrede« und »Kreditgefährdung« angestrengt hatte. Schneeweis könne, so verkündeten die Richter, »zu Recht« erklären, das Hilfswerk »beziehungsweise sein erster Vorsitzender Georg Kaintoch verwalten die ihnen zugeflossenen Mittel nicht ordnungsgemäß«.

Doch Kaintochs Gegner beließen es nicht bei Erklärungen. »Um den Bluff und Betrug des Kaintoch-Unternehmens Hilfswerk« -- so das frühere Vorstandsmitglied, der Hamburger Kaufmann Alfred Krille -- »endlich einmal aufzudecken«, beschäftigt sich inzwischen die Duisburger Staatsanwaltschaft mit »einer ganzen Reihe von Anzeigen« (Staatsanwalt Langner) ehemaliger Kaintoch-Bediensteter und Vereinsmitglieder.

Unter anderem wird ermittelt, ob Präsident Kaintoch seiner Frau aus der Vereinskasse für einige hundert Mark Schmuck gekauft und den Betrag als Postwertzeichen verbucht hat.

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