Abgeordnete Rest erlassen
Der Parlamentarier weiß, was er wert ist: »Nur 'muh, muh' zu rufen oder 'hört, hört', das wäre ein bißchen unter meinem Niveau.«
Für wesentlich anspruchsvoller hält es CDU-MdB Lothar Haase, während der Parlamentsdebatten Kanzler Brandt als »Kneifer«, Karl Schiller als »Chefinflationist« und den SPD-Kollegen Pfarrer Udo Fiebig als »Gottesknecht« anzurufen.
Mit der Höchstleistung von 26 Zwischenrufen in einer Bundestagssitzung avancierte der CDU-Hinterbänkler in dieser Legislaturperiode zum Chef-Krakeeler der Union. Bereitwillig machten die Fraktionsvorsteher dem nordhessischen Volksvertreter, der seine Einwürfe eigenhändig auf den Umschlagseiten der Parlamentsprotokolle mit der genauen Seitenangabe vermerkt, in den vorderen Reihen des Plenarsaals Platz. Denn Haase/Kassel -- so weiß CSU-MdB Erich Riedl -- »sorgt für Stimmung«.
Den Logenplatz, der ihm garantiert, daß seine Bemerkungen auch von den Parlamentsstenographen verstanden und protokolliert werden, mußte sich der »eifrige Plenarbesucher« (Haase über Haase) in seiner elfjährigen Parlamentsvergangenheit hart ersitzen. Vor zehn Jahren. am Vorabend seiner Karriere, suchte der MdB-Neuling die Aufmerksamkeit seiner Parteibosse durch ein stummes Schaustück zu erregen. Als sich damals sein Fraktionsvorsitzender Heinrich von Brentano über den FDP-Parlaments-Vizepräsidenten Thomas Dehler beschwerte und verkündete, er werde Herrn Dehler nicht mehr die Hand reichen, war der Haase schon da: Er versprach seinen nordhessischen Parteifreunden. er werde jedesmal das Parlament verlassen, wenn Freidemokrat Dehler präsidiere.
Selbst als Dehler und Brentano »längst wieder Arm in Arm durch das Bundeshaus« schritten, räumte Plenarnovize Haase -- wie er sich erinnert -- »wutschnaubend« seinen Stuhl im Parlament, sobald ihm sozialdemokratische Kollegen aus der hessischen Heimat das Stichwort lieferten: »Haase, Dehler präsidiert.« Erst nachdem SPD-MdB Wilhelm Dröscher seinem Sitznachbarn großmütig erklärte·. »Der Rest ist dir erlassen«, blieb Haase sitzen.
Inzwischen hat auch der ehemalige Panzerjäger gelernt, daß man »die starken Worte der Oberen nicht zu ernst nehmen darf« und andere Geschütze im Bundestag auffahren muß. Namen und Karriere zuliebe griff er auf das eigene Organ zurück.
Vier kurze Sachbeiträge zur Haushalts- und Verteidigungspolitik genügten dem Redner Haase, der sich insbesondere während der letzten drei Jahre ganz aufs Zwischenrufen und Zwischenfragen verlegte. Laut Bundestagsvizepräsident Hermann Schmitt-Vocken -- hausen ist Haase dabei nicht zimperlich: »Der nimmt nicht das Florett. sondern den Balken.«
Mit einem oder gar zwei Kreuzen auf den Titelblättern der Bundestagsprotokolle würdigt der Christdemokrat seine parlamentarischen Höhepunkte als Zwischenrufer. Zwei Kreuze ist ihm die Schmähruf-Serie in der 182. Sitzung wert, wo er auf Schillers Bemerkung zu dem bevorstehenden konstruktiven Mißtrauensvotum ("Mit dem, was Sie morgen früh zur Wahl und zur Abstimmung stellen, steht auch zur Wahl. ob diese Bundesrepublik Deutschland sich auf dem direkten Marsch in die Harzburger Front befindet") in immer neuen Varianten den Wirtschaftsminister als »Nazi«, »SA-Mann«, »Professor von Hitlers Gnaden«, »Nazi-Professor« und »Obernazi« beschimpfte.
»Juwel« (Haase) seiner gesammelten Zwischenrufe aus dieser Legislaturperiode ist aber die 135. Sitzung. wo er auf die Feststellung des Bundeskanzlers »Jetzt spreche ich und sage meine Meinung« schrie: »Jawohl, Herr Major.« In diesem Fall sei ihm »das kleine Kunststück« geglückt, spontan und »ein bißchen boshaft« auf die politische Vergangenheit Brandts als norwegischer Pressemajor anzuspielen.
Haase stolz: »Das ist so ein Zwischenruf, an dem ich noch in meinen alten Tagen Freude haben werde.«