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FLICK-PROZESS Retter des Vaterlandes

Der Flick-Konzern wollte seine Daimler Aktien ernsthaft niemals an den Iran verkaufen. *
aus DER SPIEGEL 3/1986

Im Schwurgerichtssaal des Bonner Landgerichts vertauschte Eberhard von Brauchitsch die Rollen: Der Angeklagte im Flick-Prozeß machte am vergangenen Donnerstag vorübergehend sich selbst zum Verteidiger seines Mitangeklagten Otto Graf Lambsdorff und den Vorsitzenden Richter Hans-Henning Buchholz zu seinem Zeugen.

»Halten Sie es für möglich«, fragte er das »Hohe Gericht«, »dem Grafen Lambsdorff eine finanzielle Unterstützung für seinen Wahlkreis zu geben und dabei zu sagen: ,Apropos, da wäre zuerst noch die Sache mit dem 6b zu regeln'?«

Nein, bestätigte der Richter, so plump ginge das wohl nicht zu: »Das würde selbst ich eleganter machen.«

Da aber weiß der Edelmann auf einen Schelmen anderthalbe zu setzen. Zunächst freundlich lächelnd ("Ich möchte nicht bewerten, Herr Vorsitzender, wer von uns beiden besser bestechen kann"), dann ernst ("Ich jedenfalls kann's gar nicht!") versucht er die Staatsanwälte bloßzustellen, die immer noch glauben, er, der Angeklagte von Brauchitsch, habe Politiker bestochen.

Die Bonner Landschaft, die der frühere Flick-Manager einst so erfolgreich pflegte, muß ein Jammertal gewesen sein. Der Angeklagte jedenfalls versichert unentwegt, daß das Haus Flick in Bonn überhaupt nichts zu melden hatte.

Wie ein »Parasit« seien sich die Flick-Vertreter vorgekommen, als sie die sogenannten 6b/4-Bescheinigungen erhalten wollten; die Zertifikate brauchte der Konzern, um von der Zahlung von rund einer Milliarde Mark auf den Verkauf eines Daimler-Benz-Aktienpakets fälliger Steuern befreit zu werden.

»6b/4« - das ist die Abkürzung für die Paragraphen im Einkommensteuer- und Auslandsinvestitionsgesetz. Die 6b-Rechtslage sieht von Brauchitsch heute wie damals als sonnenklar an: Sein Konzernchef Flick hatte einen Anspruch auf die Steuerstundung; er wollte den Buchgewinn, den er beim Verkauf von drei Vierteln seiner Daimler-Aktien erzielt hatte - immerhin 1,9 Milliarden Mark -, nicht in die eigene Tasche, sondern in den Um- und Ausbau seines Industrie-Imperiums stecken.

Obwohl dies nach Meinung des damaligen FDP-Wirtschaftsministers Hans Friderichs und auch seines Nachfolgers Graf Lambsdorff volkswirtschaftlich besonders förderungswürdig war, gab es Widerstände - bei der SPD.

Nur mit Abscheu nennt der Flick-Manager im Gerichtssaal die Drahtzieher der von ihm so verstandenen sozialistischen Verschwörung: Die Abgeordneten Dieter Spöri und Rolf Böhme hatten sich dafür stark gemacht, die Genehmigungskriterien des 6b-Falles schärfer zu fassen. Das Volumen steuerbegünstigter Wiederanlagen sollte auf fünf Millionen begrenzt, die Steuerstundung nur dann gewährt werden, wenn wirklich mit dem re-investierten Kapital Wirtschaftsstrukturen verbessert und Arbeitsplätze im Inland gesichert würden.

Noch mehr als die notorischen Widerständler irritierte der SPD-Finanzminister Hans Apel den Manager von Brauchitsch. Nicht nur, daß der Sozialdemokrat Flick »schlimmer als drei Jahre Juso-Regierung« genannt hatte. Der Chef des Finanzressorts, mit dem in der 6b-Frage laut Gesetz ein »Benehmen« hergestellt werden mußte, war für den Verkäufer Flick einfach »nicht zu sprechen« - ganz im Gegensatz zu dem FDP-Kollegen im Wirtschaftsressort, Friderichs, der, wie Brauchitsch dankbar notierte, »uns zu jeder Tages- und Nachtzeit zur Verfügung« stand.

Die wirklichen Probleme lagen nicht bei der SPD. Es ist erst bei der Beweisaufnahme in diesem Prozeß richtig deutlich geworden, daß die steuerfreie Wiederanlage der Flick-Milliarden womöglich gar nicht so entscheidend war.

Das eigentliche Handikap: Die Ordnungspolitiker im Bonner Wirtschaftsministerium hielten es für einen »Sündenfall« (von Brauchitsch), daß ausgerechnet die große Deutsche Bank sich in den Besitz der Daimler-Aktien gebracht hatte. Denn es gehörte damals zum guten Ton, die Zusammenballung industriellen Besitzes bei den Großbanken zu beklagen und eine breitere Eigentumsstreuung zu verlangen.

Fast ein ganzes Jahr mußte der Flick-Manager von Brauchitsch darum kämpfen, daß das Friderichs-Ministerium die Deutsche Bank als volkswirtschaftlich erwünschten Käufer akzeptierte. Und dies, obwohl der SPD-Kanzler Helmut Schmidt persönlich das Geldinstitut »ermuntert« hatte, dem drohenden Ausverkauf der Daimler-Aktien an den Schah von Persien zuvorzukommen.

Die Furcht des Kanzlers war allem Anschein nach unbegründet. Vor Gericht bestätigt von Brauchitsch, daß zwar eine Offerte der Perser und die »Möglichkeit« eines Abschlusses mit dem Flick-Konzern, aber »niemals die Absicht bestanden hat, ein beherrschendes Daimler-Paket über den Ladentisch nach Persien zu geben«. Dennoch wurde die Persien-Legende aufrechterhalten (siehe Kasten Seite 82). Das erklärt der Manager mit den Interessen der Bundesregierung und der Deutschen Bank: »Dann wären aus den Rettern des Vaterlandes Medaillenträger zweiter Klasse geworden«

Daß überhaupt das Gerede vom Flick-Verkauf in Umlauf kam und daß dazu das falsche Gerücht verbreitet wurde, auch der Anteil der Industriellenfamilie Quandt am Daimler-Kapital, damals gerade in den Besitz von Kuweit geraten, werde nach Persien gehen, begründet von Brauchitsch ebenfalls mit PR-Motiven: »Das war vielleicht gesteuert, um die nationale Heldentat der Deutschen Bank in einem noch besseren Licht erscheinen zu lassen.«

Im Wirtschaftsministerium kümmerte sich der Chef persönlich um Flicks 6b-Anliegen. Friderichs nahm an manchen Besprechungen mit Vertretern des Flick-Konzerns teil - »aus Interesse an der ordnungspolitischen Problematik«, wie er versichert.

Friderichs war, das bestätigen die Akten, damals ganz auf der Linie der »Ordnungspolitiker«.

Auch er hielt den Verkauf an die Deutsche Bank solange für volkswirtschaftlich bedenklich, wie die Aktien nicht weitergegeben wurden.

Zum Glück gab es andere Liberale die sich als Stütze des Konzerns erwiesen. Am 25. Juli 1975 berichtete von Brauchitsch in einem Vermerk für Friedrich Karl Flick über die ordnungspolitischen Bauchschmerzen des Ministers: In einem Postskriptum fügte er hinzu: _____« Ich hatte zu dem Gesamtkomplex vor zwei Wochen ein » _____« ausführliches Gespräch mit Graf Lambsdorff, dem » _____« wirtschaftspoliti schen Sprecher der FDP. In dem Ge » _____« spräch bei Friderichs habe ich feststellen können, daß » _____« Lambsdorff mit unseren Ar gumenten dort bereits » _____« gearbeitet und bei Friderichs Eindruck gemacht hatte. »

Den Richter Buchholz interessiert an dieser Eintragung vor allem das Datum. Es korrespondiert mit früher bereits vor Gericht verlesenen Notizen des Flick-Buchhalters Rudolf Diehl und veranlaßt den Richter zu der Frage, ob bei jenen Gesprächen, zu denen sich damals die heutigen Angeklagten trafen, nicht doch gelegentlich Geld und Argumente miteinander verknüpft wurden.

Denn jenes PS-Gespräch fand - der Kammervorsitzende Buchholz rekonstruiert es aus seiner Aktenkenntnis, die Angeklagten widersprechen nicht - am 7. Juli 1975 statt. An diesem Tag erhielt der damalige Landesschatzmeister der nordrhein-westfälischen FDP, Otto Graf Lambsdorff, von Eberhard von Brauchitsch 25000 Mark.

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