REVIER OHNE JAGDSCHEIN
SPIEGEL Die Bundesregierung hat den geplanten Erwerb der Dea durch die amerikanische Ölgesellschaft Texaco vorerst verhindert. Sie fürchtet eine noch stärkere Überfremdung des deutschen Energiemarktes. Teilen Sie, der Sie als Vertreter der Deutschen Bank dem Dea-Aufsichtsrat vorsitzen, diese Bedenken?
ULRICH: Von der Gefahr einer Oberfremdung zu sprechen, ist müßig, weil unser Mineralölmarkt schon längst von ausländischen Konzernen beherrscht wird. Die Dea hat einen Marktanteil von acht Prozent. Da die westdeutsche Erdölförderung nur 7,8 Millionen Tonnen jährlich beträgt, müssen weitere 72 Millionen Tonnen, also rund 90 Prozent, eingeführt werden.
SPIEGEL: Ist die Dea nicht durch eigenes Versagen und glücklose Politik des Managements in ihr Dilemma geraten? - Sie hat ihre Raffineriekapazitäten über ihre eigene Ölförderung hinaus ausgebaut und sich zudem durch einen ungünstigen Liefervertrag an die Continental Oil Company (Conoco) gebunden.
ULRICH: Glück muß man haben, besonders im Ölgeschäft. Bei den Bemühungen um eigenes Öl im Ausland hat die Dea kein Glück gehabt; als sie in Syrien fündig geworden war, wurde sie enteignet. Für aussichtsreiche Konzessionen in politisch sicheren Gebieten fehlten ihr die finanziellen MitteL
SPIEGEL: Auch der Vertrag mit der amerikanischen Ölgesellschaft Conoco brachte dem Unternehmen keinen Segen.
ULRICH: Die Lieferungen der Conoco, die einen bedeutenden Teil des Rohölbedarfs der Dea decken, wirkten sich zunächst befriedigend aus. Aber dem fortschreitenden Preisverfall auf dem Heizölmarkt folgen die Conoco -Rohölpreise nur teilweise. Vielleicht hätte die Dea schon früher die Anlehnung an einen internationalen Ölkonzern suchen sollen. Doch dazu entschließt man sich ja nicht so schnell.
SPIEGEL: Als weitere Ursache des Dilemmas bezeichneten Sie die liberale deutsche Energiepolitik, die den Ölmarkt den ausländischen Konzernen zugespielt habe.
ULRICH: Das liegt auf der Hand. Die im Gegensatz zur vorsorglichen Energiepolitik anderer Länder stehende volle Liberalisierung der Mineralöleinfuhr hat Infolge der derzeitigen Internationalen Überschußlage in Rohöl und seinen Produkten zu übermäßigen Lieferungen in die Bundesrepublik und zu einem Preisverfall auf dem deutschen Markt geführt. Für internationale Konzerne, die über große Rohölreserven verfügen, in anderen Sparten verdienen können, steuerliche Vorteile in Ihrem Heimatland genießen und gleichzeitig in- geschützten Märkten etabliert sind, ist es immer noch interessant, auch zu gedrückten Preisen ihre überschußmengen in die offenen Tore der Bundesrepublik zu schleusen. Der deutsche Markt ist ein Revier ohne Jagdschein und Abschußplan.
SPIEGEL: Die von Ihnen beklagte Bonner Mineralölpolitik beschert dem Kleinverbraucher wie der Industrie aber sehr niedrige Brennstoffpreise. Sollte die Regierung zugunsten der Dea, des einzigen Ölkonzerns im westdeutschen Besitz, ihre liberale Einfuhrpolitik aufgeben, den Wettbewerb drosseln und die Preise steigen lassen?
ULRICH: Es ist eine politische Frage, ob ich eine vorsorgliche Energiepolitik betreibe, die die heimischen Rohölquellen und Kohlevorkommen schützt und damit den Gesellschaften eine Existenzmöglichkeit bietet, oder ob ich die Forderung nach billigster Energie, über alle anderen Überlegungen stelle. Überläßt man den Markt dem freien Spiel der wirtschaftlichen Kräfte, dann- können Gesellschaften wie die Dea, allein auf die kargen einheimischen Rohstoffgrundlagen gestellt, nicht gegen die übermächtige Konkurrenz des Auslands bestehen.
SPIEGEL: Bonn hat die Frage beantwortet: Wettbewerb. Wirtschaftsminister Schmücker rühmt die Bundesrepublik stolz als den liberalsten Energiemarkt der Welt.
ULRICH: Wenn sich die Politik so entschieden hat, darf sie aber nicht die Aktionäre einer Gesellschaft aus politischen Gründen daran hindern, sich an einen starken Partner anzulehnen. Das ist doch inkonsequent: Die starken internationalen Ölkonzerne tummeln sich auf dem Energiemarkt der Bundesrepublik, und die deutschen Aktionäre sollen sich keinen ausländischen Partner suchen.
SPIEGEL: Was hätten die Dea-Aktionäre, mit sechs Prozent Dividende nicht gerade verwöhnt, von der Partnerschaft mit Texaco zu erwarten gehabt?
ULRICH: Beide Gesellschaften benötigen und ergänzen sich. Die Dea hat mit rund 5000 Tankstellen eine gute Absatzorganisation, aber nicht genügend billiges Öl. Texaco hat dieses Öl, aber kein deutsches Absatzpotential. Der Vorteil für die Dea hätte darin gelegen, daß der starke Partner sie vom Rohöl wie von den Finanzen her voll wettbewerbsfähig gemacht hätte ...
SPIEGEL: ... während die Gewinnmarge unter den gegebenen Verhältnissen immer mehr schrumpft.
ULRICH: Es ist doch so, daß eine in New Jersey - nicht in Hamburg
beschlossene Benzinpreissenkung um einige Pfennige je Liter die Deutsche Esso beispielsweise 100 Millionen Mark kosten -kann, aber das ist für deren Muttergesellschaft, die Standard Oil of New Jersey, nur ein Vorgang hinter dem Komma in ihrer Ergebnisrechnung. Für eine deutsche Gesellschaft, die keinen Ausgleich in anderen Märkten hat, ist eine solche Entwicklung einfach ruinös.
SPIEGEL: Glauben Sie, daß die internationalen Ölkonzerne Esso, Shell und BP eine bewußte Investitions- und Preisstrategie treiben, um den deutschen Markt zu erobern und die deutschen Gesellschaften auszuschalten?
ULRICH: Ich glaube, daß die Ausländer eine Politik treiben, um Marktanteile in Deutschland zu gewinnen, denn der Markt der Bundesrepublik ist einer der interessantesten und dynamischsten der Welt. Ich glaube nicht, daß es die Absicht der ausländischen Konzerne ist, die deutschen Firmen auszuschalten - aber es ist die Folge. Sie können als rein deutsche Gesellschaften im ungehemmten internationalen Wettbewerb auf die Dauer nicht erfolgreich mithalten.
SPIEGEL: Welche Auswirkungen fürchten Sie, wenn Westdeutschlands Öl- und Benzinmarkt gänzlich vom
Ausland abhängig ist? Könnte die Bundesrepublik 'in die Lage Rhodesiens kommen, dem einfach der Ölhahn zugedreht worden ist?
ULRICH: Der Vergleich mit Rhodesien ist so abwegig nicht. Er ist um so verständlicher, wenn man sich klarmacht, daß wir nicht nur im Öl zu 90 Prozent und in Zukunft noch stärker vom Ausland abhängig sind, sondern auch unsere Chancen beim Erdgas eingebüßt, haben. Dias in Holland liegende Gas, das in die Bundesrepublik importiert werden soll, wird hier von ausländischen Konzernen angeboten. Wir haben es versäumt, zumindest bei der Distribution einen starken deutschen Einfluß zu sichern.
SPIEGEL: Die Bundesregierung hat den deutschen Firmen 800 Millionen Mark für die Ölsuche im Ausland zugesagt. Weitere 1,2 Milliarden Mark wird der Bund für die sogenannte Rohöl-Beihilfe zahlen. Ist das gar nichts?
ULRICH: Gewiß, die Hilfe Bonns soll nicht bestritten werden: Aber diese zwei Milliarden Mark sind nicht genug Geld, wenn man Konzessionen teuer erwerben, aufschließen, produzieren und Pipelines bauen muß. Wenn man eine eigene Rohölbasis aufbauen will, die einen wesentlichen Teil des deutschen Bedarfs decken könnte, wären dazu viele Milliarden Mark erforderlich. Und es vergeht so viel Zeit, daß bis dahin der Wettbewerb die deutschen Firmen erdrückt haben würde.
SPIEGEL: Mithin wäre es immer noch besser für die Dea, sich bei einem starken ausländischen Konzern anzulehnen. Denn in jedem Fall wird Westdeutschland weiter vom Auslandsöl und von Auslandsfirmen abhängig sein, die zudem noch in der Bundesrepublik zahlreiche Betriebe der Wachstums-Industrien aufkaufen.
ULRICH: Ich bin kein Gegner amerikanischer oder anderer ausländischer Investitionen: Denn diese Engagements haben wesentlich dazu beigetragen, die wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik anzuregen und zu unterstützen.
SPIEGEL: Aber?
ULRICH: Es wäre in der Tat nicht ohne Bedenken zu betrachten, wenn ganze Schlüsselindustrien in die Hände von Gesellschaften fremder Länder gelangen würden. Aber ich glaube nicht, daß wir generell in dieser Situation sind. Das Öl ist ein Sonderfall. Hier können wir einfach nicht konkurrieren, weil hier in der Bundesrepublik die Voraussetzungen dazu fehlen.
SPIEGEL: Bei der Deutschen Bank liegen bedeutende Aktienpakete - Schachtelbeteiligungen mit mehr als 25 Prozent. Aktienanteil - der Autofirma Daimler-Benz und der Schokoladenfabrik Stollwerck in Köln. Für die Daimler-Benz-Aktien interessiert sich der amerikanische General-Motors-Konzern, für die Stollwerck-Beteiligung die englische Cadbury-Gruppe. Würden-Sie einem Verkauf dieser Aktien an Ausländer zustimmen?
ULRICH: Das kommt sicher nicht in Frage.
Großbankier Ulrich*: Was die Dea umwirft, steht bei Esso hinterm Komma
* Mit SPIEGEL-Redakteur Ferdinand Simoneit (l.) in Ulrichs Wohnung in Büderich bei Düsseldorf.