Als Frau in der Politik habe ich keinen Bock mehr auf Beleidigungen

Ricarda Lang ist Sprecherin der Grünen Jugend – und bekommt ständig Körperkommentare.
Von Ricarda Lang

Dieser Beitrag wurde am 24.01.2018 auf bento.de veröffentlicht.

Ich bin dick. 

Es gibt Tage, an denen mich das stört, es gibt Tage, an denen es mir egal ist, und es gibt Tage, an denen ich mich schön fühle. Doch viel wichtiger als für mich scheint mein Gewicht für irgendwelche Fremden im Internet zu sein.

Als Sprecherin der Grünen Jugend schreibe ich online über verschiedene politische Themen. Egal, wozu ich mich äußere – Lohngleichheit, Kinderarmut oder Kohlekraft: Ich bekomme als Antwort Kommentare zu meinem Äußeren. Für viele Menschen scheint es immer noch ein großes Problem zu sein, wenn eine Frau selbstbewusst eine politische Meinung vertritt. Wenn sie dann auch noch nicht den gängigen Schönheitsidealen entspricht, gibt es kein Halten mehr.

Ricarda Lang

  • ist Bundessprecherin der Grünen Jugend, der Jugendorganisation von Bündnis 90/Die Grünen. Im vergangenen Jahr hat sie auf bento Bodyshaming in der Politik kommentiert. 

Es beginnt bei vermeintlich gut gemeinten Ratschlägen: "Wäre es nicht gut, mehr auf deine Gesundheit zu achten?", oder "Du solltest wirklich mehr Sport machen."

Warum nehmen sich diese Fremden raus, mir ungefragt Tipps zu geben? Ist es so schwer zu verstehen, dass es weder ihre Aufgabe noch ihr Recht ist, meinen Körper zu kommentieren? Und vor allem: Was hat mein Körper mit dem Gehalt meiner politischen Aussagen zu tun? 

Und bei solchen Sprüchen hört es nicht auf. Von absurden Bezeichnungen wie "Fetti Mc Fett Fett" über "Fettes Pummelchen" bis hin zu der Empfehlung, ich solle mich vollstopfen, bis ich platze, damit es wieder eine Grüne weniger auf der Welt gibt, ist alles dabei.

Ob auf Twitter oder Facebook: Beleidigungen wie "fette Sau", "widerlich" und "abstoßend" muss ich ertragen, wenn ich mich weiterhin politisch engagieren will. Die schlimmsten Sprüche kommen, wenn ich mich wie im Rahmen der #MeToo-Kampagne zu sexualisierten Übergriffen äußere.

Immer wieder musste ich lesen, dass ich doch eigentlich froh sein müsse, dass bei meiner Figur überhaupt jemand mit mir schlafen wolle. Wie eklig muss man sein, um zu denken, dass sich der Wert einer Frau so sehr in ihrer Anziehungskraft gegenüber Männern bemisst, dass sie glücklich darüber sein sollte, begrapscht oder vergewaltigt zu werden?

Ich habe lange versucht, diese Kommentare einfach zu ignorieren. Ich dachte, über so einen Unsinn muss ich doch stehen können. Ich wollte nicht schwach sein. Und trotzdem ist da ein Gefühl von Unsicherheit und Verletzung – und der Ärger über meine eigene Irrationalität: Natürlich weiß ich, dass mein Körpergewicht nicht über die Legitimität meiner politischen Aussagen entscheidet. Doch es macht was mit mir, für einen einzigen Tweet über hundert Kommentare zu meinem Aussehen zu bekommen. 

Das liegt auch daran, dass die Abwertung von weiblichen Körpern ja nicht erst mit Beschimpfungen auf Twitter beginnen. Schon von klein auf wird vielen Frauen gespiegelt, dass mit ihnen etwas nicht stimmt, dass sie fehlerhaft oder ungenügend sind. Der weibliche Körper wird zum Objekt degradiert, das be- und verurteilt werden darf. 

Ich habe das früher selbst erlebt: Wenn ich beim Schwimmunterricht gefragt wurde, ob ich denn wirklich einen Bikini anziehen will. Wenn ich bei Oma gefragt wurde, ob das zweite Stück Kuchen denn sein muss. Wenn Freundinnen mir sagten, dass ich mehr auf mein Äußeres achten solle, falls ich auf der Suche nach einem Mann sei. 

Nach einiger Zeit des Aushaltens habe ich gemerkt, dass ich dreimal nachdenke, bevor ich etwas poste, da ich immer überlege, ob ich gerade Kraft und Lust habe, mich dem Hass auszusetzen. Und ich kenne viel zu viele kluge Frauen, denen es genauso geht.

Genau das ist das Ziel der Trolle: Die Beleidigungen und Kommentare sind ein Machtinstrument, um Frauen aus dem öffentlichen Diskurs zu verdrängen. Darauf habe ich keinen Bock mehr!

Deshalb habe ich mich entschieden, über diese Erfahrungen offen zu sprechen. Um anderen Frauen zu zeigen, dass sie mit ihrer Scham nicht allein sind. Und damit alle, die denken, dass wir bereits in einer vollkommen gleichberechtigten Gesellschaft leben, sehen, was es auch heute noch bedeutet, als Frau politisch aktiv zu sein.

Ich habe mich entschieden, offen über diese Erfahrungen zu sprechen

Ricarda Lang

Bisher hat es mir sehr geholfen, offen über meine Gefühle zu sprechen, statt sie einfach weg zu lächeln. Es gibt mir eine ganz neue Sicherheit im Umgang mit Kommentaren. 

Viele meinen, dass die Trolle gewinnen, wenn man auf sie reagiert. Aber ganz ehrlich: Wenn wir solche Kommentare ignorieren, dann akzeptieren wir sie. 

Und ich finde nicht, dass es meine Aufgabe ist, mich an "Fette Fotze" zu gewöhnen. Vielmehr ist es die Aufgabe aller, für eine Gesellschaft zu streiten, in der so etwas nicht mehr vorkommt. Und deshalb möchte ich, dass alle, die so etwas schreiben, wissen, dass ihr Hass mein Ansporn ist, weiter zu kämpfen für eine Welt, in der Frauen selbst über ihren Körper entscheiden können.

Und du?

Wurdest du auch schon mal diskriminiert, weil anderen deine Figur nicht passte? Teilst du Ricardas Erfahrungen? Oder hast du das Gefühl, du musst dich manchmal für deinen Körper rechtfertigen? Melde dich unter fuehlen@bento.de . Deine Daten behandeln wir vertraulich.

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