Richtig verstanden
Vor dem CSU-Parteitag in München verkündete Franz Josef Strauß Programmrichtlinien für das deutsche Fernsehen. Der Ministerpräsident empfahl den TV-Journalisten, mit »publizistischer Kosmetik und verschönernder Darstellung« aufzuhören. SPD-Kanzlerkandidat Hans-Jochen Vogel müsse endlich so gezeigt werden, wie er wirklich sei: als »opportunistischer Wandervogel« und »mittelmäßigster Spießbürger«.
Letzte Woche im »ZDF-Magazin«, bei Stichwortgeber Gerhard Löwenthal, konnte der CSU-Chef seine Sicht mal wieder ungestört auf den Bildschirm bringen. »Links von der SPD«, orientierte Chefkommentator Strauß die Zuschauer, »ist heute nur noch die Wand.« Die Sozialdemokraten seien »unseriös« und »unehrlich« wie eh und je, sie betrieben eine »schlecht aufgemachte, miese, schäbige Propaganda«.
Auch der Hinweis auf die »schwerwiegende Behauptung« eines übergelaufenen CSSR-Offiziers, auf Befehl Moskaus seien östliche »Gelder zur Unterstützung der linken Elemente in der SPD« geflossen, fehlte nicht. Originalton Strauß: »Das war offensichtlich nicht erfolglos, denn die SPD ist von Wahl zu Wahl ... nach links gerückt.«
Gerhard Löwenthal, dessen Magazin-Sendungen von Wahlkampfspots der S.105 CDU/CSU nur schwer zu unterscheiden sind, diente Strauß als devoter Interviewer. Er führte vor, wie ein rechter Fernsehmann den Dingen »uf den Grund geht: Wenn ich Sie richtig verstehe, meinen Sie als« » offenbar, daß die SPD von Dr. Vogel nicht mehr die SPD, sagen » » wir, von Helmut Schmidt ist, von dem ja viele Leute immer » » noch angenommen haben, daß er innerhalb der SPD dafür sorgen » » wird, daß sie auf einem Kurs der Mitte bleibt? »
Richtig verstanden - Helmut Schmidt sei, mal abgesehen davon, daß er immer den »Hauptdemagogen« der SPD gemacht habe, »Exponent einer Sozialdemokratie, die es heute nicht mehr gibt« (Strauß).
Solcher Wahlpropaganda wollte das ZDF vor Jahren schon durch ein Bildschirmverbot in Vorwahlzeiten vorbeugen. Der Magazin-Mann war mehrfach öffentlich als CDU/CSU-Wahlwerber aufgetreten. Wenn die Intendanten-Richtlinie ("Betr.: Beteiligung von ZDF-Mitarbeitern an Wahlkämpfen; hier: Sicherstellung der Neutralitätspflicht des ZDF") überhaupt auf einen gezielt war, mußte Unions-Fan Löwenthal gemeint gewesen sein. Er nahm auf CSU-Veranstaltungen Ovationen entgegen, ließ sich von Polizei mit Blaulicht hinkutschieren und rief auf einer CDU-Wahlkundgebung aus: »Sie von der SPD nehmen die Intellektuellen in Anspruch, aber wir haben die Intelligenten.«
Die Anordnung schlug auch durch - allerdings nur auf jene TV-Mitarbeiter, die Strauß als »mit der Feder kämpfende Kastraten« verhöhnte. Gefolgsmann Löwenthal blieb auf Sendung, das war mit der von der Union geforderten »fairen Berichterstattung« allemal vereinbar.
Der West-Berliner ZDF-Studioleiter Hanns Werner Schwarze mußte einer S.106 Podiumsdiskussion von Berliner Verbänden mit SPD-Politiker Egon Bahr fernbleiben, weil ihm das ZDF mit Moderationsverbot drohte. Eine »Querschnitte«-Sendung über Umweltverschmutzung (Titel: »Vor dem Menschen stirbt der Wald") verschob das ZDF letzten September, weil in Hessen Wahlkampf war und Moderator Hoimar von Ditfurth für die Grünen warb. Merkwürdig nur: Moderator-Kollege Dieter ("Thomas") Heck durfte die »ZDF-Hitparade« Anfang Dezember präsentieren, obwohl er zur Hamburg-Wahl im selben Monat die CDU empfahl.
Ähnlich bei der ARD, deren Intendanten sich ebenfalls vor Jahren auf eine sechswöchige Bildschirm-Quarantäne für Parteiwerber geeinigt hatten. Eine Dokumentation sowie Kabarettsendungen wurden in Fernsehen und Hörfunk vor der Hamburg-Wahl im Dezember und wegen der bevorstehenden Bundestagswahl aus dem Programm genommen, teilweise sogar vor Beginn der Sechs-Wochen-Frist, wegen befürchteter Wahlwerbung für SPD oder Grüne.
Das Hamburger Plauder-Paar Victoria Voncampe und Carlo von Tiedemann, das massiv den CDU-Politiker Kiep unterstützte, durfte noch am Vorabend der Bürgerschaftswahl moderieren, obwohl ein NDR-Wahl-Ukas Unterhaltungssendungen in solchen Fällen ausdrücklich ins Auftrittsverbot mit einbezieht.
Daß sich die Rundfunkanstalten, wenn es um Belange der CDU/CSU geht, inzwischen mehr gewogen als ausgewogen zeigen, hat offenkundig mit dem Vormarsch der Union in Funk und Fernsehen zu tun. Bei ARD und ZDF stellt die Partei mittlerweile die Gremien- und Intendantenmehrheit, und gegen unliebsame Programmacher entfachte sie, wie der Bonner CDU/CSU-Fraktionschef Alfred Dregger in vertraulicher Runde vortrug, eine »Kampagne«.
CDU-Politiker fordern mißliebige Kommentare an, die nachfolgenden Beschwerden werden von den Intendanten stapelweise an die betroffenen Redaktionen weitergeleitet. »Es war noch nie so schlimm«, sagt Rudolf Höch vom Hessischen Rundfunk. In der ZDF-»Heute«-Redaktion gehen massenhaft Protestbriefe ein, wenn Hans-Jochen Vogel nur 30 Sekunden im Bild erscheint.
Dabei wird über die Union heute in den TV-Nachrichten wesentlich mehr berichtet als seinerzeit über die regierende SPD, die nun auch in der Opposition schlechter wegkommt als die CDU/CSU vor der Wende.
So registrierte das Kölner Institut für empirische Medienforschung in der Woche vom 3. bis 9. Januar in der »Tagesschau": CDU 1685 Sekunden, SPD 581, FDP 307, Grüne 57; in »Heute": CDU 1799 Sekunden, SPD 695, FDP 529, Grüne 59. Die Grünen, über die in beiden Systemen kein einziger Filmbericht lief, wollen nun mit Rügen vorstellig werden.
Auch auf einzelne Redakteure schießen sich CDU-Kritiker ein, etwa auf den Bonner Korrespondenten Hans Peter Riese vom Deutschlandfunk, der den Regierungswechsel bissig kommentierte, seitdem selten zu Wort kommt und seine Reise zum FDP-Parteitag aus eigener Tasche bezahlen mußte. Bei Roland Fässler vom Bayerischen Rundfunk, der die Bonner Wende ebenfalls kritisch beleuchtete, werden nun alle Beiträge von der Chefredaktion oder Programmdirektion angefordert.
Als ZDF-Chefredakteur Reinhard Appel in einem Kommentar das Wort des CDU-Generalsekretärs Heiner Geißler von der »Mietenlüge« bemängelte, bekam er unverblümt zu hören, das hätte er bei seiner herausragenden Position lieber lassen sollen.
Im Wahlkampf ums Fernsehen meldete sich ein anderer prominenter Christdemokrat, dem hin und wieder Kommentare in Rundfunk und Fernsehen nicht passen: Bundespräsident Karl Carstens. In einem Schreiben an WDR-Chefredakteur Theo M. Loch (CDU), mit Briefkopf des Staatsoberhauptes, beschwerte er sich über die »empörende Herabsetzung unseres Landes« durch »Weltspiegel«-Moderator Hansjürgen Rosenbauer. Der hatte die Massenvertreibung der ghanaischen Arbeiter aus Nigeria mit der »weniger auffälligen, bürokratischen und mit mehr System betriebenen« Ausweisungspraxis westlicher Industriestaaten verglichen.
Weil ihm ein Kommentar zur Regierungspolitik der konservativ-liberalen Koalition nicht behagte, fragte Carstens auch beim NDR-Intendanten Friedrich Wilhelm Räuker an, ob »Hörer, die mit diesen scharfen Meinungsäußerungen überhaupt nicht einverstanden sind, durch das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem gezwungen werden können, sie auch noch mitzufinanzieren«. Die Frage war so weltfremd, daß Christdemokrat Räuker antworten mußte, der Rundfunk könne nicht immer auf die Gesamtheit seiner Hörer Rücksicht nehmen, er müsse sich vielmehr so »prononciert und klar äußern wie die Presse«.
Selbst Bonner Christdemokraten sehen in der Präsidentenschelte eine Unterstützung für CDU-Generalsekretär Heiner Geißler, der TV-Journalisten mit unliebsamer, nämlich anderer Meinung an den »Pranger« stellen will, und sprechen von »höherer Weihe für Geißlers Attacken auf das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem«.
Bei so hochrangigen Gehilfen hat es auch Gerhard Löwenthal leicht. Er deklarierte, bevor er Strauß zum Magazin-Rundschlag ermunterte, seine Wahlkampfaktivitäten für die Union einfach als Teil seiner journalistischen Arbeit. »Nach Auskunft von Herrn Löwenthal«, so erklärt das ZDF, »nimmt er nicht aktiv am Wahlkampf teil. Es gab daher keine Veranlassung, mit seinem Auftreten auf dem Bildschirm das Justitiariat zu befassen.«
S.105
Wenn ich Sie richtig verstehe, meinen Sie also offenbar, daß die SPD
von Dr. Vogel nicht mehr die SPD, sagen wir, von Helmut Schmidt ist,
von dem ja viele Leute immer noch angenommen haben, daß er innerhalb
der SPD dafür sorgen wird, daß sie auf einem Kurs der Mitte bleibt?
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