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ENGLAND Riecht nach 007

Die britische Regierung setzte Kriminelle gegen Nordirlands Rebellen ein -als Spitzel, Provokateure, Mörder. Das behauptet ein Krimineller, der angeblich selbst für die Briten tätig war.
aus DER SPIEGEL 34/1973

Bankräuber Kenneth Littlejohn, 32, war soeben von einem irischen Gericht verurteilt worden, bis zu seinem 52. Lebensjahr hinter Gittern zu sitzen. Da gab er bekannt noch im Gerichtssaal -, wer ihn zu allem angestiftet habe: Ihrer Majestät Regierung zu London.

Der Häftling schreibt an einer Dokumentation, die, so sein Anwalt (und IRA-Sympathisant) Myles Shevlin, »für die britische Regierung noch manch peinliche Enthüllung enthalten wird«.

Schon während der Verhandlung vor dem Special Criminal Court in Dublin hatte der Angeklagte Peinliches angedeutet: Er sei Spion und Agent provocateur im Dienste Englands gewesen, um die Terroristen der IRA zu bespitzeln und zu diskreditieren. Der Überfall auf eine Filiale der »Allied Irish Banks« -- für den er sich zu verantworten hatte -- sei mit seinem Londoner Agenten-Chef abgesprochen gewesen.

Der irische Ex-Minister Blaney fand das »eine Geschichte, die zum Himmel stinkt«, der britische Labour-Abgeordnete David Stoddard nannte es »eine phantastische Serie von Episoden, die nach 007 riechen. Die nordirische Parlamentarierin Bernadette Devlin-Me-Aliskey beschuldigte London einer »ungeheuerlichen und kriminellen Einmischung in die Angelegenheiten eines anderen Staates« und forderte die Unterbrechung der Parlamentsferien. Die IRA verlangte, endlich »das politische Intrigen-Netz zwischen Dublin und London« zu enthüllen.

Littlejohns Geschichte: Nach seiner Haftentlassung 1970 (fünf Jahre wegen Raubüberfall) fahndete die Polizei schon wieder nach ihm: 38 000 Pfund Lohngelder waren aus dem Panzerschrank der »Midland Motor Cylinder Company« bei Birmingham gestohlen worden.

Lohnbuchhalter Brian Perks behauptete, ein Inder habe ihn überfallen. Ein Gericht verurteilte aber Perks zu sechs Jahren Gefängnis. Perks Schwager war Kenneth Littlejohn, und der war verschwunden.

Er reiste in Irland unter falschem Namen als Vertreter in Lederbekleidung und fand unter seinen Kunden Kontakte zu IRA-Sympathisanten und Terroristen aus dem Norden.

Um Kenneth-Bruder Keith, 1967 wegen eines Raubüberfalls verurteilt, kümmerte sich Pamela Lady Onsjow, 57, die sich ehrenamtlich um Gefangene sorgt. Sie ist mit Englands Verteidigungsminister befreundet. Ihr erzählte Keith von den IRA-Informationen des handlungsreisenden Bruders, der gern für London spionieren würde.

Während Englands Polizei noch nach Kenneth fahndete ("Wir haben jeden Stein umgewälzt, um diesen Mann zu finden"), kam der Gesuchte ungehindert nach London. Seine Bedingung: Er wollte nur mit einem Minister verhandeln, den er vom Fernsehen her kenne.

Verteidigungsminister Lord Carrington schickte seinen Heeres-Minister, einen ehemaligen TV-Star, zum Treff mit dem Bankräuber. Informationen des Räubers -- etwa ein geplanter IRA-Anschlag auf den damaligen nordirischen Innenminister John Taylor, der drei Monate später tatsächlich durchgeführt wurde -- brachten die Briten angeblich dazu, Littlejohn anzuwerben: Der Lohngeldraub von Birmingham -- sagt er -- sei ihm »wie die Karotte vor den Esel gehalten« worden. Nach erfolgreichem Einsatz im Norden sollte er straffrei bleiben.

Etwa 30 Amateur-Agenten, so behauptet der ehemalige Fallschirmjäger Littlejohn, seien für London in Irland tätig. Er selbst sei beauftragt worden, den damaligen Terroristen-Chef Sean Mac Stiofain zu ermorden und die Leiche zu sprengen, »damit sie nicht mehr identifiziert werden konnte«.

Anschließend sollte Littlejohn den Wagen des Getöteten am Dubliner Flugplatz abstellen, danach Geld von Kanada aus an Familie Stiofain überweisen, um den Eindruck zu erwecken, Stiofain sei mit IRA-Geldern geflüchtet.

Sein Spionage-Einsatz für Britanniens Geheimdienst endete im vorigen Oktober, wie er begonnen hatte: mit einem Geldraub. Mit Bruder Keith, 27, und vier Komplicen gelang der Überfall. Allerdings: Kenneth & Keith »waren noch schlechtere Bankräuber als Spione« ("The Sunday Times"): Bruder Keith stellte den Fluchtwagen am Dubliner Flugplatz ab, verwischte die Fingerabdrücke, ließ jedoch eine Stromrechnung seines Bruders mit Adresse im Fond.

Die Brüder wurden in England erwischt, jedoch an Irland ausgeliefert: Dublin garantierte, die Agenten nicht wegen »politischer Vergehen« anzuklagen und Beweismaterial über offizielle britische Kontakte zu den Littlejohns im Prozeß nicht zuzulassen.

Was immer der Spion nun auspackt -- das »unausrottbare irische Mißtrauen gegenüber britischen Methoden und Motiven« ("The Times") wurde neu belebt.

Dublins Ex-Premier Jack Lynch mochte nicht ausschließen, daß die beiden Auto-Bomben, die im vorigen Dezember in Dublin zwei Zivilisten zerrissen und über 100 verletzten, von britischen Provokateuren gezündet wurden -- die Attentate verhalfen Lynch zu einer Mehrheit für sein Anti-IRA-Gesetz.

Der britische Unterhaus-Abgeordnete Frank McManus aber erinnerte an seinen alten Verdacht, daß »Mörder-Teams des britischen Geheimdienstes für viele der sogenannten sektiererischen Attentate verantwortlich« sind.

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