MAASDAM-KOLLISION Ritt auf dem Russen
Ein metallisches Schlurfen erschütterte den 15 000-Tonner. Die »Maasdam« krängte leicht nach Steuerbord, richtete sich wieder auf, neigte sich dann nach Backbord und blieb mit Schlagseite liegen.
Zehn Minuten später gab die Kommandobrücke mit Alarmglocken und Dampfsirene Bootsalarm. Kajütenstewards weckten mit Handglocken die letzten der fast 500 Passagiere und Mannschaften: »Bitte ankleiden. Schwimmwesten anlegen!«
Oben an Deck teilten Offiziere die Besatzung der schon ausgeschwungenen Rettungsboote ein. Die. Boote glitten an der Bordwand hinab und setzten hart auf das Wasser auf.
Berichtete die Zeitungskorrespondentin Elfrun Jacob, die zusammen mit zwei Dutzend Kollegen von Presse und Funk die Havarie auf hoher See erlebte: »Keine Panik! Die stets Ungläubigen scherzen noch. Aber die Besatzung ist sehr ernst. Nun wird mir auch blitzartig klar, wie es kommt, daß die Gäste der berühmten 'Titanic' den nahenden Untergang einfach nicht für wahr hielten bis zum letzten grausigen Augenblick.«
Dem holländischen Fahrgastschiff »Maasdam«, das am Morgen des 15. Februar in der Deutschen Bucht mit einem Wrack kollidierte, blieb das Schicksal der »Titanic« erspart.
Mit einer lädierten Schraube, einem 20 Meter langen Riß und einem 20 X 8 Meter großen Loch im Schiffsboden (Reparaturkosten: eine Million Gulden) immer noch schwimmfähig, erreichte die »Maasdam« am Haken von drei Schleppern nachmittags die Bremerhavener Columbuskaje. Die Ausgebooteten waren kurz zuvor von dem Lotsendampfer »Gotthilf Hagen« in Bremerhaven an Land gesetzt worden - unter ihnen das gesamte Direktorium der Holland-Amerika-Linie, das sich zur Eröffnung eines bis Bremerhaven erweiterten Nordatlantik-Dienstes an Bord versammelt hatte.
Wiewohl also Schiff und Schiffsvolk glimpflich davongekommen waren, sah sich Bremens Senator für Häfen, Schifffahrt und Verkehr, Dr. Georg Borttscheller, veranlaßt, noch am selben Tage in Bonn Alarm zu schlagen.
In einem Telegramm an seinen Bonner Kollegen Seebohm forderte der Senator - »Die Gefahr (für die »Maasdam") war viel größer, als alle glaubten« - den Bund praktisch auf, international geltendes Recht zu brechen.
»Selbst ohne Rücksicht auf die völkerrechtlichen Richtlinien« möge die Bundesregierung endlich dafür sorgen, daß Kapitänen, die auf dem sogenannten Borkum-Elbe-Zwangsweg die Jade, Elbe oder Weser ansteuern, nicht gleiches Mißgeschick widerfahre wie es jüngst »Maasdam«-Kapitän Lagaay und vordem bereits mehreren anderen Schiffern zugestoßen sei.
In der Tat steht dieser Zwangsweg - eine von Minen geräumte Schifffahrtsstraße - schon seit vier Jahren bei Seefahrern aller Nationen in überaus schlechtem Ruf.
Nach einer Kollision mit dem Bremer Frachter »Bischofstein« sank dort am 22. März 1959 vor der ostfriesischen Insel Wangerooge das 2332 Bruttoregistertonnen (BRT) große Sowjetschiff »Kholmogory« und legte sich im Zwangsweg-Fahrwasser auf Grund (siehe Graphik Seite 47). Position: 53 Grad 52 Minuten 48 Sekunden Nord, 7 Grad 48 Minuten 24 Sekunden Ost.
Auf der gleichen Position mußten am 18. April 1959 Kapitän und Mannschaft des britischen Frachters »Harborough« (6671 BRT), der mit 10 000 Tonnen Kohle von Polen nach Argentinien unterwegs war, ihr Schiff aufgeben. Der Engländer hatte sich an dem Russen den Leib aufgeschlitzt und sich zu ihm gelegt. Bei mittlerem Niedrigwasser zum Teil nur sechs Meter unter der Wasseroberfläche verborgen, ruhen beide seither als Doppelwrack auf dem Grund: Der eine Schiffsleib kann nicht ohne den anderen gehoben oder gesprengt werden.
Dem Russen und dem Engländer saßen dann im gleichen Jahr noch der Däne »Athena« (582 BRT) und der Holländer »Casiella« (12 190 BRT) auf (beide kamen später wieder frei) und schließlich am 15. Februar 1963 der
Holland-Amerika-Liner »Maasdam«. Er schleppte algenbedeckte Wrackteile mit ins Reparaturdock, die sich an seinem zerfetzten Unterleib verhakt hatten.
Wenngleich die Wrack-Bergungsmannschaften der amerikanischen und englischen Besatzer und später der Wasser- und Schiffahrtsdirektionen seit 1945 vor Deutschlands Küsten keineswegs untätig gewesen sind - in den vergangenen 18 Jahren wurden allein vor der Weser 43 Wracks beseitigt -, stießen die Berger bei der Schiffsfalle vor Wangerooge auf Hindernisse, denen mit Schneidbrenner und Sprengkörper nicht beizukommen ist.
»Nur Diplomaten können uns noch helfen«, klagte bereits im Frühsommer 1962 der inzwischen zum Präsidenten der dem Bundesverkehrsministerium unterstehenden Wasser- und Schifffahrtsdirektion Bremen aufgerückte Dezernent für Außen- und Unterweser, Dr. Schauberger.
Am Doppelwrack hatte nämlich das juristische Handwerkszeug der Schiffsberger versagt: die sogenannte Strandordnung, nach der ein Wrack, das die Schiffahrt behindert, ohne Rücksicht auf Besitzverhältnisse beseitigt werden darf. Der Berger braucht dem Eigner in diesem Falle nur den Teil vom Wrackschrotterlös zu erstatten, der die Bergungskosten übersteigt.
Die Strandordnung gilt jedoch nur für Gewässer innerhalb der Dreimeilenzone. »Kholmogory« und »Harborough« aber gingen außerhalb der bundesdeutschen Seegrenzen auf Grund und unterliegen mithin international zivilrechtlichen Vereinbarungen: Nicht eine einzige Planke darf demontiert werden, solange Eigner von Schiff und Ladung ihre Rechte nicht ausdrücklich aufgeben.
Von der Wasser- und Schiffahrtsdirektion Bremen angemorst, verzichtete nur der Eigner der »Harborough« auf seine Ansprüche. Der argentinische Empfänger der »Harborough«-Ladung beharrte auf seinen Rechten, und der Eigner der mit Hammer und Sichel am Flaggenstock untergegangenen »Kholmogory«, die sowjetische Staatsreederei, schaltete auf Funkstille.
Da auch Bonn, von den Bremern mehrmals um diplomatische Schlepperhilfe gebeten, auf Notsignale nicht reagierte, setzte Landeschef Kaisen Ende vergangener Woche auf Drängen seines Schiffahrtssenators die Unterschrift unter einen Senatsbeschluß, der dem Borttscheller-Telegramm vom 15. Februar regierungsamtlichen Nachdruck verleihen soll.
Kaisen forderte darin den Bundesaußenminister Schröder auf, Russen und Argentiniern ein Ultimatum zu stellen oder die, Freigabe der Wracks durch einen Schiedsspruch des Haager Internationalen Gerichtshofs zu erwirken.
Dazu Borttscheller: »Auch im Völkerrecht gibt es den Begriff des Notstandes, der Zwangsmaßnahmen im Falle einer akuten Gefährdung von Leben und Besitz rechtfertigt.«
Der akuten Gefährdung von Leben und Besitz konnte die Wasser- und Schiffahrtsdirektion Bremen in den vergangenen vier Jahren nur mit unzulänglichen Mitteln vorbeugen: Nachdem der Frachter »Athena« im Frühsommer 1959 auf das Doppelwrack gelaufen war, behalfen sich die Seestraßenreiniger mit einem provisorischen Umleitungsverkehr auf dem Borkum-Elbe -Zwangsweg.
Vor der Fahrwassertonne J/E 11 in Höhe des Westzipfels der Insel Spiekeroog wurde der Zwangsweg in eine nördlich und eine südlich um die Wracks herumführende Fahrbahn aufgeteilt. Über den nördlichen Weg dirigierte man den Verkehr zur Elbe; auf dem südlichen steuerten die Kapitäne hinfort Jade und Weser an. »Wegen der besonderen Gefährdung« ließ die Wasser- und Schiffahrtsdirektion außerdem am anglo-sowjetischen Doppelwrack statt der üblichen einen Wracktonne gleich zwei grüne Leuchttonnen auslegen.
Ganz wohl fühlte sich Tonnenleger Schauberger allerdings nicht in seiner Haut. Bereits im vorigen Frühjahr gestand er: Das Navigieren auf der strekkenweise nur eine Seemeile breiten südlichen Route könne man der Schifffahrt auf die Dauer nicht zumuten.
Obwohl die Untersuchungen des holländischen Schiffahrtsamts und des Bremerhavener Seeamts noch nicht abgeschlossen sind, hat Schauberger schon jetzt eine Erklärung dafür parat, weshalb »Maasdam«-Kapitän Lagaay und dessen Seelotse Melchers vom schmalen Seeweg abkamen und dem heimtückischen Doppelwrack aufsaßen: Am Morgen des 15. Februar war in der Fahrstraße zur Weser wegen Nebels ein Pulk Schiffe vor Anker gegangen; als die »Maasdam« ihm auswich, geriet sie zu weit nach Nordwesten und dampfte als viertes Opfer in die Schiffsfalle vor Wangerooge.
Wo Schaubergers grüne Warntonnen an jenem Februarmorgen schwammen, ist indessen noch ungeklärt.
»Maasdam«-Lotse Melchers: »Die Wracktonnen waren um 400 Meter abgetrieben.«
Tonnenleger. Schauberger: »Eine kleine nördliche Versetzung einer der beiden Tonnen durch Eis wurde beobachtet.«
Ausgebootete »Maasdam«-Passagiere: Nur Diplomaten können helfen