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Artikel 38 / 84

PARTISANEN RK = G plus P

aus DER SPIEGEL 16/1965

Das »Haus Nummer 1« in My Tho,

Kommandantur der 7. vietnamesischen Division im nördlichen Mekong -Delta, funkte Erfolgsmeldungen an den Generalstab der südvietnamesischen Armee (Arvin) nach Saigon:

Die Zahl der Vietcong-Überfälle in den von der 7. Arvin-Division beschützten Provinzen sei zurückgegangen. Die kommunistischen Partisanen ließen sich kaum noch auf Gefechte ein, sondern flüchteten beim Herannahen größerer Arvin-Einheiten.

Wenige Wochen lang hofften die vietnamesischen Generäle und ihre amerikanischen Berater, die weiche Welle der Kommunisten im Delta sei ein Erfolg der amerikanischen Bombenangriffe auf Nordvietnam. Sie dachten, die Napalmschläge gegen die Revolutionsväter im Norden hätten Moral und Kampfesfreude der Revolutionsjünger im Süden geschwächt.

Vergangene Woche aber deuteten Geheimdienst-Berichte die Ruhe am Strom ganz anders: Aussagen von Gefangenen und Informationen aus den Dörfern ergaben, daß drei der fünf regulären Vietcong-Bataillone im Bereich der 7. Arvin-Division sich systematisch aus dem Delta absetzten.

Auf Schleichpfaden im Dschungel, in Sampans auf Flüssen und Kanälen, in Gemüsetransportern und zuweilen Linien-Omnibussen streben die Guerillas nach Norden. Sie sollen sich in der Landesmitte mit jenen aus Nordvietnam eingesickerten Partisanen-Bataillonen vereinen, die seit Anfang Januar im annamitischen Hochland, zwischen Pleiku, Qui Nonh und dem US-Stützpunkt Da Nang operieren.

Unbeeindruckt von der amerikanischen Escalation, bereiten sich die gutgerüsteten Einheiten aus dem Norden und die kampferprobten Partisanen aus dem Süden vor, im Bergland zur dritten Phase des Partisanenkrieges überzugehen: zum offenen Kampf in regulären Einheiten gegen die Armee.

Die Partisanentaktik erlaubt es den Vietcong, aktive Kämpfer aus dem Delta für einen entscheidenden Schlag abzuziehen, ohne das verlassene Gebiet dein Feind - der Regierung - preiszugeben. Denn nach sechs Jahren Krieg und fast ebensolanger Herrschaft in den Reisdörfern am Mekong haben die Kommunisten das Delta längst mit einem lückenlosen Netz getarnter Guerillas und Funktionäre überzogen.

Die Armee aber hat nicht die Truppen, um loyale Bürger wirksam zu schützen. Dazu würde sie pro Dorf mindestens ein Bataillon brauchen.

Diese Besonderheiten der Partisanentaktik haben US-Botschafter Taylor bei seinem letzten Besuch in Washington zu der von vielen Militärs belächelten Forderung veranlaßt, die Armee Südvietnams so lange zu verstärken, bis 25 Soldaten auf einen regulären Vietcong -Krieger kommen.

Nur so glaubt der, ehemalige US -Generalstabschef einem Feind beizukommen, der die Taktik des revolutionären Krieges bis ins letzte verfeinert hat: eine Taktik, die es Männern in Räuberzivil mit Maschinenpistolen und Molotow-Cocktails im Atomzeitalter ermöglichte, vielfach überlegene Armeen zu zermürben, Regierungen zu stürzen und neue Staaten zu gründen.

Denn Partisanen des Typs, der jetzt in den Dschungeln Indochinas die stärkste Militärmacht der Welt zur größten militärischen Anstrengung seit dem Koreakrieg veranlaßt, haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten die Welt mehr verändert, als Atomstrategen oder Raketentechniker es vermochten:

Partisanen-Armeen eroberten China 1949 für den Kommunismus. Partisanen schlugen Frankreichs Expeditionskorps 1954 im ersten Indochinakrieg. Partisanen befreiten Kuba 1959 von der Batista-Diktatur und Zypern 1960 von britischer Kolonialherrschaft. Partisanen errangen auch für Algerien 1962 die Unabhängigkeit - und sind heute im Begriff, den USA in Südvietnam die erste militärische Niederlage ihrer Geschichte zu bereiten.

Die Partisanen haben die atomaren Barrieren, die den großen Krieg zwischen den Supermächten verhindern, längst mit Karabiner und Handgranate unterlaufen. Sie gaben mit einer Vielzahl von kleinen Kriegen der Welt ein neues Gesicht.

Ihr Urahn heißt Karl Marx. Er prägte 1849, als noch Kavallerie-Attacken mit Lanze und Säbel die schlachtentscheidende Waffe waren, den revolutionären Begriff des »Partisanenkrieges«. Mit seiner Hilfe, so erklärte Marx, damals als Kriegsberichterstatter für die »Neue Rheinische Zeitung« in Italien tätig, könnte sich auch eine kleine Nation, die um ihre Freiheit kämpft, gegen einen überlegenen Gegner behaupten, ja ihn sogar überwältigen.

Fast ein Jahrhundert später wurde Chinas KP-Führer Mao Tse-tung, heute 71, zum-Klassiker dieser neuen Kriegsart. In einer schmalen Broschüre legte er 1938 unter dem Titel »Probleme der Strategie des Partisanenkrieges gegen Japan« jene Grundsätze dar, nach denen er ein Jahrzehnt darauf das kontinentale China eroberte*.

Mao prophezeite: »Der Partisanenfeldzug, wie er heute in China geführt wird,hat kein Vorbild in der Geschichte. Sein Einfluß wird sich nicht auf China ... beschränken, sondern sich in der ganzen Welt bemerkbar machen.«

Der chinesische Partisanenkrieg -Theoretiker empfahl, den revolutionären Krieg in drei Phasen zu gliedern:

Den »defensiven Rückzug« in sorgfältig gesicherte Basisgebiete, einen Bewegungskrieg kleinster Kampfeinheiten, deren Überfälle und Sabotageakte »Moral, Kampfgeist und das militärische Leistungsvermögen des Gegners brechen« sollen.

- Das »wachsame Ringen«, in dem beide Seiten etwa gleich stark sind. Dazu rät Mao: »Richtig geführt und organisiert können die (zahlenmäßig größer gewordenen) Partisanenstreitkräfte den Gegner ununterbrochen in Atem halten, ihn übermüden und bis zur tödlichen Erschöpfung zermürben.«

- Die »Gegenoffensive« mit regulären Streitkräften, nachdem der Feind erschöpft ist. Maos Lehre: »Die reguläre Kriegführung ist die hauptsächliche und Partisanenkrieg die

untergeordnete Form. Falls wir dies nicht einsehen ... falls wir verabsäumen, reguläre Armeen zu bilden, werden wir nicht in der Lage sein, den Feind endgültig zu schlagen.«

Von dem Chinesen, dessen militärische Schriften im Westen lange Zeit unbeachtet blieben, lernte zunächst Stalin. Die sowjetischen Partisanenverbände im Rücken der deutschen Front übernahmen im Zweiten Weltkrieg die von Mao empfohlene Gliederung.

»In den vom Feind besetzten Gebieten«, befahl der sowjetische Diktator elf Tage nach dem deutschen Einmarsch im Juni 1941, »müssen Partisanen-Einheiten zu Fuß und zu Pferd ... gebildet werden, um den Feind zu bekämpfen, überall den Partisanenkrieg zu entfachen, Brücken und Straßen zu sprengen, Telephon- und Telegraphenleitungen zu zerstören und die Wälder, Vorratslager und Eisenbahnzüge in Brand zu stecken.«

Ein sowjetisches »Handbuch für Partisanen« erschien 1942, ebenso ein »Agenten-Handbuch«; sie enthielten detaillierte Anweisungen für Kampf und Sabotage hinter den feindlichen Linien. Seit 1944 befaßte sich auch die Felddienstordnung der Roten Armee in Kapitel XVII eingehend mit dem Partisanenkampf. Bei jedem sowjetischen Armee-Oberkommando wurde ein Partisanenstab gebildet; der Partisanen -Zentralstab arbeitete in Moskau.

Sowjet-Generalleutnant Ponomarenko schätzt, daß der zweijährige Partisanenkrieg auf russischem Boden die Deutschen über 300 000 Tote gekostet hat.

Stalin und Mao Tse-tung betrachteten die Partisanen als eine mächtige, aber keineswegs kriegsentscheidende Waffe, als eine Hilfstruppe für die reguläre Armee, die nach wie vor den endgültigen Sieg erkämpfen muß. »Die strategische Rolle des Partisanenkrieges ist eine doppelte«, dozierte Mao, »die reguläre Kriegführung zu unterstützen und die eigene Kriegführung in eine reguläre umzuwandeln.«

Das demonstrierte der KP-Stratege im chinesischen Bürgerkrieg (1946 bis 1949). Bei Kriegsbeginn waren die nationalistischen Armeen des Marschalls Tschiang Kai-schek, der etwa vier Millionen Soldaten ins Feld schickte, den Kommunisten zahlenmäßig nahezu fünffach überlegen. Aber Maos Partisanen und quasi-regulären Streitkräfte, zusammen fast 900 000 Mann, kontrollierten bereits sechzehn zumeist über Nordchina verstreute Gebiete mit einer Bevölkerung von 100 Millionen Menschen.

Von diesen Basen aus führte Mao pausenlose Angriffe gegen Nachschublinien und isolierte Verteidigungsstellungen der Nationalisten. Dabei drängten seine Partisanen den Gegner in die Defensive, eroberten eine Stadt nach der anderen und erbeuteten große Mengen Kriegsmaterial. Tschiangs schlechtbesoldete Soldaten desertierten; ihre zahlenmäßige Überlegenheit schrumpfte.

Aus den kommunistischen Partisanenverbänden war eine reguläre Armee geworden, die Anfang 1949 bereits über 1,6 Millionen Mann zählte, während Tschiang nur noch über 1,5 Millionen verstreut kämpfende Soldaten gebot. Mit einer großangelegten Offensive überwand Mao im April 1949 den Jang tse-kiang und versetzte der Nationalisten-Armee den Todesstoß.

Von Maos Sieg, von seiner militärischen Theorie und Praxis, profitierte General Vo Nguyen Giap, 55, ehedem Rechtsanwalt, heute Verteidigungsminister im kommunistischen Nordvietnam und möglicher Nachfolger seines Staatschefs Ho Tschi-minh.

Der erste Indochinakrieg, in dem sich Giap als Meister der Partisanentaktik erwies, begann Ende 1945, als Frankreich sich weigerte, die Unabhängigkeit der von Ho Tschi-minh ausgerufenen Republik Vietnam anzuerkennen Giap eröffnete den Kampf mit 30 000 Partisanen. Als das geschlagene, zeitweise fast 500 000 Mann zählende französische Expeditionskorps 1954 Vietnam verließ, hatte er nahezu 300 000 gut ausgerüstete Soldaten unter Waffen.

Giap hielt sich zunächst streng an Maos Kriegsregeln, an die drei Phasen

- Selbstbehauptung. Gleichgewicht und

Gegenoffensive »Wir bildeten allmählich ein Netz von Paartisanen-Basen«, schreibt der General in seinem 1961 erschienenen Buch »Volkskrieg - Volksarmee"*. »Auf der Karte des Kriegsschauplatzes

vermehrten sich unaufhörlich die 'roten Zonen' mitten im Herzen des besetzten Gebietes. Der Boden des Vaterlandes wurde Zoll für Zoll unmittelbar hinter den feindlichen Linien befreit.«

Erst im neunten Kriegsjahr gestattete die Partei ihrem Oberbefehlshaber Giap die entscheidende Schlacht. Die französische Kolonialarmee erlitt im Mai 1954 bei Dien-Bien-Phu ihr Stalingrad und verlor 16 000 Mann ihrer Elitetruppen. Die Genfer Indochinakonferenz teilte im gleichen Jahr Vietnam; der Norden wurde kommunistisch.

Giap hatte damit eine glänzendere militärische Leistung vollbracht als selbst Stalin oder Mao; er hatte zum ersten Male eine als selbständige Streitkraft auftretende Partisanenbewegung zum Siege geführt.

Das hatte zwei Gründe: Den Vietnamesen war es gelungen,

- ihre Partisanen-Gruppen allmählich in eine »reguläre und moderne Armee« umzuwandeln, die schließlich

- dank chinesischer Waffenlieferungen - nicht nur aus Infanterie, sondern auch aus anderen Waffengattungen bestand;

»das ganze Volk«, wie es Giap marxistisch formuliert, »in einer festen Nationalen Front zusammenzuschließen, die auf dem Bündnis von Arbeitern und Bauern beruht«.

Giap: »Darin liegt der Schlüssel zum Sieg.« Das bestätigten nicht nur andere Bücher schreibende Praktiker des Partisanenkrieges. Das fanden auch jene französischen Obersten heraus, die in Vietnam gegen Giap fochten. Maos Schriften studierten und seine Lehren später in Algerien anzuwenden suchten.

Einer von ihnen, Colonel Gabriel Bonnet, brachte den Partisanenkrieg auf eine quasi-matheimatische Formel. Sie lautet: RK = G + P. Das soll heißen: Revolutionäre Kriegführung ist die Summe von Guerilla-Kampf und psychologisch-politischen Operationen.

Im Guerilla-Kampf soll die zunächst kleine Partisanentruppe zu einer regulären Armee anwachsen, während ihr psychologisch-politische Operationen die Unterstützung des Volkes sichern, damit sich die Partisanen innerhalb der Bevölkerung »wie Fische im Wasser« (Mao) bewegen können.

Wer also, so folgert Bonnet, eine Partisanenbewegung zerschlagen will, muß zweierlei tun: verhindern, daß die Partisanen die Bevölkerung für sich gewinnen, und hart eingreifen, sobald sich aus diesen Partisanen eine reguläre Truppe bildet.

Im siebenjährigen Algerienkrieg erprobten Frankreichs Kolonial-Obristen die bei General Giap gelernten Lektionen, von der psychologischen Beeinflussung der Bevölkerung, über die Methodik des Partisanenkampfes bis zur systematischen Anwendung der Folter.

In den Jahren 1957 und 1958 säuberte General Massus berühmt-berüchtigte 10. Fallschirmjäger-Division die Stadt Algier Straße für Straße von bombenwerfenden Moslems.

In den folgenden Jahren zersprengten Jagdkommandos der französischen Armee in einer Reihe blitzschneller Operationen die Feldtruppen der FLN; 1960 waren alle Einheiten der Algerischen Befreiungsarmee von Bataillonsstärke zerschlagen. Gleichzeitig begannen Indochina-erfahrene französische Offiziere auch den politischen Apparat der FLN aufzubrechen.

Als schließlich das Waffenstillstandsabkommen 1962 in Evian unterzeichnet wurde, zählte die Algerische Befreiungsarmee innerhalb Algeriens nach Ansicht des französischen Oberkommandos nur mehr 4000 Kämpfer, nach dem Urteil liberaler Franzosen etwa 10 000, die von insgesamt 60 000 Mann im Jahre 1959 übriggeblieben waren. Ihre stärksten Kräfte standen in den Nachbarländern Tunesien und Marokko.

Wichtigster Arm der algerischen Befreiungsbewegung blieb deshalb ihr politischer Apparat, insbesondere die algerische Exilregierung, die einen unablässigen Druck auf die Weltmeinung ausübte; ihr verdankte sie schließlich den Sieg.

Die Franzosen erlebten in Algerien kein Dien-Bien-Phu. Sie wußten zu verhindern, daß der Krieg die entscheidende »dritte Phase« erreichte: In Algerien kämpfte niemals eine Rebellen -Armee in offener Feldschlacht wie in Vietnam.

Aber der Krieg in Nordafrika war politisch und psychologisch nicht zu gewinnen. Frankreichs an Mao und Giap geschulte Obersten vermochten der algerischen Bevölkerung nur blinden Gegenterror, aber keine attraktive politische Alternative zu bieten. Deshalb mußten sie verlieren.

Auf Zypern scheiterten die Briten aus ähnlichen Gründen. Die Eoka-Kämpfer des pensionierten griechischen Obersten Georgios Grivas, genannt »Dighenis«, heute mit 66 Jahren hochdekorierter General und Oberbefehlshaber aller bewaffneten griechisch-zypriotischen Kräfte, brachten ihnen eine »empfindliche moralische Niederlage« (Grivas) bei. Dabei hatten die zypriotischen Partisanen in den 46 Monaten ihres Kampfes (1955 bis 1959) nie mehr als 100 Maschinenpistolen, 40 Karabiner, 300 Pistolen und einige hundert Jagdwaffen gegen 40 000 Mann gut ausgerüsteter englischer Truppen aufzubieten.

Grivas, den 300 britische Geheimagenten vergebens jagten, vermochte zwar mit seinen Untergrundkriegern nie zur offenen Feldschlacht anzutreten, aber er gewann, wie er selbst schreibt, »die vorbehaltlose Hilfe der Mehrheit der Bevölkerung«.

»Wenn meine Stimme laut wurde«, berichtet Grivas stolz in seinem Buch über den Eoka-Kampf und Partisanenkrieg, in dessen Anhang nützliche Rezepte für Sprengstoffmischungen und Bombenfabrikation zu finden sind, »standen die Griechen der Insel hinter mir und waren zu jedem Opfer bereit*.«

Für Grivas war nicht die physische Wirkung der Waffen entscheidend, sondern die verfeinerte psychologische Kriegführung; mit ihr zwang er England zu politischen Zugeständnissen und schuf die Voraussetzung dafür, daß Zypern 1960 ein unabhängiger Staat wurde.

Während Zyperns Eoka-Kämpfer die Weltöffentlichkeit mit Bombenwürfen und Flugblättern beunruhigten, begann Fidel Castro mit zwölf Verschworenen im Dezember 1956 seinen Partisanenkrieg in der unwegsamen Sierra Maestra auf Kuba. Als Diktator Batista am Neujahrstag 1959 ins Exil floh und tags darauf die ersten Rebellen in Havana einmarschierten, war aus dem Dutzend bärtiger Fidelisten ohne allzuviel Blutvergießen eine Armee geworden.

Nur 250 Partisanen fielen für den Sieg Castros, der sich zu einem Meister der politisch-psychologischen Kriegführung entwickelte, zunächst auch die Amerikaner beeindruckte und das gequälte Volk Kubas mit dem Versprechen der Bodenreform für sich gewann. Fünfmal soviel Anhänger des gestürzten Batista-Regimes starben wenig später im Feuer der fidelistischen Exekutionskommandos.

An der Seite Castros wurde der argentinische Arzt Dr. Ernesto ("Ché") Guevara, 37, der seinen Mao genau gelesen hatte, zum Experten des Partisanenkrieges. Heute ist sein 1960 geschriebenes Buch »La Guerra de Guerillas« - es erschien 1962 unter dem Titel »Der Partisanenkrieg« auch im Militärverlag der DDR - als Nachschlagewerk für künftige Revolutionäre in Zehntausenden von Exemplaren auf dem südamerikanischen Kontinent verbreitet und in zahlreiche Sprachen übersetzt*.

Guevara, zur Zeit Kubas Industrieminister, lehrt den Krieg aus dem Rucksack. Er macht den Partisanen zum ideologischen Wanderprediger, zum »Umgestalter der Gesellschaft« insbesondere in unterentwickelten landwirtschaftlichen Gebieten, sieht aber wie die großen asiatischen Lehrmeister - den Sieg erst in der Nähe, »wenn die sich ständig vergrößernde Partisanen-Armee den Charakter einer regulären Armee annimmt«.

Guevaras Partisanen-Rucksack ist nahezu unerschöpflich. Er birgt Unterwäsche zum Wechseln und wenn möglich ein zweites Paar Schuhe, aber auch Zucker, Salz, Schmalz, Zwiebeln. Knoblauch und Fischkonserven - wegen ihres hohen Nährwertes.

Der reinliche Partisan - der auf Kuba ebenso wie im Dschungel Vietnams seine Nächte in einer Hängematte verbringt - packt Seife, Kamm und Zahnbürste hinzu und vergißt auch Penicillin, Aspirin und Malariamittel nicht. Er besitzt das Nötigste zur Waffenpflege, denn »der Lauf seines Gewehres muß spiegelblank sein«. Außerdem stopft ihm Guevara noch Notizbuch, Bleistift, Federhalter, Bindfaden, Nadel, Zwirn. Knöpfe, Streichhölzer und Feuerzeug, Topf, Teller, Löffel und Jagdmesser in sein Gepäck.

Auch ein Buch, meint der Guerilla-Autor, sollte im Partisanen-Rucksack nicht fehlen, möglichst die »Biographie eines Volkshelden vergangener Zeit«, damit sich die Partisanen in ihrer reichlichen Freizeit nicht »unwürdigen Beschäftigungen« hingeben.

Weil aber »all diese Dinge zusammengenommen nicht wenig Gewicht haben« und außerdem automatische Waffen, Minen, Panzerfäuste und Munition zu schleppen sind, empfiehlt »Ché«, auf je zehn Kampf-Partisanen zwei bis drei unbewaffnete Träger-Partisanen zu beschäftigen. Sein Rat: »Die Bewaffnung des Partisanen soll die gleiche sein wie die des Gegners, um die ihm abgenommene Munition verwenden zu können.«

Von Folter und Terror hält Partisanen-Theoretiker Guevara erstaunlich wenig, es sei denn »in Sonderfällen ein Attentat« gegen einen hochstehenden »Unterdrücker«. »Einfache Leute« aus dem gegnerischen Lager dürften auf keinen Fall durch Terror beseitigt werden. Außerdem müßten die Partisanen, so lehrt Guevara, »alles, was die ... sympathisierende Bevölkerung an Versorgungsgütern zur Verfügung stellt, voll bezahlen«, und sei es mit »Hoffnungswechseln« auf den künftigen Sieg.

Nur zweimal sind bisher, trotz der Rezepte Maos und seiner Schüler, Partisanenbewegungen nach jahrelangen Kämpfen unterlegen: 1950 in Griechenland und 1960 in Malaya. Ihnen gelang weder die Umwandlung in eine reguläre Armee, noch fanden sie auf die Dauer die Unterstützung der Volksmehrheit.

Sechs Jahre brauchte die mit amerikanischer Hilfe nach Kriegsende neu aufgestellte griechische Armee, ehe sie den entscheidenden Sieg über die Partisanen der »Griechischen Volksbefreiungsarmee« (Elas) errang. Zeitweilig beherrschten die kommunistischen Elas -Verbände, von der Sowjet-Union, Albanien, Bulgarien und - bis 1948 auch von Jugoslawien unterstützt, das ganze Land außerhalb der größeren Städte.

Elas drohte auch Athen zu besetzen, hätten nicht britische Truppen eingegriffen und den Vorstoß abgewehrt. Mit zehnfacher zahlenmäßiger Überlegenheit und großzügiger Dollar-Hilfe siegte schließlich Griechenlands Feldmarschall Papagos.

In Malaya vermochten 80 000 Briten, Australier, Neuseeländer und Nepal -Gurkhas sowie 180 000 Mann malaiischer Miliz und Polizei erst nach zwölf Jahren (1948 bis 1960) etwa 8000 kommunistische Partisanen ausschließlich chinesischer Herkunft aufzureiben. Das gelang, weil Malaya keine gemeinsame Grenze mit einem kommunistischen Staat hat, also ausländische Hilfe spärlich floß, und seine zur Hälfte malaiische, zur Hälfte chinesische Bevölkerung den Partisanen schließlich Unterkunft und Verpflegung verweigerte.

Englands Erfolge in Malaya suchten die USA in Südvietnam nachzuahmen. Dort hatte der zweite Indochinakrieg, den wiederum General Giap virtuos von Hanoi aus, dirigiert, 1957 mit einigen kleinen Partisanen-Scharmützeln begonnen, als die 1954 auf der Genfer Indochina-Konferenz für Juli 1956 versprochene »Wiedervereinigung durch freie Wahlen« ausblieb.

Die wichtigste Waffe der Vietcong war zunächst der Terror, mit dem sie sich Südvietnams bäuerliche Bevölkerung gefügig machten. Ihm fielen 1957 rund 470 Dorfälteste und örtliche Beamte zum Opfer. 1959 wurden bereits 1600 Dorfälteste ermordet; 1960 waren es 4000; insgesamt wurden etwa 13 000 getötet.

Damit entglitt der Regierung in Saigon trotz amerikanischer Hilfe die Herrschaft über die 15 000 Dörfer ihres Landes. Ein Versuch - nach britischem Vorbild in Malaya-, jede Siedlung in ein befestigtes »Wehrdorf« zu verwandeln, scheiterte 1962. Nur noch die größeren Städte und ihre nähere Umgebung blieben in der Hand des Regimes.

Die regulären Vietcong-Streitkräfte wuchsen von 8000 im Jahre 1960 auf heute 35 000 Mann, die lokalen Partisanen, die sich mit schlechten Waffen und halbem Sold begnügen müssen, auf fast 100 000.

Eine Zeitlang versuchten die Amerikaner in Vietnam, die Partisanen mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Sie rieten zur Aufstellung von südvietnamesischen Ranger-Kompanien, die non Amerikanern gedrillt und von US-Helikoptern zum jeweiligen Kampfplatz geflogen wurden. Die Ranger sollten nach Partisanenart kämpfen: den Feind überraschen, ihn nachts überfallen und sich danach blitzschnell zurückziehen. Aber auch die US-gedrillten Vietnam-Ranger schafften es nicht, der Vietcong Herr zu werden.

Im Sommer 1964 schienen die USA ein neues Rezept für den Krieg in Vietnam entdeckt zu haben. Henry Cabot Lodge, Sonderbotschafter des amerikanischen Präsidenten, zitierte auf einer Pressekonferenz in Paris das Buch des französischen Obersten Roger Trinquier, das 1961 unter dem Titel »La guerre moderne« (Der moderne Krieg) erschienen war*.

Die USA planten, so sagte Cabot Lodge seinen überraschten Zuhörern, in Südvietnam nach denselben Methoden vorzugehen, die Colonel Trinquier ursprünglich für die Bekämpfung der algerischen Rebellen ausgearbeitet habe. Trinquiers Ideen hätten in Algerien »zu glänzenden Ergebnissen geführt«.

Roger Trinquier, heute 57, zunächst Geschichtslehrer, später Offizier der französischen Kolonial-Infanterle, wurde in Indochina zum Experten des Partisanenkrieges, des »modernen Krieges«, wie er ihn nennt. In Algerien diente er als Adjutant General Massus und kommandierte als Oberst das 3. koloniale Fallschirmjäger-Regiment.

Von Trinquier stammt der zunächst so erfolgreiche Plan, nach dem die »Paras« die Kasbah, Algiers winklige Altstadt, Haus für Haus durchkämmten und die FLN-Kämpfer aus ihren Verstecken zerrten. Von ihm wurden auch jene weißen Söldner angeworben und ausgebildet, die 1961 für den Katanga -Präsidenten Moise Tshombé gegen die Uno-Truppen kämpften. Für diese Leistung wurde der Colonel von Tshombé, der inzwischen zum Kongo -Premier avanciert war, Anfang 1964 mit mehreren hunderttausend Franc entschädigt.

Trinquiers Gedanken über den Partisanenkrieg, die Cabot Lodge so bemerkenswert fand, sind von brutaler Logik. Der Oberst macht keine geistigen Anleihen bei Mao oder General Giap, er denkt über sie hinaus. »Das Ziel des modernen Krieges«, sagt Trinquier, »ist die Eroberung der Bevölkerung. Der Terror ist dafür die geeignete Waffe.« Und zwar, wie der Colonel lehrt, nicht nur für die Rebellen, sondern auch für die herrschende Macht, deren Regime gestürzt werden soll.

Trinquiers Analyse: »Wir haben uns im modernen Krieg nicht nur mit einigen bewaffneten Banden herumzuschlagen ... sondern mit einer straff organisierten Geheimarmee, deren wichtigste Aufgabe es ist, der Bevölkerung ihren Willen aufzuzwingen.« Und weiter: »Der Sieg kann nur erreicht werden durch die vollständige Zerstörung dieser (Untergrund-)Organisation.«

Trinquiers Schlußfolgerung: Wenn die revolutionäre Geheimarmee den Terror benutzt, um sich die Massen des Volkes gefügig zu machen, so ist der Gegenterror der Ordnungsmacht das legitime Mittel, um die von den Rebellen »eroberten« Massen zurückzugewinnen und die Bevölkerung vor den Partisanen zu schützen.

Für diesen »modernen Krieg« entwirft Untergrund-Experte Trinquier ein besonderes Kriegsrecht, das eine Art Chancengleichheit zwischen dem Soldaten herkömmlicher Art und dem modernen Terroristen herstellen soll. Der Soldat erleide auf dem Schlachtfeld Verwundung oder Tod, schreibt der Colonel; der aus dem Hinterhalt operierende Terrorist aber müsse damit rechnen, wenn er gefangen werde, Schmerz oder gar Tod auf der Folterbank zu erdulden.

Der Kolonial-Oberst empfiehlt, die schmerzhafte Befragung durch besondere »Spezialisten« vornehmen zu lassen, die keine überflüssigen Fragen stellen. Meist genüge es, von den Gefangenen die Namen ihrer Vorgesetzten oder ihrer Untergebenen zu erfahren, um die Geheimorganisation aufzubrechen.

Die Bevölkerung aber gedenkt Trinquier durch ein fein verästeltes polizeiliches Kontrollsystem zu schützen. Jeder Bürger wird numeriert, in Karteien festgehalten, von Nachbarn unauffällig überwacht. Jeder bespitzelt jeden, doch der Verlust an Freiheit wird, wie der

im Partisanenkrieg erprobte Kolonial -Infanterist meint, durch den Gewinn an Sicherheit reichlich aufgewogen. Kein Partisan könnte sich mehr »wie ein Fisch im Wasser« (Mao) bewegen; er würde vielmehr zum »Gefangenen des Volkes«.

Trinquiers »Dienstanweisung« für den Partisanenkrieg klingt in sich sehr konsequent, doch konnte sie einer parlamentarischen Demokratie wie den USA kaum als strategische Richtschnur dienen.

Überdies war die Chance für einen Sieg nach der Methode Trinquier bereits verpaßt. Amerikas Militär und Geheimdienstagenten hatten im November 1963 zugelassen, daß mit der Ermordung des südvietnamesischen Staatschefs Ngo Dinh Diem die einzige autoritäre Macht zerbrach, die im Kampfe gegen die Vietcong Terror und Folter als Gegenmittel hätte benutzen können.

Noch hat die Führungsmacht der westlichen Welt kein wirksames Mittel gefunden, um die drohende Niederlage in Südostasien abzuwenden. Weder das Studium der Schriften Mao Tse-tungs noch Taylors Ratschläge, noch die Terror-Methoden Trinquiers bieten einen Ausweg. Der Sieg scheint unerreichbar, die Kapitulation undenkbar.

Beide Seiten haben sich festgerannt und den Kampf in den Dschungeln Indochinas zur grundsätzlichen Auseinandersetzung zwischen der Strategie der Partisanen und der konventionellen Kriegführung proklamiert.

»Wenn wir diese kleine Nation in ihrem Kampf im Stich lassen, welche andere kleine Nation hat dann überhaupt noch eine Chance«, verteidigte Präsident Johnson den verschärften Krieg Amerikas in Vietnam.

General Giap aber prophezeite: »Wenn wir die Amerikaner in diesem Krieg schlagen können, dann können wir sie immer und überall schlagen.«

* Mao Tse-tung: »Selected Military Writings«. Foreign Languages Press; Peking 1963.

* Vo Nguyen Giap: »People's War -Peoplers Army«. Foreign Languages Publishing House. Hanoi 1961.

* Georgios Grivas-Dighenis: »Partisanenkrieg heute«. Bernhard & Graefe Verlag für Wehrwesen, Frankfurt am Main 1964.

* Ernesto Ché Guevara: »Der Partisanenkrieg«. Deutscher Militärverlag. Berlin (Ost) 1962.

* Roger Trinquier: »La guerre moderne«.

Editions de la Table Ronde, Paris 1961.

Getroffener Vietnam-Soldat: Mit Molotow-Cocktails die Welt verändert

Partisanen-Stratege Giap

Der Fisch im Wasser ...

Partisanen-Stratege Grivas

... wird zum Gefangenen des Volkes

Partisanen-Stratege Mao

Zermürben bis zur Erschöpfung

Partisanen-Stratege Trinquier

Der Terror wird ...

Partisanen-Stratege Guevara

... zur entscheidenden Waffe

Sowjet-Partisanen bei Befehlsempfang (1942) 300 000 deutsche Soldaten getötet

Schulung bei Schanghai (1949)

Vormarsch auf Dien-Bien-Phu (1954)

Besetzung der Stadt Fomento (1958)

Siegreicher Partisanenkrieg in China, Indochina, Kuba: Mit Hängematte und Heldenbiogrophie ...

Gefangene Guerillas bei Algier (1959)

Gefangene Guerillas In Nicosia (1957)

... Regierungen gestürzt und Staaten erobert: Siegreicher Partisanenkrieg in Algerien, Zypern

Besiegte Partisanen in Malaya: Nach zwölf Jahren ...

Besiegte Partisanen in Griechenland

... an zehnfacher Übermacht gescheitert

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