Zur Ausgabe
Artikel 44 / 88

FRANKREICH Robert der Eroberer

Er kauft, gegen das Gesetz, Zeitung auf Zeitung. Bisher konnte ihn keiner daran hindern. *
aus DER SPIEGEL 3/1986

Robert Badinter, Justizminister und Freund des Staatschefs Francois Mitterrand, ist der bevorzugte Watschenmann der französischen Rechten. Und immer wenn sie ihn anklagt, er schreite gegen linke Demonstranten, Terroristen und Straftäter jeder Art nicht hart genug ein, tut sich der konservative »Figaro« durch Moral und Schärfe besonders hervor.

Denn keine »zivilisierte Gesellschaft«, so der unerbittliche »Figaro«-Chefredakteur Max Clos, »kann ohne Regeln leben«.

Anfang vergangener Woche erhörte - endlich - der Sozialist Badinter seine rechten Kritiker und ordnete ein Ermittlungsverfahren gegen einen ebenso bedeutenden wie notorischen Gesetzesbrecher an: den französischen Pressekönig Robert Joseph Emile Hersant, 65, Eigentümer von insgesamt 19 Tageszeitungen, darunter des Pariser »Figaro«.

Als er kürzlich sein 20. Blatt, den »Le Progres« in Lyon, aufkaufte und dazu bei der »Union« in Reims die Kontrolle übernahm, erschütterte »die H-Bombe«, so heißt Hersants Expansion inzwischen, Frankreichs Presse- und Politwelt.

Der Justizminister will beim Straßburger Europa-Parlament die Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Hersant beantragen, um ihn wegen Verstoßes gegen französische Antimonopolgesetze anzuklagen.

Daß Hersant je vor Gericht erscheinen muß, ist dennoch zweifelhaft. Denn der »Papierfresser« (so die linke »Liberation") ist politisch und publizistisch allzu mächtig. Obwohl zwei Gesetze - eins schon von 1944, das andere von 1984 - die Vielfalt der Presse mit hohen Geldstrafen und gar Berufsverbot schützen, konnte »Robert der Eroberer« ("Le Matin") sein Reich über die Jahre ungehindert vergrößern.

Anders nämlich als in der Bundesrepublik überwacht in Frankreich kein unabhängiges Kartellamt die Einhaltung von Antitrustgesetzen, das obliegt den Regierungen. Und die hatten, ob rechts oder ob links, immer opportunistische Gründe, Hersant zu hofieren oder wenigstens unbehelligt zu lassen.

Selbst die von den Hersant-Blättern seit Jahren bekämpften Sozialisten sind mit ihm lange eher nachsichtig umgegangen. »Wieso benimmt er sich, als ob ihm Straffreiheit sicher sei?« fragte »Le Monde« und: »Wird Hersant durch Monsieur Mitterrand geschützt?«

Mysteriös waren oft seine Geldquellen. Einen Teilkaufpreis von 30 Millionen Franc für den »Figaro« beispielsweise soll Hersant dem Verkäufer aus fünf Koffern bar auf den Schreibtisch geschüttet haben.

Zum Hersant-Verlag gehören die beiden überregionalen Blätter »Le Figaro« und »France-Soir« sowie verschiedene Sonntagszeitungen, ein Netz von Regionalblättern sowie an die 20 Zeitschriften, darunter Fachblätter für Reiter und Gärtner, Köche, Jäger und Autofahrer. Gesamtauflage der Blätter der Hersant-Gruppe: über vier Millionen Exemplare. Meist über seine Zeitungen besitzt Hersant auch Anteile an 30 lokalen Radiostationen.

Mit überlegenem Sachverstand, das geben sogar seine Gegner zu, rettete Hersant etliche bankrotte Blätter vor dem Untergang, darunter den »Progres«.

Das Flaggschiff »Le Figaro« - notleidend, als Hersant kam - legte unter ihm um 17,1 Prozent Auflage zu. Seit dem 3. Januar dieses Jahres trägt das Blatt den Untertitel »führende nationale Zeitung Frankreichs« - ein Sieg über den absteigenden linken »Monde«.

Da Hersant mit seinen Rettungskäufen Arbeitsplätze sicherte, ließen ihn auch die Gewerkschaften in Ruhe. Er hat sogar ein gutes Verhältnis zur kommunistischen Druckergewerkschaft.

Die Lyoner Zeitungsholding, die außer dem »Progres« acht weitere Titel besitzt, war mit mindestens 40 Millionen Mark verschuldet - niemand außer Hersant wollte sie haben.

Dieser Erwerb bescherte dem Verleger ein Beinahe-Pressemonopol im Rhone-Alpen-Gebiet. Denn das andere große Blatt dieses Raums, »Le Dauphine libere« in Grenoble, gehört ihm schon.

In Frankreichs Presse und unter Politikern - soweit sie dem Magnaten nicht gehören oder ihm nicht nahestehenbrach ein Sturm los. Desavouiert bis zur Lächerlichkeit war vor allem die sozialistische Regierung. Die hatte nämlich, als Rache für Hersants langjährige Sozialistenfeindlichkeit und als Abwehr gegen seine Tendenz zum Monopol, im Oktober 1984 ein Pressegesetz geschaffen, dessen Ausnahmecharakter eindeutig war - die »lex Hersant«.

Danach darf niemand mehr als drei überregionale Zeitungen besitzen, wenn deren Auflage 15 Prozent der Auflage

von Blättern mit landesweiter Verbreitung überschreitet. Und niemand darf mehr als zehn Prozent aller Zeitungen - regionaler und überregionaler - kontrollieren. Schließlich müssen Zeitungstransaktionen einer »Kommission für Transparenz und Vielfalt der Presse« gemeldet werden.

Die von des »lex Hersant« gesetzten Prozentgrenzen hatte Hersant freilich schon früher überschritten, aber nach einem Urteil des Verfassungsgerichts durfte das Gesetz nicht rückwirkend angewendet werden. Die beiden jüngsten Aufkäufe aber waren ein klarer Gesetzesverstoß: Hersant kontrolliert nun 38 Prozent der landesweit verbreiteten Zeitungen und 26 Prozent der Regionalpresse.

Hersant ist ein ungewöhnlicher Verleger-Typ. Ebenso geschäftstüchtig wie Deutschlands Axel Springer oder Australiens Rupert Murdoch, ist er zugleich ein schillernder politischer Aktivist: In seiner Jugend gehörte er der faschistischen »Jeune Front« an.

In der Vierten Republik war er linksliberaler Radikalsozialist, Anhänger des linken Mendes France und stand Mitterrands kleiner »Union democratique et socialiste de la Resistance« nahe. Wie Mitterrand erhielt er vom damals linken »Express« die »Phrygische Mütze«, einen Preis für linkes Engagement.

Mitterrand hat ihm laut »Le Monde« nie vergessen, daß der Abgeordnete Hersant 1959 gegen die Aufhebung der Immunität des Senators Mitterrand kämpfte, als dieser von Rechten beschuldigt wurde, am Pariser Observatorium ein Attentat gegen sich selbst inszeniert zu haben. »Francois Mitterrand hat so seine Freundschaften«, deutete Mitterrands früherer Kabinettschef Andre Rousselet an.

Und schließlich: Der Sozialist Mitterrand richtet sich auf eine »cohabitation« ein, das politische Zusammenleben mit einer rechten Parlamentsmehrheit nach den Wahlen im März. Offenbar will er mit der Hersant-Presse einen Kohabitations-Frieden schließen, damit diese das schwierige Experiment nicht bekämpft.

So erklären viele Franzosen die verblüffende Tatsache, daß Hersant sein Pressereich auch unter den Sozialisten gewaltig erweitern konnte. Nach den Parlamentswahlen vom 16. März dürfte er politisch noch besser dastehen.

Er selbst erhielt einen sicheren Listenplatz bei der rechtsliberalen UDF Valery Giscard d'Estaings. Mit ihm werden 15 bis 20 Abgeordnete in die neue Nationalversammlung einziehen, die auf seinen Gehaltslisten stehen oder ihm geschäftlich verbunden sind - darunter der frühere gaullistische Justizminister Alain Peyrefitte, heute unter anderem Kolumnist des »Figaro«. Sozialistenchef Lionel Jospin: »Ein gefährliches politisches Phänomen.«

Pariser Medienexperten glauben, daß Hersant seine neuen Akquisitionen auch deshalb in Ruhe tätigte, weil seine rechten Polit-Freunde ihm zugesichert haben, nach ihrem als sicher geltenden Wahlsieg im März die »lex Hersant« von 1984 abzuschaffen. Dann hätte Hersant endgültig freies Spiel.

Als der »Progres« an Hersant fiel, erinnerte sich die Öffentlichkeit, daß sich die Regierung erst kurz zuvor durch einen anderen Medienskandal ins Zwielicht gebracht hatte: Der Staatspräsident schanzte einer Finanzgruppe um den italienischen Fernseh-Magnaten Silvio Berlusconi die Rechte für ein - privates - fünftes TV-Programm in Frankreich zu.

Berlusconi, in Italien wegen seiner populären Trivialprogramme »Totengräber des italienischen Films« genannt, erhielt so günstige Bedingungen, daß sein Vertrag mit der Pariser Regierung vom Staatsrat, dem höchsten Verwaltungsgericht, überprüft werden soll.

Wird das französische Staatsfernsehen nach einem Wahlsieg der Opposition privatisiert - was viele Rechte anstreben -, steht bereits ein Käufer bereit: Robert Hersant. Daß ihn weder Proteste noch Gesetze stoppen können, verkündete er in einem Leitartikel vorige Woche im »Figaro": »Ich gehe meinen Weg weiter.«

Auch Justizminister Badinter wird ihn dabei wohl nicht stoppen: Daß die Europa-Parlamentarier wegen einer Presserechtsaffäre die Immunität eines Abgeordneten aufheben könnten, ist gänzlich unwahrscheinlich - nicht mal Badinter ist davon überzeugt.

Zur Ausgabe
Artikel 44 / 88
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten