LEBENSMITTEL Roß gnua
Seit Rind- und Schweinemetzger Walter Lichti aus dem pfälzischen Lampertheim im letzten Herbst beschlossen hat, »auf Pferd zu machen«, kommt zu ihm Kundschaft aus »60 Kilometer Umkreis mit kleinen und großen Autos«. Im nahen Mannheim eröffnete Lichti sogar schon eine Filiale.
Pferdemetzgermeister Siegbert Schulz verlegte seinen Laden aus dem eher ärmlichen Franzosenviertel am Münchner Ostbahnhof zum Viktualienmarkt in Münchens City. Nun hat er »vui« Kunden und ein »wirklich guats Gschäft beieinander«.
Nicht anders geht es Peter Degen, Pferdeschlachter im Hamburger Stadtteil Eppendorf. Gulasch, Roulade und Filet, besonders aber Degens »nach geheimgehaltenem, eigenem Rezept« gefertigte »Roßknacker« laufen so gut, daß er seinen Betrieb erweitern mußte.
Kein Zweifel: Das Pferd, in deutschen Küchen bislang verpönt und mit gerade 100 Gramm je Kopf und Jahr unter den Fleischarten am Ende der Verbraucherstatistik, ist »guat im Kommen« (Schulz).
Daß Pferdefleisch wieder mehr verlangt wird, könnte am wachsenden Gesundheitsbewußtsein liegen: Pferd ist fettarm und sehr eiweißreich. Dem Roß Fleisch werden zudem besondere Heilkräfte zugeschrieben; Metzger Schulz glaubt zum Beispiel, er habe »damit mei Rheumatisch wegbracht«.
Pferdefleisch hebt sich durch seine Würze und seinen leicht süßlichen Eigengeschmack von den oft wäßrigen Produkten aus den EG-Schweine- und -Rinderzuchtfabriken ab. Auch wem vor Östrogen und Antibiotika im Fleisch von aufgedunsenem Mastvieh graut, ist beim Roßschlachter gut bedient.
Ängste vor Umweltgiften wiegen bei gesundheitsbewußten Kunden nun offenbar schwerer als jahrhundertealte Vorurteile. Besonders bei den Deutschen wirkten Ermahnungen von Papst Gregor III. lange fort, der im 8. Jahrhundert den Genuß von Pferd als heidnisches Laster gebrandmarkt und verboten hatte.
Immer noch gilt Pferd, obwohl heute fast so teuer wie Rind, als Essen armer Leute. Und während etwa 20 Prozent aller Franzosen regelmäßig Roß essen, schaudern viele Deutsche davor zurück, Kamerad Pferd in die Pfanne zu hauen.
Solche Vorurteile schlagen sich in speziellen Vorschriften nieder. Das Fleischbeschaugesetz enthält einen besonderen »Pferdefleisch«-Paragraphen 18, der bei Bedarf per Sonderanordnung außerdem auch »auf Hunde und andere
Tiere, die seltener geschlachtet ... werden ... anzuwenden« ist.
So darf Pferd nicht mit anderen Fleischarten in denselben Räumen »feilgehalten oder verkauft« werden. Ein Wirt, der Roß auf die Speisekarte setzt, braucht eine besondere Konzession und muß »besonders erkennbar« machen daß Pferd »zur Verwendung kommt«. Eigentlich sei heute, meint Uwe Werner von der Kieler »Alten Räucherei«, eher vor Schwein zu warnen. Das Lokal hat, eine Seltenheit, gebratenen und gesottenen Gaul auf der Karte.
Feinschmecker-Blätter, Kochbücher und Profi-Literatur sparen Rezepte zur fachgerechten Zubereitung von Pferdefleisch noch aus. Helmut Roock, Leiter des Beirates »Kochkunst« im Verband der Köche Deutschlands, hält es für unvorstellbar, daß »die feine Gastronomie Pferdefleisch verarbeitet«.
Dazu fehlte bis vor einigen Jahren auch der Rohstoff. Die Motorisierung der Landwirtschaft hatte den potentiellen Fleisch-Lieferanten Pferd rar werden lassen. Existierte früher in jeder Kleinstadt wenigstens eine Pferdemetzgerei, so gibt es nun etwa in der Region nördlich der Elbe, Hamburg eingeschlossen, gerade ein Dutzend.
Doch der Nachschub klappt wieder. Pferdefleisch wird aus Polen und anderen Ostblockstaaten importiert. Außerdem gibt es, so Metzgermeister Schulz, »Roß ja auch wieder gnua, weil der Reitsport zuag'nomma hat«.
Selbst der Bundestag liegt im Trend. Ein »Gesetz zur Änderung des Fleischbeschaugesetzes«, an EG-Richtlinien angepaßt, soll noch dieses Frühjahr in Kraft treten. Dann entfallen die Sondervorschriften für Pferdefleisch.