Umweltschutz Rot wie Himbeersaft
Ein »Alouette-Hubschrauber der hessischen Polizei setzte am Rheinufer bei Ludwigshafen auf, nahe am Werksgelände der Badischen Anilin& Soda-Fabrik AG (BASF). Staatsanwalt Friedrich Birkel vom Landgericht Wiesbaden kletterte aus der Glaskanzel und füllte an der Flußböschung drei Flaschen Wasser ab -- genau dort, wo aus einem Düker trübe Brühe in den Strom strudelte.
Ebenfalls eine staatliche »Alouette« landete am Mainufer bei den Opelwerken in Rüsselsheim. Polizeioberrat Gerhard Träxler, Chef der hessischen Wasserschutzpolizei, ließ drei Kolben mit schillerndem Schmutzwasser vollaufen. das vom Fabrikgelände in den Fluß eingeleitet wurde.
Die Wasserproben von Birkel und Träxler wurden in Wiesbaden beim Landesamt für Gewässerkunde und in der Landesanstalt für Umwelt analysiert. Die Folge: Ermittlungsverfahren gegen Opel und BASF wegen »schädlicher Verunreinigung eines Gewässers«. Paragraph 38 des Bundes-Wasserhaushaltsgesetzes von 1957 droht hierfür Geldbußen oder -- in schweren Fällen -Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren und Geldstrafen an.
Seit Bürger und Behörden, Professoren und Politiker Ausmaß und Gefahren der Umweltverschmutzung erkannt haben, müssen Unternehmen mit Beobachtung und Strafbefehlen rechnen, vor allem in Hessen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Dort ballen sich an Rhein und Main -- etwa bei Ludwigshafen, Frankfurt und Leverkusen -- Chemiekonzerne, deren Abwässer und Abgase die weite Umgebung verschmutzen und gefährden können.
Der Main zum Beispiel ist nach den Feststellungen ·des Senckenberg-Forschungsinstituts in Frankfurt zwischen der Main-Metropole und »Mainz, wo allein die Farbwerke Hoechst mehrere Produktionsstätten betreiben, »stets fischfrei und insgesamt biologisch ein verödetes Gewässer« -- weil der für pflanzliches und tierisches Leben nötige Sauerstoff durch chemische Abwässer aufgezehrt sei.
Auch oberhalb Frankfurts in Richtung Hanau, wo ebenfalls die Farbwerke, die Degussa und große Lederfabriken mit Gerbereien angesiedelt sind, ist der Main längst »biologisch Umgekippt« -- so der Hanauer Umweltschutz-Beauftragte Dr. Hermann Messer. Im Juli 1971 trieben dort tonnenweise verendete Fische mainabwärts -- Fingerlinge und Karpfen, Zander und Hechte« darunter 100 000 Junghechte, die erst kurz zuvor ausgesetzt worden waren.
Mitte Juli 1971 floß der Rhein zwischen Mannheim/Ludwigshafen und Wiesbaden über 44 Kilometer Länge »rot wie Himbeersaft« -- so Revierleiter Dieter Leonhard von der Wasserschutzpolizei in Gernsheim. Zwei Wochen zuvor war auch der Main von Kelsterbach bei Frankfurt über zwölf Kilometer als Rotlauf registriert worden.
Zwar hatte Generaldirektor Kurt Hansen von den Bayer-Werken in Leverkusen im März 1971 abgewinkt: »Wir von der Chemie haben nicht erst mit der Aktion sauberes Wasser begonnen, als dieses Thema in der Öffentlichkeit dem Sex und dem Verbrechen den Rang streitig machte.« Aber gerade die in jüngster Zeit publik gewordenen Ermittlungen gegen einige Industrie-Giganten legten rücksichtsloses und rückständiges Umwelt-Verhalten mancher Unternehmen bloß. Sie zeigten überdies die Grenzen von Polizei-Potenz und einschlägigen Verfolgungsverordnungen auf.
Vor einem Schöffengericht in Wiesbaden schimpfte der Geschäftsführer einer Klischieranstalt -- angeklagt und verurteilt wegen Abgang von Salpetersäure in das städtische Kanalnetz -- in der Karwoche, daß »man die Kleinen hängt und die Großen laufen läßt«. Zornig erhob sich darauf der Ankläger, Staatsanwalt Birkel, und benannte in öffentlicher Sitzung sieben Firmen von Weltruf, gegen die wegen des Verdachts der Umweltgefährdung ermittelt werde: > die Adam Opel AG in Rüsselsheim,
* die BASF in Ludwigshafen,
* die Farbwerke Hoechst in Frankfurt,
* die Hoechst-Tochter Chemische Werke Albert in Wiesbaden,
* die Hoechst-Tochter Kalle AG, Folienfabrik in Wiesbaden,
* die Glyco-Metall-Werke, Daelen & Loos GmbH, Gleitlagerfabrik in Wiesbaden,
* die Scheidemandel AG, Klebstoffhersteller in Wiesbaden.
Während im Fall Scheidemandel die Tierknochenverarbeitung je nach Witterung erhebliche Geruchsbelästigung und Luftverunreinigung verursachte, wurden die anderen Firmen der Verschmutzung von Rhein und Main bezichtigt -- durch Ablassen von Öl oder Paraffin-, säure- oder gifthaltigen Abwässern. Anklage ist bislang jedoch erst gegen zwei leitende Angestellte der Albert-Werke erhoben worden.
Ähnlich wie im jüngsten Karteilverfahren mit Geldbußen über 48 Millionen Mark gegen neun Kunststoff-Hersteller -- darunter ebenfalls die Farbwerke Hoechst und die BASF -- reagierten die angeprangerten Umwelt-Sünder unisono mit Protest und Unschuldsbeteuerungen. Die Opel AG etwa, die per Pressetelex auf »vorbildliche Reinigungsanlagen« hinwies, »tut alles, um ihrer Verpflichtung als industrieller Mitbürger zu genügen«.
Die Albert-Chemiker warfen Staatsanwalt Birkel vor, er habe sich »hochheizen und etwas aus dem hohlen Bauch locken lassen«. Gleichzeitig aber teilte das Unternehmen mit, eine vollbiologische Trennanlage, mit der allein Giftstoffe restlos beseitigt werden könnten, sei zwar vorgesehen, doch erst in zwei Jahren fertig.
Glyco-Direktor Hermann Köhler nannte Birkeis Behauptungen »schleierhaft« und eine »Unverschämtheit«. weil ein Ionen-Austauscher die Abwässer so gründlich von Blei säubere, daß wieder Frischwasser daraus werde. Die Firma will denn auch laut Ankündigung »gegen den verantwortlichen hohen Herrn vorgehen«.
Die Farbwerke Hoechst haben -- so ein Firmensprecher -- »ein sehr gutes Gewissen, was nicht ausschließt, daß irgendwo mal was Falsches passiert«. Noch fließt die Hälfte der Farb-Wasser nur mechanisch gereinigt, also mit gefährlichen Giften in den Main. Dieser Mißstand bereitet dem Unternehmen »noch Sorge«.
Ein Ermittlungsverfahren der Anklagebehörde in Frankfurt gegen die Farbwerke Hoechst wegen angeblicher Main-Verschmutzung durch eine »rote Flüssigkeit« (Staatsanwalt Gerhard Ott) ist inzwischen eingestellt, mögliche neue Sündenfälle werden noch chemisch und juristisch geprüft.
Die BASF verwahrte sich gegen das am 15. März von Wiesbaden an die Staatsanwaltschaft in Ludwigshafen abgegebene Ermittlungsverfahren unter Hinweis auf eine vom rheinland-pfälzischen Landwirtschaftsministerium bis Ende 1974 erteilte Genehmigung, wonach die BASF-Abwässer in den Rhein geleitet werden dürfen -- und zwar nur »mechanisch geklärt«, wie das Werk zugab. Erst Anfang 1975 wird eine biologische Großkläranlage zur Verfügung stehen.
Angesichts der industriellen Ausflüchte wunderte sich die »Süddeutsche Zeitung": »Bei Lichte besehen ist es ein Skandal, wenn ein großes Chemiewerk im Jahre 1972 zur Entschuldigung sagen kann: Unsere Kläranlage wird erst in zwei Jahren fertig.«
Auch der hessische Wasserschupo-Chef Träxler, der, wie er klagt, »ständig auf dieser Dreckbrühe herumfahren« muß, konstatiert: »Das Wasserhaushaltsgesetz ist 15 Jahre alt, Gemeinden und Firmen wissen seitdem genau, was los ist.« Deshalb sind die Wasser-Wächter »in puncto Sicherheitsvorschriften ungeheuer stur«.
Das bekommen »land- und wasserseitige Einleiter« (Träxler) kommunaler, industrieller oder Schiffabwässer immer stärker zu spüren. Seit Oktober 1971 stehen mindestens sechs bis acht »Wasserflüge« (Amtsjargon) je Monat auf dem Dienstplan der staatlichen Polizei Hessens. Ziel und Zeitpunkt dieser Einsätze, die auch telephonisch von Spaziergängern ausgelöst werden ("Hier fließt der Rhein ölig"). sind geheim.
Nunmehr, so glaubt Hessens FDP-Innenminister Hannsheinz Bielefeld, »haben Schmutzverursacher kaum Chancen, »den wachsamen Blicken der Hubschrauberbesatzungen zu entgehen« -- obwohl sich gerade die Flußkapitäne sofort über den von der Polizei mitgehörten Schiffssicherheitsfunk unterem -- ander wahrschauen: »Vorsicht, fliegende Wapo«.
Dann ist es meist schon zu spät, denn der im Helikopter mitfliegende Wasserpolizist hat längst öl- oder Farbschlieren mit einer Polaroid-Kamera photographiert. Gleichzeitig werden Polizeibarkassen oder Streifenwagen über Funk herbeibeordert, um Wasserproben zu entnehmen, während der Hubschrauber bereits den nächsten Schmutzpunkt anpeilt.
Als an einem dieser Aufklärungsflüge Staatsanwalt Birkel »zur Information« teilnahm, entdeckte er eine Schmutzströmung auf dem Rhein. Nach Funkabstimmung mit der Polizei von Rheinland-Pfalz überflog er die hessische Wassergrenze oberhalb von Worms und verfolgte den Dreckfilm bis zur BASF in Ludwigshafen, wo er dann mit Flasche und Film tätig wurde. »Christ und Welt« mokierte sich über die unbürokratischen Ermittler: »Demnächst werden sie wohl mit Fallschirmen im Zielsprung auf das Genick der Übeltäter fallen. 007 Birkel gab das Zeichen.«
Seit Herbst letzten Jahres löste die hessische Wasserschutzpolizei, die eng mit den Kontroll-Kollegen auf der rheinland-pfälzischen Uferseite kooperiert, über 50 Ermittlungsverfahren aus. Wapo-Kommandeur Träxler, der mit 80 Mann und einem Dutzend schneller Boote 107 Kilometer Rhein-, 77 Kilometer Main- und 16 Kilometer Neckarstrecke visitiert, hat dabei klare Vorstellungen: »Sollen wir nur gegen unbefugte Angler oder kleine Schipper vorgehen und Fälle von hoher Sozialschädlichkeit übersehen?«
Aber gerade in diesen Fällen können betroffene Firmen die Ermittlungen hemmen, da nicht etwa juristische Personen, sondern nur leibhaftige Übeltäter verfolgt werden dürfen -- leitende Angestellte, Aufsichts- und Planungsingenieure, Abteilungschefs oder Sicherheitsbeauftragte. Träxler: »Da werden wir oft lange hin- und hergereicht. und wenn wir einen haben, versammelt er alle Hausjuristen um sich, die dann Satz um Satz seiner Aussage formulieren und abwägen.« Manchmal, so weiß Träxler, »wird alles ein Sturm im Wasserglas bleiben«.
Immerhin hat Staatsanwalt Siegfried Schmidt vom Oberlandesgericht Frankfurt, der als hessische »Zentralstelle für Umweltschutz« fungiert, derzeit 150 anhängige Verschmutzungsverfahren ("Mit einer gleich hohen Dunkelziffer noch nicht gemeldeter Vorgänge") registriert. Schmidt informiert die Ankläger in der Provinz über Präzedenzfälle und Handhaben, vor allem über ein von Bundesland zu Bundesland verschieden großes und scharfes Arsenal von Schutz- und Schmutzparagraphen der Gewerbeordnung, des Naturschutzgesetzes und der Müllbeseitigungsbestimmungen.
Schmidt: »Idealziel von Rechtsprechung und Umweltschützern ist es ja schon, wenigstens den jetzigen Zustand vor allem der Gewässer zu erhalten.«
Seit sich der Umwelt-Jurist auch über den Phosphat-Gehalt der gängigen Wasch- und Reinigungsmittel sachkundig gemacht hat, deren ungereinigte Ableitung Flüsse verschmutzt, hat er selbst Konsequenzen für den Umweltschutz gezogen, »denn irgendwo sollte gerade der anfangen, der Bescheid weiß«.
Damit seine Ehefrau weniger oft mit detergentienhaltigen Mitteln waschen muß, trägt Staatsanwalt Schmidt auch im Amt hauptsächlich Pullover »oder das Hemd ruhig zwei Tage lang«.