BREMEN Rote Festung
Mit Zettel-Slogans wie »Ich habe Zeit für Sie« oder »Laßt mich für Euch arbeiten« wirbt ein CDU-Mann in Bremen für die Bundestagswahl. Jeden Abend putzt er, plattdeutsch schnackend, 25 Haustürklinken.
Putzen tut not. Denn Dr. Johann Tönjes Cassens, 32, Landesgeschäftsführer der Bremer CDU, kandidiert im rotesten Wahlkreis Deutschlands. Und ungleich den - neben dem Rathaus in Bronze verewigten - Bremer Stadtmusikanten, die einst mit ihrer Katzenmusik eine ganze Räuberbande verjagten, kann er die Sozis aus der Festung Bremen-West (Wahlkreis 51) auch nicht mit »Tanz- und Beat-Abenden« vertreiben, die er im Zuge seiner Wahlkampagne veranstaltet.
In Bremen-West errangen die Sozialdemokraten bei den letzten Bundestagswahlen mit 55,5 Prozent aller Erststimmen und 55 Prozent aller Zweitstimmen (CDU: 23,2 Prozent) ihren größten Erfolg. Als Stimmenkönig der SPD entpuppte sich der heute 38jährige Ex-Redakteur Hans Stefan Seifriz, der auch diesmal wieder für den Bundestag kandidiert.
Ihm wird, wie allen anderen SPDKandidaten, von großflächigen Partei-Plakaten Unterstützung zuteil, über die Seifriz zu berichten weiß: »Wenn wir wollen, könnten wir Bremen mit solchen Großtafeln derart überschwemmen daß man weder von der CDU noch von der FDP etwas sähe.«
Sein Wahlkreis ist vorwiegend evangelisch (84 Prozent der Bevölkerung) und stark mit Flüchtlingen durchsetzt (20 Prozent). Er umfaßt einen Großteil des Hafengebiets und des Bremer Stadtzentrums - und damit das Herz der Hansestadt, die seit 1945 ununterbrochen von Sozialdemokraten regiert wird.
Hansisch-patrizische Lebensart und Sozi-Tradition werden in Bremen heute gleichermaßen geschätzt. Sozialdemokratischer Neuerungstrieb, wie er sich in Europas größtem Nachkriegs-Wohnungsbauvorhaben »Neue Vahr« zeigt, gilt den Bremern ebensoviel wie althergebrachte Kaufmannssitte, die sich alljährlich in der sogenannten Schaffermahlzeit mit Braunkohl und Pinkel (fette Grützwurst) manifestiert.
Das Sozialprodukt in Bremen liegt heute um 40 Prozent über dem Bundesdurchschnitt. Die Bremer hielten auch im vergangenen Jahr die Spitze im deutschen Wohnungsbau. Nirgendwo machten so viele junge Deutsche ihr Abitur (das sechs der sieben SPD-Mitglieder des Bremer Senats nicht aufweisen). Selbst die bremische Durchschnittskuh gab im letzten Jahr fast 1000 Liter mehr Milch als die Durchschnittskuh in der bundesdeutschen CDU-Domäne, dem Wahlkreis 153 in der Eifel.
Und die SPD geizte nicht mit Eigenlob. Landeschef Willy Dehnkamp, Nachfolger Wilhelm Kaisens, formulierte das kürzlich so: »Was in Bremen und Bremerhaven für Alte und Junge, für Gesunde und Kranke, für Einheimische und Zugezogene, für Wohnungsuchende, für Kleingärtner, für Flutgeschädigte, für Notleidende, kurz alle Gruppen der Bevölkerung getan wurde, was für den Wiederaufbau des Hafens, für den Wohnungsbau, auf dem Gebiet der Schulpolitik und für den Schulneubau, für die Jugendförderung und den Sportstättenbau, für den Bau neuer Krankenhäuser und für die Altenbetreuung geleistet wurde, trägt die unverkennbaren Zeichen sozialdemokratischer Initiativen.«
Unter dieser allumfassenden SPDFürsorge fühlen sich offensichtlich auch CDU-Wähler wohl. Als das Institut für angewandte Sozialwissenschaft (Bad Godesberg) vor anderthalb Jahren einen repräsentativen Querschnitt von SPD- und CDU-Anhängern befragen ließ, ob es ihnen - gemessen an der wirtschaftlichen Lage zwei Jahre zuvor - »besser, schlechter oder genauso« gehe, meinten 49 Prozent der CDU-Befragten, aber nur 34 Prozent der SPD-Anhänger: »Besser«.
Und auf die Frage, ob damit zu rechnen sei, daß sich die wirtschaftlichen Verhältnisse in den kommenden Jahren verbessern würden, antworteten nur 37 Prozent der SPD-Anhänger, aber 52 Prozent der CDU-Befragten: »Verbessern«.
Unter solchen Umständen kennt auch CDU-Kandidat Cassens im Wahlkreis 51 die Grenzen seiner Wahlwerbung. Das Direktmandat ist für ihn unerreichbar. »Ich kämpfe«, sagt er, »um 3000 neue Stimmen und ein zusätzliches Mandat für Bremen im Bundestag.«
SPD-Bundestagskandidat Seifriz
Mehr Milch von der Kuh