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TERRORISTEN Rote Pakete

Steht eine Befreiungsaktion für BM-Häftlinge mit Sprengstoffanschlägen und Flugzeugentführung bevor? Es gibt neue Hinweise aus dem Untergrund.
aus DER SPIEGEL 3/1977

Es war Nacht, und die Täter kamen durch den Kärntner Wald. Ihr Fluchtfahrzeug mit dem gefälschten Frankfurter Kennzeichen parkten sie auf einem einsamen Wanderweg. Allenfalls ein Förster oder ein Waldarbeiter kam hier einmal vorbei.

Behutsam pirschten sich die Täter bis zum Steinbruch vor. Der Stollen in die Felswand war mit zwei Türen gesichert. Beide Schlösser ließen sich mühelos knacken -- dahinter lagerten die Pakete im roten Papier: Sprengstoff.

Man konnte in aller Ruhe zu Werke gehen, denn am nächsten Morgen, dem 8. Dezember, würde kein Arbeiter zur Schicht in den Steinbruch kommen: Es war Feiertag in Österreich, das Fest von Mariä Unbefleckter Empfängnis.

Geschäftsführer Höpfner vom Gersheim'schen Steinbruch in Gummern bei Villach wiegelt ab: »Nur ein Dummerjungenstreich. Schon am nächsten Tag hat ein Angler den gestohlenen Sprengstoff in der Drau entdeckt. Es waren etwa drei Kilo, 33 Patronen. Exakt die gestohlene Menge haben wir inzwischen wiedergefunden.

Doch Beamte der Klagenfurter Landesgendarmerie fischten nicht nur drei, sondern knapp 15 Kilo Sprengstoff aus der Drau -- mehr jedenfalls, als die Steinbruch-Verwalter an Verlust gemeldet hatten. Die Differenz erklärt ein Gendarm mit »schlampiger Lagerbuchhaltung«.

Mag einstweilen noch dahinstehen, wieviel Sprengstoff in Gummern nun wirklich gestohlen wurde, wieviel die Täter davon in den Fluß warfen und welche Menge sie mitgehen ließen -- aus einer Botschaft, die Sicherheitsexperten aus dem Untergrund erhielten, geht hervor, daß das Explosionsgemisch zu höchst brisanter Verwendung bestimmt ist. Inhalt, zusammengefaßt: Die von dem früheren Baader-Verteidiger Siegfried Haag aufgestellte Terroristengruppe plane mit einer Großaktion die Befreiung von 14 anarchistischen Gewalttätern aus bundesdeutschen Haftanstalten. Durch die Festnahme von Haag und Roland Mayer am 30. November vergangenen Jahres sei der seit langem vorbereitete Tatplan nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben worden. Zur Tätergruppe gehörten zwei der drei im Juli 1976 aus der Berliner Frauenhaftanstalt entwichenen und noch flüchtigen BM-Genossinnen. Der 24jährige Karlsruher Student Günter Sonnenberg habe gemeinsam mit anderen im Gersheim'schen Steinbruch etwa 30 Kilo Sprengstoff gestohlen. Geplant sei -- kombiniert mit Sprengstoffattentaten auf strategisch wichtige Punkte -der Anschlag auf ein Flugzeug holländischer, belgischer oder französischer Nationalität, weil man sich von diesen Ländern den massivsten Druck auf die Bundesregierung verspreche, den Forderungen der Terroristen nachzugeben. Geleitet werde das Kommando von einem Südamerikaner, der allerdings nicht »Carlos« sei.

Für zehn Millionen Dollar habe sich Nordkorea bereit erklärt. Entführer und Befreite aufzunehmen. Die notwendigen Geldmittel seien durch mehrere Überfälle auf Banken und Fahrzeuge der Berliner Geldtransportfirma Purolator mindestens zum Teil schon aufgebracht worden.

Vorangegangene Verhandlungen mit den Palästinenser-Führern Arafat und Habasch über Unterstützung und Asylbereitschaft arabischer Länder seien fehlgeschlagen. Die Ereignisse von Stockholm, Entebbe und Damaskus hätten auf die internationalen Terroristengruppen demoralisierend gewirkt. Das persönliche Risiko für die Täter sei nicht mehr nur möglich. sondern inzwischen nahezu sicher. Bei dem Haag-Plan stünden Aufwand, Risiko und Nutzen in einem Mißverhältnis. Für die Palästinenser seien Baader & Co. längst uninteressant. Sie hätten keine politische Perspektive und seien für die langfristige Revolutionsstrategie keine nützlichen Elemente. Die geplante Befreiungsaktion sei nur mehr ein Akt mühsamer Solidarität und müsse deshalb verhindert werden.

Für die Einschätzung dieser Botschaft bieten sich mindestens drei Möglichkeiten an. Sie kann falsch sein und das Machwerk eines Wichtigtuers. Sie kann aber auch richtig sein, und sie kann schließlich von einem Insider stammen, der die Polizei durch Preisgabe einiger zutreffender Details täuschen und auf falsche Fährten locken will. Sicherheitsexperten jedenfalls nehmen die dunkle Kunde ernst, und offensichtlich gibt es gewichtige Gründe.

So scheint Donarit-Gelatine, eine knetgummiartige Masse, als sogenannter Sicherheitssprengstoff gerade für terroristische Zwecke bestens geeignet. Er ist stoß- und schlagfest, entzündet sich auch nicht durch Reibung, sondern ausschließlich auf elektrischem Wege, kann also ohne Risiko für den Träger praktisch in allen denkbaren Lagen transportiert werden und nicht schon aus Versehen explodieren.

Donarit-Gelatine ist bei einschlägigen Aktionen in Österreich inzwischen auch schon aufgetaucht. Eine Woche nachdem die Frankfurterin Waltraud Boock am 13. Dezember bei einem Banküberfall in Wien festgenommen worden war, forderte eine »Aktion W. Boock« ihre Freilassung und drohte an, sie werde einen Zug in die Luft sprengen -- mit Donarit. Am 17. Dezember explodierte im Verkehrsamt der Wiener Polizeidirektion ein Sprengkörper. Inhalt: Donarit-Gelatine.

Auch der benannte Günter Sonnenberg ist der Polizei in diesem Zusammenhang nicht unbekannt. Nach der Festnahme von Haag und Mayer erbat sie am 7. Dezember über die bundesdeutschen Fernsehsender Hinweise auch über den Karlsruher Studenten. Die im Auto von Haag und Mayer aufgefundenen Papiere erlauben tatsächlich Rückschlüsse auf eine ganze Reihe geplanter Terrorakte: Banküberfall, Bombenanschlag, eine Entführung womöglich und -- Urtext Haag -- eine »spektakuläre Aktion«.

Einschlägige Verhandlungen mit Nordkorea gehören zu den Fahndungserkenntnissen. Und allein jene fünf Überfälle im vergangenen Jahr auf die Berliner Purolator-Fahrzeuge erbrachten den Räubern -- unterstellt, der Täterkreis ist identisch -- eine Geldsumme von rund 4,2 Millionen Mark, jene beiden Banküberfälle in Köln und Hamburg. aus denen sich Geldscheine im Haag-Auto fanden, noch einmal runde 300 000.

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