Zur Ausgabe
Artikel 25 / 52

USA / STREITKRÄFTE Roter Alarm

aus DER SPIEGEL 25/1967

Die Woche der schwersten Verluste war gerade zu Ende: 337 amerikanische Soldaten waren in Vietnam gefallen, 2282 verwundet worden, die US-Militärs in Saigon forderten vom Pentagon mehr Menschen und Material -- da drohte den Amerikanern Krieg an einer zweiten Front.

Am Morgen des 5. Juni gerieten Israelis und Araber zum drittenmal in weniger als 20 Jahren aneinander. Für zweieinhalb Millionen Israelis schien das letzte Gefecht gegen eine Übermacht von 80 Millionen Arabern zu beginnen, in der Negev-Wüste, im Gaza-Streifen und auf der Sinai-Halbinsel glimmte die Lunte für einen Weltbrand.

Doch die mächtigste Militärmacht der westlichen Welt zögerte, den gut 300 000 Israel-Soldaten zu Hilfe zu kommen. Zwar versetzte Oberbefehlshaber Lyndon B. Johnson die im Mittelmeer kreuzende Sechste US-Flotte in höchste Alarmbereitschaft ("red alert« -- roter Alarm), im übrigen aber erklärte sich Washington für »neutral in Gedanken, Wort und Tat« -- so ein Sprecher des State Department -- und hoffte, ein israelischer Blitzsieg werde ein amerikanisches Eingreifen überflüssig machen.

Denn Amerika hat zwar 3,3 Millionen Menschen unter Waffen, aber doch nicht genügend Soldaten, um außer in Ostasien auch noch an einer zweiten Front -- eventuell gegen sowjetische Kräfte -- Krieg führen zu können.

442 000 GIs stehen in Vietnam, aber nur 100 000 gehören zur kämpfenden Truppe, und die ist allein in den fünf Nord-Provinzen Südvietnams um mindestens 15 000 Mann zu schwach, um die Gebiete an der demilitarisierten Zone ausräumen und sichern zu können.

Weitere 250 000 US-Soldaten sind in anderen Ländern des Fernen Ostens stationiert -- darunter 55 000 in Korea und 35 000 in Thailand -, aber Washington kann keine Fernost-GIs abziehen, ohne die Sicherheit seiner asiatischen Verbündeten zu gefährden.

Von den 344 000 Amerikanern in Europa -- allein 275 000 in der Bundesrepublik -- sollen zwar 34 500 Mann zurückgeholt werden, aber schon diese Verdünnung stieß auf den Widerstand des US-Generalstabschefs Wheeler: »Eine Verringerung der Streitkräfte in Mitteleuropa ist militärisch nicht zu verantworten.«

So bleiben gut zwei Millionen GIs in den Vereinigten Staaten, auf Puerto Rico und an den Küsten der Karibischen See -- vorwiegend Ausbilder und Rekruten, Angehörige der Verwaltung, Personal der inneramerikanischen Stützpunkte und letzte Eingreif-Reserven für den ganz großen Weltbrand. Nur sieben Divisionen (knapp 140 000 Mann) sind sofort einsatzbereit.

Seit Anfang vorigen Jahres bemüht sich Johnson deshalb, noch mehr Männer unter Waffen zu bekommen. Ihm bleiben nur zwei Möglichkeiten: > Er kann das Einberufungssystem ändern, das zum Beispiel Familienväter, Studenten und Kriegsveteranen vom Wehrdienst freistellt. > Er kann Amerikas Reservisten, darunter vor allem 150 000 Nationalgardisten, reaktivieren.

Beide Schritte mochte Lyndon Johnson bislang nicht gehen. Sein Prestige wäre auf den Tiefpunkt gesunken, wenn er in der Heimat Kriegsmaßnahmen vor einer offiziellen Kriegserklärung ergriffen hätte.

In dieser Situation traf die USA der Krieg im Nahen Osten. Die Sechste Flotte mit über 2000 Ledernacken war Amerikas einzige verfügbare Feuerwehr für die Schlacht um Israel; eine zweite Front ließ sich nur nach einer Teilmobilmachung errichten.

Israels Blitzkrieg bewahrte den Präsidenten vor dem Dilemma, entweder vor aller Welt Amerikas Unfähigkeit zur Errichtung einer zweiten Front einzugestehen oder -- durch Mobilisierung der Reserven -- seinen innenpolitischen Kredit zu verspielen.

Begeistert applaudierten die Amerikaner daher den Siegesmeldungen aus Tel Aviv. Die Frontberichte aus Nahost verdrängten den Krieg im Fernen Osten in den Innenteil der US-Presse.

Beeindruckt vom Blitzkrieg der Israelis, schlug der Demokrat Waynes Hays aus Ohio der US-Regierung einen Tauschhandel vor, der das langwierige Vietnam-Engagement beenden könne. »Wir sollten den Israelis 400 Düsenjäger anbieten«, frotzelte er im Kongreß, »wenn sie dafür ihren einäugigen General (Dajan) als Helfer nach Vietnam schicken.«

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 25 / 52
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren