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Rückkehr der Vandalen

70 000 deutsche Immobilienbesitzer, dreieinhalb Millionen Urlauber - die Mallorquiner bekommen es langsam mit der Angst zu tun. Die neue Regierung in Palma will jetzt die Germanisierung eindämmen.
Von Hermann Bott, Olaf Ihlau und Erich Wiedemann
aus DER SPIEGEL 31/1999

Drei Wochen verbrachte die Witwe und Filmpartnerin von Humphrey Bogart ("Key Largo") im Frühjahr auf Mallorca. Lauren Bacall, 74 und noch immer eine beeindruckende Erscheinung, stand für einen spanischen Streifen vor der Kamera. Die Hollywood-Diva lernte die Schönheiten von Europas beliebtestem Urlauberparadies schätzen.

Aber die US-Schauspielerin bekam auch etwas mit von den Sorgen der alteingesessenen Inselbewohner. Schnippisch stellte sie bei der Pressekonferenz vor ihrem Abflug die Frage: »Ist es wahr, dass die Deutschen die ganze Insel kaufen wollen?«

Das täten sie wohl gern, und sie könnten es auch, wenn man sie weiter läßt. Denn wie einst die germanischen Vandalen, die sich verheerend um das Jahr 450 auf den Balearen festsetzten, drängen nun deren zivilisierte Nachfahren mit aller Macht in diesen Teil des Mittelmeers. Nur: Diesmal erfolgt die Landnahme nicht mit dem Schwert, sondern mit der Überlegenheit des Geldbeutels.

Die Angst vor Überfremdung, vor einer totalen Germanisierung geht um unter den 610 000 einheimischen Bewohnern. Neun Millionen Urlauber drängeln sich jährlich auf Mallorca, balgen sich um die 550 000 Betten. Und mit 3,5 Millionen stehen die Deutschen in diesem Jahr noch klarer an der Spitze der ausländischen Touristen, weit vor Engländern, Franzosen, Skandinaviern.

Kein anderer Ort auf der Welt wird von Deutschland aus so häufig angeflogen wie der Airport Son Sant Joan in Palma de Mallorca. Es gibt Direktverbindungen selbst aus Hof und Kassel, aus Paderborn und Schwerin.

Jetzt, in der Hochsaison, landen täglich rund hundert deutsche Maschinen in Palma. Vergangenen Monat kamen im Schnitt jede Woche etwa 100 000 Deutsche dort an, davon über 20 000 aus Düsseldorf, mehr als 11 000 aus Frankfurt.

Touristen sind schlimmstenfalls Plagen wie Heuschrecken, die irgendwann auch wieder verschwinden. Doch immer mehr Mitteleuropäer, insbesondere Deutsche, setzen sich auf den Balearen für immer fest.

Mindestens 70 000 Bundesbürger, so die neueste Statistik, sind dort inzwischen Haus- oder Wohnungseigentümer. Das überfordert die Integrationskraft der Alteingesessenen, vor allem auf der Hauptinsel Mallorca, zumal einige der Neubürger von sich reden machen mit kolonialistischen Allüren und dem Aufbau einer Parallelgesellschaft.

Wem gehört Mallorca?

Überwiegend noch den Mallorquinern. Doch der Trend arbeitet gegen sie. »Hasta los cojones« - sehr frei übersetzt: »Wir haben die Schnauze voll« -, hieß es jetzt erstmals auf den Straßen Palmas. Und Demonstranten trugen Transparente mit der kategorischen Mahnung: »Mallorca ist nicht Deutschland«.

Der Anlass für den Aufruhr war eigentlich läppisch, jedenfalls aus deutscher Sicht. Für Thomas Gottschalks Fernseh-Show »Wetten, dass ...?«, in der auch bei Spaniern beliebte Popstars wie Ricky Martin und Lou Bega auftraten, hatte das ZDF am 17. Juli die Stierkampfarena von Palma de Mallorca angemietet - ausschließlich reserviert für 6000 deutsche Besucher, Einheimische erhielten keinerlei Tickets. »Ausverkauft« verkündete, auch noch auf deutsch, ein Schild am Kassenhäuschen.

Empört über diese »Fiesta colonial«, marschierte mit Trillerpfeifen und Trommeln ein Häuflein Demonstranten zur vergeblichen »Reconquista«, zur Rückeroberung der Arena auf. Ihr Anführer, ein italienischer Komiker, erklärte nachher in Leserbriefen, diese Aktion habe sich nicht gegen die Deutschen allgemein, sondern gegen diese besondere »Arroganz« gerichtet. »Palma, deutscher als je zuvor«, titelte »El Mundo« über den »Akt deutscher Aggression«.

Was da an Unmut aufschäumte, schöpfte aus tieferem Grund: wachsende Ressentiments, vor allem bei der jüngeren Generation der Mallorquiner, über die Begleiterscheinungen eines Massentourismus, der sie zu Verlorenen und Zweitklassigen im eigenen Land zu machen droht.

Sicherlich: Ohne die Urlauberflut wären die Balearen längst verdorrt und entvölkert wie manche griechische Insel. Die sieben Milliarden Mark, welche die Touristen nach Mallorca und deren kleinen Schwestern Ibiza, Formentera und Menorca schaffen, haben die Balearen zu einer vergleichsweise reichen Region gemacht.

Hier wird das zweithöchste Pro-Kopf-Einkommen (25 240 Mark) Spaniens erzielt (nach Madrid), hier liegt die Arbeitslosenquote (13,8 Prozent) weit unter dem Durchschnitt. Das Wirtschaftswachstum lag in den vergangenen Jahren jeweils bei fünf Prozent. Für dieses Jahr wird ein Anstieg von sechs Prozent erwartet, das ist etwa doppelt so viel wie in Gesamt-Spanien.

Doch krass gewachsen ist unter den Bodenständigen auch die Kluft zwischen Arm und Reich - jenen wenigen, die mit dem Besitz und Verkauf von Land Millionen machten (und ihr Schwarzgeld mit Vorliebe in Tourismusprojekten der Dominikanischen Republik anlegten), sowie der Mehrzahl der Mallorquiner, die mit den horrenden Preisschüben nicht mehr mithalten können. Das gilt insbesondere für junge Familien. Die haben den sich spreizenden Luxus vor Augen und selber kaum noch eine Chance, etwa eine Eigentumswohnung zu erwerben.

Da sei in den 16 Jahren seiner konservativen Amtsvorgänger mit einer laxen Baupolitik »unglaublich gesündigt« worden, kritisiert der soeben als neuer Balearen-Premier vereidigte Sozialist Francesc Antich. Der Chef einer aus sechs Parteien gebildeten Regenbogen-Koalition begründet die Angst seiner Landsleute vor einem Ausverkauf der Insel an die Deutschen mit dem »Gefühl, von der Immobilien-Spekulation überrollt zu werden« (siehe Interview Seite 126).

Deutsche Politiker haben sich aus mallorquinischen Angelegenheiten meist herausgehalten. Es gab Ausnahmen, aber das waren keine Sternstunden der politischen Kultur. Die Liberalen ließen Parteichef Wolfgang Gerhardt im Bundestagswahlkampf in Palma eigenhändig ein Riesenposter kleben, auf dem sie »Schöne Ferien« wünschten.

Und FDP-Para Jürgen Möllemann stürzte sich per Fallschirm auf deutsches Wahlvolk an der Platja de Palma, um Gummibärchen und Sonnencreme »mit Steuerschutzfaktor 98« zu verteilen. Jedoch, es hat, wie man weiß, nicht besonders viel gebracht.

»Wurstkönig« Horst Abel aus Fulda, seit 30 Jahren Inselresident, mischte sich innenpolitisch nur einmal kurz ein. Weil die deutschen Insulaner ungerecht behandelt und »in den spanischen Parteien untergebuttert« würden, wollte er für die Kommunalwahl eine eigene Partei gründen, die »Deutschen Freunde in Spanien«. Die Amigos traten dann aber doch nicht an, nachdem die politische Konkurrenz zum Boykott von Abel-Würstchen aufgerufen hatte. Das Geschäft war Horst Abel letztlich wohl wichtiger als die Gerechtigkeit.

Kürzlich bekannte auch Bundeskanzler Gerhard Schröder den Mallorquinern: »Ich bin und bleibe Mallorca-Fan.« Er trug damit ein wenig dazu bei, den schlechten Eindruck zu verwischen, den der damalige CSU-Bundestagsabgeordnete Dionys Jobst 1994 mit seinem Vorschlag hinterlassen hatte, Mallorca als 17. Bundesland für Deutschland einzukaufen.

Typisch für den Stimmungswandel auf Mallorca, dass derzeit in Palmas Buchläden ein sentimentales Porträt der Insel voller schwarzem Humor der Renner ist: »Un turista, un muerto« (Ein Tourist, ein Toter) des Autors Román Piña Valls. Der definiert den Touristen als »Feind, Drogenhändler; als Krabbe mit einem Nest am Meer; als Fahrradfahrer, dem ich hinterherfahren muss und der mir seinen Hintern bieten wird; als Hooligan, der mit seinem Mietwagen in mein Geschäft donnert; als Millionärsschwein, das das Haus meiner Träume erwerben wird, um dort zwei Monate im Jahr zu verbringen«.

Das Kulturgeographische Institut der Universität der Balearen hat in einer wissenschaftlichen Untersuchung festgestellt, dass die meisten Touristen nicht nach Mallorca kämen, um einer fremden Kultur zu begegnen. Wer hätte das gedacht?

Und wer noch Zweifel hat, der kann die These an der überfüllten Platja de Palma in L'Arenal überprüfen - vor allem im »Balneario 6«, den der deutsche Volksmund in »Ballermann 6« verballhornt hat. Hier ist das Epizentrum der Heimsuchung Mallorcas durch die modernen Vandalen. Es ist kein anderer Ort auf Erden, an dem sich Deutschtum in dermaßen abstoßender Weise artikuliert.

Was die hässlichen Deutschen hier wirklich wollen, das dröhnt dem Betrachter schon von fern im Sprechchor entgegen: »Saufen, fressen, ficken und die Kinder Bier holen schicken!« Und neuerdings: »Ich will zeheehn nackte Friseusen mit richtig feuchten Haar'n!«

Gunter Sachs, Sabine Christiansen, Reinhard Mohn und die anderen Premium-Deutschen, die auf Mallorca eine Immobilie besitzen, waren hier vermutlich noch nie. Die deutschen Kolonisten meiden Ballermann und L'Arenal wie Vegetarier den Schlachterladen. Doch der Ekel der Elite vor dem entfesselten Vulgärhedonismus ihrer ungezogenen Landsleute hat in L'Arenal die Lust am Saurauslassen stets nur beflügelt.

Nicht unwesentlich beteiligt am Entstehen der Ballermann-Unkultur waren die Fernsehteams vom Privatsender RTL 2, die hier mit Hilfe von tätowierten Kampftrinkern und mitgebrachten Bumslieschen einen Spaßreport nach dem anderen runterkurbelten. Sie schmissen fünf Runden und riefen: »Nun man los!« Und dann ging's los. Jedes Jahr ein bisschen toller.

Bernd Eichingers Spielfilm »Ballermann 6«, der im Oktober vorletzten Jahres in die Kinos kam, verpasste dem Trubel-Spot einen leichten Dämpfer. Er zeigte unter anderem besoffene Frohnaturen, die unter Klängen von Hans Albers und Guildo Horn in ihr Sauerkraut pinkelten, um es anschließend zu verzehren.

Die Mallorquiner empfanden den Film als das, was er wohl auch war: als Aufforderung an den D-Mark-Pöbel, ihre Insel zu besuchen, weil er da folgenlos die Zivilisation außer Kraft setzen konnte. Das ließen sie sich nicht gefallen. Aus gegebenem Anlass ergriff der Inselrat energische Maßnahmen gegen die Banalisierung der mallorquinischen Sommerfrische, und »Bild« musste vermelden: »Ballermann hat Ruh'«.

Seitdem ist es verboten, nackt auf den Tischen zu tanzen, mit Schaschlik zu schmeißen und nach Mitternacht zum Stechschritt »Eviva España« zu singen. Der besseren Optik wegen wird das klebrige rote Kultgetränk Sangría neuerdings auch nicht mehr in Fünf- oder Zehn-Liter-Plastikeimern serviert, sondern in armlangen Gläsern mit Schmuckzitrone. Damit er nicht so schnell dun macht, ist auf Anordnung der Behörden auch das Mischungsverhältnis geändert worden: mehr O-Saft, weniger Rotwein und Rum.

Aber Ruhe herrscht in Ballermann deshalb noch lange nicht. Die Zahl der Touristen, die auf Mallorca im Suff vom Hotelbalkon fallen und sich den Hals brechen (laut »La Vanguardia« zwischen 40 und 90 im Jahr) ging dadurch nicht wesentlich zurück. Erfahrene Zecher haben jetzt nämlich immer einen Flachmann voll Rum in der Badehose, mit dem sie die Sangría scharf machen. Und in den deutschen Läden an der Strandpromenade kann man sich den Stoff noch immer nach seinem ganz persönlichen Standvermögen anrichten lassen. Selbstverständlich im Plastikeimer.

Außerdem geht das große Saufen, Rülpsen und Grölen in der »Schinkenstraße« und in der »Bierstraße« unvermindert heftig weiter. Die Polizisten, die hier die öffentliche Ordnung bewachen sollen, kümmern sich nicht darum, wenn nachts um drei die Szene dröhnt. Sie gehen nur manchmal mit Schlagstöcken gegen die rumänischen Hütchenspieler vor, die hier betrunkene Proleten abzocken.

Die Nachbarschaftsorganisation Maravilla, in der sich hundert spanische Familien aus L'Arenal zusammengeschlossen haben, führt einen aussichtslosen Kampf gegen die Horden aus dem Norden. Die Gastronomie vertritt hier den Standpunkt: Wer vor morgens um vier Uhr schlafen will, soll woanders hinziehen. Und die Behörden sahen das bislang wohl ähnlich. Vor allem, weil die lauten Kneipen mit den deutschen Namen vielfach spanische Besitzer haben. So gehört das »Oberbayern«, das wohl lukrativste Lokal der Insel, der Familie Barceló, die als die reichste Sippe auf den Balearen gilt.

In den britischen Hochburgen von Palma Nova und Magaluf geht es nicht ziviler zu. Im Gegenteil. Die Holiday-Hooligans aus Großbritannien sind zwar längst nicht so zahlreich wie die aus Deutschland. Aber das »Coach and Horses Inn« in Magaluf bringt es um Mitternacht (obwohl es viel kleiner ist) auf mindestens ebenso viel Dezibel wie der »Bierkönig« in L'Arenal, der immerhin 3000 Plätze hat.

Im Übrigen sind die Briten aggressiver. »Die Deutschen schwanken, aber sie schwanken diszipliniert«, schreibt Pedro Prieto, Kolumnist von »Ultima Hora«. Es ist eher selten, dass sie gewalttätig werden wie Anfang Juli, als nach einer Massenkeilerei am Ballermann zwei Touristen und ein Kellner schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten.

Kein Wunder, dass der touristische Dauerexzess Abwehrkräfte auf der Insel mobilisiert. Noch ist der mallorquinische Nationalismus nicht sonderlich militant, eher charmant.

»Wir mögen die Deutschen, und zwar nicht nur, weil sie uns Wohlstand gebracht haben«, sagt die Professorin für Sozialpsychologie Maria Antònia Manassero von der Balearen-Universität, »aber wir möchten nicht, dass hier Identitäten bis zur Unkenntlichkeit miteinander vermanscht werden.« Kultureller Reichtum lebe von der Vielfalt.

Professor Manassero sagt, die deutschen Touristen sollten sich an den Stränden austoben. »Aber das Innere der Insel gehört uns, das ist unser Herzland« (corazón del país). Hier will sie keine Deutschen: »Sie sind einfach zu reich für die Integration.« Mit den Briten hätten sie solche Probleme nicht. »Das sind auch Insulaner, die verstehen uns besser.«

Magdalena Mayol aus Vilafranca, Gründerin der »Union zur Verteidigung Mallorcas« (ADM), äußert sich über die Invasion der Deutschen weniger verbindlich: »Die Fremden nehmen uns unser Land, zerstören unsere Bräuche und bedrohen unsere Identität.«

Der Starhexer David Copperfield, ständiger Begleiter des deutschen Supermodels Claudia Schiffer, das bei Andratx eine ganze Landzunge okkupiert, hat Magdalena Mayols schlimmste Befürchtungen bestätigt. Er habe erklärt, so behauptet Mayol, dass er am liebsten die Mallorquiner alle wegzaubern möchte, um mit seiner Claudia allein zu sein. »Da sehen Sie, was uns blüht, wenn man die Deutschen gewähren lässt. Sie geben es ja zu, dass sie uns vertreiben wollen.«

Die ADM hat einen tüchtigen Schuss Blut-und-Boden-Mix im Programm. Sie fordert ein Gesetz, das es Nicht-Mallorquinern - also auch Festland-Spaniern - unmöglich macht, Immobilien auf der Insel zu kaufen.

Magdalena Mayol hat ihr Credo zweisprachig auf ein T-Shirt drucken lassen. Es lautet auf Deutsch: »Ich bin von oben bis unten Mallorquiner, gemischt von Arabern, Juden und Katalanen. Ich verkaufe mich nicht, mein Land auch nicht, und damit Ende.« 5000 Exemplare davon sind schon verkauft, neulich kam sogar eine Sammelbestellung aus Deutschland.

Wie flächendeckend der Ausverkauf sei, sagt Magdalena Mayol, das könne man an dem Dorf Biniagual sehen. Es liegt nicht weit vom geografischen Zentrum der Insel. Ein deutscher Industrieller hat es komplett mit 15 Häusern und 1,7 Millionen Quadratmetern umliegender Ackerfläche gekauft, nachdem es jahrelang leer stand.

Biniagual ist ein Schmuckstück: sensibel restaurierte Häuser, kopfsteingepflasterte Straßen, makellose asymmetrische Blumenrabatten. Alles perfekt mallorquinisch. Man kann sehen, dass hier hoch kompetente einheimische Gärtner und Handwerker am Werk waren. Nichts deutet darauf hin, dass das Dorf eine deutsche Kolonie ist. Hier gibt's nicht mal Zäune, das ist ganz selten bei den Deutschen auf Mallorca.

Biniagual gilt als eines der schönsten Dörfer der Insel. Trotzdem ist es - mal abgesehen von ein paar Arbeitern vom Festland - meist unbewohnt. Denn die Eigentümer und ihre Freunde kommen nur ein paar Wochen im Jahr hierher. Und in Palma hausen junge Familien zu sechst in Zwei-Zimmer-Wohnungen, weil der Wohnraum knapp ist.

Gut 35 000 Bundesbürger leben ständig auf der Insel, schätzt Bernd Jogalla, Chefredakteur des deutschsprachigen »Mallorca Magazin«. Das brave Wochenblatt boomt, hat derzeit 160 Seiten, strotzt von Anzeigen und bietet in seiner jüngsten Ausgabe mehr als 3000 Immobilien an. Auch Jogalla, seit sechs Jahren auf der Insel, spürt eine »sensibilisierte« Grundhaltung der Mallorquiner gegenüber den Import-Germanen, »allerdings hat mich noch keiner angemacht, weil ich Deutscher bin«.

Nur etwa 8000 Deutsche sind offiziell als Dauergäste registriert. Die Masse der Residenten lebt hier - legal - ohne die Bescheinigung einer »residencia«. Das hatte, unter anderem, die segensreiche Folge, dass ihnen die spanischen Banken Zinsen abgabenfrei auszahlten: Vermögenserträge von Ausländern, die offiziell mehr als sechs Monate außerhalb des Landes wohnten, waren steuerfrei. Erst seit Januar ziehen die Banken eine 25prozentige Quellensteuer ab - wenn der Resident nicht nachweist, dass er in Deutschland steuerpflichtig ist.

Das Gros der Deutschen bevorzugt ein Leben in selbstgewählten Ghettos, die intern »Hamburger Hügel« heißen oder »Kampen« und »Düsseldorfer Loch«. Die wenigsten bemühen sich um Integration.

60 Prozent dieser Zuwanderer, so ermittelte Professor Pere Salva, sprechen weder Spanisch noch Mallorquinisch. »Es gibt ja die Versuchung, faul zu sein«, gesteht der Publizist Wolf Schneider, der vor vier Jahren aus Hamburg nach Mallorca auswanderte (siehe Seite 130).

In keinem anderen Urlaubsgebiet haben sich die Deutschen eine derart intakte Infrastruktur aufgebaut wie auf Mallorca. Heimat total: In den Supermärkten gibt es von Schwarzbrot und Magerquark bis zum Klopapier und Kaminholz aus Buche so ziemlich alles aus deutschen Landen. Abends wird auf die deutschen Fernsehkanäle geschaltet, am Morgen die »FAZ« über eigenen Zustellservice ins Haus gebracht.

Die deutsche Kolonie ist weitgehend autark. Sie hat ihre eigenen Bäcker und Banker, Tischler und Tierärzte, Anwälte und Optiker. Für fast jede Dienstleistung steht ein Landsmann zur Verfügung.

»Wir sind die Alternative zum Heimflug nach Deutschland«, preist der Chirurg Andreas Overbeck die Dienste seines Internationalen Facharztzentrums an. Das Zentrum wurde vor gut zwei Jahren gleich gegenüber dem Fähren-Anleger in Palma eröffnet, obwohl es damals schon das Deutsche Ärztehaus gab.

Mit Overbeck ("Wir operieren auch am Wochenende") sind neun Fachärzte an Bord. Gerd Bossmann kümmert sich um Potenzstörungen, Frank Poblotzki um den richtigen Sitz der Zahnprothese. Den kranken Hund verarzten drei deutsche Doktores aus der Euro-Tierklinik.

Dominique Andreas Arens, Repräsentant der feinen Kölner Privatbank Sal. Oppenheim, sorgt in Palma dafür, dass das Geld der Reichen arbeitet.

Im vergangenen Jahr hat Beate Uhse einen Shop aufgemacht, die AOK ist da und die Bausparkasse BHW mit einer zehnköpfigen Truppe. Die Deutsche Bank hat 15 Filialen auf der Insel, die Drogeriekette Schlecker acht Läden. Den Yacht-Eignern meldet Radio Mallorca auf Deutsch die Vorhersagen des Deutschen Seewetteramtes für die Balearen, jeden Abend um halb sieben, »langsam, zum Mitschreiben«.

Der Einfluss der wohlhabenden Residenten ist allgegenwärtig. Die alte mallorquinische Banca March, das führende Kreditinstitut der Insel, druckt Konto-Auszüge auch auf Deutsch. Angestellte der Sparkasse Sa Nostra haben Deutsch gebüffelt, ihr Institut hat Kooperationen mit den Stadtsparkassen Düsseldorf, Berlin, Frankfurt, München und Hannover abgeschlossen: Kunden dieser Sparkassen, die sich auf Mallorca niederlassen, werden zur Sa Nostra weitergeleitet.

Das aus dem Norden strömende Geld hat die Insel reich gemacht, bringt aber neue Probleme. Augenfälliges Beispiel ist das tägliche Verkehrschaos in Palma: In den letzten sechs Jahren hat sich die Zahl der Autos vervierfacht.

Auch das Leihwagengeschäft floriert. Hasso Schützendorf hat es zu einer Flotte von 4000 Autos gebracht.

Der Aufstieg zur Lieblingsinsel der Schönen und Reichen begann Ende der achtziger Jahre und setzte Mitte der neunziger mit voller Wucht ein. Dass Mallorca rechtzeitig ein Mobilfunk- und ISDN-Netz aufbaute, hat den Zustrom verstärkt: Zu der guten Verkehrsanbindung kam eine weitgehend störungsfreie Telekommunikation.

Dank ISDN-Rufumleitung, mit Handy und Fax lässt sich für ein paar Tage in der Woche oder einige Monate im Jahr die Kanzlei oder die Firma in Deutschland regieren. Etwa 2000 Unternehmer, Autoren, Film- und Fernsehstars, PR-Manager und Künstler, so schätzen Kundige, betreiben ihre Geschäfte von den Balearen aus.

Zu den Mallorca-Fans, die ständig pendeln, gehört der Münchner Feinkostkönig Gerd Käfer. Für zahlungskräftige Gastgeber organisiert Käfer rauschende Partys auf Mallorca, Köche und Dekorateure läßt er aus München einfliegen. Die Ferienvilla hat manchen wie etwa den westfälischen Bekleidungsfabrikanten Gerry Weber auf die Idee gebracht, dass sich mit einer Dependance auf der Insel Geld verdienen läßt.

Urlaubs- und Geschäftsreisen verbinden sich nahtlos. Die ARD-Moderatorin Sabine Christiansen hat sich gleich an zwei Firmen auf Mallorca beteiligt. Mit Ehemann Theodor Baltz und einem weiteren deutschen Partner besitzt sie die Sathero Media, die unter anderem mit Lizenzrechten handelt - und auch mit Grundstücken. Ausschließlich im Immobiliengewerbe tätig ist die East Side Company in Palma, die dem Ehepaar Christiansen / Baltz allein gehört.

Auf branchenfremdem Terrain tummelt sich auch der Berliner Konzertveranstalter Peter Schwenkow ("Ich bin ein alter Rock'n' Roller"): Der Chef der Deutschen Entertainment AG hat mit dem Hamburger Makler Matthias Kühn die Immobilienfirma La Isla Development gegründet und mit Roland-Fred Rauschmayer, Deutschlands größtem Trauring-Hersteller, die Grundstücksgesellschaft David Investment.

Der wirtschaftliche Boom wird vom Immobiliengeschäft angetrieben; Grundstückshandel und Bauwesen sind der Motor, der Mallorcas Wirtschaft hochtourig schnurren läßt.

Zwar zirkuliert das Geld der Touristen und Residenten zu einem guten Teil in einem geschlossenen Kreislauf, von der Nivea-Dose bei Schlecker bis zur ADAC-Yachtversicherung in Palma. Doch ohne deutsches Kapital würde die Wirtschaft Mallorcas schlappmachen.

Von der touristischen Attraktivität der Insel leben nicht nur Kellner und Busfahrer. Ausländisches Geld fließt auf die Konten der spanischen Hotelketten und Baufirmen. Die Gewinnspannen der Bauträger seien traumhaft, berichtet ein Insider: »Für eine Marge von 30 Prozent steht bei denen keiner auf.«

Im Schlepptau der Touristen und Residenten lassen sich von Jahr zu Jahr mehr deutsche Betriebe auf Mallorca nieder. Der Lebensmittel-Discounter Lidl & Schwarz will demnächst auf die Insel, ebenso der Handelskonzern Tengelmann. Die Drogeriekette Schlecker plant zwei dutzend weitere Filialen, auch die Deutsche Bank wird ihr Filialnetz erweitern.

Mit den Touristen und Millionären zieht es ein buntes Völkchen auf die Insel: Immobilienbetrüger, verkrachte Existenzen und naive Jobber, die sonnige Vorstellungen über die Arbeit auf Mallorca haben. 35 Mann hat Bäckermeister Herbert Klug in den letzten anderthalb Jahren gefeuert: Bäckerburschen, die auf Klugs Stellenangebote von Deutschland nach Santa Ponça gekommen waren.

In manchen Kneipen wechselt zweimal im Jahr der Pächter. Immer wieder kommen neue Deutsche, die glauben, mit Sangría, Warsteiner und Thüringer Bratwurst reich zu werden. Die meisten von ihnen kehren noch ärmer zurück, als sie gekommen sind - oder sie fangen erst gar nicht an wie jener Beinahe-Existenzgründer, der einen Zeitungskiosk in L'Arenal kaufen wollte, weil dort so viele Deutsche seien. »Dem Mann habe ich nur gesagt«, so die Unternehmensberaterin Ursula Müller-Breitkreutz, »machen Sie doch einen Kiosk vor dem Kölner Hauptbahnhof auf, da sind noch mehr Deutsche.«

Die Diplom-Kauffrau, die das Mallorca-Büro der Kölner Wirtschaftsberatung Michael Horbach leitet, warnt mit Nachdruck: »Nur wer in Deutschland erfolgreich war, setzt sich hier durch.«

Zu dieser Gruppe gehört der Rüdesheimer Tischlermeister Ingo Schuster, 31, der Ende 1997 mit seiner Frau nach Santa Ponça auswanderte, wenig später fünf Leute einstellte und jetzt wegen Überlastung manchen Auftrag ablehnen muss.

Schuster, der in Deutschland einige Auszeichnungen einheimste, fertigt »alles nur nach Maß«, Barmöbel aus Wurzelfurnier mit Intarsien beispielsweise. Derzeit arbeitet er für einen Norddeutschen an einem Ankleidezimmer aus poliertem Mahagoni mit versteckten Türen. Seine Kunden haben Geld, und »viele lassen es auch raushängen«.

Das Geld der Deutschen hat die Mieten hochgetrieben und Grund und Boden für viele Einheimische unerschwinglich gemacht - in den letzten drei Jahren haben sich die Immobilienpreise verdoppelt. Grundstücke in den attraktiven Lagen um Andratx liegen auf der gleichen oder gar höheren Preislage wie die Villengebiete von Hamburg-Blankenese oder München-Grünwald.

Die Preise klettern weiter, denn tausende von Deutschen, darunter nicht nur Reiche und Rentner, sondern zunehmend auch jüngere Familien, wollen sich den Traum vom Leben in der Sonne erfüllen. Nach einer Studie der Landesbausparkasse LBS gibt es 800 000 potentielle Spanien- und vor allem Mallorca-Interessenten.

Um diese Leute, die mit 50 oder spätestens 60 Jahren aussteigen wollen, kümmern sich Experten wie der Diplomvolkswirt Christoph Albeck von der Allianz Finanz- und Vermögensplanung, einer Tochtergesellschaft des Münchner Versicherungskonzerns.

In diesem Jahr hat Albeck, 31, sein Büro nach Palma verlagert und sitzt seitdem häufiger im Flugzeug. Er rechnet seinen Kunden aus, wann sie genug Geld für einen kommoden Ruhestand angehäuft haben, berät beim Firmenverkauf in Deutschland und bei der Anschaffung einer Villa auf Mallorca. Seine auswanderungswilligen Kunden haben eins gemeinsam: »Alle verdienen wirklich gut.«

Die Kundschaft von Axel Menke in Cala Millor sieht ein bißchen anders aus. Der Vertriebsleiter Mallorca N/O der BHW Immobilien GmbH berät »nicht gerade die Hautevolee«, doch er hat in den letzten zwölf Monaten ,"überdurchschnittlich gut verkauft«.

Seine Preisliste für Wohnungen und Reihenhäuschen in weniger attraktiven Lagen fängt bei 106 000 Mark für ein 48-Quadratmeter-Appartement an. Auch Mallorca-Fans, die über die Bausparkasse finanzieren und zumeist 250 000 bis 300 000 Mark ausgeben, treiben die Preise.

Wie in Deutschland gilt auch auf Mallorca die Regel: Je teurer das Eigenheim, desto seltener eine Hypothek. Für gediegene Villen fließt häufig Bares aus Luxemburger oder Schweizer Depots. Ein hoher Bankkredit wäre auch schwierig: Zwischen dem notariell beurkundeten Kaufpreis und dem tatsächlich gezahlten Betrag klafft eine gewaltige Lücke.

Nach alter Landessitte ist auf den Preis, den der Notar in der »escritura« registriert, ein Aufschlag von mindestens 50 Prozent, oft 100 Prozent fällig. In Spanien ist, anders als in Deutschland, auch bei Grundstücksgeschäften ein persönlicher Vertrag ohne notarielle Beurkundung bindend. So schließen Käufer und Verkäufer - gern auch vor dem Notar - zwei Verträge. In dem einen steht der tatsächliche Kaufpreis, in dem anderen der Preis, der gegenüber dem Finanzamt deklariert wird.

Das hat für beide Seiten Vorteile. Der Verkäufer kommt an Geld, von dem das Finanzamt nichts wissen soll. Der Käufer wiederum, der für die Villa in Wahrheit 2 Millionen Mark, offiziell aber nur 1,1 Millionen zahlt, pumpt damit 900 000 Mark Schwarzgeld in den Wirtschaftskreislauf zurück - eine ideale Geldwäsche. Und er spart sechs Prozent Grunderwerbsteuer.

»Ziemlich erschüttert« war Bäckermeister Klug, als ihm vor drei Jahren ein spanischer Rechtsanwalt den Kaufvertrag für ein Häuschen nach Köln faxte. Die Summe, die im Kaufvertrag stand, sollte er auf ein Konto überweisen, exakt den gleichen Betrag bar dem Verkäufer abliefern. »Schwarzgeld hat die Insel groß gemacht«, weiß der Bäcker inzwischen. Bei Barzahlung gibt ihm sein Arzt 20 Prozent Rabatt.

Natürlich kennen die spanischen Finanzämter die Praktiken, aber sie haben sie mit mediterraner Gelassenheit jahrzehntelang toleriert. Doch unterdessen ist die Stimmung umgeschlagen. »Der spanische Fiskus hat eine härtere Gangart angeschlagen«, sagt Oppenheim-Repräsentant Arens, »als erste merken das die vermögenden Deutschen.«

Jetzt überprüfen Finanzbeamte jeden Kauf, bei dem sie einen allzu krassen Unterschied zwischen dem Wert der Immobilie und dem deklarierten Preis vermuten. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres haben sie Steuerhinterziehungen in Höhe von 88 Millionen Mark aufgedeckt - mehr als im gesamten Vorjahr.

Zwar geht es den Spaniern ausschließlich darum, Steuern einzutreiben. Bei allzu protzigem Auftreten der reichen Residenten geht freilich hin und wieder ein dezenter Hinweis an deutsche Behörden. Rache und Neid sind die besten Verbündeten der Fahnder.

Wie sehr sich die Zusammenarbeit zwischen dem mallorquinischen und dem deutschen Fiskus verbessert hat, bekam der Verleger Peter Schindler zu spüren, der sich mit hohen Steuerschulden nach Mallorca abgesetzt hatte. Wegen solcher Lappalien, glaubten Schindler und seine Berater, behelligen die Spanier erfahrungsgemäß keinen Ausländer.

Schindler hatte sich geirrt. Seit fünf Monaten sitzt er in Auslieferungshaft.

Dass die neue Balearen-Regierung nun eine restriktivere Baupolitik ankündigt, kümmert die Gilde der Makler kaum. Denn verknapptes Bauland treibt die Preise noch höher.

»Es gibt in Europa zu Mallorca keine Alternative«, sagt Matthias Kühn, der sich selbst als »der größte« Makler der Insel annonciert (Umsatz 1998: 200 Millionen Mark). Der blonde Hanseat hat auf den Balearen 100 Büros und ebenso viele Angestellte.

Hauptvorteil der deutschen Lieblingsinsel bleibt, so sieht es Kühn: Sie ist billig und einfach zu erreichen. Erst neulich, erzählt Kühn, seien ein Freund und er von Hamburg aus um die Wette gereist - der Kumpel nach Sylt, Kühn nach Mallorca. Der Bekannte brauchte mit dem Auto fünf Stunden, um anzukommen, Kühn mit Taxi und Flieger nicht mal vier.

Macht Mallorca glücklich?

Nicht automatisch, sagt der Psychologe Achim Tobias, der in Llucmajor deutsche Macken behandelt. »Ich staune oft, mit welcher Naivität die Leute hierher kommen.« Der Umzug auf die Insel stürze viele in die Krise.

»Sie denken, jetzt habe ich eine schöne Finca, das Wetter ist toll, es darf mir eigentlich nicht schlecht gehen.« Das Gegenteil ist aber die Regel. Wer vor Problemen zu Hause flüchte, mache alles nur noch schlimmer. Denn: »Das soziale Umfeld ist weg, die Sicherheit ist weg, da spitzt sich die Situation zu.«

Nach zwei, drei Jahren stellt sich bei nicht wenigen der Inselkoller ein, mit Depressionen, Ehekrach und Suff. Jeder zweite Mallorca-Deutsche, so schätzt Tobias, hat Alkoholprobleme. Und wenn die Schatten auf der Seele länger werden, kehren sie heim - frustrierter, als sie gekommen sind. HERMANN BOTT,

OLAF IHLAU, ERICH WIEDEMANN

[Grafiktext]

Die beliebteste Urlaubsinsel der Deutschen Größe der Insel: 3640 km2 etwa 20% des bebaubaren Landes in deutschem Besitz Küstenkilometer: 555 km Einwohner: 610 000 davon in Palma: 305 000 Deutsche: ca. 70 000 Immobilienbesitzer davon ca. 8000 mit offiziellem Wohnsitz auf der Insel

[GrafiktextEnde]

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