KFZ-VERSICHERUNG Rückzahlung nur auf Antrag
Etwa eine Million westdeutscher Kraftfahrzeugbesitzer haben keine Ahnung davon, daß sie im Jahre 1950 zusammen über 17 Millionen Mark zu viel an ihre Kraftfahrzeug-Versicherungsgesellschaften gezahlt haben. Denn nur vereinzelt sickerten Informationen darüber an die Öffentlichkeit, daß der Karlsruher
Bundesgerichtshof die Unrechtmäßigkeit einer damals von den Gesellschaften geforderten Prämien-Nachzahlung festgestellt hat.
Zu dem Urteil ist es dadurch gekommen, daß die Düsseldorfer Brennstoffirma Kohlenwertstoff-AG. gegen die Münchner Allianz-Versicherungsgesellschaft einen Prozeß anstrengte. Sie verlangte die Prämie zurück, die sie auf Ersuchen der Allianz gezahlt hatte, als am 23. August 1950 die vom Preisrat des Bundeswirtschaftsministeriums verfügte Erhöhung der Prämien in der Kfz.-Versicherung gültig wurde.
Mit Ausnahme von fünf Gesellschaften sahen alle westdeutschen Versicherungsfirmen im Paragraphen 4 Absatz 2 dieser Verordnung die angenehme Möglichkeit, ihre Schadensreserve um einige Millionen Mark zu erhöhen. An betreffender Stelle der Verordnung hieß es nämlich: »Der neue Einheitstarif für Kraftfahrt-Versicherungen 1950 ist auch auf laufende Verträge anzuwenden.«
Auf diesen Passus verwiesen die Versicherungsgesellschaften, als sie für rund zwei Millionen »laufende« Versicherungsverträge, deren Prämien für einen über den 23. August hinausgehenden Zeitraum schon bezahlt waren, eine Nachzahlung gemäß den neuen erhöhten Tarifen forderten. Ein Kraftfahrer also, der beispielsweise schon im Juli 1950 seine Prämie für den Rest des Jahres gezahlt hatte, erhielt eine Nachzahlungsrechnung für den Zeitraum vom Stichtag der Prämienerhöhung, dem 23. August 1950, an.
Insgesamt kassierten die Versicherungsgesellschaften der Bundesrepublik aus diesen Nachzahlungen rund 35 Millionen Mark.
Der Bundesgerichtshof als letzte Instanz urteilte am 11. November 1953 zugunsten aller prämienzahlenden Kraftfahrzeug-Besitzer: »Nach § 363 BGB erlischt das Schuldverhältnis, wenn die geschuldete Leistung an den Gläubiger bewirkt wird.
»Der Sinn des § 362 BGB kann nur der sein, daß die Forderung dann, wenn die Leistung so, wie sie nach dem zur Zeit der Erfüllung geltenden Recht zu leisten war, bewirkt wurde, von selbst vollständig, vorbehalt- und bedingungslos erlischt, d. h. untergeht und vernichtet wird, der Schuldner damit also endgültig von seiner Schuld befreit wird.«
Die im Hamburger HUK-Verband (Verband der Haftpflicht-, Unfall- und Kraftverkehrsversicherer) zusammengeschlossenen Versicherungsgesellschaften der Bundesrepublik kamen nach diesem Urteilsspruch überein, das an den Kraftfahrzeugbesitzern begangene Unrecht lediglich »auf Antrag« wieder gutzumachen. Zur Begründung sagten sie: »Es kann uns nicht zugemutet werden, zwei Millionen Akten aus dem Jahre 1950 zu ziehen und zu überprüfen. Die damit verbundene überdimensionale Verwaltungsarbeit würde einen großen Teil der Rückerstattungssumme verschlingen.«
Anstatt an die Versicherten ein diesbezügliches Rundschreiben herauszugeben oder die Tagespresse zu unterrichten, beschränkten sich die Gesellschaften bislang darauf, Industrie- und Verkehrsverbände zu informieren, die in ihren Fachblättern dann eine entsprechende Notiz veröffentlichten. Auf diese Weise erfuhr nur rund die Hälfte der Anspruchsberechtigten von dem Bundesgerichtshof-Urteil.
Die runde Million der westdeutschen Fahrzeugbesitzer, zu deren regelmäßiger Lektüre die Fachzeitschriften der Industrie- und Verkehrsverbände nicht gehört, wurden durch eine winzige, leicht zu übersehende dpa-Meldung unterrichtet.