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ERHARD Rührszene eingeplant

aus DER SPIEGEL 48/1966

Er hat geglaubt, er bliebe lange. Es war gar kein Ende abzusehen. Arglos mischte er in Fächern und Laden seine private Habe unter das Staatseigentum. Das Palais Schaumburg war seins.

Jetzt aber wird, wo des Volkskanzlers friedfertiger Zigarrenrauch aufstieg, nicht mehr selbstsichere Stillleben-Politik gemacht, sondern Inventur. Ludwig Erhard packt ein.

Der Regierungschef, der es nicht mehr sein darf, läßt im Bundeskanzleramt alle Schränke und Regale visitieren: Staat und Erhard sollen getrennt werden. In Kisten und Kasten transportieren Amtsgehilfen den Erhard-Besitz 200 Meter weiter ostwärts: in den einst für Ludwig Erhard gebauten Dienstbungalow des Bundeskanzlers.

Seiner Macht schon seit Wochen beraubt, bereitet der Regierungschef sich darauf vor, spätestens Mitte Dezember auch das Amt selbst quittieren zu müssen. Der Nachfolger soll umgehend in ein sauberes Amts-Palais einziehen können, das in nichts mehr an Ludwig Erhards Gipfel-Biwak erinnert. Mit der Räumung des Bungalows will sich das Kanzler-Ehepaar mehr Zeit lassen.

Soweit dem Regierungsverweser noch Dienstgeschäfte obliegen, entledigt er sich ihrer traurig und lustlos. Die Gnadenfrist bis zur Entlassung nutzt der verlassene Vater des deutschen Wirtschaftswunders vornehmlich, die feierliche Gestaltung seines Abgangs vorzubereiten.

Wenn es nach Bundespräsident Lübke ginge, hätte dieser Abgang schon Ereignis werden müssen. Nach der Wahl Kiesingers zum CDU/CSU-Kandidaten am Donnerstag vorletzter Woche kam Lübke zu der Auffassung, Erhard müsse eigentlich zurücktreten. Der Präsident wartete drei Tage; am Sonntag rief er Erhard zu sich. Der Bundeskanzler mußte hören, daß in solcher Situation »nach altem demokratischem Grundsatz« der Kanzler sein Amt zur Verfügung zu stellen habe; Lübke gab ihm den freundlichen Rat, umgehend zu demissionieren. Aber Erhard blieb fest: »Ich werde nicht zurücktreten.« Er stellt sich seinen Abgang anders vor.

Schon legte Ludwig Erhard mit seinen so plötzlich entwurzelten Beratern das Zeremoniell fest, nach dem sich noch vor Weihnachten 1966 das Ende seiner Karriere vollziehen soll, die 1948 mit der Vorbereitung der Währungsreform so wundersam begann. Freilich wird dieses Zeremoniell nur einzuhalten sein, wenn der nächste Bundeskanzler ebenfalls von der CDU/CSU gestellt wird.

Sobald das sicher wäre, würde Erhard zunächst einen Brief an den Bundespräsidenten schreiben und ihn bitten, ihn von seinem Amt zu entbinden. Dann müßte der Schlußakt des Dramas folgen, für den sich die Brigade Erhard eine Rührszene ausgedacht hat:

Von dem Kanzlersessel in der ersten Reihe der Regierungsbank aus hält Ludwig Erhard vor dem Deutschen Bundestag seinen eigenen Nekrolog. Er tut dar, mit welchen Absichten er das Kanzleramt vor drei Jahren antrat. Er tut dar, mit welchen Erfolgen seine Amtszeit gesegnet war. Er tut dar, welche Einsichten in das politische Getriebe ihn zur Niederlegung des Amtes bewegt haben und mit wieviel guten Wünschen er seinen Nachfolger bedenkt. Dann tritt der zweite Kanzler der Bundesrepublik Deutschland ins Parlamentsplenum hinunter und nimmt demonstrativ auf seinem Abgeordnetenstuhl Platz.

Nur noch Abgeordneter will Ludwig Erhard sein. Er hat keine Ambitionen mehr. Auf jedes Gnadenbrot aus der Hand der Partei, mit der er zerfallen ist, will er verzichten, auch auf eine Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten 1969.

So geht der Spätherbst um im Palais Schaumburg. Eine Freude hat der verlassene Volkskanzler aber doch: Wenigstens hat der Krisenregisseur Rainer Barzel bei der Kandidaten-Kür in der CDU/CSU-Fraktion eine feine Niederlage erlitten.

Aber dafür ist der Kandidat Kiesinger von Regie-Ratgeber Strauß unterstützt worden, und damit zog auch des Kanzlers eigener Favorit den kürzeren: Gerhard Schröder.

Allerdings enthüllte die Abstimmung, auch zu Ludwig Erhards Überraschung, daß der spröde Außenminister die solideste Anhängerschaft aller Kandidaten - einschließlich Kiesingers - hinter sich versammeln konnte: ein kompaktes Drittel seiner Fraktion, das ihm durch alle drei Wahlgänge hindurch treu blieb.

Der Minister kann sich souveränes Zuwarten leisten. Seine Stimmen-Quote garantiert, daß kein künftiger CDU-Kanzler den Repräsentanten des evangelischen Parteiflügels übergehen kann.

Eine Rückkehr Schröders ins Bonner AA erscheint unter einem Kanzler Kiesinger dennoch wenig wahrscheinlich. Kandidat Kiesinger hatte vor der Wahl zwar das Angebot akzeptiert, unter einem Kanzler Schröder als Außenminister zu fungieren, doch hatte er eine ähnliche Festlegung zugunsten Schröders bei eigener Regierungsführung strikte vermieden.

Andere Ministerien reizen den ehrgeizigen Schröder wenig. So erwägt er für den Fall, daß -ihm unter einem CDU-Kanzler die Wiederkehr ins AA verbaut wird, den Rückzug auf die Schlüsselposition des CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden.

Tatsächlich sieht seit seiner jähen Niederlage der gegenwärtige Fraktionsführer Rainer Barzel Gefahren auf sich zukommen. Ein Kabinettsrevirement könnte nicht nur Schröder, sondern auch den in der Fraktion beliebten Wirtschaftsminister Kurt Schmücker freisetzen. Ein dritter Rivale steht mit dem Kanzlerstürzer und Königsmacher Franz-Josef Strauß in den Kulissen.

Der wendige Barzel versuchte vorzubauen. Vor der Fraktion versicherte er noch vor der Kandidaten-Kür ungefragt, daß die Fraktionsführung ihm Freude mache.

Nach der Wahl sagte er dem neuen Kronprinzen zu, als Fraktionschef werde er ihn loyal unterstützen. Bei einem Mittagessen in der Landesvertretung Baden-Württemberg zu Bonn revanchierte sich Kiesinger mit einer doppelbödigen Zusage: Barzel könne Fraktionsvorsitzen der bleiben, »wenn die Fraktion es will«. Zugleich setzte er ihm einen Trostpreis aus: Auf Wunsch könne Barzel auch ins Kabinett eintreten.

Aber nicht die geringsten Trostpreise stehen für Ludwig Erhards getreue Schaumburg-Mannschaft iii Aussicht. Der Abgang ihres Meisters trifft die Chef-Brigadiers, kurz bevor einkommensteigernde Beförderungen realisiert werden konnten:

- Ministerialdirektor Karl Hohmann sollte mit einer neuen Staatssekretärsstelle im Bundeskanzleramt für langjährige Gefolgstreue belohnt werden;

- Kanzleramt-Mann Franz Hange, vor einem Jahr als Berater angestellt, sollte als Ministerialdirigent ins Beamtenverhältnis übernommen werden.

Allerdings ist Kanzler Ludwig Erhard fest entschlossen, so lange zu amtieren, wie die CDU keine neue Koalition zustande bringen kann. Bei einem SPD/FDP-Bündnis will er es auf eine Kampfabstimmung über das konstruktive Mißtrauensvotum ankommen lassen. Ludwig Erhard trotzig: »Ich weiche dann nur der Gewalt.«

Simplicissimus

»Präsident Gerstenmaier für Herrn Kokoschka - er hätte wieder einen Altbundeskanzler zu malen.«

Stern

»Ach, du meine Güte, Rainer - du hast vergessen, das Kanzlerbild abzubestellen.«

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