REVUE »Rufen Sie den Doktor!«
Willy Fritsch, Star des »Liebesexpreß«, der in Hagenbecks Zirkus in Hamburg täglich auf der Revue-Strecke Hamburg-Paris-London-New York-Berlin - Wien-Hamburg verkehrt, verknackste sich den Fuß. Willy stolperte über eine Bühnentreppe. »Schnell, rufen Sie den Doktor.«
Der Doktor kommt, Heinz Thurau heißt er, sieht sich die Sache an und verarztet Willy Fritsch. Dieser Doktor med. ist nicht etwa der Theaterarzt. Er ist der Komponist der Revue. Und außerdem Gefängnisarzt.
Heinz Thurau hat von Jugend auf die Neigung zur Musik wie die zur Medizin gehabt. Als Primaner in Königsberg wollte er Kapellmeister werden. Aber er spürte, zur »großen Musik« würde es nicht reichen. Er begann, Medizin zu studieren.
Im zweiten Semester wurde es mit dem Geld knapp. Um das Studium bezahlen zu können, spielte Heinz Thurau als »Alleinunterhalter« in einer Königsberger Bar. Er hatte Erfolg. Mit 18 anderen Studenten gründete er die »Studeka«. Diese Studentenkapelle spielte auf Veranstaltungen, bei Hochzeiten und einmal sogar in Zoppot, dem mondänen Seebad.
Thurau komponierte Schlager (es wurden aber nicht alles Schlager) und instrumentierte nebenbei. Das machte er bis zum Staatsexamen. Er tanzte auch auf Turnieren und gewann den Großen Preis von Deutschland.
Nach dem Examen wurde Thurau Assistent in einem Krankenhaus. Die Musik hatte ihren finanziellen Zweck erfüllt, sie war nun nur noch für den Hausgebrauch da. Immerhin, mit einem Bekannten zusammen komponierte er in seinem Krankenhauszimmer das Liedchen »Ich könnte so nett zu dir sein«. Der Erfolg war, daß die jungen Schwestern im Krankenhaus das Liedchen summten und pfiffen.
(Uebrigens ist Bobby Thondern, Willy Fritschs Rolle im »Liebesexpreß«, auch als Assistenzarzt und Komponist« im Darstellerverzeichnis aufgeführt.)
Nach der Kapitulation wurde Heinz Thurau aus Holstein, wo er im Camp saß, nach Hamburg entlassen. Dort wurde er der Medicus des Untersuchungsgefängnisses.
In einem Kabarett traf er den Bekannten wieder, mit dem er »Ich könnte so nett zu dir sein« komponiert hatte. Der sang den Song jetzt als Solonummer. So kam Thurau wieder in Verbindung mit der leichten Muse.
Als Hans Raspotnik die Revue »Liebesexpreß« schrieb, gab er Thurau Schlagertexte zum Komponieren. Schließlich komponierte der Doktor die ganze Musik für die Revue.
Aber Thurau denkt nicht daran, die Medizin an den Nagel zu hängen. »Das Komponieren macht mir Freude, aber ich bin mit Leidenschaft Arzt«, sagt er.
Als sein Name auf den Plakatzetteln der Revue erschien, hatte Dr. med. Thurau Lampenfieber. Nicht wegen des Publikums, sondern wegen seiner Kollegen. Ein Schlager komponierender Doktor kommt nicht oft vor in der Branche.
»Ich könnte so nett zu dir sein« - der komponierende Doktor hilft Willy Fritsch