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DIOXIN Ruhigstellung veranlaßt

Um Geld für eine teure Deponie-Sanierung zu sparen, versuchte die Firma Boehringer, Einfluß auf die Landesregierung in Mainz zu nehmen. *
aus DER SPIEGEL 1/1985

Die Angewohnheit des ehemaligen Flick-Gesellschafters Eberhard von Brauchitsch, alles, was ihm bedeutsam vorkam, in Aktennotizen festzuhalten, scheint unter Führungskräften in der Wirtschaft weit verbreitet. Auch Werner Krum, leitender Angestellter der Ingelheimer Chemie-Firma C. H. Boehringer, schrieb gern auf, was ihn bewegte.

Und ähnlich wie bei Brauchitsch wäre auch von Krums Aufzeichnungen nichts überliefert, hätten nicht Staatsanwälte die Firma durchsucht. Die beschlagnahmten Unterlagen belegen, daß auch Boehringer versucht hat, auf politische Entscheidungen Einfluß zu nehmen. Krum, Leiter des Boehringer-Zweigwerks Hamburg-Moorfleet, wollte rheinland-pfälzische CDU-Politiker und Umweltbeamte für Zwecke seiner Firma einspannen.

Der Chemie-Konzern hatte zwischen 1969 und 1972 auf der Haus- und Sondermülldeponie Gerolsheim, bei Frankenthal in der Pfalz, rund 1500 Fässer mit Abfällen verbuddelt. Die schmutzige Fracht war, wie sich später herausstellte, dioxinhaltig; sie kam aus dem Boehringer-Zweigwerk in Hamburg-Moorfleet, das im Juni letzten Jahres die Produktionsanlagen stillegen mußte, weil bei der Herstellung von Unkrautvertilgungsmitteln das Seveso-Gift Dioxin anfiel.

Über zehn Jahre lag das gefährliche Zeug unentdeckt auf dem 30 Hektar großen Deponiegelände in Gerolsheim. Erst im Frühjahr 1983, als in Europa 41 Fässer mit Seveso-Gift gesucht wurden und Hamburger Umweltschützer nach dem Verbleib der bei Boehringer anfallenden

Dioxin-Rückstände fragten, gab der Konzern die heiklen Ablagerungen zu.

Der Hamburger Werksleiter Krum hätte am liebsten alles geheimgehalten. In einem Aktenvermerk, der für seinen Ingelheimer Chef Herbert Grimm bestimmt war, legte der promovierte Chemiker »unsere 'Tendenz' im Zusammenhang mit den Seveso-Fässern« fest: »Wir sehen keine Veranlassung, durch unnötige Erklärungen im öffentlichen Bild zu erscheinen. Auf Befragen geben wir die erwähnten Auskünfte.«

Das späte Geständnis von Boehringer brachte die Mainzer Landesregierung in Bedrängnis. Auf Protestversammlungen wurden Umweltminister Rudi Geil und Staatssekretär Klaus Töpfer ausgepfiffen, Bürgerinitiativen verlangten die sofortige Schließung der von einer halbstaatlichen »Abfallbeseitigungsgesellschaft« betriebenen Deponie. Tausende empörter Anwohner demonstrierten mit Transparenten ("Wir wollen kein Seveso") und Totenköpfen gegen »Dioxin-Gift«.

Die öffentliche Aufregung trübte das bis dahin harmonische Verhältnis zwischen dem Chemie-Konzern und dem Mainzer Umweltministerium. Besorgt protokollierte Krum, daß Minister Geil bei Versammlungen »bissige Bemerkungen« über »mangelhafte Kooperation mit der Firma Boehringer« mache. Auch habe sein sonst so freundlicher Staatssekretär bei einer Begegnung nur »schmallippig« gegrüßt.

Die Herren Regierungsvertreter hatten Grund, besorgt zu sein. Untersuchungen des Stuttgarter Abfallexperten Oktay Tabasaran ergaben, daß die Gerolsheimer Deponie weder unten noch an den Seiten dicht und das Grundwasser schon durch Chemie-Rückstände verseucht war.

Gutachter Tabasaran schlug deshalb vor, das gesamte Areal mittels einer 80 Zentimeter dicken Schlitzwand rundherum einzukapseln und entweichende Deponiegase durch moderne Reinigungsanlagen zu entgiften. Geschätzte Kosten dieses Konzepts: rund 35 Millionen Mark - eine Summe, die von der Abfallbeseitigungsgesellschaft trotz drastisch erhöhter Müllgebühren nicht hätte aufgebracht werden können.

Krum sah das genauso. Wenn es Minister Geil »nicht gelingt, sich von seinen 'Sachverständigen' zu lösen«, schrieb er an die Ingelheimer Zentrale, »wird das Kostenproblem einer Sanierung die Mittel der Betreibungsgesellschaft bei weitem übersteigen«.

Der Plan des erbosten Umweltministers, Boehringer als Verursacher der Dioxin-Rückstände auf Schadenersatz verklagen zu lassen, alarmierte den Hamburger Werksleiter. Seinem Chef Grimm gestand er, daß Boehringer »in einer sehr schlechten rechtlichen Position« sei.

Zwar durfte die Chemie-Firma von 1969 an »Destillationsrückstände der organischen Chemie in pastöser oder fester Form, leicht sauer, nicht leicht brennbar« in Gerolsheim vergraben, allerdings nur unter der Bedingung, daß der Abfall »wegen seiner Giftigkeit usw. keine besonderen Probleme« für das Grundwasser »aufgibt«.

Weil Krum einen Prozeß gegen Boehringer fürchtete, reiste er ins Mainzer Umweltministerium, um die anstehenden Probleme »auf der fachlichen Ebene« zu besprechen. In Abwesenheit von Minister Geil wandte sich Krum an den für »Grundsatzfragen der Umweltpolitik und Landespflege« zuständigen Ministerialbeamten Franz-Josef Knichel.

Dabei war auch ein alter Bekannter Krums: Paul Schädler (CDU), der für Gerolsheim zuständige Regierungspräsident von Rheinhessen-Pfalz. Beide kennen sich seit Ende der sechziger Jahre. Krum war FDP-Kreisvorsitzender des Landkreises Ludwigshafen, und die FDP-Kreistagsabgeordneten stimmten damals der Ernennung Schädlers zum Landrat zu.

Mit Schädler und Knichel fand Krum zwei Verbündete, denen die Prozeßlust des Umweltministers mißfiel. »Die Gesprächsrunde war sich einig«, notierte Krum am nächsten Tag zufrieden, »ein Zivilverfahren zu verhindern.« Ob dies gelinge, hänge davon ab, »inwieweit es möglich ist, Minister Geil, der sich sehr unglücklich festgelegt hat, und den ihn eifrig unterstützenden Staatssekretär zu blockieren«.

»Die Chancen hierfür«, bewertete Krum das Gesprächsergebnis, »scheinen relativ gut.« Er sollte recht behalten, zu einer Klage kam es bis heute nicht.

Regierungspräsident Schädler hatte laut Krum-Vermerk erklärt, »keiner der Beteiligten könne in einer rechtlichen Auseinandersetzung irgend etwas gewinnen. Es könne nur Verlierer geben« - womöglich ein Hinweis auf frühere Behördenversäumnisse, die nicht öffentlich gemacht werden sollten.

Ministerialdirigent Knichel, vom SPIEGEL auf die Vereinbarung angesprochen, räumte jedenfalls ein, daß vor Inbetriebnahme der Deponie Gerolsheim »unwahrscheinlich dilettantisch« gehandelt wurde, »noch nicht einmal das Geologische Landesamt eingeschaltet« worden sei. Noch 1973 erhielt Boehringer offiziell die Erlaubnis, Rückstände aus der T-Säure-Produktion, die dioxinhaltig sind, in Gerolsheim abzulagern - Details, die bei einem Prozeß die schludrige Aufsicht von Behörden offenlegen würden.

Als ein Anwalt der Deponiegesellschaft dennoch vorsorglich bei Boehringer Entschädigungsansprüche anmeldete, beschwerte sich Krum prompt im Umweltministerium. Knichel versprach, »bei der Deponiegesellschaft eine Ruhigstellung des Anwalts zu veranlassen«. Auch das gibt Knichel zu: »Stimmt, das Gespräch hat so stattgefunden.« Allerdings will der Ministeriale »nichts wirklich unternommen«, sondern Krum »nur abgewimmelt« haben.

Zustimmung erntete Krum auch mit seiner Kritik am Sanierungskonzept Professor Tabasarans, das er für »einfach abwegig« hält. Die Firma Boehringer wehrt sich gegen Tabasarans Pläne, weil sie womöglich die hohen Kosten für die Sanierung tragen muß.

Beim Regierungspräsidenten Schädler fand Krum Verständnis für seine ablehnende Haltung. Krum notierte, der CDU-Mann habe »sehr deutlich« zu erkennen gegeben, daß er »mißtrauisch ist gegenüber den Gutachtern der Landesregierung,

die offensichtlich von hohen Honoraren und Provisionen beteiligter Bauunternehmen träumten«. Schädler habe deshalb die »Absicht, Tabasaran auf den Boden der Wirklichkeit herunterzuholen«, sprich, von seinem Konzept abzubringen.

Im Mainzer Umweltministerium ist der Tabasaran-Plan umstritten. Während Minister Geil in einer Regierungserklärung das Einkapselungskonzept favorisiert hat, vermißt sein Fach-Abteilungsleiter Knichel bei Tabasaran »Alternativ-Vorschläge«. Knichel vorletzte Woche: »Wie saniert wird, ist noch offen.« Dagegen Staatssekretär Töpfer: »Gerolsheim wird verkapselt.«

Diskutiert wird jedoch auch der umwelttechnisch problematische, aber weitaus billigere Vorschlag des Landesamts für Wasserwirtschaft, die Deponie »ausbluten« zu lassen und vergiftetes Grundwasser einfach abzupumpen.

Statt lästiger Berichterstattung über Dioxin-Abfälle wünschte sich Krum Schlagzeilen über Boehringers Umweltwohltaten.

Er griff den »bereits früher geäußerten Wunsch von Dr. Knichel nach einer Goodwill-Handlung« auf und schlug dem Umweltbeamten »bei einem Gespräch unter vier Augen« vor, das Umweltministerium »bei der Herausgabe eines Faunen-Katalogs« zu unterstützen oder den »auffallend baumarmen Raum von Ingelheim« durch »Aufforsten einer Fläche« zu verschönern. Dies ließe sich doch, hielt Krum fest, für »Unternehmen wie Behörden besonders gut verkaufen«.

Als Umweltminister Geil im November 1983 eine Pressekonferenz über die Gerolsheimer Sanierungsmaßnahmen plante, verspürte Krum hingegen »Unbehagen«. Ausweislich seiner Notizen fand er erneut Gleichgesinnte: »Knichel und Schädler möchten die Sache mehr im stillen erledigen.«

Beharrlich kämpfte Krum gegen Pläne des Umweltministers zur Sanierung alter Giftmülldeonien. Minister Geil, durch die Vorgänge in Gerolsheim sensibilisiert, wollte die Verursacher solcher »Altlasten«, die einzelnen Chemie-Unternehmen, per Gesetz zur Schadensregulierung zwingen. Auch Boehringer sollte für die Sünden der Vergangenheit haften.

Solche Vorstellungen seien »abzulehnen«, notierte Krum in Firmenvermerken, weil sie »tiefe Eingriffe mit quasi steuerlichem Charakter« darstellten und dem Staat »uferlos zu agieren« ermöglichten.

Nachdem der Chemiker von einem CDU-Kontaktmann in Mainz erfahren hatte, daß »das Verhältnis zwischen Umweltminister Geil und der Fraktion gespannt« sei, versuchte er den ehrgeizigen CDU-Fraktionsvorsitzenden Hans-Otto Wilhelm als Bremser gegen Geil einzuspannen.

Während einer USA-Reise, an der sich CDU-Landtagsabgeordnete und Wirtschaftsführer unter Betreuung durch die Boehringer-Werbeagentur Manning, Selvage & Lee beteiligten, kamen Krum und Wilhelm ins Gespräch. Krum erinnert sich heute noch, daß Wilhelm den Geil-Plan ablehnte und statt dessen für eine »freiwillige Lösung durch die Industrie« plädierte.

Die Übersee-Kontakte hatten Folgen. Krum konnte erfreut vermerken, daß laut Wilhelms Sprecher Heinz Peter Labonte die Vorstellungen des CDU-Ministers Geil »nicht zur Wirtschaftspolitik der CDU passen«. Vermutet werde, daß Minister Geil »eher glücklich ist, wenn die Industrie eine Initiative ergreift«.

Krum appellierte an Boehringer-Boß Grimm, »daß relativ rasch gehandelt werden muß, wenn wir nicht durch staatliche Eingriffe überrollt werden wollen«. Bundesweit sei »ein Fondsmodell durchzusetzen«, der »Schneeball« sollte »in Rheinland-Pfalz losgetreten werden«.

Zufall oder nicht: Ausgerechnet einen freiwilligen Solidarfonds, finanziert durch die Industrie, schlug Geil kürzlich der Umweltministerkonferenz als Lösung zur »Sanierung gefährlicher Müllablagerungen aus der Vergangenheit« vor. Erst wenn ein solcher Fonds nicht zustande kommt, soll - wie in den USA - ein »Altlastenfonds auf gesetzlicher Basis« erwogen werden.

Während rheinland-pfälzische Christdemokraten wie Wilhelm-Adlatus Labonte die Krum-Aufzeichnungen als »Phantasie« oder »Wunschdenken« abtun, besteht Krum auf der Korrektheit seiner Darstellung: »Was ich aufgeschrieben habe, stimmt auch so.«

Dieses klärende Wort steht bei Eberhard von Brauchitsch noch aus.

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