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Artikel 19 / 86

SPIEGEL Gespräch Rundumschlag mit der chemischen Keule

aus DER SPIEGEL 48/1976

SPIEGEL: Herr Ministerpräsident, für den Kraftakt in Brokdorf -- eine Festung mitten auf einer Marschwiese an der Unterelbe, Drahtverhaue, Wassergräben, Eisengitter und eine richtige Mauer, Hundertschaften Polizei aus sieben Bundesländern, Werkschutz und Bundesgrenzschutz -- haben Sie nur eine Erklärung: Die Radikalen sind schuld, die aus der ganzen Republik zusammengezogen wurden, um den Bauplatz für das Kernkraftwerk zu stürmen.

STOLTENBERG: Ich habe mich bemüht, die Ursache für die Erregung in der Bevölkerung, die Kontroversen und die Demonstrationen gegen den Bau des Kraftwerks vielschichtig zu sehen. Mir ist seit langem klar, daß es wieder eine ansteigende Sorge über die Probleme der Kernenergie gibt. Aber es war auch früh erkennbar, daß von außen gelenkte, zunehmend radikale, zum »Feil kommunistische Kräfte auf die Meinungsbildung mancher Bürger und auf einige Bürgerinitiativen Einfluß gewonnen haben.

SPIEGEL: Um Bürger, Bürgerinitiativen und friedliche Demonstranten haben sieh die Politiker des Landes Scheswig-Holstein kaum gekümmert. Sie haben sich auf die radikalen Gruppen eingeschossen. Entsprechend martialisch verlief der Polizeieinsatz.

STOLTENBERG: Seit drei Jahren, seit der Entscheidung der Landesregierung über den Stand des neuen Kraftwerks also, sind wir mit den Bürgern im Gespräch. Wir haben natürlich gesehen, daß sich in den Bürgerinitiativen besorgte Bürger zusammengeschlossen haben, die zunächst einmal mit radikalen Gruppen überhaupt nichts zu tun haben wollten. In der Bewegung und Erschütterung über die Vorgänge am vorletzten Sonnabend habe ich auch gesagt, daß wir nicht die immer noch überwiegend friedlichen Demonstranten mit den Gewalttätern in einen Topf werfen dürfen.

SPIEGEL: Da war es bereits geschehen.

STOLTENBERG: Sie dürfen nicht verkennen, daß die Situation in Brokdorf außerordentlich gefährlich war. Die Zahl der gewalttätigen Demonstranten, die den Bauplatz in Brokdorf stürmen wollten, wird von der Polizei auf 3000 bis 4000 geschätzt. Die Brutalität dieser Gruppen und die eingesetzten Waffen waren eine schwere Belastung für die Polizei bis zur Gefährdung des Lebens einzelner Beamten.

SPIEGEL: Außer den gewalttätigen Kommunisten, Maoisten und Politrockern haben aber auch rund 25 000 friedliche Bürger demonstriert. Viele von ihnen wurden ebenfalls Opfer des rigorosen Polizeieinsatzes mit Wasserwerfern, die chemische Brühe verspritzten, Tränengasgranaten, Schlagstöcken und chemischen Keulen.

STOLTENBERG: Es gab nach den mir vorliegenden Berichten Situationen, in denen sieh Polizeiwagen, Wasserwerfer, kleine Polizeigruppen durch große Massen von Demonstranten mühsam ihren Weg bahnen mußten und dann plötzlich von radikalen Gruppen mit Brandsätzen und Schlagwerkzeugen angegriffen wurden.

SPIEGEL: Die zügellosen Polizei-Attacken richteten sich aber auch gegen Demonstranten, die sich ganz bewußt auf einer Wiese, ein paar hundert Meter von der Baustelle entfernt, versammelt hatten. Da gab es weder eingekeilte Polizeiwagen noch bedrohte Polizisten; da gab es auch keine Radikalen. Die Wiese sollte offenbar geräumt werden; warum auch immer.

STOLTENBERG: Ich vertrete nicht nur aus Pflicht, sondern auch aus Überzeugung aufgrund der mir vorliegenden Berichte den Einsatz der Polizei. Wir werden. auch das gehört zu unserer Pflicht, jeden begründeten Hinweis überprüfen.

SPIEGEL: Die Polizei hat nicht einmal den Versuch gemacht, die radikale Minderheit von der demonstrierenden Mehrheit abzutrennen, eigentlich das A und O solcher Einsätze. Ihr Feindbild schloß alle ein.

STOLTENBERG: leider war für die Polizei eine solche Trennung offenbar nicht möglich. Die Atmosphäre war emotional aufgeladen, und so gerieten auch demonstrierende Bürger in den Sog der schweren Auseinandersetzungen. Manchmal spielten auch Neugier und Sensationslust eine Rolle.

SPIEGEL: Höhepunkt des Gefechts war der Lufteinsatz von tieffliegenden Hubsehraubern, die Gasgranaten gezielt in die Menge und sogar noch auf abziehende Gruppen warfen. Diese Flüge wurden bereits aufgenommen, zunächst ohne Gas, als noch Pastoren ihren Feldgottesdienst und, 2000 Meter von der Baustelle entfernt, die Kraftwerksgegner ihre Kundgebung abhielten.

STOLTENBERG: Man muß unterscheiden zwischen Aufklärungsflügen und dem Einsatz der Hubschrauber für die Unterstützung der bedrängten Polizei, vor allem durch Tränengasabwurf.

SPIEGEL: Sie nennen das Aufklärungsflüge, wir nennen das Einschüchterungsflüge. Demonstranten, die sich ganz bewußt fernab der Gefahrenquellen aufhalten, müssen solche Aktionen als Drohung und Provokation empfinden.

STOLTENBERG: Ich bin davon überzeugt, daß es hier in einer äußerst kritischen Situation manchmal um das Leben von Polizeibeamten, möglicherweise auch um das Leben von unbeteiligten Demonstranten ging. In den 14 Tagen vor dieser Demonstration gingen zunehmend dramatische Meldungen bei uns ein, daß kommunistische und anarchistische Gruppen von Kiel über Hamburg und Bremen bis Stuttgart den Sturm auf die Baustelle nicht nur propagierten. sondern auch probten. Es gab konkrete Hinweise auf die Heranführung schweren Geräts, von Waffen und Ausrüstung, so daß wir auf das Schlimmste gefaßt sein mußten. »Offensiver Terror und unmenschliche Waffen?«

SPIEGEL: Was war das für schweres Gerät?

STOLTENBERG: Balken zum Überwinden der Wassergräben, aber auch durchaus verwendbar für den Versuch, das Tor aufzurammen. Außerdem gab es Schutzschilder, die, mit Nägeln versehen, auch eindeutig als Angriffswaffen benutzt werden konnten, und anderes Sturmwerkzeug.

SPIEGEL: Unbestritten ist, daß radikale Gruppen Gewalt angewandt haben. Unbestritten ist aber auch, daß polizeiliche Rundumschläge gegen Tausende friedlich demonstrierende Bürger radikalisierten.

STOLTENBERG: Das ist nicht auszuschließen. Deshalb werden wir unsere Gespräche mit unmittelbar beteiligten und betroffenen Mitbürgern in der Wilster Marsch fortsetzen. Auf der anderen Seite aber sehe ich deutlich, daß nun auch viele organisierte Kernkraftwerksgegner das Gefährliche und Fragwürdige derartiger Massendemonstrationen erkennen. Insofern liegt hier auch eine Chance trotz allem, was an diesen schweren Ausschreitungen aus der verschiedenen Betrachtungsweise zu beklagen ist.

SPIEGEL: In diesen Tagen haben Sie viel vom Bürgerrecht auf Demonstrationen geredet. Aber zugleich wurde das Demonstrationsrecht beschnitten. Das besetzte Wiesengebiet wurde so weit ausgedehnt, Zuwege mit Polizeiautos und Nagelbrettern gesperrt, so daß die Demonstranten erst einmal bis zu zehn Kilometer marschieren mußten.

STOLTENBERG: Die Absperrungen sind in einer Entfernung von zwei bis fünf Kilometern vorgenommen worden; durch den starken Verkehrsstau können dadurch im Einzelfall weitere Wege entstanden sein. Wir mußten diese Maßnahmen ergreifen, um die Heranschaffung von Waffen und schwerem Gerät zu verhindern.

SPIEGEL: Der Bürgerinitiative wurde verwehrt, ihre Lautsprecheranlagen mitzunehmen. Dadurch war ihr, groteskerweise, von Staats wegen die Möglichkeit genommen, mäßigend auf die Massen zu wirken.

STOLTENBERG: Der Lautsprecherwagen wurde offenbar zurückgewiesen im Rahmen der allgemeinen Regelung, aus Sicherheitsgründen keine Kraftfahrzeuge zum Baugelände fahren zu lassen.

SPIEGEL: Der Wagen hätte ja von der Polizei leicht durchsucht werden können.

STOLTENBERG: Darauf wollte sieh die Polizei wohl nicht einlassen, denn immerhin haben sich einzelne Mitglieder der Bürgerinitiative an der Vorbereitung gewaltsamer Aktionen beteiligt; bei einem Mitglied wurden Geräte versteckt, die von der Polizei beschlagnahmt werden konnten.

SPIEGEL: Was waren das für Geräte?

STOLTENBERG: Latten und Balken. Deshalb sah die Polizei offensichtlich keine Möglichkeit, Ausnahmen zu machen. Über solche Einzelvorgänge kann man auch kritisch mit mir sprechen. Aber sie ändern für mich nichts an der Gesamtbeurteilung der unerhörten Gefahrenlage.

SPIEGEL: Und die tieffliegenden Hubschrauber, die den Feldgottesdienst und die Kundgebung doch wohl absichtlich behinderten?

STOLTENBERG: Ich muß es noch mal sagen, es waren Aufklärungsflüge, um die Vorbereitung offensiven Terrors und den Einsatz von schwerem Gerät und unmenschlichen Waffen frühzeitig zu erkennen.

SPIEGEL: Der Druck auf die Bevölkerung in der Wilster Marsch und diejenigen, die sich dort sehen lassen, hielt offenbar auch dann an, als nicht mehr demonstriert wurde. Bürger fühlen sich beschattet, Autonummern werden aufgeschrieben, und hin und wieder fahren Polizeiwagen auf die Höfe, leuchten Beamte nachts in die Fenster. Schilder mit Aufschriften wie »Kein Kraftwerk nach Brokdorf« müssen entlernt werden, weil, laut Landratsamt, »eine Baugenehmigung« dafür nicht vorliegt und diese Baugenehmigung auch nachträglich nicht erteilt werden könne.

STOLTENBERG: Da es den radikalen Gruppen gelungen ist, vereinzelt Sympathisanten zu gewinnen, die Vorbereitungen gewalttätiger Aktionen vielleicht unterstützen könnten, sind grundsätzlich Beobachtungs- und Aufklärungsmaßnahmen der Polizei unvermeidlich. Die Polizei muß auch tätig werden, um Kommunalpolitiker, die für das Kraftwerk sind, vor Beschimpfungen und Drohungen zu schützen. Polizeiliche Maßnahmen haben also absolut ihre zwei Seiten. Es gehört ja auch zu den Ausschreitungen der letzten großen Demonstration, daß einem unbeteiligten Bauern in der Nachbarschaft des Kernkraftwerks durch Demonstranten Stallgebäude abgebrochen und Anpflanzungen vernichtet wurden.

SPIEGEL: Und welche Rolle spielt bei den Präventivmaßnahmen das Protestschild im Vorgarten eines Marschenbauern?

STOLTENBERG: Ich werde dieser Frage nachgehen. Ich bin auf den ersten Blick nicht sicher, ob dies ein angemessenes Handeln ist.

SPIEGEL: Der Showdown in Brokdorf vermittelt den Eindruck, daß Sie und Ihre Regierung politisch nicht Herr der Lage sind. Der Konflikt war voraussehbar und kann mit Polizeimitteln allein sicher nicht gelöst werden.

STOLTENBERG: Ich kann den Vorwurf in dieser allgemeinen Form nicht akzeptieren...

SPIEGEL: ... wir werden gleich konkreter ...

STOLTENBERG: ... bin aber bereit, über alles, was geschehen ist, noch einmal nachzudenken. Hier ist unter dem Eindruck der Energiekrise Ende 1973 über den Standort für ein weiteres Kernkraftwerk, das 24. in der Bundesrepublik Deutschland, in einem zweieinhalbjährigen öffentlichen Verfahren ordnungsgemäß entschieden worden. Die Gemeindevertretung Brokdorf hat mit einer Gegenstimme diesem Plan ausdrücklich zugestimmt.

SPIEGEL: Daß Radikale in Aktion treten, seit Hiroshima verängstigte Bürger aufbegehren würden, zumal auch Wissenschaftler noch über die Gefährlichkeit von Kernkraftwerken und vor allem der Atommüll-Deponie streiten, das mußten Sie wissen. Trotzdem haben Sie hinreichende politische Vorkehrungen vermissen lassen. Die Bürger wurden erst hingehalten, dann, in einer nebligen Nacht, überrumpelt. Mit der Baugenehmigung wurde sofortiger Vollzug des Baubeginns angeordnet, und sofort war Polizei zur Stelle. Eingeweiht in die Aktion waren die Kernkraftwerksbauer, Werkschützer und genehme Chefredakteure, nicht aber die Betroffenen.

STOLTENBERG: Diese Darstellung ist nicht korrekt. Daß die Bürger hingehalten wurden, davon kann überhaupt nicht die Rede sein. Wir haben noch in diesem Sommer öffentlich erklärt, nach Abschluß des Rechtsverfahrens wird die erste Teilgenehmigung erteilt. Die polizeilichen Sicherungsmaßnahmen bei Baubeginn waren dringend erforderlich, weil radikale Gruppen rechtswidrige, möglicherweise auch gewaltsame Aktionen angekündigt hatten. Es ist für mich eine gefährliche Veränderung der Tatbestände, wenn denjenigen, die ein unbestreitbares Recht des Baubeginns in Anspruch nehmen, und dem Staat, der die erforderlichen Sicherungsmaßnahmen einleitet, nun Nacht- und Nebelaktionen vorgeworfen, Gewalttäter und Gewalttaten aber verharmlost werden.

SPIEGEL: Nach dem Buchstaben des Gesetzes mag das mit dem sofortigen Vollzug in Ordnung gehen, und dennoch kann solche Praxis fragwürdig sein. Die Betroffenen gewinnen den Eindruck, verschaukelt zu werden. Hier wird der Rechtsschutz geschmälert, wie denn auch im gesamten Verfahren die demokratischen Rechte der Kernkraftwerksgegner nicht gerade obenan rangierten.

STOLTENBERG: Da bin ich ganz anderer Meinung. Wir gehen davon aus, daß die zu erwartenden Klagen insbesondere über die Fragen des sofortigen Vollzugs vom Verwaltungsgericht in Schleswig sorgfältig und gründlich entschieden werden, bevor, in etwa sechs bis acht Monaten, der Bau des eigentlichen Kraftwerks beginnt. Die Erwartung mancher allerdings, daß ein Bau zurückgestellt werden kann, bis alle Instanzen ausgeschöpft worden sind, würde zu der Zerstörung des Energieprogramms der Bundesregierung führen.

Wichtige Gutachten fehlten im Verfahren.

SPIEGEL: Brokdorf war seit 1971 im Gespräch zwischen Kernkraftwerksbetreibern und der Landesregierung. 1973 erfuhren die Bürger zum erstenmal davon, rein zufällig. Abstimmungen in Brokdorf und dem Nachbarort Wewelsfleth ergaben rund 75 Prozent gegen den Reaktorbau. Nichtsdestoweniger entschied die Landesregierung wenig später für den Standort Brokdorf.

STOLTENBERG: Es mag sein, daß 1971 und 1972 bei Diskussionen über die Energieversorgung auch Brokdorf im Gespräch war. Aber die grundsätzliche Entscheidung fiel erst am 30. Oktober 1973. In den Beratungen meines Kabinetts waren die Ölversorgungskrise und die dringenden Appelle der Bundesregierung und der öffentlichen Meinung danach wesentliche Gründe zu sagen, wir müssen jetzt schneller handeln als ursprünglich geplant.

SPIEGEL: Für die gesetzlich vorgeschriebene »atomrechtliche« Anhörung der Einwender fehlte ein Teil der angeforderten Gutachten, mithin fehlten notwendige Informationen für eine Sachdiskussion. Daraufhin wurde, im November 1974, die Anhörung abgebrochen und nie wieder aufgenommen.

STOLTENBERG: Das wird durch meine Unterlagen nicht bestätigt. Ich gehe davon aus, daß das Genehmigungsverfahren einwandfrei und ordnungsgemäß durchgeführt worden ist.

SPIEGEL: Wir bleiben dabei, wichtige Gutachten fehlten, und das Anhörungsverfahren wurde nicht ordnungsgemäß abgeschlossen. Einige Gutachten wurden erst später, im August 1975, vorgelegt.

STOLTENBERG: Ich kann Ihnen das an Hand meiner Unterlagen nicht bestätigen. Wir haben hier einen Dissens in der Sache.

SPIEGEL: Als es im »Colosseum« zu Wilster dieses Frühjahr um das Anhörverfahren in Sachen Wasserrecht ging, wurden die Einwender wiederum benachteiligt, und diesmal waren auch schon zwei Hundertschaften Polizei zur Stelle. In den ersten Sitzungen waren Einwender und deren sachkundige Beistände getrennt worden. Die umfänglichen Gutachten durften nicht kopiert, sondern nur während der üblichen Bürozeit eingesehen oder abgeschrieben werden.

»Diese Zuspitzung haben wir nicht vorausgesehen.«

STOLTENBERG: Dieses Verfahren in Wilster fand unter ungewöhnlich schwierigen Voraussetzungen statt. Uns lagen amtliche und private Hinweise vor, daß radikale Gruppen aus Hamburg und Bremen entschlossen waren, diesen Termin zu sprengen. Das ist der Grund für die vorsorgliche Präsenz der Polizei gewesen. Aber auch einige Einwender haben eindeutig Verfahrenssabotage versucht. Es gab Einwender, die bis zu 60 Gutachter benannt haben.

SPIEGEL: Insgesamt gab es 20 000 Einwendungen, und vor Baubeginn wurde kein einziger Einwender beschieden. Wenn Sie Verfahrenssabotage beklagen, so waren die Genehmigungsbehörden offenbar nicht in der Lage, das rechtliche Verfahren zu schützen?

STOLTENBERG: Der Leiter des Amtes für Wasserwirtschaft in Itzehoe, der die Anhörung in Wilster durchgeführt hat, ist ein Mann, dessen Lebensweg mit dieser Landschaft, Küstenschutz. Naturschutz, Landschaftspflege verbunden ist. Ein hervorragender Mann, der die Menschen dort kennt und mit ihnen zusammenlebt. .

SPIEGEL: ... aber gleichwohl überfordert war.

STOLTENBERG: Sicher. Es gibt viele Politiker und Beamte, die gegenüber derartiger Herausforderung in Be-

* Von Polizei »erkennungsdienstlich behandelt«.

drängnis geraten. Es bleibt ein erstaunlicher Vorgang, daß wir vor einigen Monaten das zwölf Kilometer von Brokdorf entfernte Kernkraftwerk Brunsbüttel in Betrieb nehmen konnten, ohne den geringsten Zwischenfall, auch ohne jede nennenswerte polizeiliche Sicherung. Deshalb, das sage ich ganz offen, haben wir diese Form der Zuspitzung und das Ausmaß gewalttätiger Militanz bei Brokdorf nicht vorausgesehen.

SPIEGEL: Was hat sich denn so grundlegend verändert?

STOLTENBERG: Offensichtlich ist bei einem Teil der Bevölkerung die Sorge um die Zerstörung der natürlichen Umwelt und speziell der Widerstand gegen die Kernenergie gewachsen. Alle Beteiligten, insbesondere aber die Bundesregierung, deren Energieprogramm die Länder ja nur ausführen, müssen sich kritisch fragen, ob die sachbezogene Information genügend intensiv betrieben worden ist. Hinzu kommt nun freilich, daß wir in den letzten zwölf, fünfzehn Monaten den verstärkten Aufbau ganz militanter Gruppen zu verzeichnen haben.

SPIEGEL: Im Widerstand gegen den Bau von Atomkraftwerken zeichnet sieh eine neue außerparlamentarische Opposition ab. Der Grund dafür liegt auf der Hand, denn bisher wird das ganze Verfahren außerparlamentarisch durchgezogen. Soll das so bleiben oder müssen nicht endlich die Parlamente von Anfang an das Sagen haben?

STOLTENBERG: Das ist eine berechtigte Frage. Ich werde sie nicht nur in der Landesregierung und mit meinen politischen Freunden diskutieren, sondern auch mit den Regierungschefs der Länder und dem Bundeskanzler.

SPIEGEL: Herr Ministerpräsident, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

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