OSTHANDEL / DAIMLER/KLÖCKNER Russisches Poker
Die Deutschen kämpfen wieder auf sowjetischem Boden -- diesmal gegeneinander. Als Ende November das Daimler-Spitzenmanagement nach Moskau gereist war, um dort abschließende Gespräche über den geplanten gemeinsamen Lastwagenbau zu führen, erschreckte sie der stellvertretende Außenhandelsminister N. D. Komarow mit einer bösen Nachricht: Inzwischen habe sich ein anderer deutscher Anbieter in das Milliarden-Geschäft eingeschaltet.
Daimler habe, so Komarow, das erhoffte Lkw-Großprojekt an der Kama noch keineswegs sicher, denn es gebe seit kurzem einen Konkurrenten: »Eine Firma in Köln« und: »Die sind viel, viel billiger. So billig, daß man es nicht in Prozenten ausdrücken kann.« Für die Mercedes-Delegation war es sofort klar, wen Komarow gegen sie ausspielte: den Daimler-Konkurrenten Klöckner-Humboldt-Deutz (KHD) in Köln. Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller, als er von dem Daimler-Dilemma hörte: »Die Russen haben aus Verhandlungen mit uns Deutschen sehr schnell gelernt, wie man im Westen Geschäfte macht.«
Nach Daimler-Recherchen wurden KHD-Unterhändler, als sie vom 19. bis 21. Oktober in Moskau vorsprachen, unter harten Zeitdruck gesetzt. Die sowjetischen Fachminister ließen ihren Gästen aus Köln keine vier Wochen Frist, verbindliche technische Planungen und finanzielle Kalkulationen abzuliefern. Nach Branchen-Meinung können solche Angebote bestenfalls in einem halben Jahr verläßlich zusammengestellt werden.
Die Stuttgarter verhandeln mit den Sowjets bereits seit zwei Jahren über Details. Um sie doch noch aus dem Geschäft zu boxen, lieferten die Klöckner-Manager (Lkw-Werbung: »Die Deutschen Bullen") ihre Offerte zum gewünschten Sowjet-Termin ab, am 17. November.
Bevor die Daimler-Bosse in Moskau verhandelten, hatte ihr Vorstandssprecher Joachim Zahn mehrfach mit seinem KHD-Kollegen Karl-Heinz Sonne telephoniert. Doch der Kölner ließ sich auch nicht die geringste Andeutung darüber entlocken, daß er bereits als Konkurrent des Stuttgarters aufgetreten war.
Um wieviel billiger in Köln kalkuliert worden war als in Stuttgart, konnte Daimler-Benz nicht genau erfahren. Das schwäbische Management glaubt jedoch sicher zu wissen, daß KHD den Sowjets die Gemeinschaftsproduktion luftgekühlter und wassergekühlter Dieselmotoren angetragen habe, die fertig entwickelt sind und auch schon seit längerem von den Ulmer Magirus-Transferstraßen laufen.
Dadurch fürchtet Daimler ins Hintertreffen zu geraten. Denn die Stuttgarter hatten den Sowjets keine Motoren aus laufender Produktion, sondern Neuentwicklungen angedient. Einen Teil der Entwicklungskosten für neue Motoren und Getriebe freilich wollte Daimler den Sowjets aufladen.
Gleichfalls aus finanziellen Gründen hatten sich die vorsichtigen Schwaben in den letzten Verhandlungen mit den Sowjets auf die Hälfte des ursprünglich geplanten Drei-Milliarden-Mark-Geschäfts beschränkt. Sie wollten die Planung und organisatorische Beratung nur noch für Motoren, Getriebe und Kupplungen übernehmen, nicht jedoch für Chassis und Auf bauten verantwortlich zeichnen.
Die von Moskau ursprünglich ausgeschriebene Generalregie, die Daimler zur Übergabe schlüsselfertiger Fabriken verpflichtet hätte, hatte das Stuttgarter Unternehmen schon frühzeitig abgeschlagen. Vorstandsmitglied Hanns Martin Schleyer: »Das geht weit über die Möglichkeiten unserer Firma hinaus.« (Daimler-Umsatz 1970: 11,6 Milliarden Mark.)
Karl-Heinz Sonne jedoch, der für seine KHD (Umsatz: zwei Milliarden Mark) »auch mit alchemistischen Kunststücken keinen goldenen Gewinn« machen kann, glaubt, für den· Coup an der Kama einen verläßlichen Verbündeten gefunden zu haben: die bundeseigene Berliner Deutsche Industrieanlagen Gesellschaft (Diag).
Ohne das zuständige Bonner Wirtschaftsministerium vorab zu unterrichten, spielte die Diag (Umsatz: eine halbe Milliarde) mit. Das Düsseldorfer »Handelsblatt« will sogar erfahren haben, die Diag traue sich »eine modifizierte Funktion als Generalunternehmer« zu. Eine solche Planung indes hält Stahl-Millionär und Osthandels-Experte Otto Wolff von Amerongen für unrealistisch: »Angesichts der Probleme des russischen Marktes kann sich keine westliche Firma eine Generalunternehmerschaft zumuten.«
Wie schwierig Kontrakte mit den Moskauer Planökonomen ohnehin sind, hatte schon die vorsichtige Daimler-Benz AG erfahren müssen. Um die wirtschaftlichen und politischen Risiken breiter zu verteilen, ist für den Bau einer Gießerei, den ursprünglich das deutsche Konsortium Buderus! Rheinstahl übernehmen sollte, nun der US-Konzern Swindell-Dressler in Aussicht genommen. In zwei wichtigen Punkten sind die Stuttgarter selber mit den Sowjets nach wie vor uneins. Moskau hat sich bisher nicht auf eine Reexport-Klausel eingelassen, besteht mithin darauf, eventuell russische Daimler-Lastwagen beispielsweise in Malaysia gegen deutsche Daimler-Lastwagen konkurrieren zu lassen. Da Daimler einen solchen Zusammenstoß vermeiden muß, kann es den Sowjets die Klausel nicht erlassen. Im zweiten strittigen Punkt jedoch -- der Höhe von Honoraren, Lizenzgebühren und Lieferpreisen -- haben die Kontakte der Sowjets mit KHD Moskaus Stellung entscheidend gestärkt. Otto A. Friedrich, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände: »Ein sehr hartes russisches Pokerspiel.«
Mercedes pokert notgedrungen mit. Das Stuttgarter Unternehmen, das seit dem letzten Juli seinen deutschen Lastwagenkunden um vier bis fünf Prozent erhöhte Preise abverlangt, will nun für die Sowjets die Kalkulation noch einmal überprüfen.