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HOLLAND Ruud Shock

Christdemokrat Lubbers ist der Favorit im Wahlkampf. Zwei Reaktoren will er zunächst nicht bauen. *
aus DER SPIEGEL 21/1986

Der unbekannte Brünette war immer dabei. Mal stand er neben Maggie Thatcher, mal war er hinter Ronald Reagan oder Francois Mitterrand auf dem Gipfel der westlichen Industrienationen in Tokio.

Werbewirksam hatte sich Hollands Ministerpräsident Ruud Lubbers unter die Großen dieser Welt gemischt. Da die Niederländer derzeit in der Europäischen Gemeinschaft den Vorsitz haben, durfte ihr Regierungschef diesmal dabeisein. Und er machte in diesem exklusiven Zirkel keine schlechte Figur.

Selten war in den Niederlanden ein Politiker so populär wie Christdemokrat Lubbers, 47. Er wurde als eines von elf Kindern einer katholischen Rotterdamer Industriellenfamilie geboren. Mit 22 Jahren promovierte er, mit 33 war er der jüngste Wirtschaftsminister des Landes.

Er gilt als besonders »zuverlässig«, »kompetent«, »kraftvoll« und als »Führerfigur«. Seine Landsleute halten ihn sogar für »weiser« und für weniger »glibberig« als seinen 19 Jahre älteren sozialdemokratischen Amtsvorgänger Joop den Uyl.

Kein Wunder, daß seine Partei, der Christlich-Demokratische Appell (CDA), bei den Wahlen am kommenden Mittwoch voll auf den »Lubbers-Effekt« baut. Die sozialdemokratische Opposition, die gute Aussichten hat, stärkste Fraktion zu werden, tut sich hingegen schwer, ihren hinlänglich bekannten Spitzenkandidaten den Uyl als Zugnummer unters Volk zu bringen.

Mit Lubbers kann es derzeit niemand aufnehmen. Dem gelernten Volkswirt und Mitbesitzer des Industrieunternehmens Holland schadete es nichts, daß er 1982 den Holländern ein rigoroses Sparprogramm verordnete. »Ruud Shock« nannte ihn damals »Time«.

Der Schock hat der niederländischen Wirtschaft offenbar gutgetan. So bescheinigte die OECD den Holländern eine erfolgreiche Politik: Steuerlast und Staatsverschuldung wurden abgebaut, die Wettbewerbsfähigkeit stieg.

Zugute geschrieben wird dies dem »Macher Lubbers«. Straff und effizient leitet er sein Kabinett. Die Gewerkschaften besänftigte er bei seinen radikalen Einschnitten ins soziale Netz mit dem Versprechen, die Arbeitszeit zu verkürzen. Ebensowenig wie die sozialdemokratische Partei der Arbeit (PvdA) weiß er freilich ein schlüssiges Rezept, die Arbeitslosigkeit von 14 Prozent zu bekämpfen.

Selbst prominente PvdA-Mitglieder wie der Präsident der Notenbank Willem Duisenberg rufen inzwischen öffentlich dazu auf, den Gürtel noch enger zu schnallen. Denn die Senkung der Ölpreise wirkt sich negativ auf das Budget aus. Weil der Preis für Erdgas an den des Öls gekoppelt ist, sinken die Einnahmen aus dem Erdgas-Export in diesem Jahr um etwa zehn Prozent.

Differenzen gibt es zwischen den beiden großen Parteien vor allem in der Frage, ob holländischer Strom aus Atomreaktoren gespeist werden soll. Zwei kleinere Kernkraftwerke decken bisher nur 5,3 Prozent des gesamten Strombedarfs.

Das sei nicht genug, meinen die Christdemokraten und planen zwei weitere Reaktoren. Schon zuviel, verkünden die Sozialdemokraten und fordern in ihrem Wahlprogramm die Schließung der bestehenden Atomreaktoren.

Unfreiwillige Wahlhilfe leisteten der Opposition ausgerechnet die Russen mit ihrem Reaktorunfall. Die Katastrophe könnte für die christlich-liberale Regierung in Den Haag schwere Folgen haben. Nach den letzten Umfragen fehlen der Koalition aus CDA und VVD vier Mandate an der Mehrheit im Parlament.

Bei einer Parlamentsdebatte über Tschernobyl zeigte sich Lubbers als kluger Taktiker. Die beiden geplanten Reaktoren sollen zunächst einmal nicht gebaut, die Sicherheitsmaßnahmen für die beiden bestehenden Atommeiler überprüft werden, versprach er.

So geschickt sich Lubbers auch verhalten mag, den unaufhaltsamen Abstieg seines rechtsliberalen Koalitionspartners VVD konnte er nicht stoppen. Während die CDA in der Wählergunst weitgehend stabil blieb und mit 46 von insgesamt 150 Parlamentssitzen rechnen kann, sackte die VVD kontinuierlich ab.

Dem liberalen Wirtschaftsminister Gijs van Aardenne wurden Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit der Vergabe von Staatshilfen nachgesagt, die von ihm vorgeschlagenen Standorte für die neuen Kernkraftwerke waren schon vor Tschernobyl höchst umstritten.

Zudem schockierte der Fraktionsgeschäftsführer Arnoud Cevaal seine Landsleute, weil er sich mit seiner Freundin dem »Playboy« für ein anzügliches Photo im Parlament stellte. Nach den derzeitigen Wahlprognosen werden die Rechtsliberalen mindestens ein Drittel ihrer 36 Mandate verlieren.

Da Lubbers es ablehnt, ein Regierungsbündnis mit »Klein-Rechts« zu schließen, den erzkonservativen Miniparteien, die nicht einmal Frauen in ihren Reihen dulden, schienen die Chancen für eine große Koalition zwischen den Sozial- und den Christdemokraten gut.

Ob Darling Lubbers dann wieder dabei ist - womöglich als Außenminister, wie Sozialist den Uyl ihm großmütig anbot -, läßt er bewußt offen. »Es kann schon sein oder auch nicht. Man sollte den Leuten nicht vor die Füße laufen.«

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