ISRAEL Saat des Bösen
Wenn das Ende der Welt naht und der Messias zurückkehrt, so glauben christliche Apokalyptiker, steigt er vom Himmel auf den Ölberg herab. Von dort, wo er einst seinen letzten Gang antrat, werde er durchs Goldene Tor in die Jerusalemer Altstadt einziehen.
Für diesen glorreichen Moment hielt sich Bruder David, 58, seit Jahren bereit. Gleich hinter dem Ölberg, im palästinensischen Vorort Bethania, hatte sich der US-Bürger und frühere Campingplatz-Betreiber aus Syracuse, New York, ein Haus gemietet. Dort wartete er auf den Anbruch des tausendjährigen Gottesreiches - »in der ersten Reihe«, wie er stets sagte.
Auf den guten Platz beim Weltuntergang muss Bruder David wohl verzichten. Ende Oktober erschien die israelische Polizei in seinem Refugium, nahm den frommen Christen samt 20 seiner Anhänger fest und schob ihn wenige Tage später ab.
Die nächtliche Razzia gegen den bislang als harmlos geltenden Jesus-Freak zeigt die wachsende Nervosität der israelischen Sicherheitskräfte angesichts des nahenden Millenniums. In sechs Wochen bricht das neue Jahrtausend an, ein Datum, das viele fundamentalistische Christen mit der Rückkehr des Messias verbinden.
Dann beginnt, so steht es in der Johannes-Offenbarung des Neuen Testaments, die letzte große Schlacht zwischen den Mächten Gottes und der Saat des Bösen, und die Endzeitjünger haben keinen Zweifel daran, dass jeder Buchstabe davon wahr wird.
Besonders Radikale glauben sogar, sie könnten die Ankunft des Herrn durch einen Gewaltakt noch beschleunigen. Niemand weiß, wie viele solcher Extremisten im nächsten Jahr unter den rund vier Millionen erwarteten Pilgern ins Heilige Land strömen werden - oder bereits angekommen sind.
In einem Bericht des amerikanischen FBI finden die Israelis nun ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt. »Etliche religiöse Extremisten bereiten sich darauf vor, im prophezeiten Waffengang zwischen Gott und Satan als Märtyrer zu enden«, heißt es in dem Millenniums-Report zu den rund tausend religiösen und rassistischen US-Kulten.
Jerusalem, so glauben die Washingtoner Ermittler, sei besonders gefährdet. Die Heilige Stadt besitze ein außergewöhnliches »Potenzial für Gewaltakte«. Ausdrücklich warnt das FBI, das eng mit den israelischen Sicherheitsdiensten zusammenarbeitet, vor dem Endzeitkult der »Concerned Christians« aus Denver.
Schon im Januar hatte Israel ein Dutzend Anhänger dieser Sekte abgeschoben, die sich in Erwartung des letzten Gefechts in Jerusalem niedergelassen hatten. Der Polizei zufolge plante die Gruppe eine »extreme, gewalttätige Aktion«, womöglich sogar einen kollektiven Selbstmord in den Straßen der Heiligen Stadt.
Ihr Anführer Monte Kim Miller, 45, hält sich für einen jener beiden Zeugen, die nach der Johannes-Offenbarung kurz vor der Wiederkunft Christi bei einem großen Blutbad auf den Straßen Jerusalems sterben und drei Tage später wieder auferstehen. Seinen Tod, so fürchten Sicherheitskräfte, könnte Miller durch eine gewaltsame Konfrontation mit der Polizei provozieren.
»Jesus Christus starb am Kreuz für unsere Sünden, nun haben wir die Pflicht zu sterben«, lehrt der ehemalige Marketing-Manager seine Jünger. Er werde »nach Jerusalem gehen, um Zeuge zu sein«, kündigte er an und nannte auch einen Termin: Dezember 1999.
Obwohl Miller bisher noch nicht in Israel gesehen wurde, sind sich US-Ermittler sicher, »dass er nichts unversucht lässt, dorthin zu gelangen«, so Sektenspezialist Mark Roggeman von der Denver-Polizei. Seine Kollegen warnen, dass Millers Anhänger bereits ihre Häuser verkauft, ihre Berufe aufgegeben haben und wohl in Griechenland auf eine Gelegenheit warten, erneut nach Israel zu gelangen.
Der Millenniums-Trubel dürfte ihnen die Einreise erleichtern. Gefälschte ausländische Pässe, musste die israelische Polizei gerade einräumen, werden bei den Routinekontrollen am Flughafen nicht entdeckt. Die Sicherheitsdienste fürchten, dass bereits etliche Fundamentalisten mit Hilfe falscher Dokumente eingereist sind.
Der soeben abgeschobene Bruder David hatte seinen Pass sogar verbrannt. Nur mit Mühe gelang es den Israelis, die amerikanischen Behörden von der wahren Identität des Festgenommenen zu überzeugen. »Warum sollte ich einen Pass haben«, fragte Bruder David, »ich bin von Gott berufen und nicht von Israels Innenministerium.«
Die israelische Polizei tut sich auch deswegen schwer mit den apokalyptischen Bibel-Anhängern, weil sie sich besser bei palästinensischen Gewalttätern auskennt als im Christentum.
Religiöse Spinner gehören allerdings in der Heiligen Stadt seit eh und je zum Straßenbild. Psychisch labile Menschen werden hier häufig von einem Wahn erfasst, der als »Jerusalem-Syndrom« bekannt ist. Die Menschen sehen sich plötzlich als biblische Gestalten, setzen sich als König David mit der Harfe auf den Zionsberg oder laufen mit einem Hotel-Betttuch umhüllt als Johannes der Täufer durch die Altstadt.
Reagiert die Polizei zu scharf, besteht die Gefahr, dass sie die Apokalypse-Jünger in dem Glauben bestärkt, die Endschlacht habe bereits begonnen - wie in Waco. Auf einer Farm in der Nähe der texanischen Stadt starb Sektenführer David Koresh, der schon Ende der achtziger Jahre am Jerusalemer Ölberg vergebens den Weltuntergang erwartet hatte, nach wochenlanger Belagerung und einem Angriff des FBI zusammen mit etwa 80 seiner Jünger beim Brand ihrer Unterkunft.
»Wir dürfen die Fehler von Waco zum Millennium nicht wiederholen«, warnt deshalb Richard Landes vom Bostoner »Zentrum für Millennium-Studien« die Israelis. Der Historiker plädiert dafür, »viel mehr Krisenmanagement und psychologischreligiöse Beratung einzusetzen als Polizeikräfte«.
Wann genau der Tag des Herrn anbrechen soll, darüber sind sich allerdings auch die Endzeitfanatiker nicht einig. Manche setzen auf den letzten Tag des Jahres 1999, andere auf den 20. April, Hitlers Geburtstag, der nächstes Jahr mit dem jüdischen Pessach-Fest zusammenfällt.
Die Bewährungsprobe für die israelischen Sicherheitskräfte kann aber womöglich noch später kommen, glaubt Landes - dann nämlich, wenn die Endzeitchristen »sehen, dass der Messias überhaupt nicht kommt«. ANNETTE GROßBONGARDT
* Am Karfreitag 1998 auf der Via Dolorosa mit Gläubigen in denRollen von Jesus und römischen Legionären.