AFRIKA / ENTWICKLUNGSHILFE Sachsen im Busch
Der Kalte Krieg um Afrika findet demnächst im Eigenheim statt. Hinter deutschen Mauern sollen die Einwohner der Vereinigten Republik Tansania (Tanganjika/Sansibar) entscheiden, wer ihre wahren Freunde sind - die Kommunisten aus Pankow oder die Kapitalisten aus Bonn.
Mit nahezu gleichen Hilfsprogrammen sind Bundesrepublik und DDR zum Wettlauf angetreten: Beide wollen je 5000 Neger-Lehmhütten abreißen und durch Eigenheime deutscher Machart ersetzen; die Westdeutschen eingeschossig in der Tanganjika-Hauptstadt Daressalam, die Ostdeutschen zweigeschossig auf Sansibar.
Beide behaupten, den Maurer-Wettstreit erfunden zu haben, beide entwarfen einen Fünf-Jahres-Plan, beide sind bereit, rund 200 Millionen Mark zu investieren, beide sind davon überzeugt, das Beste zu bieten und den Kampf zu gewinnen.
Der westdeutsche Bauleiter Heinrich Georg Schmidt, 51: »Minister Lücke hat die Pläne gesehen. Er findet die Häuschen sehr schön.«
Der Ost-Berliner Sansibar-Botschafter Günther Fritsch: »Die Zeit arbeitet für uns. Wir werden hier noch Großes leisten.«
Vorerst führt die Bundesrepublik. Baudirektor Schmidt, der zuvor in Südafrika Eingeborenen-Siedlungen errichtete, will die ersten 150 eingeschossigen Komfort-Häuschen noch in diesem Monat bezugsfertig haben. Dann sollen in jedem Monat weitere 70 Eigenheime folgen.
Jedes Haus hat auf 90 Quadratmieter Wohnfläche drei Schlafräume, ein Wohnzimmer, Küche mit Kühlschrank, Bad und WC. 30 deutsche Bauarbeiter und ein Heer männlicher wie weiblicher Eingeborenen-Hilfskräfte sorgen dafür, daß die Arbeiten im Daressalamer Vorort Kinondoni, wo bis vor kurzem noch die Negersiedlung Makurumuca stand, termingerecht vorankommen.
Bisher gab es auf der westdeutschen Baustelle nur eine einzige Panne. Die von den Eingeborenen verlangte, undeutsche Steh-Toilette der Bungalows hat einen Konstruktionsfehler: Wer die Spülung zieht, steht bis zu den Knöcheln im Wasser. Doch die deutschen Entwicklungshelfer sind schon dabei, den Entwicklungsfehler zu beheben.
Unklar ist unterdessen, auf welche Weise die künftigen, überwiegend schlecht verdienenden Eigenheim-Bewohner ihre Häuser erwerben sollen. Gedacht ist an einen zehnjährigen Mietkauf-Vertrag. Doch Hussein Shebe, 25, der mit einer noch unbekannten Anzahl Familienangehöriger und Haustiere das erste Lücke-Heim beziehen wird, antwortete auf die Frage, ob er denn die Miete auch zahlen könne, kurz und bündig: »Nein.«
Sachse Egon Gladite, 39, Bauleiter des DDR-Projekts auf Sansibar, hat anderen, dafür von daheim gewohnten Kummer: Er kann den Plan nicht erfüllen. Die ersten 150 seiner Häuser, die schon vor vier Monaten fertig sein sollten, stehen immer noch nur im Rohbau, weil die schwarzen Maurer-Brigaden seit Wochen streiken.
Ihnen sind die im kühlen, kommunistischen Berlin ohne Rücksicht auf afrikanische Hitze errechneten Arbeitsnormen zu hoch. Verhandlungen Gladites mit den Streikführern im DDR »Haus der Freundschaft« auf Sansibar waren bisher ergebnislos.
Gladite auf die Frage nach dem Grund für seine Schwierigkeiten: »Es wird alles, bis zum letzten Nagel, in Berlin geplant.«
Bis zum letzten Nagel wird auch sämtliches Baumaterial aus der DDR herangeschafft. Ungeachtet der Streik -Stockungen auf der Insel erfüllen die Frachter der volkseigenen Deutschen Seereederei in Rostock ihre Norm: Woche um Woche landen sie Mauersteine, Zement, Sand und Kalk an. Im engen Inselhafen türmen sich die Kalksäcke inzwischen meterhoch und behindern die Verschiffung von Sansibars wichtigstem Exportartikel: Kalk.
Unter den Folgen der Fernplanung hat auch DDR-Architekt Horst Müller, 39, Sachse wie Gladite, zu leiden: Er versucht während der Baupause die aus Berlin überstellten Entwürfe für zweigeschossige Häuser so zu ändern, daß sie auch für den Bau von eingeschossigen Bungalows taugen. Denn der Berliner Planungsstab hat übersehen, daß die zu jedem Sansibar-Haushalt gehörenden Esel und Ziegen das Treppensteigen nicht gewohnt sind.
Trotz dieser Mängel auf östlicher und trotz des Vorsprungs auf westlicher Seite verhält sich die Öffentlichkeit der Republik Tansania dem Prestige-Rennen der Deutschen gegenüber noch immer neutral. Und die Aussichten, daß sich ein Sieg im Eigenheim-Wettbewerb für Bonn oder Pankow überhaupt jemals propagandistisch auszahlen wird, sind außerordentlich gering:
Schon vor dem Finish formulierte der Chefredakteur der Regierungszeitung »Nationalist«, Mgogo, den Standpunkt der Tansanianer so: »Wir sind keine Schiedsrichter. Wir sind Nutznießer.«
Westdeutsche Baustelle in Daressalam: »Wir werden hier ...
... noch Großes leisten": Ostdeutsche Baustelle auf Sansibar