»Sadat ist schlicht und einfach ein Versager«
SPIEGEL: Herr Präsident ... GADDAFI: Ich bin nicht Präsident ...
SPIEGEL: Was sind Sie dann?
GADDAFI: Ich bin Generalsekretär des libyschen Volkskongresses und spreche daher im Namen meines Volkes. Nachdem das Volk die Macht übernommen hat, wurden Präsidenten und Minister abgeschafft.
SPIEGEL: Also dann, Herr Generalsekretär, wer ist ihr größter Feind, Israels Premier Begin oder Ägyptens Präsident Sadat?
GADDAFI: Beide sind gleichermaßen meine Feinde. Aber unser größter Feind ist die Uneinigkeit der arabischen Nation. Je uneiniger die Araber sind, desto schwächer sind sie.
SPIEGEL: Ägyptens Präsident Sadat reist durch die westliche Welt, um für seine Friedensinitiative im Konflikt mit Israel zu werben, Sie treffen sich mit anderen arabischen Staatschefs. um gegen diese Friedensinitiative zu protestieren. Was haben Sie gegen Sadats Friedensplan?
GADDAFI: Die arabischen Massen vom Golf bis zum Atlantik lehnen diesen Frieden Sadats ab. Sie sind nicht gegen Frieden, sondern gegen Sadats Methode, dieses Problem zu lösen.
SPIEGEL: Was haben Sie an der Methode auszusetzen?
GADDAFI: Die Natur dieses Konfliktes erlaubt eine solche Methode nicht. Sadats Methode führt in eine Sackgasse und damit nicht zum Erfolg. Das haben auch die ägyptischen Außenminister und Botschafter mit ihren Rücktritten demonstrieren wollen. Durch die Konferenzen von Tripolis und Algier haben wir diese Ablehnung zum Ausdruck gebracht.
SPIEGEL: Worin besteht Ihrer Meinung nach denn nun die richtige Methode, wenn Sie Sadats Methode verurteilen?
GADDAFI: Sie besteht darin, daß man auf seinen Rechten beharrt und sie nicht leichtsinnig aufgibt. Frieden kann man nicht erbetteln. Es geht auch gar nicht um den Frieden, sondern um die Besetzung arabischen Territoriums.
SPIEGEL: Gerade diese Territorien will Sadat ja durch Verhandlungen wiederbekommen. Was haben Sie dagegen?
GADDAFI: Vom ersten Tage an war Sadats Initiative zum Scheitern verurteilt. Aber er kann nicht zugeben. daß er erbärmlich gescheitert ist.
SPIEGEL: Das festzustellen, ist wohl etwas verfrüht. Aus welchen Gründen, glauben Sie, ist Sadat nach Jerusalem gegangen?
GADDAFI: Sadat wollte nur eines erreichen, nämlich die Dauer seiner
* Mit SPIEGEL-Redakteur Wolfgang Gust und SPIEGEL-Mitarbeiter Adel S. Elias
Präsidentschaft zu verlängern. Er ist einfach machthungrig. Alle diese Shows vor dem internationalen Fernsehen und diese pompösen Besuche bei anderen Staatsmännern sollen Sadat als einen Staatsmann zeigen, der er in Wirklichkeit gar nicht ist. Denn er ist schlicht und einfach ein Versager. Ich möchte Sie daran erinnern, daß Sadat öffentlich erklärt hat, er werde zurücktreten, wenn seine Politik scheitern sollte. Wir warten mit Freuden darauf. Das hätte er schon gleich nach seinem Besuch in Jerusalem tun sollen.
SPIEGEL: Die Initiative Sadats hat sieh doch, selbst wenn sie scheitert, positiv für die Araber ausgewirkt. Dank Sadat haben jetzt die Israelis den Schwarzen Peter.
GADDAFI: Ich sehe die Dinge anders. Sadats Politik hat gezeigt, daß die Palästina-Frage nicht nach Sadats Methoden gelöst werden kann. Der zionistische Feind bestreitet unsere Rechte, obwohl die ganze Welt diese Rechte anerkennt. Sadat spielt ein Spiel. Wenn er behauptet, daß 99 Prozent der Karten in den Händen der USA liegen, so ist das nichts anderes als eine Täuschung und ein Manöver. Warum hauen die USA nicht bei den Zionisten auf den Tisch, wie Sadat immer behauptet?
SPIEGEL: Sadat hat der Welt bewiesen, daß zumindest ein arabischer Partner den Frieden will. Das ist doch positiv.
GADDAFI: Natürlich, das ist positiv. Und ich bin sehr glücklich darüber, daß Sadat weiter in die Sackgasse gerät und in seiner Naivität weiter verhandelt, bis er am Ende vollkommen nackt dasteht.
SPIEGEL: Sie werden doch einen arabischen Bruder nicht nackt stehenlassen.
GADDAFI (lacht): Nein, wir Araber lassen niemanden entblößt stehen. Wir werden den seiner Würde entsprechenden Mantel für ihn finden.
SPIEGEL: Sehen Sie eine Möglichkeit. sich wieder mit Sadat zu arrangieren?
GADDAFI: Wenn er seinen beschämenden historischen Fehler zugibt und ein Gelöbnis ablegt, nie wieder solche Schritte zu unternehmen, dann glaube ich, daß Gott ihm verzeiht. SPIEGEL: Und Sie?
GADDAFI (lacht): Wenn Gott ihm verzeiht, warum sollte dann Gottes Untertan ihm nicht verzeihen können? Aber er muß den Mut haben und Manns genug sein, sich vor dem arabischen Volk offen zu bekennen.
SPIEGEL: Libyen ist ein reiches Land, Ägypten ist arm. Vielleicht waren es auch wirtschaftliche Schwierigkeiten, die Sadat zu seiner Flucht nach vorn zwangen. Warum haben Sie Ägypten nicht frühzeitig genug geholfen?
GADDAFI: Wir waren immer bereit und sind es noch, für Ägypten alles zu bezahlen, was von uns verlangt wird.
SPIEGEL: Stimmt es, daß Sie kurz vor Sadats Israel-Reise einen Sonderbotschafter nach Kairo schickten und jegliche Hilfe anboten, falls Sadat nicht nach Jerusalem gehe?
GADDAFI: Das stimmt. Aber er wollte nicht, daß wir seine Schulden bezahlen, sondern er wollte militärische Hilfe und Unterstützung. Alle seine militärischen Forderungen fanden meine Zustimmung.
SPIEGEL: Und was waren das für Forderungen?
GADDAFI: Er wollte mehrere Geschwader Düsenflugzeuge für seine Luftwaffe und etwa 300 der modernsten Panzer. die alle so schnell wie möglich im Gebiet des Suezkanals stationiert werden sollten. Ich habe das veranlaßt, und die gewünschten Waffen rollten langsam in Richtung Ägypten. Aber plötzlich lehnte er diese Hilfe dann wieder mit der Begründung ab, sie käme nicht so schnell, wie er gefordert habe. Man kann eine solche Hilfe nicht binnen 24 Stunden leisten. Dies nahm er zum Vorwand und sagte, alles laufe ihm viel zu langsam, und er werde die Reise nach Israel doch unternehmen.
SPIEGEL: Wie erklären Sie sich diesen Umschwung?
GADDAFI: Ach wissen Sie, wir kennen Sadat inzwischen gut. Er meint, er sei ein schlauer Bluffer. Aber wir haben ihn längst durchschaut. Jede Waffe für Ägypten -- egal woher sie kommt -- wird irgendwann eine Gefahr für Israel darstellen. Und das gerade will Sadat unter allen Umständen vermeiden. Wundern Sie sich nicht, wenn ich Ihnen jetzt sage, daß ich nichts dagegen habe, wenn die USA Ägypten genauso bewaffnen, wie sie die Israelis bewaffnet haben. Da wäre ich wirklich glücklich.
SPIEGEL: Sadat hat in der Tat Waffen von den USA gefordert, aber zugesagt, damit Israel nicht anzugreifen. Vielleicht benutzt er sie zu einem Schlag gegen Libyen?
GADDAFI: Seien wir realistisch. Keine westliche Macht wird Ägypten so bewaffnen, daß daraus eine Gefahr für Israel entstehen könnte. Selbst wenn Sadat auf allen vieren gekrochen käme und die Stiefel seines Feindes lecken würde. Aber soll er es weiterhin versuchen, er wird schon noch sein blaues Wunder erleben. Er wird keine Waffen bekommen, und wenn er sie bekäme, würde er es nicht wagen. sie auch noch gegen Libyen einzusetzen.
SPIEGEL: Die USA werden alles tun, um die Friedensgespräche zwischen Ägypten und Israel voranzubringen. Vielleicht einigen sich Israelis und Ägypter doch noch. Was würde Libyen dann tun?
GADDAFI: Was immer Sadat mit den Israelis vereinbart, es ist nicht mehr wert als die Tinte auf dem Papier. Denn die Israelis werden sich nicht an die Vereinbarungen halten, genauso wie sie keine der zahlreichen Uno-Beschlüsse eingehalten haben. Nach ein paar Jahren werden sich die arabischen Länder wieder mit dem zionistischen Feind konfrontiert sehen.
SPIEGEL: Werden Sie eine eventuelle Vereinbarung zwischen Israelis und Ägypten abwarten, oder werden Sie vorher etwas unternehmen?
GADDAFI: Der Verrat ist schon begangen worden, das ist unbestreitbar. Sadat soll nicht versuchen, sein Verbrechen zu verschleiern. Er hat nicht nur Ägypten verraten, sondern das gesamte arabische Volk.
SPIEGEL: Warum lehnen Sie einen Frieden mit Israel ab? Einige arabische Länder scheinen bereit zu sein, die Existenz Israels anzuerkennen.
GADDAFI: Ihre Frage ist in dieser Form nicht richtig ...
SPIEGEL: Alles spricht dafür, daß Jordanien, Saudi-Arabien und andere arabische Staaten Israel unter bestimmten Bedingungen anerkennen würden.
GADDAFI: Die Frage ist insofern nicht richtig gestellt. als Sie mit Ihrer Frage den Karren vor das Pferd spannen. Sie können doch nicht die gesamte Situation ignorieren und hier einfach die Frage stellen: Wieso schließen Sie keinen Frieden ab? Es muß zuerst diese Situation korrigiert werden, dann werden wir uns über den Frieden unterhalten.
SPIEGEL: Sie wollen also erst das derzeitige politische Gleichgewicht ändern und dann verhandeln.
GADDAFI: Das wahre Problem ist nicht Frieden oder Krieg, sondern die Besetzung des arabischen Territoriums und die Vertreibung der Palästinenser. Wir fordern die Rückgabe des besetzten Gebietes und die Rückkehr des vertriebenen Volkes. Wenn das geschieht, dann werden wir über Frieden sprechen.
SPIEGEL: Meinen Sie mit Rückgabe Israels Rückzug auf die Grenzen von 1967?
GADDAFI: Erstens muß Ägypten seine seit 1967 besetzten Territorien zurückerhalten. Das ist völkerrechtlich anerkanntes ägyptisches Gebiet, und die Israelis haben nicht das Recht, auch nur eine Stunde auf diesem Boden zu bleiben. Das gleiche gilt für die Golanhöhen, denn sie sind unveräußerlicher Bestandteil des Staates Syrien.
Zweitens muß das palästinensische Volk das Recht und die Möglichkeit haben, in seiner Heimat zu leben. Die richtige Frage ist: Wo soll das palästinensische Volk leben? Und ich antworte darauf: In seiner Heimat.
SPIEGEL: Können Sie sich einen palästinensischen Staat vorstellen, der aus Westjordanien und dem Gazastreifen besteht?
GADDAFI: Auf keinen Fall! Das Höchste, was das palästinensische Volk akzeptieren würde, sind die Teilungsbeschlüsse der Uno von 1947.
SPIEGEL: Es ist zwar völlig unrealistisch, aber nehmen wir an, Israel würde sich auf seine Grenzen von 1947 zurückziehen. Würde Libyen Israel dann anerkennen?
GADDAFI: Dann würde eine neue Situation entstanden sein, die man anerkennen muß.
SPIEGEL: Sie würden Israel dann anerkennen?
GADDAFI: Nein, ich meine nicht die Anerkennung Israels. Ich betrachte Israel als ein kolonialistisches Produkt aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Welt kennt historisch, geographisch und politisch nur Palästina. Selbst die Heiligen Schriften sprechen nur von Palästina. Das Wort Israel ist nichts anderes als ein politischer Ausdruck, der soviel besagt wie Rhodesien, das auf den Trümmern des ehemaligen Simbabwe errichtet wurde.
SPIEGEL: Würden Sie den Juden nicht wenigstens im Prinzip das Recht einräumen, einen Staat im Nahen Osten zu besitzen?
GADDAFI: Wir glauben, daß Palästina den Palästinensern gehört.
SPIEGEL: Und wer sind die Palästinenser?
GADDAFI: Das sind die Araber Palästinas und die orientalischen Juden. Sie allein haben das Recht, in Palästina zu leben. Dagegen haben alle, die nach dem Ende des britischen Mandats über Palästina dorthin kamen, kein Recht, dort zu leben. Sie sind nichts anderes als Söldner, genauso wie die Söldner der Kreuzzüge oder die Söldner in Simbabwe.
SPIEGEL: Die Mehrheit selbst der Palästinenser würde Israel vermutlich anerkennen, wenn Israel einem unabhängigen Palästinenserstaat, bestehend aus Westjordanien und Gazastreifen, zustimmen würde.
GADDAFI: Dies ist nicht geschehen, alles andere sind nur Gerüchte und Spekulationen. Selbst wenn die Palästinenser so etwas annehmen würden, geschähe es nur aus Taktik, damit sie Boden unter ihre Füße bekämen, um die Befreiung vom Fluß (Jordan) bis zum Meer zu erreichen.
SPIEGEL: Sie glauben also nicht, daß es neben Israel einmal einen palästinensischen Staat geben kann?
GADDAFI. Wir sind uns darüber im klaren, daß Israel niemals einen unabhängigen palästinensischen Staat akzeptieren wird. Denn das bedeutet, daß die Palästinenser ein Gebiet bekommen, von dem aus sie für den Rest ihrer palästinensischen Heimat kämpfen können. Die Entstehung eines palästinensischen Staates ist nichts anderes als der Anfang vom Ende des künstlichen Gebildes Israel.
SPIEGEL: Ist das auch die Meinung des PLO-Chefs Arafat? Er hat ja Sadat den Rücken gekehrt und steht jetzt ganz auf Ihrer Seite.
GADDAFI: Mein Glaube an Jassir Arafat ist unerschütterlich. Auch in der Vergangenheit hat Arafat keinen Verrat begangen und wird es auch in Zukunft nicht tun. Jassir Arafat hat Sadat gezeigt, daß der von Sadat eingeschlagene Weg nicht der richtige ist. Damit verliert Sadat das Recht und die Legitimität, im Namen des palästinensischen Volkes zu reden.
SPIEGEL: Sadat kann doch im Namen der Araber sprechen.
GADDAFI: Sadat ist nur befugt, über den Sinai zu verhandeln. Wenn er etwas anderes behauptet, ist das pure Angeberei. Die PLO ist von der ganzen Welt als einzige und legitime Vertretung der Palästinenser anerkannt. Wer die Palästina-Frage lösen will, muß mit den PLO-Vertretern sprechen.
SPIEGEL: Nicht unbedingt. Sadat will die Verhandlungen mit den Israelis soweit voranbringen, daß die Jordanier später hinzu kommen können. GADDAFI: Wenn Jordanien das tut und dieses Spiel mitspielen würde, wird Hussein seinen Thron verlieren.
SPIEGEL: Uns scheint, daß Libyen eine so radikale Einstellung vor allem vertritt, weil es weit vom Schuß ist. Je entfernter ein Land von Israel liegt, desto radikaler ist es oft.
GADDAFI: Wieso denn das? Alle Kriege mit Israel haben dessen Nachbarn und hat nicht Libyen geführt.
SPIEGEL: In der Ablehnungsfront befinden sich mit Libyen und Algerien zwei Staaten, die
* Oben: 1973 bei der Eroberung der israelischen Bar-Ley-Linie auf dem östlichen Ufer des Suez-Kanals; unten: An der ägyptisch-israelischen Waffenstillstandslinie ins Sinai.
keine Grenze mit Israel haben. Woher nehmen Sie das Recht, Ägypten zu kritisieren?
GADDAFI. Ägypten ist ein Konfrontationsstaat, Libyen und Algerien sind und waren immer das strategische Hinterland. Bei allen Kriegen Ägyptens mit Israel waren diese beiden Länder die Nachschubbasis für Ägypten. Dadurch können wir Ägyptens Lage stärken oder schwächen. Man sollte uns nicht auf die leichte Schulter nehmen. Über Krieg oder Frieden kann Ägypten nicht ohne uns entscheiden.
SPIEGEL: Ägypten will keinen Krieg mit Israel, sondern Frieden.
GADDAFI: Ob es will oder nicht, es wird Krieg gegen Israel führen müssen.
SPIEGEL: Da Ägypten jedenfalls zur Zeit ausscheidet -- glauben Sie, daß Syrien in der Lage ist, allein Krieg gegen Israel zu führen?
GADDAFI: Ich zweifle nicht daran. Der Schlüssel über Krieg oder Frieden mit Israel liegt jetzt bei den Syrern.
SPIEGEL: Es war die Rede davon, daß Sie Syrien mit einer Milliarde Dollar unterstützen würden. Stimmt das?
GADDAFI: Wir haben nicht über eine bestimmte Summe gesprochen, aber ich habe mich verpflichtet, Syrien mit allen Mitteln zu helfen. Und diese Verpflichtung, das kann ich Ihnen versichern, werde ich erfüllen.
SPIEGEL: Werden Sie auch libysche Truppen an die syrische Front schicken?
GADDAFI: Syrien braucht keine libyschen Soldaten, es hat genug eigene Leute unter Waffen.
SPIEGEL: Haben Sie sich auch verpflichtet, den Palästinensern zu helfen?
GADDAFI: Natürlich. Sie bekommen jede materielle Hilfe.
SPIEGEL: Sie haben Syrien auf der Algier-Konferenz aufgefordert, den Palästinensern gegen Israel freie Hand zu lassen. Hat Syrien dem zugestimmt?
GADDAFI: Die Palästinenser haben grünes Licht für Widerstandsaktionen gegen Israel gegeben.
SPIEGEL: Haben die Syrer ihnen grünes Licht gegeben?
GADDAFI: Sie haben grünes Licht. SPIEGEL: Es liegt also an den Palästinensern, zu handeln oder nicht? GADDAFI: Das meine ich damit.
SPIEGEL: Sind sich die Palästinenser denn einig, wie der Kampf gegen Israel geführt werden soll?
GADDAFI: Je größer der Druck von außen ist, desto mehr werden sie sich einigen müssen.
SPIEGEL: Auf den Golanhöhen stehen Uno-Truppen. Die mußten erst abgezogen werden, wenn die Palästinenser Israel dort angreifen wollten. Oder denken Sie an den Libanon und Jordanien als Ausgangsbasis?
GADDAFI: Die Palästinenser haben das Recht, von libanesischem oder jordanischem Territorium aus zu operieren. Die beiden Regime dürfen ihnen nicht im Wege stehen. Sonst sind sie die Verlierer.
SPIEGEL: Oberst Gaddafi, Sie betrachten sich als einen der Führer der Dritten Welt. Zumindest in Afrika haben Sie in den Kubanern ernsthafte Konkurrenz bekommen. Nachdem die Kubaner erst in Angola eingegriffen haben, kämpfen sie jetzt auch am Horn von Afrika, auf der Seite Äthiopiens. Billigen Sie, daß sich Kuba militärisch in afrikanische Angelegenheiten einmischt?
GADDAFI: Ich glaube nicht, daß es Äthiopien nötig hat, kubanische Truppen einzusetzen, um seine Probleme zu lösen.
SPIEGEL: Die somalischen Behörden haben der internationalen Presse einen gefangenen Kubaner vorgeführt.
GADDAFI: Wir sind gegen jegliche ausländische militärische Einmischung in die Angelegenheiten anderer Staaten.
SPIEGEL: Hat Libyen kubanische und russische Soldaten im Land?
GADDAFI: Wir haben weder kubanische noch russische Soldaten auf unserem Gebiet. Wir haben nur militärische Berater.
SPIEGEL: Libyen unterstützt verschiedene Befreiungsbewegungen. Nach welchen Kriterien tun Sie das, und welche Organisationen sind es?
GADDAFI: Zur Zeit unterstützen wir die Befreiungsbewegungen in Simbabwe und in Südafrika sowie den palästinensischen Widerstand. Das sind Bewegungen, die gegen Rassismus,
* Bei der Proklamation des Volkskongresses 1977 ins südlibyschen Sebha.
Sklaventum und die Reste des europäischen Kolonialismus kämpfen.
SPIEGEL: Unterstützen Sie auch Organisationen wie die westdeutsche Baader-Meinhof -Gruppe?
GADDAFI: Ich höre von diesen Befreiungsbewegungen wie jeder normale Bürger. Mit solchen Dingen habe ich mich weder beschäftigt, noch kenne ich sie.
SPIEGEL: Unterscheiden Sie zwischen Befreiungsbewegung und Terrorismus?
GADDAFI: Was ist Terrorismus? Können Sie mir vielleicht sagen, was Terrorismus ist? Sie zielen mit Ihrer Frage wohl darauf ab, ob die palästinensischen Widerstandsorganisationen terroristische Organisationen sind. Ich sage Ihnen ganz klar: Nein! Ihr im Westen bezweckt mit einer solchen Fragestellung, den Kampf des palästinensischen Volkes zu manipulieren und zu entstellen. Die Palästinenser wollen ja nichts anderes, als in ihre Heimat zurückkehren. Der Zionismus lehnt des ab, und ihr im Westen schwatzt das bedenkenlos nach.
SPIEGEL: Wie steht es aber beispielsweise bei Flugzeug-Entführungen durch Palästinenser?
GADDAFI: Wir sind gegen Flugzeug-Entführungen. Und wir haben sehr strenge Gesetze gegen Luftpiraterie. Ich kann nur hoffen, daß die übrige Welt ähnliche erläßt. Gleichzeitig möchte ich aber betonen, daß wir auch der Vormund derer sind, die für ihre Freiheit und Unabhängigkeit kämpfen. Sie haben ihre bestimmten Methoden, ich muß ihnen die Freiheit bei der Auswahl ihrer Methoden überlassen.
SPIEGEL: Libyen unterstützt auch die Befreiungsbewegung Arabistan, die den erdölreichen Südwesten Persiens für sich beansprucht.
GADDAFI: Wir bekennen uns offen zu den Zielen der Befreiungsbewegung Arabistan. Wir hoffen, daß der Tag nicht mehr fern ist, an dem Arabistan in die arabische Nation zurückkehrt. Zwischen dem arabischen Volk und dem persischen Volk gibt es keine Probleme. Nach dem Verschwinden des Schahs wird es auch keine Probleme mit Persien mehr geben.
SPIEGEL: Der Schah ist einer Ihrer wichtigsten Partner in der Opec und Oberster Befehlshaber einer der größten Armeen des Nahen Ostens. Fürchten Sie sein Eingreifen nicht?
GADDAFI: Wir fürchten weder den Schah noch einen, der mächtiger ist als er. Der Schah Rezah Pahlewi ist für das iranische Volk ein Alptraum, und man kann doch ein Volk nicht ewig unter einem Alptraum leben lassen. Irgendwann wird das Volk sich dieses Alptraums entledigen.
SPIEGEL: Seit Sie an der Macht sind, haben Sie mehrfach versucht. Ihr Land mit Ägypten zu vereinigen. Immer ohne Erfolg. Hat Sie dieses Ergebnis nicht enttäuscht?
GADDAFI: Ich glaube nicht, daß meine Versuche erfolglos waren. Gemessen an der langen arabischen Geschichte, waren es nur kurze Versuche. Der Samen der arabischen Einheit ist gesät, die Saat wird eines Tages aufgehen, und die künstlichen Grenzen werden langsam verschwinden. Selbst Mißerfolge sind besser als kein Versuch. Nur so kommen wir der arabischen Einheit näher.
SPIEGEL: Oberst Gaddafi, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.