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»Saddam Hussein muß büßen«

aus DER SPIEGEL 10/1991

Mohammed Sajjid Tantawi, 62, ist als Mufti von Ägypten höchste islamische Rechts-Autorität im volkreichsten Araberstaat.

SPIEGEL: Eminenz, Saudi-Arabien will Saddam Hussein vor ein islamisches Gericht stellen. Ist das mit dem Koran vereinbar?

MUFTI: Aber sicher. Wer sich so schwerer Verbrechen an Leib und Gut anderer schuldig gemacht hat, darf nicht nur nach der islamischen Rechtsprechung gerichtet werden, er muß es sogar. Allah sagt im Heiligen Koran: »Es liegt Leben für euch in der Vergeltung, o ihr Verständigen, daß ihr Sicherheit genießen möget. Sure 2, Vers 179.«

SPIEGEL: Als höchste Instanz in Fragen des islamischen Rechts haben Sie doch sicher auch eine Vorstellung davon, was für eine Strafe Saddam Hussein zu erwarten hätte.

MUFTI: Der Koran ist eindeutig, die Art der Strafe liegt ebenso fest wie das Strafmaß. Lassen Sie mich aber hier festhalten, daß Saddam und diejenigen, die diese schrecklichen Taten gemeinsam mit ihm begangen haben, nicht nur nach islamischem Recht, sondern auch nach den Maßstäben aller Offenbarungsreligionen zur Rechenschaft gezogen werden müssen.

SPIEGEL: Erkennen Sie denn da ein gemeinsames Gerechtigkeitsempfinden?

MUFTI: Alle Offenbarungsreligionen - Islam, Christentum und Judentum - verlangen die Bestrafung von Verbrechern. Wichtig ist dabei jedoch, daß die Aburteilung absolut gerecht vor sich geht, so wie Gott es befohlen hat. Auf Saddams Verbrechen steht wahrscheinlich der Tod. Natürlich will ich dem Richterspruch nicht vorgreifen. Aber merken Sie sich: Saddam muß für seine Verbrechen büßen - nicht etwa, weil es um simple menschliche Rache geht, sondern weil die Religion es ausdrücklich verlangt. Und so Gott will, wird der Verbrecher seiner gerechten Strafe nicht entgehen. _(Das Interview führten die ) _(SPIEGEL-Redakteure Dieter Wild und ) _(Volkhard Windfuhr. )

SPIEGEL: Warum haben Sie voriges Jahr gleich den »Dschihad«, den Heiligen Krieg, gegen Saddam Hussein ausgerufen?

MUFTI: Ich habe zum Heiligen Krieg gegen alle aufgerufen, die sich an Gottes ewigen Werten vergriffen haben. Es ist ein Heiliger Krieg gegen all jene, die sich Vergehen gegen das Eigentum, das Leben oder das Vaterland anderer zuschulden kommen ließen. Unser Dschihad richtet sich gegen alle Tyrannen, die Verbotenes tun, Unschuldige töten und kein Laster auslassen.

SPIEGEL: Das hat Saddam Hussein getan?

MUFTI: Die Machthaber des Irak begingen die gemeinsten und schmutzigsten Verbrechen, als sie Kuweit überfielen: Hinterlist, Ungerechtigkeit und Aggression. Allah hat die Strafe, die dafür in Frage kommt, in zahlreichen Koranversen aufgezeigt: »Der Lohn derer, die Krieg führen gegen Allah und seinen Gesandten und Unordnung im Lande zu erregen trachten, wäre der, daß sie getötet oder gekreuzigt oder daß ihnen Hände und Füße abgeschlagen werden sollten. Das würde eine Schmach für sie sein in dieser Welt, und im Jenseits wird ihnen schwere Strafe zuteil. Sure 5, Vers 33.«

SPIEGEL: Den Heiligen Krieg hat aber auch Saddam Hussein ausgerufen.

MUFTI: Gegen wen? Gegen Moslems? Das ist ein Dschihad, den er zusammen mit dem Satan gegen den Heiligen Krieg der islamischen Gesetzgebung geführt hat. Es ist eine Gotteslästerung, wenn Menschheitsverderber und Sünder den Islam, den sie mit Füßen treten, als Alibi für ihre abscheulichen Taten ins Feld führen. Nein, Saddam war niemals berechtigt, den Heiligen Krieg auszurufen.

SPIEGEL: Welche Kriterien gelten denn für einen rechtmäßigen Dschihad?

MUFTI: Der Heilige Krieg kann in zwei Fällen stattfinden: wenn es darum geht, eine Aggression zurückzuschlagen oder jemandem, dem Unrecht widerfahren ist, zu seinem Recht zu verhelfen. Der Dschihad gegen die Verbrecherbande in Bagdad erfüllte diese Voraussetzungen in jeder Hinsicht.

SPIEGEL: Das Prinzip des Dschihad ist sehr alt. Die Zeiten haben sich geändert. Vieles, was vor über tausend Jahren richtig war, wird heute in einem völlig anderen Licht gesehen. Paßt der Dschihad noch in unsere Zeit?

MUFTI: Der Heilige Krieg ist heute genauso gültig wie zu Zeiten des Propheten und wird Gültigkeit haben bis zum Jüngsten Gericht.

SPIEGEL: Saddam Hussein behauptete, den Krieg auch für eine gerechtere Umverteilung der Reichtümer der Erdölmonarchien zu führen. Tritt der Islam nicht ebenfalls für mehr Gerechtigkeit ein?

MUFTI: Dieser Vorwand war von A bis Z durchschaubar. Denn die Araber hatten Saddam und seine Kumpane nicht mit der Wahrnehmung ihrer Interessen betraut. Jeder Staat ist für die Verteilung seiner Reichtümer selbst verantwortlich in Übereinstimmung mit den Vorschriften des Koran. Der Islam fördert die soziale Gerechtigkeit und möchte die Klassenunterschiede verringern. Wenn Saddam Hussein wirklich mehr soziale Gerechtigkeit wünschte, hätte er bei sich zu Hause anfangen sollen. Im Irak tut mehr soziale Gerechtigkeit not. Jedoch zu behaupten, er habe den Krieg wegen sozialer Anliegen vom Zaun gebrochen, ist eine Lüge.

SPIEGEL: Wie erklären Sie sich dann aber die Sympathien, welche die Massen in manchen Araberstaaten Saddam Hussein entgegenbrachten?

MUFTI: Warum diese Araber dem Herrscher des Irak auf den Leim gingen? Zum Teil aus Ignoranz, oder weil sie sich materielle Vorteile erhofften, oder aus noch anderen Gründen, die Allah allein weiß.

SPIEGEL: Kann es nicht sein, daß die krassen sozialen Gegensätze, die wachsende Verarmung und die Hoffnungslosigkeit der sich rasch vergrößernden Arbeitslosenheere vor allem viele Nordafrikaner dem vermeintlichen Erlöser Saddam Hussein in die Arme trieben?

MUFTI: Das zeigt nur, wie wenig die Betreffenden über die Verlogenheit Saddam Husseins Bescheid wissen - an den Tatsachen ändert das gar nichts: Die verderbte Clique im Irak denkt nicht an das Wohl der Massen, sondern zerstört durch ihre islamfeindlichen Praktiken die Ressourcen des Landes, anstatt sie der Bevölkerung zugute kommen zu lassen.

SPIEGEL: Viele Moslems nehmen Anstoß daran, daß islamische Staaten die Hilfe westlicher Armeen im Kampf gegen den islamischen Irak akzeptierten. Ist das eigentlich islamisch zu rechtfertigen?

MUFTI: Jawohl, jawohl. Wenn eine Notlage es erfordert, ist nichts dagegen einzuwenden, im Interesse des Islam Nichtmoslems zu Hilfe zu rufen. Das ist auch kein Novum in der Geschichte des Islam. Im Heiligen Koran hat Allah das klipp und klar dargelegt: »Wenn zwei Parteien der Gläubigen miteinander streiten, dann stiftet Frieden unter ihnen; wenn aber eine von ihnen sich gegen die andere vergeht, bekämpft die Partei, die sich verging, bis sie zu Allahs Befehl zurückkehrt. Sure 49, Vers 9.« Das sollte genügen, jeden Zweifler davon zu überzeugen, daß das Eingreifen nichtislamischer Truppen auf Wunsch bedrohter islamischer Staaten vom Koran gebilligt wird.

SPIEGEL: Dann haben offenbar nicht alle Moslems nach Allahs Gebot gehandelt.

MUFTI: Eben. Einige Araberstaaten haben sich auf die Seite des Usurpators gestellt, leider. Das Königreich Saudi-Arabien bekam es mit der Angst und erbat Hilfstruppen von arabischen und islamischen Staaten, vor allem natürlich von Ägypten und Syrien. Als sich dann herausstellte, daß das nicht ausreichte, ersuchte Saudi-Arabien um zusätzliche Truppen aus anderen befreundeten Ländern. Die Verantwortlichen in Saudi-Arabien, die allein über die islamische Rechtmäßigkeit von Maßnahmen - gleich welcher Art - wachen, waren zu dem Schluß gekommen, daß hier ein Notfall vorlag, der die Inanspruchnahme nichtislamischer Hilfstruppen rechtfertigte.

SPIEGEL: Dieser Krieg unter Moslems brach zu einer Zeit aus, die von wachsendem islamischen Selbstbewußtsein geprägt ist. Führt diese Tragödie in der islamischen Welt nun zu gesteigerter religiöser Militanz?

MUFTI: Das islamische Erwachen geht weiter, niemand kann es aufhalten. Es wäre uns allerdings lieb, wenn sich das neue Islam-Engagement von Vernunft und Weisheit leiten und nicht von der Meinung Unwissender beeinflussen ließe.

SPIEGEL: Wird islamisches Engagement in islamischen Ländern, etwa in Algerien, zur Entstehung islamischer Staatswesen nach dem Muster der Islamischen Republik Iran führen?

MUFTI: Es gibt bereits eine ganze Reihe islamischer Staaten. Es geht doch darum, ob der Staat islamisch fundiert ist und ob er den Koran ernst nimmt. Wie sich Staaten nennen, ist nicht von Belang.

SPIEGEL: Diese weite Definition trifft im Prinzip auf fast alle Länder mit islamischen Bevölkerungsmehrheiten zu. Den Eiferern ist das aber zu wenig, die wollen radikale Veränderungen.

MUFTI: Wer Scheingefechte führt und grundlos Feindschaft unter Moslems oder auch zwischen Moslems und Nichtmoslems entfacht, handelt wider den Islam. Diese Leute sollten den Koran richtig lesen. Saddam Husseins Islam-Bekenntnisse jedenfalls sind Lug und Trug.

SPIEGEL: Dabei verkündete Saddam Hussein ja nicht mal die Einheit von Staat und Religion, wie die Moslembruderschaft in Ägypten und die islamischen Parteien in Algerien. Müssen Staat und Islam in Ihrer Sicht deckungsgleich sein?

MUFTI: Der Islam ist Religion und Staat. Die islamische Rechtsprechung macht keinen Unterschied zwischen beiden. Der Islam sagt nicht: »Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.«

SPIEGEL: Das unterscheidet den Islam vom Christentum. Befürchten Sie nicht, daß der religiös verfärbte Golfkrieg eine neue, tiefgehende Konfrontation zwischen dem islamischen Orient und dem christlichen Westen zur Folge haben könnte? Schon jetzt sprechen viele von einer Kreuzzugsstimmung.

MUFTI: Nein, diese Gefahr sehe ich nicht. Die Scharia gründet sich auf positives Zusammenwirken von Moslems, Christen, Juden, also auch zwischen Andersgläubigen. Der Islam bekämpft nur diejenigen, die ihn angreifen. Die ärgsten Feinde des Islam sind heute Moslems, die den Islam mißbrauchen. o

Das Interview führten die SPIEGEL-Redakteure Dieter Wild undVolkhard Windfuhr.

D. Wild, V. Windfuhr
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