Säure und Kalk
Nahe der Kölner Universität steht ein Denkmal: eine fast zwei Meter hohe Säule aus irischem Kalkstein, 300 Kilo schwer, glatt, ohne Konturen. In den Sockel hat der Kölner Bildhauer Volker Kiehn vier Wörter hineingeschlagen: Säure und Kalk, Technokraten und Fachschaft. Letzteres ist die Bezeichnung für die Interessenvertretung der Studierenden.
Der steinharte Kalk der Säule symbolisiert die ebenso steinharte Bürokratie. Doch in der Mitte der Säule ist die Kalkfläche aufgebrochen. Man erkennt die Struktur eines Säuremoleküls, das die steinige Fläche höhlt. Besitzern von Kaffeemaschinen leuchtet sofort ein: Säure löst Kalk, soll heißen: Die studentische Fachschaft zersetzt die Bürokratie.
Die Geschichte begann vor 34 Jahren, als dem Kölner Biochemiker Lothar Jaenicke ein Institutsneubau verbindlich zugesagt wurde. Der Professor freute sich, denn die Biowissenschaften entwickelten sich zu einem zukunftsträchtigen Forschungsfeld.
In den folgenden fünf Jahren geschieht erst einmal nichts. Dann, im Jahr 1968, schreibt die Fachschaft Biologie einen Brief an den Kultusminister, der mit den Worten beginnt: »Anlaß unseres Schreibens sind die unhaltbaren Zustände in der biochemischen Ausbildung im Rahmen des Biologiestudiums ...«
Der Brief und eine Hörsaal-Besetzung zeigen Wirkung, schon zwei Jahre später erhalten die Studenten ein paar Barackencontainer für die provisorische Überbrückung der Raumnot. Das war's aber auch erst einmal.
22 Jahre nach der ersten Zusage an Jaenicke warten Studenten und Professoren der Kölner Biochemie noch immer auf den ersten Spatenstich. Im selben Jahr, 1985, beginnt Oliver Langholz, Landessieger im Wettbewerb »Jugend forscht«, sein Studium. Er ist ein Student, wie ihn sich Professoren und Bildungspolitiker nur wünschen können: engagiert, intelligent, zielstrebig.
Im Verlauf der folgenden neun Jahre verfaßt Langholz mit seinen Kommilitonen über 25 ausführliche Stellungnahmen, die meisten sind an die Hochschulleitung und an das Ministerium adressiert. Er organisiert zwei eindrucksvolle Demonstrationen und ein knappes Dutzend Gesprächsrunden mit Verwaltungsleuten, Gremiumsvertretern und Mitgliedern des Landtags.
Dann fahren eines Tages doch die Bagger vor und beginnen mit dem Aushub. Endlich, im Dezember 1996, kann der Neubau der Biochemie eingeweiht werden: große Feier, viele Blumen und schöne Reden, die von der Humboldtschen Einheit von Lehre und Forschung handeln.
Viele, die mit den unhaltbaren Zuständen befaßt und zerstritten waren, stehen beisammen, halten das Sektglas in der Hand und plaudern: die Ministerin Anke Brunn zum Beispiel, die in Nordrhein-Westfalen 16 Universitäten, 20 Fachhochschulen, 7 Kunst- und Musikhochschulen, 4 Verwaltungshochschulen, 5 kirchliche Hochschulen, 7859 Professoren und eine halbe Million Studierende im Auge behalten muß. Wer will ihr verdenken, wenn da mal ein kleines Institut nicht zu zügig fertig wird?
Oder Johannes Neyses, der Verwaltungschef der Universität und Vorsitzende des Kanzlerarbeitskreises. Er ist Verfasser von 15 griffigen Thesen zur Hochschulreform. Dann stehen da die Professoren und Assistenten, die viel Zeit und Nerven geopfert haben, um ihre Biochemie gegen alle Widerstände in Lehre und Forschung durchzuziehen.
Nur einer fehlt: Oliver Langholz. Vier Tage vor dem Festakt ist er, der zehn Jahre für diesen Neubau gekämpft hat, im Alter von 32 Jahren an einem Krebsleiden gestorben.