»Sammelbecken der Rechtsfront«
Wir erklären hiermit gemeinschaftlich und öffentlich unseren Austritt aus der Christlich-Demokratischen Union.
Die CDU/CSU ist aufgrund ihrer internen Struktur nicht mehr fähig, den Weg einer »Volkspartei« und einer »Partei der Mitte« zu gehen. Die Union ist damit für Mitglieder und Wähler. die sie in diesem Selbstverständnis ernstgenommen haben. nicht mehr tragbar. Alle Mitglieder der CDU/CSU, die nachstehende Begründung unseres Austritts für gerechtfertigt halten, fordern wir auf, die Konsequenzen zu ziehen und diese Partei zu verlassen.
Die Entwicklung eines reformbewußten und sozialgerechten politischen Gesamtkonzeptes ist nach unserer Meinung von dieser Partei auf lange Sicht nicht zu erwarten.
Was vor dem Düsseldorfer Parteitag für einen kurzen Zeitraum übertüncht schien, schillert heute in den krassesten Farben wie eh: das bunte Allerlei politischer Programmentwürfe und Interessenlagen. in denen sich das undurchsichtige Kompromißlertum der einflußreichen Karrieregruppen innerhalb der Spitzengliederung der CDU widerspiegelt. Die CDU/CSU stellt gegenwärtig das Sammelbecken rechtsorientierter und reformfeindlicher Interessengruppen dar. Angesichts der Teilerfolge bei den Landtagswahlen wurde das durch Machtwillen aufgeblasene Selbstbewußtsein gerade der herrschenden CDU-Kreise gestärkt.
In dieser Situation stellt sich die Frage, ob nicht die CDU/CSU im Sinne ihrer unüberwindbaren restaurativen Grundtendenz eine Gefahr für die demokratische und sozialgerechte Weiterentwicklung der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Ist man in der CDU hoch genug aufgestiegen, um einen gewissen Einblick in die interne Finanzzirkulation gewinnen zu können, so muß man zu dem Schluß kommen, daß diese Partei sich bedenklichsten Gefahren für die Demokratie und die politische Erfüllung des Verfassungsauftrages öffnet: Entgegen dem Artikel 21 des Grundgesetzes und dem Parteiengesetz genügt die Union weder von ihrer Organisationsstruktur noch von der personellen Substanz ihrer Mitglieder dem Demokratie-Gebot, die latenten Willensbildungsprozesse in der Gesellschaft zu fördern und in entscheidbare politische Entwürfe umzusetzen, die dem proklamierten Selbstverständnis der CDU/CSU als »Volkspartei« glaubwürdig entsprechen.
Die permanente Finanzmisere der Parteiorganisation hat seit langem dazu geführt, daß der Bundesverband und die Parteigliederungen auf allen Ebenen in hoffnungsloser Weise ausgeliefert sind an finanzstarke Interessengruppen. Diese stehen außerhalb und innerhalb der Partei und bestimmen letztlich die Programmatik der Union, indem sie durch für die Mitglieder undurchsichtige finanzielle Transaktionen, die immer mit massiven politischen Auflagen verbunden sind, das Defizit im Finanzbedarf ausgleichen.
Vor Jahren lösten alle wichtigen finanziellen und politischen Probleme die parteienrechtlich illegale Pressure-group der Banker- und Industriebosse, der sogenannte »Wirtschaftsrat. oder das ständisch-feudale Fossil der Mittelstandsvereinigungen. Heute sind diese Gruppierungen dem Namen nach zusammengefaßt als »Wirtschaftsvereinigung der CDU e. V.«. Machtverhältnisse und Intentionen dieser Lobbyisten -Gemeinschaft haben sich unter dem neuen Firmenschild nicht geändert: die Interessen derjenigen zehn Prozent der Bevölkerung, die so viel verdienen und erwerben wie die restlichen 90 Prozent zusammen, steuern nach wie vor die Willensbildung der Führungsspitze der Partei im Sinne ihrer Interessenlage und bestimmen bei den Kandidaten-Aufstellungen für die Parlamentswahlen die Reihenfolge auf den Ranglisten.
Die Sozialausschüsse sind seit eh eine unbedeutende Kraft innerhalb der Union. Nie hat sich das so deutlich gezeigt wie in Düsseldorf. Selbst gutgemeinte Aktivitäten dienen offensichtlich nicht mehr dem Interesse der Arbeitnehmer, sondern schaden ihnen, da die »Image-Pflege« der Union so verfälscht betrieben werden kann: die CDU/CSU kann dadurch weiterhin von Wahlkampf zu Wahlkampf ihre Wähler darüber hinwegtäuschen, daß sie längst nicht mehr eine »Partei der Mitte« ist. Sie ist ein Sammelbecken der rechtsdriftigen Industrie-, Agrar-, Vertriebenen- und Hinterbliebenen-Front in der Bundesrepublik.