ENTWICKLUNGSHILFE Sand im Kopf
Der Job forderte ganze Männer: Tief im Inneren ihres Landes, in der Oase Bureida, rund 400 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Riad. wollte Saudi-Arabiens Regierung von europäischen Entwicklungsexperten eine moderne Landwirtschaftsschule aufbauen lassen.
Für die ausländischen Fachleute war das Projekt eine Pionieraufgabe: Entwicklungsarbeit in einer extrem rückständigen islamischen Gesellschaft, an einem Ort ohne Telephon. Telegramme nach Europa sind eine Woche unterwegs.
Deutsche Experten schienen den Saudis für diese Herausforderung am besten geeignet. Das Erziehungsministerium in Riad beauftragte daher 1975 die »Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit« (GTZ) in Eschborn bei Frankfurt mit der schwierigen Mission.
Die Araber glaubten ein solides Unternehmen gewonnen zu haben. Die GTZ ist eine bundeseigene Gesellschaft. die den größten Teil der von Bonn bezahlten Entwicklungsprojekte managt; rund 1800 Experten arbeiten in Afrika, Asien und Lateinamerika, 300 Fachleute werden in der Zentrale nahe Frankfurt beschäftigt.
Für die Männer von der GTZ hatte das Oasen-Projekt einen besonderen Reiz, galt es doch als Modellfall für eine neue Konzeption: Entwicklungshilfe gegen Barzahlung, die Bonn vor allem den neureichen, aber unterentwickelten Ölstaaten in Arabien anbietet. Mithin sollte nicht der Bonner Entwicklungshilfeminister, sondern die Saudi-Regierung die Landwirtschaftsschule finanzieren.
Bureida -- gedacht als ein Musterbeispiel für die Leistungsfähigkeit der deutschen Entwicklungshilfe -- gedieh freilich zu einem Exempel bürokratischen Mißmanagements, zu einem Fall, bei dem die Konzeption der Hilfe gegen Bezahlung im reichsten Ölland der Erde schwer in Verruf geriet.
Schuld daran trägt vor allem die zweifelhafte Geschäftspolitik der GTZ-Zentrale, die offenbar das Projekt im fernen Saudi-Arabien zu einem einträglichen Gewinngeschäft fürs eigene Konto entwickeln wollte. Vornehmlich bei den Anschaffungen für die Musterschule glaubte GTZ-Geschäftsführer Hartmut Hoeppel wohl einen guten Schnitt für seine Firma machen zu können -- Entwicklungshilfe einmal umgekehrt.
Für über acht Millionen Mark wollten die Saudis Vieh und Futtermittel, technisches Gerät und Mobiliar erwerben, und dafür erbaten sie sich Angebote. Hoeppel, ein robuster Kaufmann, den die FDP 1975 in die GTZ-Geschäftsführung bugsiert hatte, stellte klar, wie die Angebote an die Saudis zu kalkulieren seien -- mit einer Spanne von über 105,5 Prozent auf den Einstandspreis zuzüglich Transport- und Versicherungskosten. Der ehemalige Manager der Elektrofirma Braun in einer internen Anweisung vom 3. November 1975: »Die Kalkulation erfolgt mit den Zuschlagsätzcn auf den cif-Preis von + zwei Prozent, + 3,5 Prozent, -~- 100 Prozent.«
Daran hielten sich Hoeppels Kaufleute dann auch weitgehend. Einen Zuchtbullen beispielsweise, der die GTZ einschließlich Frachtkosten nach Saudi-Arabien 12 699,51 Mark gekostet hätte, boten die geschäftstüchtigen Helfer aus Germany für 23 314 Mark an.
Ähnlich langten die Deutschen bei anderen Angeboten zu: Futtermittel wollten sie mit Aufschlägen bis zu einigen tausend Mark pro Tonne verkaufen, und bei den Preisen für die Instituts-Bibliothek und die Küche hantierten sie ebenfalls mit deftigen Zuschlägen. Offenbar glaubten die GTZ-Manager, die dollarschweren Wüstensöhne leicht aufs Kreuz legen zu können.
Doch die Saudis wußten über die handelsüblichen Preise bestens Bescheid. Der Zufall nämlich wollte es, daß ein Onkel des zuständigen saudischen Generaldirektors Mutabagani selbst eine Farm betreibt. Er konnte seinem Neffen vorrechnen, was er für Kühe und Futter aus Europa normalerweise zahlt.
Das Angebot aus Eschborn wurde abgelehnt. Die GTZ mußte sich entschuldigen.
Hoeppel rechtfertigt sich heute: »Das waren Fehler, die im Geschäft mal vorkommen können.« Und: »Wir haben hier im Haus nicht so intelligente Kaufleute.«
Die Entwicklungshelfer vor Ort aber gerieten erst einmal in Verruf. Projektleiter Siegfried Manzke berichtete aus der Wüste an den Main von dem Verdacht des saudischen Auftraggebers, »die GTZ handele nicht wie ein fachlich kompetenter und kaufmännisch solider und honoriger Partner«. Den Westdeutschen in Bureida, die für die seltsamen Angebote nicht verantwortlich waren, seien, so Manzke, »wiederholt sehr peinliche Fragen« gestellt worden.
Aus der Zentrale nach Saudi-Arabien entsandte Mitarbeiter berichteten gleichfalls Unrühmliches. So schrieb im August vergangenen Jahres nach der Rückkehr aus dem Vorderen Orient GTZ-Mitarbeiter Hermann Rychetsky in einem Reisebericht: »In der Ausstattungsliste war eine Vielzahl von Gegenständen mit derart exorbitanten Preisen ausgezeichnet, daß der Eindruck entstehen mußte, hier würde bewußt eine besondere Marktstellung der GTZ zur Gewinnmaximierung ausgenutzt.« Und: »Angebotskalkulationen dieser Art ... müssen Zweifel an der fachlichen Leistungsfähigkeit beziehungsweise an der kaufmännischen Seriosität aufkommen lassen.«
Der GTZ-Mann Eckard Löscher teilte seinen Oberen nach einem Arabien-Trip im November 1976 mit: »Nicht das Geschäft des Augenblicks. sondern das Vertrauen von Dauer muß gesucht beziehungsweise zurückgefunden werden. Doch ist es dazu fast schon zu spät.«
Die überhöhten Angebote waren nicht der einzige Mißgriff der GTZ-Zentrale. Auch mit prompter Lieferung haperte es.
Anfang Mai 1976 baten die Saudis beispielsweise telegraphisch um Angebote für drei Generatoren, die das Agrar-College mit Strom versorgen sollten. Ein halbes Jahr später, Mitte Dezember, ging in Riad ein Fernschreiben ein, in dem die Experten aus der GTZ-Zentrale noch einmal Rückfragen stellten, die den Saudis völlig sinnlos erschienen.
Der GTZ-Berater Walter Kronitz. von seinen Oberen als Regierungsberater an die Araber abgestellt, kabelte daraufhin nach Deutschland: »Partner verlangt, daß sein Auftrag endlich schnellstens ausgeführt wird und bezeichnet diese Rückfrage als Sabotage an der Arbeit des Projektleiters Bureida.«
Erst im Frühjahr dieses Jahres kamen die Generatoren in der Oase an. Dort standen sie dann monatelang nutzlos herum -- das nötige Material für den Anschluß der Maschinen war nicht mitgeliefert worden.
Über die Schlamperei seiner Firma war der GTZ-Experte Kronitz so entsetzt, daß er sich hilfesuchend an die Bundesregierung wandte. Im Oktober schickte er einen Vermerk an die westdeutsche Botschaft in Dschidda, in dem er sich über die Fehler und Versäumnisse der Staatsgesellschaft beschwerte. Der GTZ, deren Aufsichtsratsvorsitzender der Bonner Entwicklungshilfe-Staatssekretär Udo Kollatz ist, warf Kronitz vor:
* Überschätzung der eigenen Möglichkeiten -- Unterschätzung der Genauigkeit des Partners«;
* »Bearbeitung von Aufträgen seitens der GTZ zeigte, daß dort kein leistungsfähiges Personal vorhanden ist":
* »Verständnis für die saudische Mentalität ist hei der GTZ fast völlig zu vermissen; selbstherrliches Auftreten bei Verhandlungen und Außerachtlassen erforderlicher Höflichkeit«.
Geschäftsführer Hoeppel läßt sich von solcher Kritik nicht beeindrucken. Über seinen Mitarbeiter Kronitz, der seit 1960 in der Entwicklungshilfe arbeitet, urteilte der GTZ-Chef gegenüber dem SPIEGEL: »Was meinen Sie, was diese Leute für Wüstensand im Kopf haben.« Der viele Sand in Kronitz Hirn hinderte Hoeppels Firma allerdings nicht. mit dem Experten gerade wieder einen neuen Berater-Vertrag abzuschließen.
GTZ-Chef Hoeppel hat zumindest eine Lehre aus der Affäre Bureida gezogen. Inzwischen bietet sein Entwicklungs-Unternehmen Waren, die von den Ausländern selbst bezahlt werden, nur noch mit einem pauschalen Aufschlag von zehn Prozent an. Hoeppels Hauptabteilungsleiter Klaus Jürgen Lampe tröstete sich: »So schwierige Projekte wie in Saudi-Arabien haben wir Gott sei Dank nicht so oft.«
Den Projektleiter in Bureida, Siegfried Manzke, hatten die dauernden Querelen mit der Zentrale schließlich so vergrätzt, daß er, zusammen mit anderen Team-Kollegen, seine Kündigung einreichte. Statt, wie mit den Saudis vereinbart, elf deutscher Experten hat die GTZ derzeit nur vier Mann in Bureida.
Trotzdem begann mit einjähriger Verspätung die Musterschule in diesem Herbst den Lehrbetrieb. Die Westdeutschen störten sich nicht an der Expertise, in der ein GTZ-Fachmann, zur »Prüfung der Voraussetzungen für den im Herbst 77 geplanten Unterrichtsbeginn« nach Bureida geschickt, vor dem frühen Unterrichtsbeginn in der arabischen Oase warnte,
»Die Frage«, so teilte der Experte seiner Zentrale mit, »ob ich die Aufnahme eines geordneten Lehrbetriebs unter den bestehenden Voraussetzungen für möglich halte, muß ich aus meiner Sicht verneinen.«