Otto Köhler SANFTE POLIZEI-WELLE
Am Samstag vor zwei Wochen freute sich der Chefredakteur des »Münchner Merkur«, Kurt Wessel, in einem Leitartikel über einen »guten Einfall« der Münchner Polizei. Sie hatte die Protestrufe der Anti-Schah-Demonstranten mit Marsch-Musik aus dem Polizei-Lautsprecher übertönt und damit -- so Wessel -- »die Plebs einstweilen lächerlich« gemacht. Gleichwohl hatte Wessel einen Einwand: »Nur tötet hier die Lächerlichkeit nicht.« Der »Bürger verlangt energischere Abhilfe im ganzen«.
Während Münchner Bürger beim samstäglichen Morgenkaffee diesen Einwand bedachten, war in Berlin die Leiche des Studenten Benno Ohnesorg schon erkaltet, der am Abend zuvor innerhalb einer energischen Abhilfe im ganzen von einem Berliner Polizisten mit einem Schuß von hinten getötet worden war.
Was erfuhren nun die Berliner durch ihre Presse über den Tod des Studenten?
Am Samstagmorgen mußten Berliner Zeitungsleser glauben, daß Benno Ohnesorg von seinen Kommilitonen umgebracht worden sei. »Bild«-Berlin bot die Schlagzeile »Blutige Krawalle: 1 Toter!« und erläuterte: »Ein junger Mann ist gestern in Berlin gestorben. Er wurde Opfer von Krawallen, die politische Halbstarke inszenierten ... Gestern haben in Berlin Krawallmacher zugeschlagen ... Ihnen genügte der Krach nicht mehr. Sie müssen Blut sehen ... Gestern haben bösartige und dumme Wirrköpfe zum erstenmal versucht, den Terror in den freien Teil der Stadt zu tragen.«
Die »BZ« meldete: »Linksradikale Störenfriede haben gestern abend ... der Polizei eine regelrechte Straßenschlacht geliefert.« Dabei »gab es ein Todesopfer«. Und ein »BZ«-Kommentar, erkennbar an die Adresse der Demonstranten und nicht der Polizei gerichtet, erklärte: »Das ist Terror! ... Das war krimineu. Das war kriminell in übelster Weise.«
Auch für den »Telegraf« ("Einer Handvoll von Radaubrüdern gelang es, ganze Stadtviertel zu terrorisieren") »gab es« schlicht »im Verlaufe der Tumulte« einen Toten. Für die »nachtdepesche« war es klar und eindeutig die von »randalierenden Demonstranten« heraufbeschworene »blutige Schlacht«, die »ein Todesopfer gefordert« hat.
Lediglich die »Berliner Morgenpost«, deren Leser ohnehin ausreichend abgehärtet sind, meldete gleich, daß der Tote ein Demonstrant war. Die Todesursache konnten findige Leser hinter dem Satz vermuten: »Ein Kriminalbeamter feuerte im wirren Tumult und in dem unübersehbaren Handgemenge einen Warnschuß ab.« Erst der »Abend« jedoch, der gelegentlich mal gegen die Springer-Generallinie der Berliner Zeitungen aufmuckt, fragte -- nach der suggestiven Schlagzeile: »Ein Todesopfer der Tumulte« -, ob der Student »an den Folgen des Polizeieinsatzes gestorben« sei.
Aber auch der »Abend« verbreitete -- wie die meisten Berliner Zeitungen -, daß die Demonstranten die Polizisten mit einem »Steinhagel« provoziert hätten. Zum Beweis druckte der »Abend« wie die »BZ« das Bild einer jungen Frau mit der Unterschrift: »Blutüberströmt wird ein junges Mädchen vor dem Steinhagel in Sicherheit gebracht.«
Dieses junge Mädchen nach dem Verlassen des Krankenhauses: »Ich erhielt drei bis vier Knüppelschläge, mit voller Wucht geschlagen, über den Kopf, einige auf den Oberarm.« Sie war -- wie die meisten Demonstranten auch -- auf dem Nachhauseweg zusammen mit ihren Bekannten von der Polizei eingekesselt und trotz ihrer Bitten »Nicht schlagen« zu Boden geknüppelt worden.
Am Sonntag ließ es sich auch für die übrigen Zeitungen nicht mehr verheimlichen, daß der Tote ein Demonstrant war. Die »Welt am Sonntag« -- mit eigener Berlin-Ausgabe -- hatte jedoch keinen Zweifel, warum ein Kriminalbeamter »von seiner Schußwaffe Gebrauch gemacht« hatte: »Er war von den Demonstranten in einen Hof abgedrängt, dort festgehalten, getreten und mit Messern bedroht worden.« Denn für »WamS« war die Version einer Polizei, deren märchenhafte Phantasie spätestens seit dem »Humphrey-Attentat« weltberühmt ist, die einfache und lautere Wahrheit.
Und am Montag erfand »Bild«-Berlin die Nachricht zu der Blutlüsternheit, die es zwei Tage zuvor den Studenten zukommentiert hatte. »Bild«-Titel: »Studenten drohen: Wir schießen zurück -- Sanfte Polizei-Welle«.
Dazu der Verfasser des Artikels, »Bild«-Reporter Peter Behrendt zum »Berliner Extra-Dienst": »Ich schäme mich für meine Zeitung. Das mit dem Zurückschießen hat mit keinem Wort in meinem Artikel gestanden. Das haben die erst in der Redaktion dazugedichtet, um eine knallige Überschrift zu kriegen.«