Zur Ausgabe
Artikel 13 / 96

FRIEDENSBEWEGUNG Sanfter Kreuzzug

Bundespräsident Carstens und Kanzler Schmidt sind alarmiert: Nun organisieren sich auch noch in den Kirchen die Atomwaffengegner zu einer neuen Opposition gegen Bonn.
aus DER SPIEGEL 18/1981

Fürchte dich nicht!« heißt die Losung der protestantischen Oberhirten für ihre Schäflein, die im Juni zum 19. Deutschen Evangelischen Kirchentag nach Hamburg kommen. Doch Christen, die sich fürchten, werden den Kongreß beherrschen.

Angst vor Atomtod und Aufrüstung hat Tausende von Protestanten einer Vielzahl neuer Friedensgruppen zugetrieben. Mit der Bergpredigt in der Hand marschieren sie, angeführt von Pastoren, gegen »Pershing« und »Poseidon": Die Sanftmütigen werden das Erdreich besitzen, so erinnern sie an die Charta christlicher Pazifisten, und wer das Schwert nehme, der werde durch das Schwert umkommen.

Beim Hamburger Konvent, schätzen Kirchenkenner, werden allein 75 solcher Zirkel gegen Nato und Nachrüstung, Waffenwahn und Wehrdienst agitieren. Dietrich Sattler, Sprecher des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD): »Der Frieden wird in Hamburg das bestimmende Thema sein.«

Vor Jahresfrist noch tat der evangelische Militärbischof Sigo Lehming das pazifistische Engagement seiner Glaubensgenossen als »fideles Ignorantentum« ab. Nun aber fühlen sich Kirchenobere und Politiker von dem neuen Kreuzzug der Sanften herausgefordert.

Es gehe nicht an, predigte der Protestant Karl Carstens am Ostersonntag zu St. Petri in Bremen, wenn einzelne Pfarrer ihre politischen Auffassungen »mit dem Anspruch auf christliche Wahrheit« verkündeten. Und »besonders bedenklich« fand der Bundespräsident, wenn Christen die Forderung nach einseitiger Abrüstung mit der Bergpredigt begründeten.

Wochen zuvor war Helmut Schmidt, Carstens'' Bruder im Glauben, noch deutlicher geworden. Anders als das Staatsoberhaupt verbat sich der Kanzler jegliche Einmischung der Kirchen in die Politik, die er allein vor Gott und dem eigenen Gewissen zu verantworten habe. Evangelische Friedenskämpfer verdächtigte er einer »gewissen Neigung, den Satz ''Lieber rot als tot'' zu akzeptieren«, und bezichtigte sie »naiver Gesinnungsethik«.

»Mit Sorge« beobachtet auch der Stuttgarter Innenminister Roman Herzog, Vorsitzender des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU, die Friedensdiskussion in den Kirchen. Und der CDU-Bundestagsabgeordnete Willi Weiskirch machte mitten unter den Antikriegs-Protestanten einen alten Erzfeind aus: »Schulter an Schulter mit Kommunisten«, empörte er sich, propagiere die Kirchenjugend Wehrdienstverweigerung als wichtigen Beitrag zum Frieden.

Geeint wird die merkwürdige große Koalition wehrhafter Christen, von CDU-Carstens bis SPD-Schmidt, durch eine gar weltliche Sorge: die Furcht, die Nachrüstung der Nato werde sich gegen wachsenden Bürgerprotest nur noch schwer durchsetzen lassen. Jetzt schon marschieren Linke und Grüne, Alt-Pazifisten und Alternative gemeinsam gegen Atomwaffen für Europa. Der Schub aus den Kirchen ist ihnen hochwillkommen.

Täglich melden die fidelen Naiven Zulauf. Landauf, landab bilden sich, Pastoren vorneweg, in den Gemeinden neue Grüppchen: in Rüsselsheim etwa die »Friedensinitiative für echte Sicherheit und effektive Abrüstung«, im pfälzischen Altdorf die »Initiative kirchliche Gruppen ''Kirche einseitig für den Frieden''«, in Gladbeck eine »Pfarrerinitiative« und in Bremen die »Abrüstungsinitiative Bremer Kirchengemeinden«. Der stellvertretende Ratsvorsitzende der EKD, Helmut Hild: »Die Zahl solcher Gruppen ist sehr groß, und ihre Aktivitäten sind stark.«

Auch bei den Katholiken rührt sich etwas: Kritische Spontan-Gruppen, bunt gemischt aus gestandenen Theologieprofessoren, frustrierten Seelsorgern und aus mit der restaurativen Grundtendenz ihrer Kirche unzufriedenen Laien-Zirkeln an Hochschulen und in Gemeinden, haben die Antiatom-Bewegung »als zweites Standbein« (so der Chefredakteur der Zeitschrift »Publik-Forum«, Harald Pawlowski) entdeckt. Beim Berliner Katholikentag 1980 veranstalteten die innerkirchlichen Linken erstmals eine Unterschriftensammlung »Christen gegen Atomrüstung«.

Anlaß für den Aufbruch christlicher Pazifisten ist der Streit um Neutronenwaffe und Nachrüstung, aber auch Verdruß über Politiker und Parteien. Der Stuttgarter Pfarrer Hermann Schäufele: »Der 30jährige verbale Kampf muß in Aktion umschlagen.« Seit 1945, so rechnet sein Arbeitskreis »Ohne Rüstung leben« in einem Flugblatt für den Kirchentag S.20 vor, »haben über 6000 offizielle Abrüstungsbesprechungen stattgefunden. So gut wie nichts ist erreicht worden«.

Mit einem radikalpazifistischen Programm hat sich »Ohne Rüstung leben« (ORL) binnen drei Jahren zur größten der neuen Friedensgruppen in der evangelischen Kirche hochgerappelt. Fasziniert von der Utopie eines friedlichen Lebens ohne Waffen, einer gewaltfreien Verteidigung nach Mahatma Gandhis Vorbild, haben sich 15 300 Christen selbst verpflichtet: »Ich bin bereit, ohne den Schutz militärischer Rüstung zu leben. Ich will in unserem Staat dafür eintreten, daß Frieden ohne Waffen politisch entwickelt wird.«

Im Stuttgarter Büro der Aktion treffen jeden Tag, so der Pfarrer Werner Dierlamm, »zehn bis 20 neue Unterschriften« ein. 50 ORL-Regionalgruppen organisieren mittlerweile überall in der Republik den Widerstand: mit Fasten- und Friedenswochen, Info-Ständen und Diskussionen. Von ihrem Erfolg beflügelt, hoffen die radikalen Pastoren auf »eine breite Basis all derer«, die »als Christen und politisch denkende Menschen zur Umkehr bereit sind« (Schäufele).

Doch ihrem Versuch, mit Parteien und Gewerkschaften ins Geschäft zu kommen, ist bisher nur wenig Segen beschieden. Selbst SPD-Linke wie der Synodale Erhard Eppler machen spitze Finger: Die Parole »Ohne Rüstung leben« werde »politisch gar nichts bewirken, so verständlich sie ist, weil sie nicht mehrheitsfähig ist«.

Um so heftiger reißen sich andere um den neuen Bundesgenossen, der aus der Kirche kommt. Rudolf Bahro, Sammler aller undogmatischen Linken und Grünen, forderte im Februar bei der »II. Sozialistischen Konferenz« in Marburg auf, die ORL-Pfarrer zu unterstützen. Bahro: »Die Ökologiebewegung ist der Resonanzboden für die neue Friedensbewegung. Ich will daran mitwirken, daß die Kräfte zusammenkommen.«

In den Kirchen ist da noch einiges zu holen. Zehntausende Protestanten und Katholiken brachte im Herbst 1980 die von der EKD unterstützte »Aktion Sühnezeichen« auf die Beine, als sie in 350 Orten der Bundesrepublik zur ersten bundesweiten Friedenswoche aufrief. Motto: »Frieden schaffen ohne Waffen«.

Schon bereitet die Aktion, die seit 1958 Freiwillige in israelische Kibbuzim oder zur Pflege von Gedenkstätten nach Auschwitz und Majdanek schickt, ihre nächste Massendemonstration für November vor. Und die seit Berlin im »Katholikentag von unten« organisierten kirchenkritischen Gruppen wollen auf ihrem nächsten Treffen im September die Nachrüstung zum Schwerpunktthema machen.

Im Herbst, prophezeit SPD-Bundesgeschäftsführer Peter Glotz, werde es zu einem »organisatorischen Höhepunkt der Friedensbewegung« kommen.

Von der Pazifismus-Welle sind auch die traditionellen Friedensgruppen der Kirchen wieder nach oben getragen worden:

* Die offizielle katholische Friedensbewegung »Pax Christi«, lange Jahre ein von der stramm auf Wehrdienst programmierten Amtskirche am Rande geduldeter Verein, erhält neuerdings Zulauf vor allem von sozial engagierten Akademikern und Priestern. »Die Mitglieder in unseren 70 Basisgruppen«, so Generalsekretär Reinhold Lehmann, »werden immer jünger.«

* Die deutsche Sektion des »Internationalen Versöhnungsbundes«, dem weltweit 100 000 Pazifisten aller Konfessionen angehören, wird auf ihrer Bundesversammlung dieses Jahr von bekannten Grünen und Bürgerinitiativlern wie Petra Kelly und Roland Vogt umworben.

* Der deutsche Versöhnungsbund-Vorsitzende, Pastor Konrad Lübbert in Uetersen, sammelte zusammen mit dem Alt-Pazifisten Martin Niemöller 10 000 Unterschriften für seine Aktion »Christen für die Abrüstung«.

* Die in »Church and Peace« zusammengeschlossenen »Historischen Friedenskirchen« der Quäker und Mennoniten treten für »Ohne Rüstung leben« ein. Ihr Entwicklungshilfedienst »Eirene« will im Inland Aktionen gegen die Aufrüstung stärker fördern.

Protestanten, die in ihrer Kirche einen Gegenpol schaffen wollen, können sich vorerst mit den Erfolgen der Pazifisten nicht messen.

Mit 500 Unterschriften mußte sich Eberhard Stammler, Chefredakteur der »Evangelischen Kommentare«, begnügen, als er für die »Sicherung des Friedens« trommelte -- Kernsatz: »Die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts militärischer Macht ist daher in dem Umfang unerläßlich, der nötig ist, um jeden politischen Gewaltakt zu einem unkalkulierbaren Risiko zu machen.«

Einen Mittelweg zwischen so Althergebrachtem und radikalem Pazifismus will eine andere Gruppe christlicher Friedensforscher und Journalisten einschlagen: Sie plädieren, so verabredeten sie auf einer Klausur Ende Januar in Ludwigshafen, für eine Abrüstungsinitiative, die mit »genau durchdachten, S.21 einseitigen Abrüstungsschritten« beginnt, wobei eine »ausreichende nukleare Abschreckungskapazität« vorerst erhalten bleiben soll.

Unterstützt werden sie von EKD-Vize Helmut Hild: »Es ist die Stunde gekommen, wo gewisse Verzichte beim Mitmachen in der Gleichgewichtsberechnung, die kalkuliert werden können, notwendig sind, um endlich den Circulus vitiosus zu unterbrechen.«

So eindeutig freilich möchte sich Hilds Ratsvorsitzender Eduard Lohse nicht festlegen. In den Einzelkirchen, von Kurhessen-Waldeck bis Berlin-Brandenburg, von Lippe bis Baden, versuchen erst einmal offiziell eingesetzte Arbeitskreise den Druck der Basis aufzufangen.

Und in der Kammer für öffentliche Verantwortung der EKD läßt Lohse 25 Theologen und Kirchenobere, Politiker und Sozialwissenschaftler an einem neuen Regelwerk arbeiten, wie es die streitbaren Evangelischen denn künftig mit Wehr und Waffen halten sollen. Die »Schaukelformel« (Pastor Heinrich Albertz) von 1959 nämlich, Friedensdienst könne sowohl mit als auch ohne Waffe geleistet werden, scheint auch einigen Ober-Protestanten zur Beruhigung ihres Kirchenvolkes nicht mehr tauglich.

Schon rühren sich bei Hirten und Herde Hoffnungen, der kirchliche Braintrust werde bis zur Herbstsynode in Fellbach ein Papier von der Qualität der Ostdenkschrift hervorbringen, mit dem sich die Kirche auf die Seite der Abrüster stellt.

Doch die Kirchenvorsteher mögen ihrer Kammer, in der so unterschiedliche Köpfe wie Erhard Eppler, der CDU-Programmatiker Richard von Weizsäcker und die FDP-Dame Liselotte Funcke mitdenken, nicht allzuviel zutrauen. Ein EKD-Referent skeptisch: »Je höher wir die Erwartungen schrauben, desto tiefer ist das Loch, in das man fällt.«

Einige der Fallenden würde die SPD gern auffangen. Sie muß sonst befürchten, daß ihr ausgerechnet in der Friedenspolitik immer mehr Anhänger die Gefolgschaft aufkündigen.

Schon denkt der SPD-Linke Karsten Voigt öffentlich über die »Glaubwürdigkeitskrise« sozialliberaler Abrüstungspolitik nach. Und Schmidt-Widersacher Eppler antwortete barsch auf die pauschale Kritik des Kanzlers an den kirchlichen Friedensgruppen: »Es steht Sozialdemokraten besonders schlecht an, Teilen der evangelischen Kirche, die Willy Brandts Friedenspolitik mit durchgesetzt haben, den Mund zu verbieten, wenn sie Zweifel an der heutigen Friedenspolitik äußern.«

So ernst nehmen die Sozis mittlerweile die Friedensbewegung vor allem bei den Protestanten, daß sie Mitte Mai, noch vor dem Kirchentag in Hamburg, bei einer sicherheitspolitischen Klausur des Parteivorstands neue Eckwerte zur Sicherheitspolitik erarbeiten wollen. Der Parteigeschäftsführer kündigt einen »großen Dialog mit einer ''alternativen'' Sicherheitspolitik« an. Glotz: »Die SPD will in der Friedensbewegung eine stärkere Rolle spielen.«

Ob die sie läßt, muß sich erst weisen. »Unkalkulierbare Vorleistungen« vor Abrüstungsverhandlungen oder gar den Verzicht auf jegliche Rüstung hat Glotz schon von vornherein verworfen.

Pazifisten-Pfarrer Hermann Schäufele urteilt, selbstbewußt und gut christlich, über die Chancen zum Gespräch mit der SPD: »Wir geben keinen auf.«

S.19Im Bremer St.-Petri-Dom mit Eckart Ranft, Präsident der BremischenEvangelischen Landeskirche.*

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 13 / 96
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten