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»Sanierung haut den Gesündesten um«

Überall in der Bundesrepublik wehren sich Hausbesetzer und Bürgerinitiativen gegen »Flächensanierung« und »Entkernung": Blindwütige Großsanierung hat Wohnraum und die Strukturen ganzer Viertel zerstört. Mittlerweile sind auch Städteplanern und Architekten Zweifel an ihren bisherigen Sanierungsmaßnahmen gekommen.
aus DER SPIEGEL 26/1980

Das Dach ist schon abgedeckt, die Fenster sind nur noch leere Höhlen. Der hydraulische Arm eines Raupenbaggers donnert wie die Faust eines überdimensionalen Roboters ein paarmal in die dreistöckige Fassade, dann kann man in die ehemaligen Schlafzimmer, Wohnräume oder Klos des alten Hauses hineinsehen wie in eine Puppenstube.

Es ist ein alltägliches Schauspiel, das jeden Tag irgendwo in der Bundesrepublik zu besichtigen ist. Doch vorletzte Woche mußten in Freiburg über tausend Polizisten fast die halbe Innenstadt mit Wasserwerfern und Stacheldraht absperren, damit die Abbruchkolonnen an fünf Häusern des »Dreisamecks« ihr Werk beginnen konnten.

Die malerische Schwarzwaldstadt, meldeten die Zeitungen, sei im »Belagerungszustand«.

Die Demonstranten gingen keineswegs für den Erhalt eines architektonischen Kleinods in der historischen Freiburger Altstadt auf die Straße. Bis auf ein ehemaliges Bankhaus, dessen denkmalgeschützte Fassade vom Bagger sorgfältig ausgespart blieb, waren es ganz gewöhnliche Gebäude, weder besonders schön noch sonderlich baufällig.

Die Häuserecke am Rande der Innenstadt, nahe dem Flüßchen Dreisam, hatte in den Augen der Demonstranten allerdings einen bedeutsamen Vorzug: Sie bot preiswerten, zentral gelegenen Wohnraum.

Studenten, Lehrlinge, Aussteiger hatten die leerstehenden Häuser 1977 besetzt. S.31 Seither lebten dort, später sogar mit befristeten Mietverträgen, Wohngemeinschaften, für die sonst in der Universitätsstadt schwer Räume zu finden sind.

Doch dem Besitzer, der Schweizer Lebensversicherung »Vita«, waren die Grundstücke für so schlichte Bedürfnisse viel zu schade: Die Assekuranz-Manager wollen dort Geschäfte, Büros und Appartements bauen.

Und dafür mußte nun mit Gewalt Platz geschaffen werden. Mit einem ausreichend martialischen Aufmarsch und den bewährten »Spezialeinsatzkommandos« (SEK) glaubten Polizei und Bürgermeister den alternativen Mitbürgern beikommen zu können.

Der Protest gegen die Polizeiaktion zugunsten der Hauseigentümer ging weit über die örtliche Szene hinaus. Sogar die Freiburger SPD machte gegen den von ihr gestellten Oberbürgermeister Eugen Keidel Front und beklagte das »Versagen der politischen Führung«.

Die versagt auch anderswo. Republikweit werden die alten Viertel rund um die City erneuert; und fast immer geht das zu Lasten der bisherigen Einwohner, die auf billigen Wohnraum angewiesen sind.

Immer häufiger spüren die Kommunalbeamten daher den Unmut über die zerstörerischen Folgen einer »Stadterneuerung«, bei der Behörden und private Wohnungsbaugesellschaften oft verhängnisvoll Hand in Hand arbeiten.

Im Alt-Berliner Bezirk Kreuzberg etwa sind »Instandbesetzer« am Werk. Mit Pinsel, Maltopf und Handwerkszeug ziehen sie seit letztem Winter in leerstehende, verfallende Häuser und machen das, wozu die Besitzer nicht imstande oder willens sind. Ein Dutzend zum Abbruch vorgesehene Häuser -- in der Mariannenstraße, am Leuschnerdamm, in der Cuvry- und Luckauer Straße sind nun wieder bewohnbar.

Hausbesetzungen mehren sich in vielen Städten der Bundesrepublik -- in Hannover wie in Göttingen, in Köln, München oder Frankfurt.

Bei Frankfurts Polizei werden Erinnerungen an die frühen siebziger Jahre wach. Damals tobte zwischen Polizei und Besetzern ein erbitterter, gewalttätiger »Häuserkampf« um das alte Wohnviertel im Westend. Die Wohnhäuser wurden schließlich niedergewalzt, um für Bank- und Bürohochhäuser Platz zu schaffen.

Nun fürchtet Hessens FDP-Wirtschaftsminister Heinz Herbert Karry wieder eine »bitterböse Entwicklung« und »Spannungen von bedenklichem Ausmaß«. Die Polizei erklärt alle leerstehenden Häuser zu »permanent gefährdeten Objekten«, und der Frankfurter Wohnungsamtsleiter Ernst Zeyen spürt, »daß da Wind aufkommt«.

Die Hausbesetzer machen auf ein öffentliches Ärgernis aufmerksam, an dem sich nicht nur unverbesserliche Radikale stoßen: In den Ballungsgebieten der Bundesrepublik suchen Zehntausende nach Wohnungen; dennoch stehen in den Innenstädten Häuser ungenutzt leer.

Beim Berliner Wohnungsamt etwa sind 18 000 Familien und Alleinstehende registriert, die dringend eine angemessene Unterkunft suchen. Gleichzeitig, schätzt der Berliner Architektur-Professor Hardt-Waltherr Hämer, sind rund 3500 Wohnungen oft schon seit Jahren nicht wieder vermietet worden.

Selbst in München, wo Wohnraum so gefragt ist wie sonst in keiner anderen westdeutschen Großstadt, vermuten Kenner noch über 500 ungenutzte Wohnungen.

Diese stille Reserve geht nicht allein auf das Konto von Wohnungsspekulanten, die eingesessene Mieter hinausekeln, die leeren Häuser verkommen lassen und schließlich mit modernisierten oder neugebauten Luxus-Wohnungen reichlich Gewinne machen können.

Häufig genug finden sich die Häuser mit den zugemauerten Fenstern und den vernagelten Türen gerade dort, wo die Behörden des westdeutschen Sozialstaats mit Geld und Gesetz der Spekulation besonders entgegenwirken sollen: in den Sanierungsgebieten der Großstädte. Und gar nicht so selten gehören solche Immobilien der Stadt sogar selber.

»Sanierung haut den Gesündesten um«, resümierte eine Mieterin aus der Münchner Milchstraße ihre Erfahrungen im Sanierungsgebiet Haidhausen.

In Berlin-Kreuzberg unterschrieben letztes Jahr über tausend Einwohner und Gewerbetreibende aus der Gegend rund ums Kottbusser Tor -- Sanierungsviertel seit 1971 -- ein Flugblatt mit der bitteren Feststellung: die »von vielen vorhergesagte, heute von allen als unheilvoll erkannte Folge« der Sanierungspraxis sei »die gewollte oder ungewollte Verelendung des ganzen Gebiets«.

Innenstadtsanierung, die Aufmöbelung alter, verrotteter Wohngegenden war bei der Konzeption vor gut zehn Jahren eine von allen als vordringlich eingestufte öffentliche Aufgabe.

Doch statt die alten Viertel wieder wohnlich herzurichten, wurden sie häufig zu unwirtlichen Wohnwüsten umgemodelt. Und statt den alteingesessenen Bewohnern komfortablere Domizile zu verschaffen, wurden die Altsiedler aus ihren Vierteln vertrieben.

Es klang ganz einleuchtend, was die Bonner Politiker 1971 in das Städtebauförderungsgesetz schrieben. »Städtebauliche Mißstände« sollten »durch Beseitigung baulicher Anlagen«, durch »Neubebauung oder durch Modernisierung von Gebäuden« behoben werden.

Mißstände gibt es in allen Großstädten genug. Die Altbauviertel rund um die Zentren entsprechen kaum den Ansprüchen nach mehr Wohnkomfort.

So gab es im Sanierungsgebiet München-Haidhausen, einem Viertel aus der Gründerzeit, in rund der Hälfte aller Wohnungen kein Bad und kein Warmwasser. Nur ein Fünftel war an Zentralheizungen angeschlossen.

Die Hauseigentümer, wie in Haidhausen meistens hoch im Rentenalter und mit mäßigem Einkommen, haben S.32 weder Geld noch Interesse für längst fällige Renovierungen. Fassaden bröckeln, Treppenhäuser verfallen, Fensterstöcke modern vor sich hin.

Wer immer es sich leisten kann, verläßt die siechen Stadtteile, zieht in Neubauwohnungen am Stadtrand oder baut sich im Umland ein Einfamilienhaus. Zurück bleiben Alte und Arme, in die verlassenen Wohnungen ziehen häufig Gastarbeiter-Clans ein.

Diese Entwicklung ist weit mehr als ein unschöner »städtebaulicher Mißstand«, wie die Gesetzemacher formulierten. Die Stadtflucht geht den Kommunen ans Geld. Denn die Großstädte verlieren junge, einkommensstarke Steuerzahler an die angrenzenden Regionen, sie behalten die sozialaufwendigen Problemgruppen.

Die Sanierungen auf der Grundlage des Städtebauförderungsgesetzes gaben den Stadtverwaltungen zumindest die Mittel in die Hand, die Abwanderung zu bremsen. Doch genutzt wurde die Chance bislang nur in wenigen Fällen. Und statt schöner wurde so mancher Innenstadtbereich noch häßlicher.

Das sozialliberale Reformgesetz hieß bei Branchen-Insidern bald kurz »Lex Neue Heimat«. Denn die Bestimmungen begünstigten eine Form der Sanierung, die offensichtlich auf die Interessen großer Wohnungsbaugesellschaften wie der gewerkschaftseigenen Gruppe zugeschnitten war.

Ganze Straßenblocks rissen die nieder, auf den abgeräumten Flächen zogen die Wohnungsbauunternehmen die gleichen Betonbauten hoch, mit denen sie schon die Neubauviertel an den Stadträndern unbewohnbar gemacht haben.

Die Flächensanierer hätten wohl weitergewalzt und -planiert, wenn den Gemeinden nicht seit Mitte der siebziger Jahre das Geld für so großflächige Projekte ausgegangen wäre.

Doch da waren schon schlimme Schneisen in die alten Viertel geschlagen. Die erste Phase der Sanierung jedenfalls hat den Niedergang vieler Altbaugebiete beschleunigt, wenn nicht gar erst in Gang gesetzt.

Die tristen Denkmäler dieser Städtebaupolitik sind zum Beispiel rund um das Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg zu besichtigen.

Den ersten Schlag versetzte der Berliner Bausenator Rolf Schwedler dem Viertel mit dem Projekt einer Stadtautobahn, die als Zeichen unbeirrbarer Wiedervereinigungshoffnungen querbeet durch die vorhandene Bebauung auf die Mauer zulaufen sollte.

Entlang der Trasse kaufte die Stadt die Häuser auf und begann mit dem Abriß. Die Autobahnpläne sind inzwischen begraben, die tote Ader quer durchs Viertel blieb erhalten.

Damals, erinnert sich Werner Orlowsky, Sprecher einer Mieterinitiative aus dem Viertel, verließen die ersten Einwohner das Gebiet: »Nichts wie weg, sagten die sich, wer weiß, wo die uns sonst noch hinstopfen.«

Der zweite Schlag kam in Form eines Kauf- und Wohnbunkers, des »Neuen Kreuzberger Zentrums«. Das Ungetüm im Wert von 73 Millionen Mark legte sich quer über die Dresdener Straße und schnitt die florierende Einkaufsstraße vom Verkehrsknotenpunkt Kottbusser Tor ab.

Die Finanziers des Abschreibungsobjektes mußten inzwischen Konkurs anmelden, der Senat von Berlin seine dafür gegebenen Bürgschaften in Höhe von 65 Millionen Mark einlösen. Doch da waren die in die Sackgasse gedrängten, alteingesessenen Geschäftsleute der Dresdener Straße schon längst ruiniert oder ausgezogen. »Hier war mal pulsierendes Leben«, erzählt Werner Orlowsky, der eine Drogerie besitzt, »jetzt sind hier noch der Blumenladen und ich. Und die Kneipe, die Kneipen bleiben immer.«

So wurde das Viertel erst richtig zum Sanierungsfall. Die Hausbesitzer taten nun gar nichts mehr zur Erhaltung, Spekulanten konnten preiswert zugreifen, und immer mehr alteingesessene Mieter ergriffen die Flucht -- oder wurden von den neuen Eigentümern in die Flucht geschlagen.

In die frei gewordenen Wohnungen rückten türkische Familien im Dutzend ein. Es sind bequeme Mieter, die meist klag- und sprachlos Bauschäden und Mieterhöhungen ertragen.

Im Südosten Kreuzbergs stieg der Ausländeranteil auf über 30 Prozent; manche Blocks sind bis zu 80 Prozent von Türken bewohnt.

»In naher Zukunft«, klagten die im »Verein SO 36« organisierten Ureinwohner in einem Brief an Bausenator Harry Ristock, könne man »allenfalls noch von Integrationsproblemen der deutschen Restbevölkerung in die türkische Wohnbevölkerung reden«.

Erst da, als der alte Kreuzberger »Kiez« kaum noch wiederzuerkennen war, entdeckten die Stadtplaner die Vorzüge von Altbauvierteln und verkündeten im feinsten Amtsdeutsch eine »Prioritätsverlagerung vom Neubau zugunsten einer Politik der Erhaltung gewachsener Stadtstrukturen«.

Die Kahlschlag-Methoden waren nun aus der Mode gekommen, nicht nur in West-Berlin. Aber Abrißbirne und Planierraupe blieben weiterhin die liebsten Werkzeuge der Sanierer. Das S.34 neue Schlagwort hieß »Blockentkernung«.

Das scheint einleuchtend. Die engen, dunklen Hinterhöfe der Berliner Arbeiterviertel aus dem 19. Jahrhundert galten schon Architektur-Reformern der zwanziger Jahre als besonders abschreckendes Beispiel frühkapitalistischer Ausbeutung.

Eine Auflockerung solcher Schachtanlagen war sicher nötig. Doch notwendigerweise ging dabei auch Wohnraum durch Abriß verloren. Rund ein Drittel der Bewohner, so die Planungen, müßten deswegen ihr angestammtes Viertel verlassen.

Diese Vertreibung wäre schon schwierig genug geworden. Denn viele Alt-Kreuzberger zeigten eine für kühle Stadtplaner schwer begreifliche Anhänglichkeit an ihre vernachlässigte Umgebung.

Doch es kam noch schlimmer: Die neue Sanierungsphase fiel mitten in ein Tief auf dem Wohnungsmarkt. Die Nachfrage nach Wohnungen stieg unerwartet, der Neubau von Mietshäusern ging unter dem Druck wachsender Bau- und Finanzierungskosten rapide zurück. Für Sanierungsopfer waren kaum noch Ersatzwohnungen zu finden.

Und noch etwas lief nicht nach Plan: Viele Bewohner der Sanierungsgebiete sind wegen ihres niedrigen Einkommens dringend auf billige Wohnungen angewiesen. Die aber sind kaum zu finden. Selbst Sozialwohnungsmieten -- mit Heizung und Nebenkosten in Berlin rund acht Mark pro Quadratmeter für Neubauten -erschienen Rentnern, kinderreichen Familien und Gastarbeitern mit ihrem unterstützungsbedürftigen Anhang in der Heimat unerschwinglich.

Wer konnte, floh daher vor den Abbruchkolonnen in andere, nicht minder sanierungsreife Unterkünfte. So schob ein Sanierungsgebiet dem anderen seine überschüssigen Bewohner zu.

»Die bisher in West-Berliner Sanierungsgebieten durchgeführten Altbauerneuerungen«, urteilte daher Architektur-Professor Hämer in einer Studie für das Bonner Bauministerium, »haben in der Regel zu den gleichen wohnungspolitischen Konsequenzen geführt wie eine Flächensanierung«.

Ähnlich lief es auch in vielen anderen Sanierungsgebieten der Großstädte. In dem alten Hannoveraner Arbeiterviertel Linden-Nord lautete das Motto der Stadtteilplaner ebenfalls »Entkernung und Begrünung der Blockinnenbereiche«.

Im Vergleich zu den Alt-Berliner Höfen war die Lindener Bebauung aber fast schon aufgelockert. Die Hinterhäuser standen meist nur in ein oder zwei Reihen und hatten kaum mehr als vier Stockwerke.

Dennoch begannen die städtischen Sanierer mit dem Abriß von rund 500 Wohnungen in den Blockkernen. Die Forderung nach Erhalt des billigen Wohnraums wehrt Hannovers SPD-Stadtbaurat Hanns Adrian als »frühkapitalistisches Argument« ab, »das ärmeren Gruppen zu Wohnungen von minderem Standard verhilft«.

Doch inzwischen ist die Stadt nicht mehr in der Lage, solchen Gruppen überhaupt noch zu Wohnraum zu verhelfen. Denn der Soziale Wohnungsbau kümmert in Hannover wie anderswo dahin.

Zu allem Überfluß geht die amtlich geforderte Stadt-Gesundung so schleppend vor sich, daß in den Sanierungsgebieten erst einmal viele Gebiete für Jahre unbewohnbar sind.

Rund 300 Wohnungen stehen in Linden leer. Für etwa hundert fehlt momentan das Sanierungsgeld. Mit den anderen geht es meist deswegen nicht voran, weil die üblichen Methoden der Sanierung viel zu zeitraubend sind.

Denn bislang räumen die sogenannten Sanierungsträger, also die von den Behörden beauftragten privaten und öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften, S.37 die erneuerungsbedürftigen Häuser erst einmal vollständig von alten Mietern frei. Der als »Entmietung« umschriebene Rausschmiß kann Jahre dauern; denn angefangen wird erst, wenn auch der letzte Einwohner gewichen ist.

Diese Methode entzieht dem Markt für lange Zeit dringend benötigten Wohnraum. Sie steigert überdies die Modernisierungskosten noch mehr als nötig: Die leerstehenden Häuser verrotten, Experten schätzen die zusätzlichen Kosten auf rund 20 Prozent.

In Berlin helfen mitunter die alliierten Schutzmächte noch etwas nach. Letzten Herbst übten die amerikanischen Truppen im Sanierungsgebiet Kottbusser Tor den Häuserkampf.

»Sie schlagen Fenster kaputt, brechen Türen samt Rahmen aus dem Mauerwerk, schlagen Schießscharten in die Wände«, meldete ein Flugblatt der »Betroffenen-Vertretung Dresdener Straße« von der Sanierungsfront, »dann wird geschossen. Das ist Krieg, Krieg gegen uns.«

Vollständig entleerte Gebäude, am besten gleich blockweise, so versichern die Perfektionisten in den Baufirmen und Baubehörden, sind unabdingbare Voraussetzung für ihre Modernisierungsarbeiten. Doch es geht auch anders.

Bei einem Block im Sanierungsgebiet Klausener Platz in Berlin-Charlottenburg arbeiteten sich die Handwerker nach einem ausgeklügelten »Taktverfahren« Schritt für Schritt voran. Die Bewohner wurden innerhalb des Blocks umgesetzt oder allenfalls für ein paar Wochen ausquartiert. Die ursprünglichen Mieter konnten in ihrem alten Wohnblock bleiben.

Der Perfektions-Wahn der staatlich geförderten Total-Sanierung findet auch in unsinnigen Förderrichtlinien seinen Niederschlag.

Die Wohnungs-Standards für die Altbaumodernisierung sind schematisch an den Vorschriften für Neubauten orientiert. Für viele teure Maurerstunden müssen da zum Beispiel tragende Wände um 15 Zentimeter versetzt werden, damit Wohnzimmer die vorgeschriebene Größe bekommen.

Küchen werden hingegen auf das Format von Abstellkammern zusammengedrängt, obwohl die Bewohner lieber ihre vertrauten Wohnküchen behalten hätten.

Häufig fallen den blindwütigen Modernisierern auch Verbesserungen zum Opfer, die Mieter auf eigene Kosten eingebaut haben. Da steht das eigenhändig renovierte Bad dann plötzlich an der falschen Stelle, weil im Zug der Sanierung ganze Grundrisse »umgedreht« werden, Etagenheizungen werden überflüssig, weil im Haus eine Zentralheizung eingebaut wird.

Nach dem Gesetz muß der Mieter zwar nur »zumutbare« Modernisierungen dulden. Doch über die Zumutungen befinden die Eigentümer oft recht selbstherrlich. Die wenigsten Mieter haben die Nerven, die vage Zumutbarkeitsgrenze vor Gericht klären zu lassen.

Um die unsichere Stellung der Mieter in Fällen der eigenhändig vorgenommenen Verbesserungen zu festigen, brütet in Bonn seit Monaten eine »interministerielle Arbeitsgruppe« über eine Förderung der »Mietermodernisierungen«.

Unklar ist vor allem, wie die Investitionen der Mieter rechtlich abgesichert werden können. Einbauten wie neue Bäder oder Heizungen gehen nämlich nach der derzeitigen Rechtslage ins Eigentum des Hausbesitzers über -egal wer sie bezahlt.

Bauminister Dieter Haack will die Gemüter allerdings nicht durch übermäßige Eile verwirren. Sein Programm zur Modernisierung, so verkündete der Minister, wolle er »frühestens nach den Bundestagswahlen ankündigen«.

So lange mögen manche nicht warten. Die Instandbesetzer aus der Kreuzberger Mariannenstraße etwa verstehen ihre Aktion durchaus als gutes Beispiel für die Mietermodernisierung: »Wir wollen exemplarisch aufzeigen, daß es möglich ist, mit minimalen Mitteln billigen Wohnraum zu erhalten und wieder instand zu setzen.«

Was die Hausbesetzer illegal proben, unterscheidet sich gar nicht sehr von dem, was der Berliner Architektur-Professor Hämer seit kurzem im Auftrag von Bausenator Harry Ristock versuchen soll: »behutsame« Stadterneuerung.

So nämlich lautet eines der Ziele von Ristocks ehrgeizigem Lieblingsprojekt, der »Internationalen Bauausstellung Berlin 1984« (IBA), bei der Hämer für den Bereich Stadterneuerung zuständig ist.

Mit einem Etat von 85 Millionen Mark für Architekten-Wettbewerbe und Planungen soll die IBA die von Ristock verkündete »Wende der Baupolitik« herbeiführen.

Die IBA, von ihren Kritikern als »ibaflüssig« verspottet, machte sich schnell bei den Berliner Bauträgern unbeliebt. Um auch den weniger begüterten Mietern nach der Sanierung noch bezahlbare Wohnungen anbieten zu können, forderten die IBA-Planer, teilweise S.39 von den hochgeschraubten Wohnungsstandards abzugehen.

Schon der Verzicht auf Sammelheizungen und auf Malerarbeiten, die Mieter auch selber machen können, brächte nach Rechnung der IBA-Experten um über eine Mark geringere Quadratmeter-Mieten.

Weniger spektakulär als Ristocks Visionen von 1984 ist ein Modernisierungsmodell der Hannoveraner Architektengruppe »Agsta«, das eine »Verbesserung der Wohnverhältnisse zu tragbaren Belastungen« verspricht.

Die Agsta-Planer wollen die heruntergekommenen Häuser in den hannoverschen Sanierungsgebieten, die zum großen Teil sowieso von der Stadt aufgekauft worden sind, nicht mehr privaten oder öffentlichen Trägergesellschaften überlassen. Die Hannoveraner Architekten wollen die Bewohner statt dessen selber aktivieren.

Sie schlugen vor, einige zweistöckige alte Arbeiterhäuser in Hannover-Linden Einwohnern aus dem Stadtteil in Erbpacht zu geben. Einfachere Erneuerungsarbeiten sollten die Mieter je nach eigenem Handwerksgeschick selber durchführen.

Diese Eigenleistungen werden nach dem Agsta-Modell wie eingebrachtes Eigenkapital behandelt. So können die Pächter fast ohne eigenes Geld Darlehen und Zuschüsse aus Städtebauförderungs- und Modernisierungsmitteln beanspruchen, Bauspargelder verwenden und Steuerabschreibungen geltend machen wie sonst nur Hausbesitzer.

Diese Konstruktion, an vier Häusern an der Ahrbergstraße inzwischen erfolgreich abgeschlossen, reduziert nicht nur die Modernisierungskosten.

Die Architekten rechneten der Stadt auch vor, daß sie auf diese Weise ein Drittel des sonst üblichen Subventionsaufwands für Modernisierungen einsparen konnte. Im Vergleich zum Neubau von Sozialwohnungen ergab sich sogar eine Verringerung der Fördermittel um die Hälfte.

Das überzeugte schließlich auch die Stadtplaner, die durch hinhaltendes Taktieren das Projekt zunächst fast zu Fall gebracht hätten. Stadtbaurat Adrian preist das Modell nun stolz an: »Das finde ich prima.«

Im April bekamen die Agsta-Pläne für weitere zehn Häuser der Viktoriastraße das Plazet vom Stadtrat. Innerhalb von drei Wochen meldeten sich 80 Bewerber für die Modellhäuser.

Mag sein, daß mit dem hannoverschen Modell woanders Schule zu machen ist; vielleicht läßt sich so der Trend zur überadministrierten Total- und Luxus-Sanierung durchbrechen.

Viele Indizien für eine bundesweite Trendwende gibt es allerdings noch nicht. Im Gegenteil: Im Münchner Sanierungsgebiet Haidhausen etwa steht ein Arbeiterhäuschen ähnlich denen aus dem Gebiet der Hannoveraner Agsta.

Hier führte die Stadt München ein »Modellvorhaben zur Stadtsanierung« durch. Aus dem Arbeiterhäuschen wurde ein liebevoll restauriertes Schmuckstück.

Der einzige Schönheitsfehler: In das Haus zieht demnächst der CSU-treue Honorationsverein »Freunde Haidhausens« ein.

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