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ITALIEN Sauberes Gesicht

Ein Beau mit Bart wurde Chef der 47. Nachkriegsregierung. Der Christdemokrat Giovanni Goria ist Italiens Wohlstandsbürgern das Symbol Ihres eigenen Aufstiegs. *
aus DER SPIEGEL 32/1987

Der Neue hat vor allem eine Aufgabe: Er soll die in 40 Regierungsjahren verschlissene Macht der alten Democrazia Cristiana (DC) mit Hilfe einer neuen Mannschaft dynamisch verkaufen.

Dabei verriet das erste Gruppenphoto des Ministerpräsidenten Giovanni Goria, 44, mit seinem Kabinett aus fünf Parteien (Christdemokraten, Sozialisten, Sozialdemokraten, Republikanern und Liberalen) den New Look auf Anhieb nicht. Neben dem jungen Chef posierten im prächtigen Gobelinsaal des Quirinal-Palastes altbekannte DC-Großväter, wie der gebeugte Außenminister Giulio Andreotti, 68, oder der kurzbeinige Innenminister Amintore Fanfani, 79, beide seit mehr als 40 Jahren Teil des DC-Regimes.

Der christdemokratische Gesundheitsminister Carlo Donat Cattin, 68, selbst nun zum elften Mal Minister, erlaubte sich bei der Vereidigung einen Scherz: Als Fanfani, sechsmal Ministerpräsident und das siebte Mal Minister, zum Schwur vor dem Staatspräsidenten Cossiga ansetzte, meinte er aus dem Hinterhalt: »Seht her, dieser Jüngling; aus dem kann eines Tages noch viel werden, vielleicht sogar ein Ministerpräsident.«

Über den neuen Chef Goria, einen Doktor der Wirtschaftswissenschaften aus Piemont, wurde 1976 ähnliches gesagt, als er ins römische Parlament einzog. Der damals schüchterne, aber schon äußerst sachkundige junge Mann war Julius dem Fuchs« (so Andreottis Spitzname) in einer Versammlung aufgefallen. Er referierte über die Reform der italienischen Handelskammer so interessant, daß der damalige Ministerpräsident Andreotti den Redner unverzüglich als Wirtschaftsberater in seinen Palazzo Chigi holte.

Unter einem so mächtigen Protektor konnte Gorias Weg trotz kleinbürgerlicher Herkunft - der Vater war Bauvermesser, die Mutter eine begüterte Wursthändlerin - nur steil nach oben führen.

1981 in der Regierung Spadolini zum Staatssekretär des Haushaltsministeriums berufen, fiel Goria schon ein Jahr später der erste Ministerposten, das angesehene Schatzministerium, in den Schoß. Der Christdemokrat Emilio Colombo, jetzt zum 23. Mal Minister, hatte damals dieses Ressort beleidigt ausgeschlagen, nachdem ihm das

noch prestigeträchtigere Außenministerium abgenommen worden war.

Gorias Intelligenz - manche sagen: sein Computerhirn - und sein harter Fleiß beeindruckten auch den sozialistischen Premier Bettino Craxi. Er behielt den Schatzminister in seinen beiden Regierungen, er schätzte ihn wegen seiner ruhigen Art ebenso wie wegen seiner sachlichen Kompetenz.

Diese Qualitäten lassen Goria wie eine Personifizierung des neuen Wirtschaftswunderlandes Italien erscheinen, das sich mit seiner Dynamik und Kreativität zum Erstaunen vieler in die Spitzengruppe der Industriestaaten vorschiebt (siehe SPIEGEL-Report S. 98).

»Goria ist sicher kein Bismarck und auch kein Metternich, aber er ist ein neues und sauberes Gesicht. Er gefällt den Frauen«, begrüßte, sarkastisch wie immer, der Publizist Indro Montanelli den ehemaligen Minister im höchsten politischen Regierungsamt. Der jüngste Ministerpräsident der Nachkriegszeit, mit einer Steuer- und Finanzberaterin verheiratet, war der größte Coup des DC-Chefs Ciriaco De Mita in seinem Kampf gegen Craxi.

Die große DC, die den erfolgreichen Koalitionspartner Craxi, damals Chef einer Elf-Prozent-Partei, im März nach fast vierjähriger Regierung zum Rücktritt zwang, hatte nicht nur durchgesetzt, daß wieder ein Christdemokrat den Regierungsvorsitz erhielt, sondern mit Goria auch einen Superstar geboren. Der verlieh der konservativen Dame DC sogar ein »revolutionäres Gesicht neuer christdemokratischer Klasse« ("L'Europeo").

Für das Facelifting drängten die amtsfrischen christdemokratischen Mitglieder im Riesenkabinett (30 Minister, davon 15 Christdemokraten, acht Sozialisten, drei Republikaner, drei Sozialdemokraten, ein Liberaler) sogar altbewährte DC-Größen wie den ehemaligen Justizminister Virginio Rognoni aus dem Amt.

Den »Erdbebenminister« Giuseppe Zamberletti überraschte seine Entlassung an der Front - in dem von der Unwetterkatastrophe heimgesuchten lombardischen Veltlin-Tal.

Craxi schickte gleichfalls eine qualifizierte Ministermannschaft ins Goria-Kabinett. Der Sozialist sicherte seiner Partei den Aufpasser-Posten des stellvertretenden Regierungschefs und das einflußreiche Schatzministerium. Beide Ämter wird der »Richelieu« der Craxi-Regierungen erhalten, der Verfassungsrechtler Giuliano Amato.

Craxi verzichtete selbst gern auf ein Ministeramt. In Italiens allmächtiger Parteiendemokratie hält der Vorsitzende einer so wichtig gewordenen Formation die Fäden der Politik in der Hand. Machtstratege Craxi arbeitet bereits an der Realisierung eines alten Traums: einer linken Mehrheit, welche die DC endlich auf die Oppositionsbank drängen könnte.

Der sozialistische Stimmenzuwachs bei den Juni-Wahlen - 3,1 Prozent, in Italien ungewöhnlich - hat Craxi in der Überzeugung bestärkt, daß die Seinen auf dem Weg zum Durchbruch als zweitgrößte Landespartei seien, während es mit der KPI bergab geht.

Craxis Hoffnung, eine dauerhaft wachsende Partei im Rücken zu haben, öffnete ihm erstmals den Blick für die Korruption auch im eigenen Haus. Die letzten Parteispendenaffären hatten auch einige Sozialisten der Craxi-Regierung ins Zwielicht gerückt. Der Parteichef wechselte alle aus und schickte untadelige, originelle Sozialisten als »Missionsminister« auf Zeit - im Gegensatz zu den Berufspolitikern - ins neue Kabinett: *___den prominenten Strafrechtler und Ex-Senator Giuliano ____Vassalli als Justizminister; *___den ranghöchsten, international geschätzten Diplomaten ____des italienischen Außenministeriums, Renato Ruggiero, ____als Außenhandelsminister; *___den erfolgreichen Mailänder Ex-Bürgermeister Carlo ____Tognoli als Minister für Ballungszentren, ein neues ____Ministerium, das sich um überforderte Metropolen wie ____Rom und Mailand kümmern soll; *___den gewandten Textilindustriellen Franco Carraro, ____Präsident des Nationalen Olympischen Komitees, als ____Minister für Tourismus, Sport und Theater.

Diese Männer werden, so hofft Craxi, den Dienst am Staat nach Jahrzehnten der Pfründenwirtschaft erstmals wieder als Aufgabe vorleben.

Die DC-Mannschaft im Goria-Kabinett, wenn auch doppelt so groß wie die sozialistische, ist von Craxis Qualitätsmannschaft umstellt. Sie dürfte dem neuen Ministerpräsidenten nichts durchgehen lassen.

Wie lange wird die neue Regierung halten? Niemand wußte es zu sagen, nicht einmal Goria, als er vergangene Woche seine weitgehend von De Mita und Craxi bestimmte Ministerliste vorlegte. Fatalistisch fügte er hinzu: »Gott möge uns helfen!«

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