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Wahlkampf Saubermann und Zirkuspferd

Von Annette Ramelsberger
aus DER SPIEGEL 29/1994

Was sich da in der kleinen oberbayerischen Gemeinde Zolling abspielt, ist kein gewöhnlicher Empfang, kein Festumzug, auch keine verspätete Fronleichnamsprozession. Es ist ein Bekenntnis.

Die Blasmusik voran, geleiten die Honoratioren einen Gast durch den Ort. Buben in Lederhose und Trachtenhemd tanzen ihm zu Ehren Schuhplattler. Mädchen im frisch gestärkten Dirndl schwenken schüchtern Biedermeier-Sträußchen. Vor dem Festzelt stoppt der Ehrengast. Erst als der Defiliermarsch anhebt, schiebt er sich unter dem Jubel der Menschen nach vorn.

»Die CSU«, ruft der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber, 52, ins Volk, »hat immer die Kraft gehabt, sich zu erneuern.« Er, der Regierungschef des Freistaats, trage »die Stafette« weiter, die einst der große Franz Josef Strauß anführte. Brausender Beifall.

Die bayerische Welt ist wieder in Ordnung. Seit die CSU bei der Europawahl im Juni 48,9 Prozent der bayerischen Stimmen erhielt, wissen die Machthaber zu München: Affären sind nicht alles, Amigos können echte Freunde sein, und fürs Ausmisten des Parteistalls haben sie den eigenen Saubermann, den Edmund Stoiber.

Eine Woche vorher hatte eine Frau die Zollinger besucht. »Eine, die nicht unbedingt eine Bereicherung für die 1250-Jahr-Feier der Gemeinde war«, höhnt der christsoziale Wirtschaftsminister Otto Wiesheu, der in Zolling daheim ist. »Erneuern«, so hatte die Rednerin das Publikum beschworen, »kann man die CSU nicht von der Regierungsbank aus, sondern nur in der Opposition.« Der Beifall blieb verhalten.

Renate Schmidt, 50, Landesvorsitzende der bayerischen SPD und Gegenkandidatin Stoibers bei den Landtagswahlen im September, hat die Hoffnung nicht aufgegeben, doch noch die 32 Jahre währende Alleinherrschaft der CSU zu brechen. Vom Europawahl-Ergebnis - nur 23,7 Prozent für die bayerischen Sozialdemokraten - wurde sie nur kurz gedämpft. Die Powerfrau will schaffen, was einer ganzen Riege von SPD-Spitzenkandidaten vor ihr nicht gelungen ist.

Die selbstbewußte Fränkin setzt gegen den trockenen, emotionsarmen Oberbayern Stoiber auf das, was ihm am schwersten fällt: Gefühle zeigen.

In dieser Konstellation liefern sich CSU und SPD einen geradezu paradoxen Wahlkampf. Die CSU, die sich als Inkarnation bayerischer Seele anpreist und am liebsten Ammersee und Alpenglühen als christsoziale Eckdaten ins Parteiprogramm schreiben würde, hat einen Vormann, der eigentlich landfremde Tugenden auf sich vereint: preußische Disziplin, Arbeitswut, kühle Effizienz.

Einer, der sich im Kabinettssaal seiner Staatskanzlei mit dem Rücken zum Fenster setzt, anstatt den Blick über den Englischen Garten zu genießen. Über den sein Innenminister kalauert: »Lieber eine dicke Akte als eine schlanke Nackte.« Dagegen präsentiert die Bayern-SPD ein barockes Vollweib, das Herzlichkeit verströmt und Politik so anschaulich macht, daß den CSU-Parteistrategen mulmig wird. Eine Wahlkämpferin, die ihre Rede unterbricht, wenn ihr bei 40 Grad im Festzelt eine Maß aufs Pult gestellt wird. Und die schon nach dem ersten Schluck aufbegehrt: »Das nächste Mal gebt ihr mir ein g''scheites Bier und kein Radler.«

Soviel Volksnähe hebt sich deutlich ab von einem Ministerpräsidenten, der beim Jugendempfang der Staatsregierung im niederbayerischen Landshut die Philosophen der Frankfurter Schule runterrattert und dann, bevor er weitereilt, einen Professor auf dem Podium beauftragt: »Wer Marcuse und Horkheimer sind, das können Sie ja dann erklären.«

Die CSU hat es begriffen und ist auf der Hut. »Gehässige persönliche Attacken« gegen die Sozialdemokratin, gibt Generalsekretär Erwin Huber die Richtung vor, »lohnen sich taktisch nicht. Die stoßen nur das liberale Bürgertum ab, das eh nicht weiß, wo es den Hintern hinhängen soll«. Stoibers Vorgänger Max Streibl bekam es schlecht, als er Renate Schmidt als »Krampfhenne« titulierte, CSU-Chef Theo Waigel griff voll daneben, als er ihr »feminine Ignoranz« bescheinigte.

Stoiber dagegen behandelt seine Herausforderin als »nette Frau«, gegen die er nie polemisieren würde: »Sie werden kein böses Wort gegen sie von mir hören.« Die Breitseiten feuern andere ab: Eine »Wischiwaschipolitik der bewußten Unschärfe« und »unverbindliches Geplauder« wirft ihr CSU-Fraktionschef Alois Glück vor. »Frau Schmidt versucht«, so Glück im Bayernkurier, »sich oberflächlich und populistisch durchzumogeln.«

Die Botschaft heißt: Zwar ganz lieb, diese Renate Schmidt, aber neben einem wie Edmund Stoiber kann sie nicht bestehen. Daß die Frau, die mit 17 vom Gymnasium flog, weil sie schwanger war, eine Menge Durchsetzungskraft hat, versucht die CSU so zu verdrängen. Die Genossin hat sich im Männerberuf Systemanalyse hochgearbeitet und jahrelang Mann und drei Kinder ernährt.

Als standfesten Macher malt Stoiber sich selber - Einser-Jurist, CSU-Generalsekretär, Staatsminister unter Strauß, mit einer Modellkarriere von der Jungen Union bis zur Staatskanzlei, Musterfamilie inklusive. Ein Mann für schwere Zeiten: gestählt, verantwortungsbewußt, unermüdlich.

»Ich, der Freistaat Bayern«, formuliert Stoiber schon mal bei Ansprachen, und das ist kein Versprecher, »gebe 300 Millionen Mark aus, um das Forschungsprojekt Garching zu sichern.« Er, Stoiber, habe die Nebeneinnahmen der Minister gestrichen, das Bayernwerk privatisiert, den Konkurs der maroden Maxhütte verhindert. Die Beamten müssen wieder 40 Stunden arbeiten, die Verwaltung wird abgespeckt, der Wohnungsbau vereinfacht.

Eines meidet er: Versprechungen. Stoiber demonstriert eisernen Sparwillen, die unerbittliche Disziplin des Sanierers. Er führt sich auf als Retter Bayerns und der CSU, der das Land wieder nach vorn bringen wird.

Der Mann, den selbst wohlgesinnte Parteifreunde als »kühl bis ans Herz« einschätzen, wringt im Wahlkampf aus sich mühsam ein bißchen Seele heraus. Er stakst mit Jugendlichen durchs Kochelsee-Moor, um Frösche zu beobachten, er läßt beim Anblick der tanzenden Kinder in Zolling wissen, daß ihm »das Herz aufgeht, wenn die kloana Buam zum Platteln anfangan«. Doch das Bayerische klingt bei ihm wie eine Fremdsprache.

»Die Aktenlage«, beteuert Stoiber den Menschen in Zolling, sei für ihn nicht alles. »Ich möchte Bayern von Mensch zu Mensch kennenlernen. Nur was man kennt und liebt, dafür kann man die letzte Faser seiner Leidenschaft bringen.« Ein Technokrat im Weichspülgang.

Der Macher Stoiber bemüht sich, den Menschen Stoiber herauszukehren. Seine Konkurrentin tut alles, sich als Macherin vorzuführen.

Da jagt ein Wirtschaftsgespräch das andere, Renate Schmidt besucht Industrie- und Handelskammern, spult die Versäumnisse der Landesregierung herunter, wirbt um junge Unternehmer ("Vier haben mich gefragt, ob sie in unseren Arbeits-Kreisen mitmachen können"). Zwei Tage lang absolvierte sie bei einer Möbelzulieferfirma in Simbach am Inn ein Betriebspraktikum.

Unentwegt redet die Wahlkämpferin gegen krachlederne Vorurteile an: »Es gibt einige Herren in der CSU, die nicht begreifen, daß eine Frau etwas so Schwieriges überhaupt machen kann. Die Herren werden dazulernen müssen.«

Sie spricht vom Aufschwung, der nicht nur »Aufschwung der Aktien- und Tantiemenbesitzer sein darf«, von Milliarden, mit denen Arbeitslosigkeit statt Arbeitsbeschaffung finanziert werde, vom Solarzellenprogramm, das die ignorante bayerische Staatsregierung eingestellt habe, das nun aber von den Japanern aufgegriffen werde.

Und immer wieder versucht sie, die CSU bei ihren Affären zu packen: »Wenn ich Monika Hohlmeier hieße und erfahren würde, daß mein Papa beim Testamentsvollstrecken etwas zuviel eingenommen hat, da würde ich mich innerhalb von drei Tagen mit meinen Brüdern zusammensetzen, und in weiteren drei Tagen würden wir einen Scheck für die Kinderlähmungsstiftung überreichen.«

Doch die Wähler scheinen gegen solche Attacken seltsam resistent.

Niemand im Land regt sich auf, wenn Stoiber aufruft, »die Toten ruhen zu lassen«. Der Mann suggeriert den Bayern, _(* Mit Enkelkindern. ) nach den Affären um den Bäderkönig Eduard Zwick und den inzwischen geschaßten Umweltminister Peter Gauweiler sei nun alles wieder gut.

Das kommt an. Im dunkelblauen Nadelstreifenanzug steht er beim Tag der offenen Tür in der Staatskanzlei auf dem Rednerpodest. Ganz Staatsregent, der die Huldigungen der Untertanen entgegennimmt. »Respekt, daß Sie die Testamentsgelder nicht annehmen«, sagt ein älterer Herr ehrerbietig. Ein anderer dankt dem »leibhaftigen Ministerpräsidenten«, daß der sich die Mühe mache, Fragen nach »diesen Dingen höchstpersönlich zu beantworten«.

Stoibers Antwort offenbart die geglückte Verdrängung. »Die CSU ist eine Partei mit Höhen und Tiefen«, spricht er, »man muß Fehler eingestehen, die Konsequenzen wurden gezogen.« Und dann der Satz, der ihn jeder weiteren Antwort enthebt: »Ich will darauf nicht eingehen - Sie wissen, was ich meine.«

Soviel Heuchelei erbost die Herausforderin Schmidt. »Stoiber versucht, sich wegzustehlen«, hämt sie bei einem Auftritt im niederbayerischen Mengkofen über die Affäre um den Testamentsvollstrecker Strauß, der bei der Baur-Stiftung als Ministerpräsident mehr als eine Million Mark kassiert hat. Schmidt: »Das mindeste, was er von den Strauß-Erben verlangen müßte, wäre, das zuviel bekommene Geld an die Stiftung zurückzuzahlen. Und wenn meine Staatssekretärin Hohlmeier nicht dazu bereit ist, dann wäre sie eben nicht mehr mein Kabinettsmitglied.«

»Reden kann''s«, lobt Bauer Josef Amann, 71, nach dem Schmidt-Auftritt, »und dumm ist''s aa net.« Aus dem Mund eines Niederbayern fast schon überschwengliche Komplimente. Dabei, beteuert er, »bin i a Schwarzer, i war scho in der Bayernpartei. Aber die Renate Schmidt wär'' wählbar«.

Sein Tischnachbar, ein Schreinermeister und überzeugter Christsozialer, stimmt zu: »Wenn die Sozis mehr Leut'' wie die Renate Schmidt hätten, dann könnt''s ein Problem werden.«

Doch das ist der Punkt. Die Anführerin der Bayern-SPD rackert allein auf weiter Flur. Die Genossen neben ihr bleiben farblos, einige, wie der Audi-Manager Andreas Schleef, der die wirtschaftliche Kompetenz der Sozialdemokraten verkörpern soll, kommen in der Öffentlichkeit überhaupt nicht vor.

Die SPD, die ihr höchstes Ergebnis mit 35,8 Prozent vor 28 Jahren erzielte, hat sich zur Berufsopposition entwickelt. Bei ihr sei, kritisiert sogar Fraktionschef Albert Schmid, »der Wille zur Macht nicht entwickelt genug«.

Renate Schmidt wird von der eigenen Partei wie ein Zirkuspferd vorgeführt. Als ob diese Nummer schon Programm genug wäre. Und mancher Genosse denkt sogar, daß auch ein kurzer Aufgalopp der roten Renate ausreicht.

Der Münchner SPD-Stadtrat Hermann Memmel hat nach Neuperlach zu einem Bayerischen Abend mit Jodlerkönigin »Ratschkathl« und den »Drei Lustigen Moosachern« ins Bierzelt geladen. Zu Beginn soll Renate Schmidt sprechen, gewissermaßen das Sahnehäubchen des politischen Abends liefern.

Memmel legt sich zur Begrüßung ins Zeug: »Wenn wir die Renate Schmidt net hätten, tät''s net gut ausschau''n, aber weil wir sie haben, schaut''s ganz gut aus.«

Dann setzt er die Maßstäbe: »Renate, die Leut'' warten alle auf die Jodlerkönigin. Kannst du''s kurz machen? So 20 Minuten.« Y

* Mit Enkelkindern.

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