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UNION »Schäuble, passen Sie auf!«

Des Kanzlers Kronprinz ist beim Parteivolk in Ungnade gefallen: Wolfgang Schäubles Plädoyer für die Ökosteuer verstört CDU und CSU - und ruiniert zugleich sein Ansehen als Stratege. Kopflos sucht die Union nun nach neuen Konzepten im Wahlkampf gegen Gerhard Schröder.
aus DER SPIEGEL 16/1998

Unauffällig, fast konspirativ drückte Unionsfraktionschef Wolfgang Schäuble dem CSU-Vorsitzenden Theo Waigel ein Papier in die Hand: »Behalt es aber für dich«, raunte der Badener dem Allgäuer zu, »gib es nicht weiter.«

Der Finanzminister nickte. Er habe kein Interesse daran, daß Schäubles Text, ein Entwurf für das Wahlprogramm der Union, bekannt werde. Im Gegenteil: Die Vorstellungen der Schwesterparteien müßten erst umgehend koordiniert werden, in kleinstem Kreise.

Die CDU werde den Textvorschlag, gestand Schäuble ein, freilich in ihrer Programmkommission absegnen lassen. Waigel war entsetzt. Schäuble möge sich irgendeinen Namen und einen beliebigen Verwendungszweck für das Papier ausdenken. Keinesfalls dürfe es als Entwurf für das Wahlprogramm bekanntwerden, keinesfalls etwas mit der CSU zu tun haben. Ansonsten sei großer Streit absehbar.

Die CSU, referierte Waigel über die Seelenlage der bayerischen Christenpartei, müsse es sonst als Diktat empfinden und sei geradezu gezwungen, Teile des Papiers abzulehnen. Er könne nur warnen, so Waigel Mitte voriger Woche.

Auch FDP-Fraktionschef Hermann Otto Solms riet dem Unionskollegen zu äußerster Vorsicht: »Schäuble, passen Sie auf!« Zuviel Verständnis für ökologische Fragen mache die »Kampagne der Union gegen die Grünen kaputt«.

Von alledem ahnten die Mitglieder der CDU-Programmkommission nichts. Mit großem Beifall feierten sie am vergangenen Donnerstag Schäubles Zukunftspapier.

»Mit Spannung« habe sie das Papier gelesen, jubilierte Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth, dies sei »eine neue Art, ein Programm zu machen«. Umweltministerin Angela Merkel würdigte zufrieden die »sehr schöne, klare Sprache«. Dieser »mutige, freiheitliche Entwurf«, prophezeite Klaus Escher, der Vorsitzende der Jungen Union, werde »eine neue Gemeinsamkeit in der CDU stiften«.

Ein dramatischer Irrtum.

Mit einem einzigen Satz seines Programms, weit hinten versteckt auf Seite 56, löste Wolfgang Schäuble einen politischen Sturm aus. Seit Freitag vergangener Woche fegt ein vorösterliches Unwetter über die Union hinweg, das den Beziehungen zur Schwesterpartei CSU ein neues Stimungstief beschert und die Kanzlerpartei im Kampf gegen die SPD extrem belastet.

Wolfgang Schäuble, 55, der einzig verbliebene Hoffnungsträger der CDU, hat sich selbst schwer geschädigt. Sein Nimbus als weitsichtiger Stratege der CDU scheint dahin. Auch Helmut Kohl ist »fassungslos« über den Fehltritt seines Kronprinzen, wie Kohl-Mitarbeiter berichten.

Eine Ökoabgabe wolle die Union, hatte der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende in seinem Programm vorsichtig formuliert. Nicht im nationalen Solo, sondern gemeinsam mit allen Europäern - entweder als »erhöhter Mehrwertsteuersatz für den Energieverbrauch« oder als »aufkommensneutral ausgestaltete CO2/Energiesteuer«. Doch die scheinbar banale Forderung, schon häufig fast wortgleich von der Union vorgetragen, versetzte die CSU in kollektive Rage.

Fröhlich hatten die Christsozialen zunächst der platten Tankstellen-Kampagne von CDU-Generalsekretär Peter Hintze gegen die grüne Fünf-Mark-Benzinpreis-Forderung applaudiert. Endlich ein Wahlkampfthema auf Wirtshausniveau! Eher unmutig nahmen die Bayern schon auf, daß erst Umweltministerin Angela Merkel, danach Schäubles Vize Hans-Peter Repnik und schließlich auch Sachsen-Premier Kurt Biedenkopf das grüne Benzin-Thema für durchaus diskussionswürdig erklärt hatten.

Als dann auch noch Schäuble mit Ökothesen vor die Presse trat, waren die Bayern mit ihrer Geduld am Ende. »Dumme Wiederholung oller Kamellen ohne jeden Intelligenzblitz«, polterte der bayerische Umweltminister Thomas Goppel, die Menschen hätten es satt, »immer die gleichen doofen Vorschläge zur Energieverteuerung zu hören«.

Bayerische CSU-Größen en masse fielen über Schäuble her. Mit dem Handy in der Hand, im Oberfränkischen unterwegs auf Wanderurlaub, führte CSU-Generalsekretär Bernd Protzner die Phalanx an. Eine Ökosteuer werde es mit der CSU »auf keinen Fall geben«, schimpfte der Vertraute von CSU-Chef Theo Waigel. Wenn die CDU jetzt »neue Formen des Abzockens von Bürgern entwickeln will, dann ist das ihr eigener Weg«.

Den »Dummheiten vom Herrn Protzner« werde die CDU keineswegs folgen, giftete Schäubles Fraktionsvize Heiner Geißler zurück. Doch der Zwist zersetzte längst das eigene Lager.

Als Geißler hörte, daß selbst Verkehrsminister Matthias Wissmann riet, auf Steuererhöhungen im Moment »nicht unsere Energie zu verschwenden«, versprach er dem Parteifreund Klassenkeile: »Der muß eins drüberkriegen.«

Verwirrt zeigte sich auch der Koalitionspartner. Nicht wegen des Inhalts des Schäuble-Textes, so FDP-Solms, aber: »Die große Botschaft: Wir stehen für Steuersenkung, Rot-Grün aber für höhere Belastung, die ist jetzt verwässert.«

Irritiert registrierte Wolfgang Schäuble das von ihm ausgelöste Tohuwabohu. Hatte er nicht »bewußt exakt das formuliert, was seit langem gemeinsam erklärte Politik der Koalition ist«, wie er noch am Dienstag voriger Woche den Mitgliedern seiner Fraktion fast hilfesuchend schrieb?

Ratloser Schäuble. Ratlose Union.

Geradezu verzweifelt sucht die CDU in diesen Wochen nach einer rettenden Strategie, um den drohenden Verlust der Regierungsmacht doch noch abzuwenden. Seit die SPD in Niedersachsen triumphiert und Gerhard Schröder zum Kanzler-Herausforderer nominiert hat, sind die Spitzenleute der Christen-Partei aus dem Tritt.

Einen harten Lager-Wahlkampf hatten Kohl und Hintze erneut führen wollen - mit schlichten, zugespitzten Botschaften wie 1994: die liberal-konservative Mitte aus Union und FDP im Abwehrkampf gegen eine ökosozialistische Kamarilla von SPD, Grünen und PDS.

Aber was gegen einen SPD-Herausforderer Oskar Lafontaine vielleicht noch unter Mühen vertretbar gewesen wäre - gegen den geschmeidigen Schröder, der selbst

*Am 6. April bei der Vorstellung eines neuen Wahlplakates in Bonn.

zur politischen Mitte drängt, kann diese Taktik kaum verfangen.

Nur wenn die Union einen programmatischen Wahlkampf führe, hatte deshalb gleich nach der Niedersachsenwahl Wolfgang Schäuble geraten, könne sie gewinnen. »Ohne einen drastischen Reformkurs«, so seine ernüchternde Analyse, »haben wir der SPD nicht viel entgegenzusetzen.« Ein verheerendes Urteil über die Attraktivität des Kandidaten Kohl.

Gerade bei den besonders Verzagten weckte der Schäuble-Kurs neue Zuversicht. Der Oppositionsführer im Magdeburger Landtag, Christoph Bergner, drängte zu schneller Aktion. Das absehbare Desaster bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt Ende April müsse wenigstens begrenzt werden. Noch vor Ostern solle Schäuble sein Papier vorlegen - und damit der Union im Osten den nötigen Rückhalt geben. Schäuble schrieb - fast im Alleingang - das sehnsüchtig erwartete Programm.

Doch Schäuble gelang es nicht, daraus plakative Botschaften zu destillieren, mit denen die Unionisten in Sachsen-Anhalt politisches Kapital schlagen könnten. Den eigentlichen Inhalt des 58-Seiten-Werkes nahm kaum jemand zur Kenntnis.

Zudem übersah der Bonner Unionsfraktionschef, daß der Bayern-CSU und ihrem Ministerpräsidenten das Ökothema wie gerufen kam, um sich im eigenen Landtagswahlkampf von Bonn abzusetzen. Nach seiner Kehrtwende zum Euro braucht Edmund Stoiber dringend neue Munition.

Vor allem aber lieferte Schäuble seinen Gegnern in der Union einen willkommenen Anlaß, ihn vorsätzlich so zu beschädigen, daß er für einen Kandidatenwechsel im Mai kaum noch in Frage kommt. Denn noch immer träumt ein Teil vor allem der jüngeren Christdemokraten von einem solchen »Befreiungsschlag«.

Mit Schäuble gewinnen oder mit Kohl verlieren heißt für einige die Alternative. Die Aggressionen gegen Schäuble, aus der CSU aber auch von Christdemokraten, sind die Antwort des anderen Lagers.

Schäubles Ruf als Stratege hat allerdings nicht erst mit der Ökosteuer-Panne gelitten. Die Reformen von Steuer- und Rentensystem scheiterten auch an seiner Fehleinschätzung, die SPD werde den harten Lafontaine-Kurs nicht durchhalten, die Einheitsfront der SPD-Ministerpräsidenten im Bundesrat also aufbrechen.

Seit Schäuble via »Stern« kundtat, daß er der »Versuchung«, Helmut Kohl im Kanzleramt nachzufolgen, bei Gelegenheit wohl nicht widerstehen könne, ist die Diskussion um die Kohl-Ablösung nicht mehr verstummt. Alle Versuche, die mißliche Debatte auszutreten, scheiterten.

Heimlich lege Schäuble immer wieder »ein paar Scheite drauf«, argwöhnte Finanzminister Theo Waigel in kleinem christsozialen Kreise. In Hintergrundgesprächen mit den Medien spreche der Fraktionschef das heikle Thema regelmäßig an, »in unangreifbarer Form« zwar, aber mit klarer Botschaft: »Hättet ihr mich genommen, hättet ihr die Probleme nicht.«

Eine herzliche politische Abneigung verbindet nicht nur Schäuble und Waigel. Auch Innenminister Manfred Kanther und Arbeitsminister Norbert Blüm finden nur selten freundliche Worte über den Fraktionschef. Der Propagandist des harten Reformkurses habe, sagt Blüm, »kein Gefühl, was machbar ist«.

Große Erwartungen hatte die Koalition in den von Helmut Kohl zum Wunschnachfolger geadelten Schäuble gesetzt. Vielleicht allzu große: Vordenker und Krisenmanager sollte der Rollstuhlfahrer sein, loyal zum Weiter-so-Repräsentanten Kohl, aber mit scharfem Profil als der Mann mit den Lösungen für morgen.

Nun, je näher das befürchtete Wahldebakel rückt, greift Enttäuschung um sich. Schäuble überschätze die Reformwilligkeit und unterschätze den Bedarf an Nestwärme, heißt es in der Partei. Unduldsam sei der, wolle zuviel, zu schnell - und dabei unterliefen ihm schwere Fehler. Wie jetzt im grünen Bereich.

Die rüden Attacken der CSU zielen denn auch weniger gegen eine Ökosteuer. Zumal der CSU-beherrschte bayerische Landtag noch am 17. Dezember vorigen Jahres ebenfalls für die »europaweite Einführung einer aufkommensneutralen CO2-Steuer« votiert hatte. Tatsächlich gelten die harschen Worte aus dem Süden vor allem dem Verfasser des »Schäuble-Papiers«.

»Politisch höchst unklug von Wolfgang Schäuble und Peter Hintze«, schimpft etwa Dionys Jobst. »Daß unsere Führung solche Fehler macht«, will der CSU-Verkehrsexperte »nicht verstehen«. Schäuble habe »offensichtlich jeden Maßstab dafür verloren«, höhnt der Münchner Christsoziale Peter Gauweiler, was dem Volk »sprachlich und inhaltlich« zuzumuten sei. »Leider«, so klagt auch die CSU-Bundestagsabgeordnete Renate Blank, sei von Schäuble und anderen Unionspolitikern »eine unselige Diskussion« angefacht worden. Nun brauche die Union einen »programmatischen Befreiungsschlag«, um dem Schlamassel zu entrinnen.

Aber auch da sieht es nicht günstig aus. Während die SPD in Bonn schon eine Wahlkampfzentrale nach amerikanischem Vorbild eingerichtet hat, streiten sich in der Union mindestens vier Machtzentren um den rechten Weg: Hintzes Truppen im Adenauer-Haus setzen auf biedere Plakate und stumpfe Sprüche, Schäubles Fraktion will den Streit in der Sache ausfechten, Stoibers Christsoziale stänkern derweil aus München. Und Kohls Kanzleramt tut so, als ob alles in bester Ordnung wäre.

Tatsächlich sucht der Kanzler die Zukunft nur im

* In der Bonner SPD-Wahlkampfzentrale »Kampa«.

Blick zurück. Wieder vertraut Kohl auf einen kleinen Kreis von Beratern, der ihn seit langem unterstützt: darunter sein alter Medien-Experte Eduard »Ede« Ackermann und der Solinger Werbe-Fachmann Coordt von Mannstein. Neulinge mit frischen Botschaften läßt er nicht an sich heran.

Seinen Wahlkampf will Kohl so führen, wie er es seit fast zwei Jahrzehnten gewohnt ist. Der CDU-Wahlslogan »Sicher in die Welt von morgen« ist ganz auf den Alt-Kanzler, nicht auf den drängenden Reformer Schäuble ausgerichtet.

Die Hoffnung, Schröder via Fernsehen zu schlagen, hat Kohl bereits fahren lassen. Der Kanzler sucht den Sieg noch einmal im direkten Kontakt zu den Wählern. Im Sommer wird er durch die Urlaubsorte der Deutschen touren und dann - in der kurzen Schlußphase der Wahlschlacht - die Marktplätze der Republik aufsuchen.

Als einziger Politiker Deutschlands sei Kohl in der Lage, Menschen zu Tausenden auf die Straße zu holen. »Da sind wir Marktführer«, so ein Kanzlerberater, »da ist Kohl eine Kultfigur.« Mehr als hundert solcher Termine absolvierte der CDU-Matador Kohl 1994. Diesmal hat er sich noch mehr verschrieben.

Der Kanzler sucht Zuversicht in der Not zu verbreiten, doch an der Basis der Union breitet sich Fatalismus aus. Selbst die Hoffnungen schwinden, wenigstens als stärkste Fraktion ins Parlament zurückzukehren und damit selbst in einem möglichen Bündnis mit der SPD den Kanzler zu stellen. Längst gelten ganz andere Allianzen als wahrscheinlich: Rot-Grün, ein Ampelbündnis oder auch eine Große Koalition unter einem Kanzler Schröder.

Dann wäre womöglich nicht einmal mehr Schäuble, sondern Verteidigungsminister Volker Rühe aussichtsreichster Kandidat für den Vize-Kanzler.

Eine Große Koalition, in der sich die CDU/CSU mit der Rolle des Juniorpartners begnügen müßte, sehen Spitzen-Genossen freilich als ein fast aussichtsloses Unterfangen an. Die interne Debatte darüber, prophezeit SPD-Parteichef Oskar Lafontaine, »könnte die Union zerreißen«.

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Ökosteuer: Union auf Schlingerkurs

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Ökosteuer: Union auf Schlingerkurs

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* Am 6. April bei der Vorstellung eines neuen Wahlplakates inBonn.* In der Bonner SPD-Wahlkampfzentrale »Kampa«.

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