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Osthandel Scharf auf so was

Der Fuhrpark der alten SED-Spitze ist in zwei westdeutschen Scheunen gelandet.
aus DER SPIEGEL 22/1990

Hohn und Spott brachte es der damaligen DDR-Führung ein, als die SED-Spitzengenossen Mitte der siebziger Jahre westlichen Fahrkomfort entdeckten. Aus Schweden rollten Dutzende Volvo-Limousinen an, worauf der Volksmund das freudlose Prominenten-Getto Wandlitz bei Berlin kurzerhand in »Volvograd« umtaufte.

Seit Samstag vorletzter Woche liegt Volvograd an der schleswig-holsteinischen Ostseeküste. Vor dem Hof von Bauer Bernhard Albert in Teschendorf an der Hohwachter Bucht fuhren 15 der dunkelblauen Staatskarossen vor, als wäre das Politbüro noch einmal zur Klausur ausgerückt.

Der Flecken mit zwei Höfen und neun Häusern hatte seine Sensation. Nachbarn argwöhnten, die Genossen hätten sich »ein letztes krummes Ding erlaubt«. Polizei und Steuerfahndung wurden in Bewegung gesetzt. Sie fanden, nach einer »fahrzeugrechtlichen Überprüfung« (ein Beamter), schnell heraus, daß es sich um ein zwar ungewöhnliches, doch legales Import-Geschäft handelt.

Der Oldenburger Computerhersteller Karl-Udo Hartwig, 43, hatte die Schlitten aus der DDR-Konkursmasse erworben - zum Schleuderpreis von nicht einmal 150 000 Mark Ost. Hartwig: »Das war zunächst nur als Gag gedacht.«

Doch nun wird ein properes Geschäft daraus. Die Wagen vom Typ 264 TE mit Klimaanlage, Heckgardinen, Holzfurnier, Blaupunkt-Radio, Standartenhalterung und einer Überlänge von fast sechs Metern, damit auf Klappsitzen im Fond auch Platz für Bodyguards war, sind optisch und technisch auf West-Niveau.

Ein eigens erstelltes »Zertifikat« der Konkursverwalter im »Sekretariat des Ministerrats« weist die Fahrzeuge als »Sonderanfertigung (überlang)« aus, die »auf Veranlassung der ehemaligen SED- und Staatsführung« nur »in geringer Stückzahl produziert« wurden. Daß die Luxuswagen »ausschließlich für Mitglieder des Politbüros« oder »für hochrangige ausländische Delegationen zum Einsatz« kamen, wird zusätzlich noch vom einstigen Ost-Berliner SED-Chef Konrad ("Konni") Naumann beglaubigt.

Politbüro-Mitglieder wie Naumann und Günter Mittag, so wurde Hartwig von den Ost-Partnern versichert, Volkskammerpräsident Horst Sindermann und Ministerpräsident Willi Stoph hätten die Wagen genutzt. Auch der letzte SED-Generalsekretär Egon Krenz saß, bevor er auf das neuere Volvo-Modell 760 GLE umstieg, häufig in den Mobilen. Das Sortiment aus Volksvermögen könnte daher vielen West-Auktionen zu besonderer Attraktivität verhelfen.

Der neue Eigner ist auf Osthandel spezialisiert. Hartwig baut Computer und vertreibt sie auch, vorzugsweise in die DDR und die Sowjetunion. Daß die Staatskarossen im Angebot sind, erfuhr der Oldenburger aus einer Zeitungsnotiz über einen Rostocker Geschäftsmann, der eine der Luxuslimousinen erworben hatte, um sie an Brautpaare zu vermieten. Hartwig beauftragte den Geschäftsführer seiner Ost-Berliner Filiale, der Comhart Computer Marketing GmbH, die Bedingungen für einen solchen Kauf zu erfragen. Ehe er sich versah, hatte er eine Offerte für das Gesamtpaket auf dem Tisch.

»Es frißt nicht das Brot«, dachte sich der Landwirtssohn getreu einer alten Bauernregel und schlug ein. Die Fahrzeugpapiere wurden umgeschrieben - vom ehemaligen Besitzer, dem DDR-Ministerrat, auf die Ost-Firma in Westbesitz -, mit den Original-Nummernschildern aus der SED-Ära wieder zugelassen, mit Auslandsschutzbriefen versichert und, zum Erstaunen der Grenzer, an die holsteinische Küste gefahren.

Dort parken sie nun, in zwei Scheunen in Teschendorf und in Bojendorf auf Fehmarn, ihrer zweckdienlichen Verwendung entgegen. Über die hat Hartwig noch nicht endgültig entschieden. Einige Superschlitten könnten »für besondere Veranstaltungen zur Verfügung gestellt« werden oder auch »für Museen«, überlegt Hartwig. Er könne sich aber vorstellen, das Sortiment »jetzt auch spekulativ« zu nutzen. Hartwig: »Die Amis sind doch scharf auf so was.«

Zuvor jedoch verhandelt er, auf den Geschmack gekommen, erst mal über ein Zusatzgeschäft. Der Oldenburger Kaufmann will weitere Fahrzeuge der SED-Oldtimer in die Scheuer fahren - aus dem privaten Fuhrpark des abgesetzten Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker. f

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