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KSZE Schau der Supermächte

Nach 20 Konferenzwochen herrscht beim Belgrader KSZE-Treffen kalter Krieg.
aus DER SPIEGEL 8/1978

Der Kongreß tanzte nicht, sondern arbeitete hart; Jeden Tag, von morgens halb zehn bis abends um sieben, verhandelten die 310 Delegierten der Belgrader KSZE.-Nachfolgekonferenz -- doch sie wurden sich bis Freitag vergangener Woche über keinen einzigen Satz des geplanten Schlußdokuments einig.

»Wir stecken in der Krise«, resignierte ein Diplomat aus dem Kreis der neutralen Staaten, ein US-Delegierter sprach vom »Stillstand in der Sackgasse«, ein Sowjet-Funktionär dozierte über die »Gefahr, daß die Konferenz scheitert«.

In Belgrad festgefahren haben sieh die Außenamts-Vertreter der 33 europäischen Länder, der USA und Kanadas. obwohl sie mit klaren Zielsetzungen angereist waren: Die »Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa« hatte im Sommer 1975 in Helsinki beschlossen, die Anwendung ihrer Schlußakte in den einzelnen Ländern zwei Jahre später durch die Belgrader Folgekonferenz prüfen zu lassen.

Zudem sollten neue Vorschläge zur besseren Handhabung der Helsinki-Akte, ein weiterer Konferenztermin und ein neues Schlußpapier in Belgrad beschlossen werden.

Zur Konferenzeröffnung am 3. Okober 1977 hatte der Gastgeber, Jugoslawiens Staatschef Josip Broz Tito, die Delegierten aufgefordert, sich in den folgenden Wochen »von politischem Realismus, Verantwortungsgefühl und gegenseitiger Achtung« leiten zu lassen.

Nach zwanzig Konferenzwochen ist von staatsmännischem Respekt nicht mehr viel zu spüren: Klagen der US-Delegierten über Menschenrechtsverletzungen im Osten werden von den Sowjets als »dreiste Einmischung« und Beleidigung zurückgewiesen; Text-Vorschläge der Osteuropäer für das Schlußpapier nennt der amerikanische Delegationschef Arthur J. Goldberg »unzumutbar«, gar eine »Provokation« -- und bringt damit neben den Osteuropäern auch Vertreter der Blockfreien in Rage über die vermeintliche Arroganz der Amerikaner.

Im Glashaus an der Save, in dem ein hausinterner Bach neben dem Korridor rieselt und durchsichtige Wände Verständigungsbereitschaft signalisieren, ist der Ost-West-Dialog praktisch verstummt. Nicht einmal über das, was bislang verhandelt wurde, herrscht zwischen den Staaten der Nato, des Warschauer Paktes sowie den Blockfreien und Neutralen Einigkeit.

Noch vor zweieinhalb Jahren, als Europas Staatsmänner in Helsinki die Schlußakte feierlich unterschrieben, war die KSZE als neues Modell der europäischen Verständigung gefeiert worden: Der »Geist von Helsinki« schien für eine fruchtbare multinationale Zusammenarbeit zu bürgen -- doch inzwischen ist er ein Schlagwort geworden, mit dem jede Seite der anderen Mißachtung der KSZE-Schlußakte vorwirft.

Vor allem das in Helsinki von Breschnew mitunterschriebene Prinzip der Wahrung der Menschenrechte ließ sieh leicht als Waffe gegen das Sowjet-System gebrauchen, freilich mit einer unvermeidlichen Konsequenz:

Der Menschenrechts-Kreuzzug des US-Präsidenten Jimmy Carter und die heftige Gegenwehr der unter Druck geratenen Sowjets reduzierten den vielstimmigen KSZE-Entspannungs-Chor wieder auf das alte Gegeneinander der beiden Blöcke.

Wahrscheinlich kam der Stilwechsel der Mannschaft Breschnews nicht ganz ungelegen. Sie hatte inzwischen begriffen, daß die KSZE-Plattform

die polyzentristisch eingestellten Rumänen, Polen und Ungarn zur politischen Verselbständigung einlädt, was eine Schwächung der Führerrolle Moskaus nach sieh zöge;

den europäischen Staaten die Möglichkeit öffnet, auf die Abrüstungs- und Rüstungsbegrenzung-Absprachen zwischen Moskau und Washington mit eigenen Ideen Einfluß zu nehmen;

allen Teilnehmerstaaten das Recht gibt, in humanitären und grundrechtlichen Belangen den anderen Staaten auch innenpolitisch am Zeug zu flicken.

»Wir wußten, daß das Treffen kein Sonntagsritt würde«, erinnert sieh der deutsche Delegationschef Per Fischer. Doch niemand unter den Europäern hatte damit gerechnet, daß die Block-Politik alter Art in Belgrad wiederaufleben könne.

Als aber dann der US-Chefunterhändler Arthur J. Goldberg im Oktober und November die Belgrader Nachfolgekonferenz zur Anklage-Kammer umwandelte (ein Neutraler: »Das war manchmal wie beim Nürnberger Prozeß"). ging sein sowjetischer Gegenspieler Julij Woronzow prompt auf Gegenkurs. Bald hatten sich die Gegner aufeinander eingeschossen:

Goldberg zog regelmäßig »die Show des erzürnten Moraltheologen« ah, Woronzow konterte mit der »Miene eines vom nichtigen Geschwätz gequälten Intellektuellen«, wie ein Konferenz-Dolmetscher während der Sitzungen beobachtete ein theatralischer Zweikampf für die amerikanische Presse und die Parteioberen im Kreml.

Dabei übersahen freilich die Carter-Anhänger, daß offenbar schon die wortgetreue Handhabung der Helsinki-Akte den Spielraum übersteigt, den die Sowjetführung den Bürgern im eigenen Land gewährt, weil etwa das Verlangen nach Grundrechten durch Dissidenten die Parteidiktatur der KPdSU in Frage stellt »Die KSZE"« beteuerte Woronzow vor den Konferenzteilnehmern sei für die UdSSR ein Prozeß »für viele Jahre«, die Helsinki-Akte ein »Projekt«.

Das bisherige Entspannungs-Tempo erschien der Moskauer Führung wohl ohnehin fast halsbrecherisch.« Diejenigen, die der Entspannung zuwiderarbeiten«. warnte Woronzow die westlichen Menschenrechtler, »bremsen hierdurch die Tätigkeit, die der Verwirklichung der einen oder anderen Bestimmung der Schlußakte dient.« Goldberg drohte indes zurück, er werde sich »zu keiner Zeit« das Recht nehmen lassen, Menschenrechtsverletzungen dann anzukreiden, wann es ihm passe.

Als schließlich 29 der 35 KSZE-Delegationen für das Belgrader Schlußdokument konkrete Hinweise über Menschenrechts-Mißachtungen und Maßnahmen zu deren Behebung verlangten, wurde es den Sowjets zu bunt:

Mitte Januar kredenzten sie der KSZE-Runde einen Entwurf, der kaum mehr als ein formelles Ablauf-Protokoll enthielt, dafür aber die Zusicherung, eine weitere Folgekonferenz in Madrid abhalten zu wollen. Über ihre eigenen Abrüstungsideen, etwa die Achtung der amerikanischen Neutronenbombe, sowie über die humanitären Vorstöße der Westler habe kein Konsens erzielt werden können, begründeten die Sowjets ihr Minipapier.

»Wir wünschen keine Erwähnung der Menschenrechte«. gab Woronzow offen zu, und dies bestätigte auch Kossygin, als Österreichs Staatschef Kreisky Anfang Februar nach Moskau kam.

Zwar hatte das Belgrader Plenum im Januar vier Arbeitsgruppen für die Formulierung des Schlußpapiers eingesetzt. Doch jeder noch so banale Vorschlag wurde mal von der einen, mal von der anderen Seite blockiert. 15 Ablehnungen durch Osteuropäer zählte ein deutsches Delegationsmitglied während einer einzigen Sitzung.

Nicht einmal der geschickt eingeleitete Rettungsversuch der sechs neutralen und blockfreien Staaten, beiden Kontrahenten ein eigenes Diskussionspapier ("non-paper") unterzuschieben, brachte Erfolg: Keine der beiden Supermächte war interessiert, die verschiedenen Positionen ernsthaft auszubalancieren.

Erst am Montag und Dienstag vergangener Woche, als die Außenminister der EG-Länder bei ihrem Treffen in Kopenhagen gewahr wurden, daß Europa bei diesem Gerangel zwischen den beiden Großen Gewichtsverlust erleiden müsse, wiesen sie ihre Unterhändler in Belgrad an, das Kompromißpapier der Neutralen als Diskussionsgrundlage anzunehmen.

Die Sowjets freilich blieben vorerst bei ihrer harten Linie: Auch das Papier der Neutralen greift die Menschenrechtsfrage auf -- Moskau boykottierte deshalb seit vergangenem Mittwoch alle Kontaktgespräche über menschliche Erleichterungen.

Immerhin haben die Sowjets diskret eine zweite, umformulierte Neuauflage ihres Entwurfs verteilt, und ein neues Kompromiß-Papier bieten seit Donnerstag auch die Franzosen an -- zum Ärger der übrigen Weststaaten ohne vorherige Absprache mit den Verbündeten. Die Amerikaner schließlich haben einen weiteren Entwurf fix und fertig in der Schublade liegen.« Die Konferenz wurde zum reinen Papierkrieg«, urteilte ein Sprecher der gastgebenden Jugoslawen.

Wie lange dieser Nervenkrieg über das ursprünglich auf Mitte Februar anberaumte Konferenzende hinaus noch dauern wird, weiß niemand. Die Verträge der Kongreß-Dolmetscher jedenfalls wurden bis zum 3. März verlängert.

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